The Project Gutenberg EBook of Quer Durch Borneo, by A.W. Nieuwenhuis
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Title: Quer Durch Borneo
Ergebnisse seiner Reisen in den Jahren 1894, 1896-97 und
1898-1900; Erster Teil
Author: A.W. Nieuwenhuis
Editor: M. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenban
Release Date: December 23, 2005 [EBook #17379]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK QUER DURCH BORNEO ***
Produced by Jeroen Hellingman
Quer durch Borneo
Ergebnisse seiner Reisen
In den Jahren 1894, 1896-97 und 1898-1900
Von
Dr. A.W. Nieuwenhuis
Unter Mitarbeit
Von
Dr. M. Nieuwenhuis-von Üxküll-Güldenbandt
Erster Teil
Mit 97 Tafeln in Lichtdruck und zwei Karten
Buchhandlung und Druckerei
Vormals
E.J. Brill
Leiden--1904
VORWORT.
Bevor noch die Ergebnisse meiner ersten Durchquerung der Insel
Borneo unter dem Titel "In Centraal Borneo" veröffentlicht waren,
trat ich eine neue Reise an, die zwei Jahre und acht Monate dauerte
und mir Gelegenheit bot, die bereits erlangte Kenntnis von den
Bewohnern dieser bisher völlig unbekannten Gegenden wesentlich zu
bereichern. Da die Forschungen, die ich über den Charakter der Dajak
und die Verhältnisse, unter denen sie leben, anstellte, eine weitere
Ausbreitung des niederländischen Einflusses im Herzen Borneos zur
Folge hatte, erschien mir eine Vereinigung der früher erworbenen
Resultate mit den neuen und deren Veröffentlichung in umgearbeiteter
Form nicht nur aus wissenschaftlichem, sondern auch aus praktischem
Interesse wünschenswert.
Das Werk besteht aus zwei Teilen. Der erste behandelt die Reise
von Pontianak nach Samarinda, quer durch Borneo, und enthält eine
Schilderung von den Zuständen unter den Bahau am Kapuas und Mahakam,
der zweite beschreibt die Expedition zu den Kenja im Stammland der
Bahau, ferner die Industrie, den Handel, den Häuserbau und die Kunst
bei diesen Stämmen.
Wie in meinem vorigen Werke habe ich mich auch in diesem darauf
beschränkt, fast ausschliesslich eigene Beobachtungen zu geben, und
die anderer Autoren nicht zur Vergleichung herbeigezogen. Abgesehen
davon, dass das Werk sonst zu umfangreich geworden wäre, ist es
auch sehr schwierig, in allem, was die Reisenden bis jetzt über
Borneo geschrieben haben, sorgfältige Beobachtungen von flüchtigen
Eindrücken zu unterscheiden. Überdies bin ich der Ansicht, dass eine
einfache Wiedergabe eigener Beobachtungen, von deren Richtigkeit man
sich im Laufe vieler Jahre hat überzeugen können, für die Ethnographen
besonders wertvoll ist.
In dieses neue Werk habe ich, soweit sie nicht in Fachzeitschriften
gehören, alle Resultate meiner Reisen in Mittel-Borneo aufgenommen;
desgleichen haben diejenigen Photographien der vorigen Reisen, die ich
für wissenschaftlich interessant hielt, auch ins neue Buch Aufnahme
gefunden. In die Reiseerzählung, die das Werk auch für Laien geniessbar
machen soll, sind noch Beobachtungen allerlei Art, die anderswo keinen
Platz fanden, und einige charakteristische Erlebnisse meiner vorigen
Reisen verflochten worden.
Zur Verzierung des Einbands wurden ausschliesslich dajakische Muster
verwendet. Die vordere Seite des Einbands ist mit den Randfiguren
eines Frauenrockes geschmückt, die hintere Seite und der Rücken
tragen Tätowiermuster.
Die Herausgabe des vorliegenden Werkes konnte in dieser Form nur
dank einer bedeutenden Subvention seitens des Kolonialministeriums
stattfinden. Diese Subvention ermöglichte auch eine Reproduktion
der Tafeln in Licht- und Farbendruck, durch welche erst die vom
ethnographischen Standpunkt wichtigen Einzelheiten der photographischen
Aufnahmen zur vollen Geltung gelangten.
Während meiner Arbeit habe ich von verschiedener Seite Unterstützung
genossen. In erster Linie fühle ich mich der "Maatschappij tot
bevordering van het natuurkundig onderzoek der Nederlandsche
Koloniën", die meine ersten Reisen veranlasste und mir gestattete,
die von ihr herausgegebene Karte von Borneo für dieses Werk zu
reproduzieren, zu Dank verpflichtet. Ferner spreche ich den Herren
Professoren Dr. _A.E.J. Holwerda_ und Dr. _K. Martin_ und Herrn
Dr. _J.D.E. Schmeltz_, die sich stets hilfsbereit gezeigt haben,
besonders aber Herrn Professor Dr. _F. Schwend_ in Stuttgart, der mir
durch seine Hilfe bei der Korrektur einen grossen Dienst geleistet hat,
meinen herzlichsten Dank aus.
Leiden,
Dezember 1903.
Dr. A.W. Nieuwenhuis.
INHALT.
Kapitel I. 1-22
Erste wissenschaftliche Expedition nach Mittel-Borneo
(1893-1894)--Pläne zu einem zweiten Versuch einer Durchquerung
Borneos von West nach Ost--Zweite Reise (Februar 1896-Juni 1897)
und deren Ergebnisse--Anlass zur Unternehmung der dritten Reise (Mai
1898-Dezember 1900)--Ausrüstung--Dampfschiffahrt nach Pontianak--Fahrt
auf dem Kapuas bis Putus Sibau--Zustände in Putus Sibau.
Kapitel II. 23-42
Aufenthalt in Putus Sibau--Aussichten für die Mahakamreise--Besuch
der Batang-Lupar--Aufbruch nach Tandjong Karang Einrichtung des
Kajan Hauses--Ärztliche Praxis unter der Bevölkerung--Vorbereitungen
für den Zug nach dem Mahakam Rückkehr nach Putus Sibau--Einkauf von
Ethnographica und Krankenbehandlung--Verwundung eines Sibau Dajak
Zurücksendung eines Jägers--Besuche der Kajan--_Usun_ in Putus
Sibau--Befragen der Vögel--Aufbruch nach dem Mahakam.
Kapitel III. 43-68
Allgemeines über die Insel Borneo--Die Gebirge von
Mittel-Borneo--Die Wasserscheiden zwischen dem Mahakam und
dem Batang-Rèdjang, Kajan und Barito--Geologie des oberen
Mahakamgebietes--Salzquellen--Geologischer Charakter des Apu Kajan
Äussere Gestaltung Mittel-Borneos--Buschvegetation--Meteorologische
Verhältnisse--Bewohner der Insel--Malaien und Dajak Sesshafte Stämme:
Bahau und Kenja--Nomadenstämme: Punan, Bukat und Beketan--Herkunft
der Bahau und Kenja Legende vom Wasser und Feuer--Auswanderungen
und Vermischungen der Stämme--Organisation eines Bahau- bezw. eines
Kajan-Stammes--Geschichte der Mendalam Kajan--Glieder eines Stammes:
Häuptlinge, Freie und Sklaven--Gegenseitige Verpflichtungen der
Stammesglieder--Abstammung des Häuptlings _Akam Igau_.
Kapitel IV. 69-95
Lebenslauf eines Bahau bzw. eines Kajan--Geburt--Behandlung des
Neugeborenen--Kindertragbrett (_hawaat_)--Verpflegung des Kindes--Erste
Namengebung--Zweite Namengebung--Namenänderungen--Das Kind bis zur
Pubertät--Junge Männer und Mädchen--Tätowierung--_utang_--Künstliche
Verunstaltungen--Beschäftigungen und Verkehr der
jungen Leute--Mahlzeiten Heirat--Stellung von Mann und
Frau--Erbschaft--Tod--Trauer--Kopfjagden.
Kapitel V. 96-115
Religiöse Vorstellungen der Bahau--Wichtigste Götter--Einteilung des
Weltalls--Gute und böse Geister--Seelen der Bahau--Charakter und
Schicksal der _bruwa_ und _ton luwa_--Seelen der Tiere, Pflanzen
und Gesteine--Vorzeichen--Erklärung der _pemali_--Priester
und Priesterinnen--Beseelung der _dajung_--Pflichten der
_dajung_--Erklärung der _mela_--Das Ei als Opfergabe.
Kapitel VI. 116-132
Opfergaben der Ballon: _kawit_--Die _pemali:_ bei der _mela_,
beim Erntefest, in den Reisscheunen, auf dem Reisfelde, beim
Säen, beim Neujahrsfest, bei der _mela_ der Namengebung, bei der
_mela_ gegen Krankheit, bei der Rückkehr von grossen Reisen--Das
_legén_--Schwierigkeiten bei den Nachforschungen auf religiösem
Gebiet--_Usun_, die Oberpriesterin--Schöpfungsgeschichte der Mendalam
Kajan.
Kapitel VII. 133-155
Auffassung der Kleidung seitens der Eingeborenen--Zweck
der Kleidung--Einfluss der Malaien auf die
Kleidung--Alltags-, Fest- und Kriegskostüm der Männer am
Mendalam--Kopfbedeckungen--Schmuck--Tätowierung--Ausrecken der
Ohrläppchen--Umformung der Zähne--Haartracht--Alltags- und Festkleidung
der Frauen--Schmuck--Trauerkleidung--Ausrüstung der Toten--Waffen der
Kajan: Schwerter, Speere, Blasrohre--Herstellung der Blasrohre--Pfeile
und Pfeilgifte--Schilde.
Kapitel VIII. 156-185
Rolle des Ackerbaus bei der Bahau und Kenja--Religiöse Vorstellungen
beim Ackerbau--Legende von der Entstehung der Ackerbauprodukte--Art
der Feldbewirtschaftung--Vorzeichensuchen bei der Wahl der
Felder--Bestimmung der Saatzeit--Perioden des Reisbaus--Bedeutung
der Ackerbaufeste--Saatfest: religiöse Zeremonien; Masken- und
Kreiselspiel--Neujahrsfest--Festgebräuche--Zweite Namengebung der
Kinder--Darbietung der Opfer--Tänze der Priesterinnen--Ringkampf--_aron
uting_ = Festtag des Schweinefleischessens--_aron kertap = Festtag_
des Klebreisessens--_nangeian_ = Rundtanz der Priesterinnen und
Laien--Schlusszeremonien beim Neujahrsfest.
Kapitel IX. 186-199
Fischreichtum des Kapuasgebietes--Fischereigerätschaften--Fang des
_tapa_--Fang mit _tuba_-Gift--Jagd--Hunde der Bahau--Erträgnisse der
Jagd--Vogelfang--Haustiere.
Kapitel X. 200-219
Von Putus Sibau nach Siut--Besuch bei den Taman Dajak-Verlust
eines Hundes durch ein Krokodil--Nachtlager auf der Geröllbank
Liu Tangkilu--Kampf gegen die Strömung--Aufenthalt wegen des
_telaradjang_--Umschlagen eines malaiischen Handelsbootes--Ausflug
auf einen Berg--Eigentümliche Lianen--Fortsetzung der Fahrt bis zur
Gung-Mündung--Aufenthalt wegen schlechter Vorzeichen--Passieren
der "Gurung Delapan"--Nachtlager an der Bungan-Mündung--_Bier_
und _Obet Lata_ fallen in den Fluss--Begegnung mit unserer
ersten Gesandtschaft--Ankunft an der Bulit-Mündung--Aufschlagen
der Lagers--Nächtlicher Überfall durch Hochwasser--_Akam Igaus_
Reiseplan--Begegnung mit Bungan Dajak--Aufbruch zum _pangkalan_
Howong--Kalkberge am Bulit.
Kapitel XI. 220-243
Ankunft am _pangkalan_ Howong--Unterhaltung im Lager--_Akam
Igau_ zieht zum Mahakam voraus--Aufbruch eines Teils der Kuli zur
Wasscherscheide--Erscheinen von Bungan Dajak--Besuch im Lagerplatz,
der Bungan--Rückkehr der Träger--Verschwinden des Reises--Landzug
in Eilmärschen--Passieren des Bungan--Nahrungsnot--Lager unterhalb
der Wasserscheide.
Kapitel XII. 244-268
Auf der Wasserscheide zwischen Kapuas und Mahakam--Opfer der
Kajan--Längs des Howong zu den Pnihing--_Amun Lirung_--Nahrungsmangel
und Schwierigkeiten mit dem Transport des Gepäckes--_Kwing
Irang_--Löhnung der Träger--Besuch bei den Bukat--Reise zu
_Belarè_--Einkauf von Böten am Tjehan--Fahrt zu _Kwing Rang_ am Blu-u.
Kapitel XIII. 269-294
Der Mahakam in seinem Ober- Mittel- und Unterlauf--Bewohner des
Mahakamgebietes--Vorgeschichte der Stämme--Stellung und Einfluss
der Fremden--Ursprüngliche Bewohner am oberen Mahakam--Vorherrschaft
der Long-Glat--_Kwing Irang_ und dessen Stellung unter den übrigen
Häuptlingen--Verkehr und Handel unter den Stämmen--Selbständigkeit der
Stämme--Verteilung der Ländergebiete--Bestimmungen in bezug auf Feld-
und Waldfrüchte, Buschprodukte, Jagd- und Fischfang--Industrie--Verkehr
mit den Nachbarländern--Handel und Handelswege.
Kapitel XIV. 295-315
Verkehr mit den Eingeborenen--Einkauf von Ethnographica--Sammeln und
Konservieren von Tieren und Pflanzen--Sammlungen und Untersuchungen
auf geologischem Gebiet--Topographische Aufnahmen--Photographie.
Kapitel XV. 316-350
Verhältnisse bei den Mahakam Kajan--Zeitrechnung-Beschäftigungen
während der Verbotszeit--Besteigung des Batu
Mili--Saatfest--Maskenspiel--Kreiselspiel--Abschied von _Akam Igau_
und _Jung_--Fahrt zum Merasè--Tod des Häuptlings _Bo Li_--Begegnung
mit malaiischen Rebellen--Beginn mit der Mahakamaufnahme--Zweite
Besteigung des Batu Mili--Sage vom Batu Mili--Hahnenkämpfe.
Kapitel XVI. 351-385
Besuch bei den Ma-Suling am Merasè--In Batu Sala, Napo Liu
und Lulu Sirang--Behandlung von Kranken, Einkauf von Böten und
Ethnographica--Besteigung des Batu Situn--Beobachtungsposten
auf einem Baumgipfel--Rückkehr nach Lulu Sirang--Symbolische
Heiratserklärung--Hochzeitsgebräuche--Ehegesetze--Heimkehr nach dem
Blu-u--Besuch bei den Pnihing am Tjehan--In Long 'Kup--Besteigung
des Liang Karing--Bei den Pnihing am Pakatè--Begräbnisstätte
der Pnihing--_Hadji Umar_--Zurücksendung einer Batang-Lupar
Gesellschaft--Beratung wegen des Hausbaus--Besuch von _Hinan Lirung_.
Kapitel XVII. 386-417
Bau des Häuptlingshauses--Besteigung des Batu Lesong--Ermordung einer
Sklavin--Schutzleistung gegen Batang-Lupar Banden--Anwerbung neuer
Leute--Krankenbesuch am Merasè--Reisevorbereitungen--_Bang Joks_
politische Stellung--_Kwing Irangs_ Einzug ins neue Haus--Allerhand
Schwierigkeiten--Wiederholtes Vorzeichensuchen--Tod eines kleinen
Mädchens--Ankunft _Akam Igaus_--Neue Reisehindernisse.
Kapitel XVIII. 418-449
Äusseres der
Bahau--Körperbau--Sinnesorgane--Charakter--Eigentümlichkeiten ihrer
Konstitution--Krankheiten der Bahau: Malaria, venerische Krankheiten,
Intestinalkrankheiten, Rheumatismus; Kropf; Infektionskrankheiten
verschiedener Art, Augenkrankheiten, parasitäre Hautkrankheiten--Wert
einer ärztlichen Praxis unter den Eingeborenen--Vorstellungen
der Bahau von ihrem Körper, ihrem Geist; dem Schlaf und den
Krankheiten--Heilmethoden der Priester--Diätetische Mittel-Befolgung
ärztlicher Vorschriften--Arzneien der Eingeborenen--Massage,
Dampfbäder.
Kapitel XIX. 450-468
Allgemeines über Tätowierung--Unterscheidung dreier
Gruppen--Vorschriften für Tätowierkünstlerinnen und
Patienten--Tätowiergerätschaften--Ausführung und Folgen der
Operation--Methoden der Tätowierung bei den verschiedenen
Stämmen und Ständen--Seeentätowierung--Tätowierung der Kajan am
Mendalam--Tätowiermuster--Tätowierung bei den Mahakamstämmen und
den Kenja.
Kapitel XX. 469-493
Reise zur Küste: von Long Blu-u nach Long Tepai--Passieren
der westlichen Wasserfälle--Flössen des Rotang--In Long Deho
bei _Bo Adjang_--Aufenthalt wegen Hochwassers--Ertrinken
zweier Long-Glat--Ankunft _Kwing Irangs_--Weiterreise mit den
Kajan--Passieren des Kiham Udang--Wiedersehen mit dem Kontrolleur
in Long Bagung--Begegnung mit Kenja--Über Uma Mehak, Udju Halang,
Ana und Tengaron nach Samarinda.
BEMERKUNGEN ÜBER DIE AUSSPRACHE.
Alle einheimischen Wörter, die keine geographischen Namen oder
Personennamen bedeuten, liess ich kursiv drucken. Während die Zeichen
auf den gerade gedruckten Wörtern keiner weiteren Erklärung bedürfen,
gelten in Bezug auf die Aussprache der Vokale in den kursiv gedruckten
Wörtern die folgenden Regeln des allgemeinen linguistischen Alphabets
[1].
_a_ in dem Deutschen Tat, hat.
_e_ in dem Deutschen Bär, fett;
_e_ in dem Deutschen Weh;
_i_ in dem Deutschen wir, mit;
_o_ in dem Deutschen Mond;
_o_ in dem Deutschen Sonne;
_ö_ in dem Deutschen Hörner;
_ö_ in dem Deutschen König;
_u_ in dem Deutschen Mut;
_u_ in dem Deutschen Tür;
_ai_ in dem Deutschen Kaiser.
_au_ in dem Deutschen Haut.
_au_ in dem Deutschen Häute.
_e_ bezeichnet den dumpfen Vokal der deutschen Vor- und
besonders Endsilben, z.B. begraben.
In den Inhaltsangaben und in den Überschriften der Seiten sind obige
Zeichen bei den kursiv gedruckten Wörtern fortgelassen worden.
Um die Länge und die Kürze der Vokale und die Betonung anzugeben, sind
die üblichen Zeichen [-]; [u]; und ['] verwendet worden.
LISTE DER KARTEN UND TAFELN.
Karte der Insel Borneo Anhang.
Karte des Bungan-Gebietes gegenüber Seite 226
Tafel. Gegenüber Seite
1. Die Expedition in Long Bagung (Mai 1899) Titelbild.
2. Tandjong Karang 26
3. Geschnitzte Haustür des Häuptlings _Akam Igau_ 28
4. Inneres von _Akam Igaus_ Wohnung A 28
5. Inneres von _Akam Igaus_ Wohnung B 28
6. _Usun_, Oberpriesterin in Tandjong Karang 40
7. Die Salzquelle Sepan Dingei mit Brunnenvorrichtung 46
8. Landschaft von Mittel-Borneo (oberer Mahakam) 48
9. Greis der Kajan vom Mahakam. Kajan vom Mahakam 52
10. Junge Frauen der Mahakam Kajan. Junge Mädchen der Mahakam 56
11. Ältere Frau der Mahakam Kajan 60
12. Pnihing 64
13. Bewaffnete Ma-Suling vom Merasè mit ihrem Häuptling Ibau Li 68
14. Kindertragbrett (_hawat_) der Kajan am Mendalam 72
15. Religiöse Gegenstände der Mendalam Kajan 116
16. Religiöse Gegenstände der Mendalam Kajan 118
17. Religiöse Gegenstände der Mendalam Kajan 120
18. Religiöse Gegenstände der Mendalam Kajan 122
19. Religiöse Gegenstände der Mendalam Kajan 124
20. Religiöse Gegenstände der Mendalam Kajan 124
21. _Legen_ 126
22. Gut gekleideter junger Kajan 136
23. Bahau in Kriegskostüm 136
24. Hüte der Bahau 138
25. Schmucksachen der Mendalam Kajan 140
26. Frau der Bahau in Trauerkleidung 144
27. Totenausrüstung 144
28. Schwerter der Mendalam Kajan 146
29. Schwerter der Bahau 148
30. Schwertscheiden der Bahau 148
31. Schwerter mit Scheiden der Stämme von Nord- und
West-Borneo 148
32. Pfeilköcher, Giftbrett u.s.w. 150
33. Auszug aufs Feld mit Tragkorb, Schwert, Ruder und Speer 162
34. Neu angelegtes Reisfeld der Bahau 162
35. _Dangei_-Hütte 172
36. _Lasa_, Opfergerüst mit Opfergaben 176
37. Landschaft am oberen Kapuas 188
38. Aufwärtsziehen der Böte mittelst Rotangtaue im
Gurung Delapan 212
39. Gurung Bakang 214
40. Mündung des Bulit 216
41. Befördern der Böte über einen Wasserfall im Bulit 216
42. Stalaktiten am Liang Bubuk 218
43. Inneres einer Kuli-Hütte 222
44. Wasserscheide zwischen Kapuas und Mahakam 246
45. Zwei aus verflochtenen und verwachsenen Lianen entstandene
Bäume 254
46. Haus des Pnihinghäuptlings _Belarè_ 260
47. Massenkalk mit undeutlicher Schichtung 264
48. Unvollendete Niederlassung der Kajan an der Mündung des
Blu-u 268
49. Unsere Wohnung in Long Blu-u 272
50. Zwei Kajanfrauen vom oberen Mahakam 274
51. Junger Mann und Frau der Kajan am oberen Mahakam 284
52. Kajanknaben vom oberen Mahakam 296
53. Junger Sklave der Kajan am oberen Mahakam 308
54. Steine zur Bestimmung des Sonnestandes während der
Saatzeit 316
55. Der Batu Mili bei Long Blu-u 320
56. _Hudo Kajo_, als Geister verkleidete Männer 324
57. Holzmasken 324
58. Landung der Geistermasken 326
59. Tanz der Geistermasken 326
60. Maskerade der Frauen 328
61. Frauen in Festkleidung. Als Männer verkleidete Frauen 328
62. Als Punan verkleidete Kajan 328
63. Kreiselspiel 330
64. Napo Liu 332
65. Gruppe der Murung Malaien in Napo Liu 334
66. Grabmal des Ma-Suling-Häuptlings _Bo Long_ 354
67. Rotang mit symbolischen Zeichen zur Absperrung eines Flusses 360
68. Holzstapel als symbolische Heiratserklärung bei den
Long-Glat 364
69. Der Liang Karing an der Mündung des Tjehan 370
70. Aufwärtsziehen der Böte im Kiham Tukar Anang 372
71. Niederlassung der Pnihing am Long Pakatè 374
72. Mit Figuren verzierter Stein im Tjehan 374
73. Begräbnisstätte der Pnihing am Fuss des Liang Nanja 376
74. Särge der Pnihing 376
75. Achtjähriger Kajan mit Tinea imbricata bedeckt 440
76. Symmetrisch verbreitete Tinea imbricata bei einer jungen Kajanfrau
am oberen Mahakam 442
77. Tätowieren einer Hand bei den Kajan am oberen Mahakam 450
78. Frau der Long-Glat mit vollständiger Tätowierung 452
79. _Dahei Kwing_, achtzehnjährige Kajanfrau vom oberen Mahakam mit
tätowierten Händen 452
80. Junger Bukathäuptling mit Brust- und Armtätowierung 452
81. Tätowierter Dajak vom Kahájan 452
82. Tätowiermuster der Mendalam Kajan 456
83. Schenkeltätowierung einer _panjin_ 460
84. Schenkeltätowierung von _Tipong Igau_ 460
85. Hand- und Fusstätowierung der Mendalam Kajan 460
86. Schenkeltätowierung einer Long-Glat-Frau 461
87. Muster für Schenkeltätowierungen 462
88. Muster für Schenkeltätowierungen 464
89. Muster für Schenkeltätowierungen 464
90. Seitenstücke für Schenkeltätowierungen 464
91. Schlussstücke für Schenkeltätowierungen 466
92. Handtätowierungen der Long-Glat 466
93. Handtätowierungen der Uma Luhat; Kajan am Blu-u 466
94. Handtätowierungen der Uma Luhat 466
95. Tätowierung der Kenja Uma Tow 468
96. Schenkeltätowierung der Kenja 468
97. Schenkeltätowierung der Kenja 468
KAPITEL I.
Erste wissenschaftliche Expedition nach Mittel-Borneo
(1893-1894)--Pläne zu einem zweiten Versuch einer Durchquerung
Borneos von West nach Ost--Zweite Reise (Februar 1896-Juni 1897)
und deren Ergebnisse--Anlass zur Unternehmung der dritten Reise
(Mai 1898-December 1900)--Ausrüstung--Dampfschiffahrt nach
Pontianak--Fahrt auf dein Kapuas bis Putus Sibau--Zustände in
Putus Sibau.
In den Jahren 1893 und 1894 rüstete die "Maatschappij tot
bevordering van het natuurkundig onderzoek der Nederlandsche Koloniën"
(Gesellschaft zur Beförderung der naturwissenschaftlichen Forschung in
den niederländischen Kolonieen) ihre erste grosse wissenschaftliche
Expedition nach Mittel-Borneo aus; wesentlich unterstützt wurde
sie dabei durch den damaligen Residenten _S.W. Tromp_ [2] der
"Wester-Afdeeling" von Borneo, der sehr wohl begriff, dass eine
Erweiterung der Kenntnis von Land und Volk auch in politischer Hinsicht
von grosser Bedeutung sein musste.
Den Teilnehmern an der Expedition war zur Aufgabe gestellt worden,
von der Westküste durch die bisher ganz unbekannten Gebiete des oberen
Kapuas und oberen Mahakam bis zur Ostküste vorzudringen und während
der Reise, so weit als möglich, naturwissenschaftliches Material zu
sammeln und die Bevölkerung zu studieren.
In Kutei erhoben sich aber bald warnende Stimmen, welche auf die
grossen Gefahren einer derartigen Unternehmung aufmerksam machten;
daher nahm man von dem anfänglichen Plan Abstand und beschränkte
sich auf die Erforschung des Flussgebietes des oberen Kapuas, in
welchem vom November 1893 bis zum Oktober 1894 reiche Sammlungen auf
botanischem, zoologischem, geologischem und ethnologischem Gebiete
angelegt wurden. Dank der Unterstützung der Regierung durch Schutz-
und Transportmittel konnten die Forscher, jeder in seinem Fache,
gesondert tätig sein; während der Zoologe Dr. _J. Büttikofer_ und der
Botaniker Dr. _H. Hallier_ sich im Urwalde niederliessen, durchzog
der Geologe Prof. _G.A.F. Molengraaff_ ausgedehnte Landstrecken,
um deren Formation kennen zu lernen und beendete seine Reise durch
einen gelungenen Zug von Bunut südlich nach Bandjarmasin. Indessen
jeder auf diese Weise die nötige Forschungsfreiheit genoss, lag mir,
als dem Expeditionsarzte, die Verwaltung des Ganzen ob. Da meine
ärztliche Hilfe von den Teilnehmern der Expedition selten beansprucht
wurde, konnte ich in den Dörfern der Eingeborenen wohnen bleiben und
von dort aus für die Zufuhr neuer Vorräte und die Anwerbung von Kuli
Sorge tragen.
Teils aus Neugier, teils um ärztlichen Beistand zu erbitten, kamen bald
ununterbrochen Eingeborene in meine Nähe, so dass ich Gelegenheit
hatte, die Bevölkerung eingehend zu studieren und Ethnographica
zu sammeln.
Nach zweimonatlichem Aufenthalt am Mandai, südlich vom oberen Kapuas,
machten der Geologe, Prof. _Molengraaff_, und ich den Versuch, in das
Gebiet des oberen Mahakam vorzudringen; wir mussten jedoch, obgleich
wir bereits die Wasserscheide zwischen Kapuas und Mahakam überschritten
hatten, auf Grund von Gerüchten, die der uns begleitende Kontrolleur
über ernstliche feindliche Rüstungen seitens der Eingeborenen vernommen
hatte, den Rückzug antreten. Auf dieser letzten sechswöchentlichen
Expedition hatten die am Mendalam wohnenden Kajan, ein bis dahin so
gut wie unbekannter Stamm, die Träger und Ruderer geliefert. Die
Kajan am Mendalam sind nämlich mit denen am Mahakam verwandt und
in ständigem Verkehr, daher sind sie auch die besten Kenner dieser
dunklen Gebiete von Mittel-Borneo.
Ich war somit, um zuverlässige Auskunft über die Verhältnisse am
oberen Mahakam zu gewinnen, hauptsächlich auf diesen Stamm der Kajan
angewiesen. Zwar hatte schon im Jahre 1825 ein Europäer, _Georg
Müller_, von der Ostküste aus den oberen Mahakam erreicht, aber sein
Geleite von Pnihing und Kajan ermordete ihn nach dem Überschreiten
der Wasserscheide im Flussbett des Bungan; mit dem kühnen Forscher
gingen auch seine Aufzeichnungen zu Grunde, und die innersten Gebiete
Borneos blieben unbekannt wie zuvor.
Während Prof. _Molengraaff_ seine Reise nach Bandjarmasin antrat,
liess ich mich also für zwei Monate bei diesem Stamm der Kajan am
Mendalam in Tandjong Karang nieder und zwar mit demselben Resultat, wie
sonst überall, dass ärztliche Hülfe, das Einkaufen von Ethnographica
und viel Geduld mit ihrer Eigenart mir alles Vertrauen gewanden,
das eingeborene Stämme einem Fremden überhaupt schenken können. Als
wichtigsten Vertrauensbeweis betrachtete ich ihre Erklärung, mich
in das Gebiet des oberen Mahakam begleiten zu wollen, falls ich auf
ihre Bedingungen zur Unternehmung der Reise eingehen wollte. Eine der
für beide Teile wichtigsten war, dass ich, um nicht das Misstrauen
ihrer Verwandten am Mahakam zu erregen, ohne bewaffnetes Geleite
gehen sollte, was für mich so viel bedeutete, als dass ich mich ihnen
vollständig ausliefern sollte. Ich fand eine teilweise Erklärung für
diese Bedingung in dem Gefühl, das alle Eingeborenen in Mittel-Borneo
bei der Begegnung mit etwas Neuem und Fremdem beherrscht, nämlich:
der Angst. Da ich ausserdem wusste, dass es im eigenen Interesse
der Dajak lag, der niederländisch-indischen Regierung keinen Anlass
zur Unzufriedenheit zu geben, indem sie mir ein Leid zufügten, so
beunruhigte mich diese Bedingung durchaus nicht.
Unter den interessanten Beobachtungen, die ich in dieser Zeit über
den Charakter der Stämme von Mittel-Borneo machte, ist diejenige
sicher die bedeutendste, dass die blutgierigen, wilden, Köpfe
jagenden Dajak im Grunde zu den sanftesten, friedliebendsten und
ängstlichsten Bewohnern dieser Erde gehören. Meine Erfahrungen stehen
in dieser Hinsicht nicht nur in schroffem Gegensatz zu der allgemein
verbreiteten Auffassung über die Dajak seitens der Europäer an den
Küsten Borneos, sondern seltsamer Weise auch aller Reisenden, die bis
jetzt Gelegenheit hatten, mit den mehr im Innern der Insel wohnenden
Stämmen in Berührung zu kommen.
Da meine neuen Kajanfreunde mir allmählich auch zu verstehen gaben,
dass es mit der feindlichen Gesinnung der Mahakambewohner nicht so
schlimm bestellt sei, fasste ich auf meiner Rückreise nach Batavia
den Plan, wenn irgend möglich, aufs neue den Versuch zu wagen, in
das Gebiet des oberen Mahakam einzudringen und den Fluss bis zur
Ostküste hinabzufahren.
In Batavia angelangt wurde ich jedoch sogleich als Arzt nach Lombok
abkommandiert, wo die Bestürmung von Tjakra Negara (1894) und alle
traurigen Folgen dieses entsetzlichen Kriegszuges uns Ärzte bald alle
eigenen Pläne vergessen liessen.
Auch im Anfang des folgenden Jahres fanden wir selten Zeit, an etwas
anderes, als an unsere Kranken zu denken, bis endlich der Westmonsun
uns weniger Patienten und mehr Kollegen brachte und es mir glückte,
eine Versetzung nach Batavia zu erlangen.
Dankbar für die mir erhaltene Gesundheit und alles, was ich auf der
prachtvollen Insel Lombok gesehen hatte, bestieg ich im Juli ein Schiff
der "Paketfahrtgesellschaft", welches mich nach Java brachte, und
sechs Tage darauf führte mich die Bahn von Surabaja an den Ort meiner
Bestimmung. Vier im idyllischen Garut verbrachte Tage verwischten
den Eindruck aller Lomboker Schrecknisse, und bei meiner Ankunft in
Batavia traten meine Borneopläne mir deutlicher als je vor den Geist.
Nach einigen Unterhandlungen mit dem Ausschuss der oben genannten
niederländischen Gesellschaft in Batavia, zeigte sich diese bereit,
meine Pläne zu unterstützen, und als dann auch der finanzielle Teil
erledigt und die Zustimmung der Regierung erlangt war, konnte ich mit
der Ausrüstung beginnen und im Februar des Jahres 1896 von Batavia
über Pontianak mit der Expedition aufbrechen.
Überzeugt, dass die Unterhandlungen mit den Kajan Monate dauern
würden, liess ich zwei Europäer: _Demmeni_ und _von Berchtold_, von
denen sich jener mit dem Photographieren, dieser mit der Erwerbung
einer zoologischen Sammlung beschäftigen sollte, vorläufig in Batavia
zurück; sie trafen mit mir erst im Mai am oberen Kapuas zusammen. Hier
war es mir nach monatelangem Zusammenleben mit den Kajan am Mendalam
endlich geglückt, diese ihrem Versprechen gemäss zur Teilnahme am
Zuge nach dem Mahakam zu bewegen und die vorläufigen Vorbereitungen,
wie das Einkaufen von Böten und grossen Quantitäten Reis, zu beenden;
jedoch dauerte es noch bis zum 3. Juli, bis wir von Putus Sibau,
dem wichtigsten Handelsplatz am oberen Kapuas, aufbrechen konnten. Im
Laufe von zwei Monaten fuhren wir den Kapuas und darnach seine beiden
Nebenflüsse Bungan und Bulit hinauf, zogen auf 800 m Höhe über die
Wasserscheide und stiegen dann zum Penaneh, einem Nebenfluss des
Mahakam, hinunter.
Der erste Empfang bei den dort ansässigen Pnihing liess nichts zu
wünschen übrig, und auch während unseres achtmonatlichen Aufenthaltes
bis zum April 1897 bei den anderen Stämmen am oberen Mahakam fiel
nichts vor, was unser freundschaftliches Verhältnis gestört hätte. Es
war anfangs mein Plan gewesen, nur zwei Monate bei ihnen zu bleiben,
aber die herrschende Hungersnot liess uns nur die Wahl, uns ohne
Unterbrechung von einem Stamme zum anderen führen zu lassen, oder
die Hungersnot am oberen Mahakam bis zum Eintritt der neuen Ernte
mitzumachen. Wir wählten letzteres, da nur ein längerer Aufenthalt
bei den Stämmen ein Ergebnis der Reise versprach, und es gelang uns,
mit den Tauschartikeln bis zum letzten Augenblick hauszuhalten. Im
April brachen wir mit _Kwing Irang_, dem obersten Häuptling der
Mahakam-Kajan, bei dem wir uns niedergelassen hatten, nach dem unteren
Mahakam auf, passierten die grossen Wasserfälle, die den Ober- und
Mittellauf des Mahakam scheiden, und wurden vom Häuptling dem Sultan
von Kutei übergeben, der uns mit dem Assistent-Residenten _van Assen_
entgegengereist war.
Der langdauernde Aufenthalt im Herzen vom Borneo hatte uns in Stand
gesetzt, unsere Umgebung eingehend zu studieren und so brachte ich,
ausser bedeutenden Sammlungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet,
eine gründliche Kenntnis der Zustände, Sitten und Sprachen der Stämme
am Mahakam mit nach Java.
Statt in einem Dorado der Wilden, wie es sich die Europäer gewöhnlich
vorstellen, hatten wir unter Zuständen gelebt, von denen man sich
in Europa schwer einen Begriff machen kann. Ausser den ungünstigen
hygienischen Verhältnissen, welche eine Zunahme der Bevölkerung
verhindern, hatten mich die Angst und Unruhe, in der diese Menschen
ihr Dasein führen, betroffen. Jene sind, als Folgen des Klimas
und der Eigenart der Bevölkerung, schwer zu bekämpfen, diese,
hauptsächlich durch die Fehden der Stämme untereinander verursacht,
sind sehr leicht zu beseitigen, sobald sich eine über diesen Stämmen
stehende Macht mit der Schlichtung ihrer Zwistigkeiten befasst und
Selbstwehr verhindert. Die Bahau fühlten, dass ihnen (lies vor allem
fehlte; denn _Kwing Irang_ wandte sich durch meine Vermittelung im
Namen aller Stämme am oberen Mahakam an die niederländisch-indische
Regierung mit der Bitte um Beschirmung.
Hierdurch wurde die indische Regierung veranlasst, eine neue Expedition
auszurüsten, um festzustellen, auf welche Weise in den Gebieten des
oberen Mahakam Ruhe und Sicherheit am besten herzustellen seien. Als
Leiter dieser Expedition wurde ich gewählt, ferner der Kontrolleur
1. Kl. _J.P.J. Barth_ und einige europäische und malaiische Gehilfen.
Obgleich politische Interessen bei diesem neuen Zuge das Leitmotiv
bildeten, war es mir doch klar, dass seine Organisation aus
verschiedenen Gründen die gleiche wie bei der früheren, so wohl
gelungenen Expedition von Pontianak nach Samarinda sein musste. Es
handelte sich im wesentlichen darum, die Stimmung der Bevölkerung in
bezug auf die Einsetzung einer festen Verwaltung auszukundschaften
und auf die Schlichtung ihrer Zwistigkeiten mit benachbarten Stämmen
Einfluss zu gewinnen. Hierzu war es, wie auch auf der vorigen Reise,
notwendig, das Vertrauen der ängstlichen Bahau zu erwerben und sie
durch ein monatelanges Leben und Arbeiten in ihrer Mitte an die
Gegenwart von Weissen zu gewöhnen.
Da wir möglicherweise mit feindlich gesinnten Stämmen von Serawak
in Berührung kommen konnten, musste das gut bewaffnete Geleite so
zahlreich sein, dass es im Notfall kräftigen Widerstand leisten
konnte. Um zu verhindern, dass dieses, hauptsächlich aus Malaien
bestehende Geleite während eines längeren Aufenthaltes in einem
Stamme Anstoss errege und um es stets bei guter Stimmung zu erhalten,
musste für seine ständige Beschäftigung gesorgt werden; das Gleiche
galt auch für die Europäer. Ich wählte die Malaien daher derart,
dass sie, ausser als Schutzsoldaten, auch auf wissenschaftlichem
und praktischem Gebiet von Nutzen sein konnten, als Pflanzensammler,
Jäger, Präparatoren, Ruderer u.s.w.
Eine grosse Menge Tauschartikel zu unserem täglichen Unterhalt,
zum Einkauf von Ethnographica und zur Bezahlung der Kuli wurde
wiederum mitgenommen. Wir mussten nämlich nicht nur trachten,
unsere dajakischen Gastherren nicht zu verletzen, sondern auch, durch
Einkaufen von allerhand Dingen, vielen im Stamme einen Vorteil und uns
ihre Gunst zu verschaffen. Zur Erreichung dieses Ziels war auch, wie
wir auf der letzten Reise erfahren hatten, ein gründlicher ärztlicher
Beistand von grosser Bedeutung; daher gehörte ein reichlicher Vorrat
an Arzneimitteln zu unseren wichtigsten Reiseartikeln.
Mit Rücksicht auf die oben erwähnten Verhältnisse setzte sich meine
Reisegesellschaft aus folgenden Gliedern zusammen: dem Kontrolleur
_J.P.J. Barth_, der sich hauptsächlich mit dem Studium der allgemeinen
Umgangssprache der Bahau, dem Busang, befasste; dem Photographen
der vorigen Expedition, _J. Demmeni;_ dem Topographen _H.W. Bier_;
zwei Javanen aus dem botanischen Garten in Buitenzorg (Java) für die
botanischen Sammlungen; dem Jäger und Präparator _Doris_ für das
Präparieren von Vögeln und Säugetieren und sechs anderen Javanen,
die bereits Naturforscher auf Reisen begleitet hatten und im stande
waren, als Mechaniker, Jäger, Fischer u.s.w. die verschiedensten
Dienste zu leisten. Zu meiner persönlichen Bedienung nahm ich _Midan_,
meinen javanischen Diener der vorigen Reise, mit. An Vierfüsslern
begleiteten uns zwei Jagdhunde; in Pontianak kaufte ich später noch
zwei Wachthunde hinzu.
Überzeugt, dass uns die Küstenmalaien in Kutei Schwierigkeiten
verursachen würden, falls wir auf dem eigentlichen Wege, den unteren
Mahakam hinauf, zum oberen gelangen wollten--den Malaien ist nämlich
selbst viel daran gelegen, ihren eigenen Einfluss im Hinterlande
auszubreiten und den der Niederländer zurückzudrängen--mussten wir
unsere Reise wiederum von Pontianak, an der Westküste, beginnen und
uns von den Kajan wieder durch das unbewohnte Quellgebiet der grossen
Flüsse zum oberen Mahakam geleiten lassen.
Auf der Reise im Jahre 1896 hatte, um den Landtransport mit einer
kleinen Anzahl Leute möglich zu machen, die Ausrüstung so viel als
möglich eingeschränkt werden müssen. Jetzt war die Besorgnis, durch
ein grosses Geleite bei den Mahakamstämmen Misstrauen zu erwecken,
zwar geringer, aber, in Anbetracht des Umstandes, dass die Verpflegung
so vieler Menschen unterwegs an und für sich schon schwierig genug
war, musste das mitzunehmende Gepäck auch diesmal auf ein Minimum
reduziert werden.
Was die Kleidung betraf, so galt es, sie so zu wählen, dass sie
sowohl dem Klima als den Strapazen standhalten konnte. Eine gute
wollene Unterkleidung und eine warme Bedeckung nachts sind die besten
Schutzmittel gegen Moskitos und Erkältungen; die Hauptursachen für
das Entstehen der Malaria. Auch musste dafür gesorgt werden, dass
die verpackten Kleidungsstücke und dass Bettzeug so wenig als möglich
Gefahr liefen, nass zu werden.
Als Packkisten sind die bekannten Stahlköfferchen die geeignetsten. Sie
halten, ausser unter Wasser, die Feuchtigkeit fern, zerbrechen nicht
beim Fall auf Felsen und werden durch die Termiten nicht angetastet;
sie dürfen jedoch sammt Inhalt nicht mehr als 20-25 kg wiegen.
Für die Nacht besassen wir starke Reiseklambu (Moskitonetze) aus fester
Java-Gaze 1: 1: 2 m gross und so eingerichtet, dass sie mittelst
Seilen in jedem beliebigen Raum ausgespannt werden konnten. Der
untere Rand der Gaze war, ausgenommen an der Eingangsöffnung, wo
das Zeug 1 m über einander schlug, an ein Stück double waterproof
sheeting festgenäht. Sorgte man dafür, dass die Gazeenden am Eingang
dicht auf einander lagen, so war die Möglichkeit eines nächtlichen
Besuchs von Ameisen, Schlangen, Skorpionen und Blutegeln so gut wie
ausgeschlossen, und ich bin auch wirklich auf der ganzen Reise durch
dergleichen Gäste nicht gestört worden. Die grosse Dichte der Gaze
hielt auch die Moskitos und sehr kleinen _aga_ oder _murutu_ fern,
welch letztere sehr empfindlich stechen, obgleich sie nicht grösser
sind als eine Nadelspitze.
Die undurchlässige Unterlage schützte nachts vor Bodenfeuchtigkeit
und bildete tagüber eine wasserdichte Umhüllung für das Klambu,
ein kleines Kopfkissen und zwei Decken, die in sie eingepackt und
mit Riemen festgeschnürt wurden.
Zur Bettausrüstung gehörte ferner noch eine dünne, mit Lederimitation
überzogene Matratze, aus drei Teilen bestehend und daher leicht
transportierbar.
Als Oberkleidung sind ein Anzug aus Khaki, Schuhwerk aus Leinwand und
ein Korkhelm sehr geeignet. Zum Schutz gegen Blutegel, die lästigste
Plage der feuchten Tropenwälder, ist es geraten, die Kleidung fest
am Körper anschliessen zu lassen und die Beinkleider an den Knöcheln
festzubinden oder zu knöpfen.
Eine besondere Sorgfalt muss auf die Wahl des Schuhwerkes verwendet
werden; das Gehen mit blossen Füssen ist sehr unzweckmässig. Für
schwieriges und unebenes Gelände sind, als Stütze für die Knöchel,
hohe Schnürstiefel sehr empfehlenswert und zwar müssen sie, um das
Wasser nach dem Durchwaten von Morästen und Lachen schnell abfliessen
zu lassen, aus Leinwand hergestellt sein. Dünne, starke, nicht zu
schwer beschlagene Sohlen verhindern am besten ein Gleiten auf Felsen
und umgefallenen Baumstämmen. Lederne Gamaschen bewähren sich gut
auf Märschen; hohe Wasserstiefel dagegen sind zu schwer.
Auch als Dachbedeckung eignet sich double waterproof sheeting seht gut,
nur darf man es nicht lange der Sonne aussetzen, oder man muss es in
diesem Falle mit Matten bedecken. Zur Aufrichtung eines Zeltes lehrte
mich die Erfahrung, nichts anderes mitzunehmen als Stücke dieses
Zeuges, die genügten, eine Fläche von 4 × 6 m zu überdecken. Der
Tropenwald liefert stets viel dünnes Holz für Pfähle und Fussboden,
so dass das Gerüst zu einer Hütte von den Dajak innerhalb einer
Stunde im Walde gefällt und aneinander gebunden werden kann. Soll das
Zelt nur einige wenige Nächte gebraucht werden, so sind Wände nicht
erforderlich, da der Regen im Urwalde selten schräg niederfällt.
Wegen der Unmöglichkeit, grössere Mengen von Lebensmitteln über Land
mitzuführen, mussten auch die Europäer am Mahakam von dem leben,
was die Bahauumgebung lieferte; nur für die Kranken wurden Konserven
mitgenommen. Das Hauptnahrungsmittel bildete für alle der Reis-. für
die Eingeborenen kamen am Kapuas noch getrocknete und später frische,
im Fluss gefangene Fische hinzu; daher wurden auch einige Wurfnetze
mitgenommen. Was die mitzuführenden Tauschartikel betraf, so hatte
ich mich bereits früher davon überzeugt, welche Arten von Glasperlen
und Zeug bei den einzelnen Stämmen besonders beliebt waren. Auch viele
Kleinigkeiten wie: Fingerringe, Nadeln, Spiegeldöschen u.a. nahm ich
mit, um sie zu gelegentlichen kleinen Geschenken zu verwenden.
Die Kisten, welche im Laufe der Reise geleert wurden, waren zur
Aufnahme von Ethnographica und trockenen naturwissenschaftlichen
Gegenständen bestimmt, während die zahlreichen Arzneiflaschen später
zum Aufbewahren der Spirituspräparate verwendet wurden. Obgleich
Formol als Konservierungsmittel einige Nachteile aufweist, war
es doch zum Mitführen deshalb am geeignetsten, weil man es beim
Gebrauch mit Wasser stark verdünnen kann; daher wurde nur wenig
Alkohol mitgenommen. Für das Konservieren kleiner Tiere leisteten
uns kleine Kisten voll zylinderförmiger Gläser mit abschraubbaren
metallenen Deckeln gute Dienste.
Es konnte beinahe die ganze Ausrüstung in Batavia angeschafft werden,
mit Ausnahme einiger Apparate für Höhenmessungen und Photographie,
welche in Europa bestellt werden mussten, und einiger Tauschartikel,
die nur in Singapore, von wo aus europäische Produkte hauptsächlich
in Borneo eingeführt werden, zu erhalten waren. In allen Teilen
des indischen Archipels besitzen die Eingeborenen in bezug auf
Tauschartikel ihre besonderen Liebhabereien, so dass nur solche unter
ihnen gangbar sind, welche an dem Ort gekauft wurden, von dem aus sie
für gewöhnlich eingeführt werden. Bei den Stämmen von Borneo finden
hauptsächlich bestimmte Arten von Glasperlen Beifall, die in Java
nicht beliebt und daher auch nicht käuflich sind, obgleich sämmtliche
Glasperlen in Europa verfertigt werden. Da sowohl diese Perlen als
auch bestimmte Elfenbeinarmbänder, die von den Chinesen speziell für
die Bahau- und Kenjastämme von Nord-Ost-Borneo gearbeitet werden,
nur in Singapore zu haben waren, musste ich, zur Vervollständigung
unserer Ausrüstung, erst noch eine Reise nach dieser Stadt unternehmen.
Einen Teil des Proviantes und der Tauschartikel sandte ich von Batavia
aus direkt an die Ostküste von Borneo an den Residenten von Samarinda
zur Aufbewahrung; ich hatte mir nämlich vorgenommen, wenn unser Zug
von West nach Ost glücklich beendet sein würde, nochmals ins Innere
der Insel zurückzukehren, um in das nordöstlich gelegene gänzlich
unbekannte Stammland aller Bahau und Kenja, das Quellgebiet des
Bulungan, vorzudringen.
Zu meinem Verdruss musste ich, wegen der zu langen Dauer der
Reisevorbereitungen, die beste Reisezeit verstreichen lassen. Die
kleinen Quellflüsse des Kapuas sind nämlich nur in der Trockenzeit,
der Zeit nach der Ernte, befahrbar und so kann man die Kajan auch nur
zwischen Juni und September zur Teilnahme an einer Expedition bewegen.
Endlich, am 18. Mai, schiffte ich mich in einem kleinen Dampfer der
"Paketfahrtgesellschaft" in Batavia nach Pontianak ein.
Am folgenden Tage fand meine Reiseungeduld einige Ablenkung
durch den Aufenthalt unseres Dampfers in Billiton; das Aus- und
Einladen von Gütern mit Hilfe von Fähren der sehr eigenartigen Seka
(schwärmende Fischerbevölkerung) bot manches interessante Bild. Von
ihren schwimmenden und lebhaft bewegten Wohnungen aus tauchten die
Seka ins kristallklare Wasser nach Geldstücken, die wir hineinwarfen,
und schienen sich in der blau-grünen Tiefe ebenso sicher zu fühlen,
wie andere auf dem Festlande. Jedoch, trotz allem Schönen, was
ich sah, und allem Interessanten, was mir der Steuermann über das
Leben dieser Fischerbevölkerung erzählte, war es für mich doch eine
Erlösung, als Borneo beim Erwachen am anderen Morgen in Sicht war und
das Schiff bereits kehrte, um sich zwischen dem für Uneingeweihte
unentwirrbaren Labyrinth von Grün, das in Form von Inseln und
weit ins Meer hineinragenden Landzungen buchstäblich aus dem Wasser
hervorstieg, hindurchzuwinden. Auch zur Ebbezeit ist hier kein festes
Land zu sehen; die hie und da braune Farbe des Wassers deutet nur
auf ausgedehnte Moderbänke. Der höchsten Erhebungen dieser Bänke hat
sich eine eigentümliche Vegetation bemächtigt, die, mit Hilfe eines
mächtigen Gerüstes von zahllosen Luft- und Stützwurzeln, nicht wenig
dazu beiträgt, die vorhandenen Untiefen zu befestigen und weitere
Anschwemmungen zu befördern.
Nur sehr langsam näherten wir uns diesen trügerischen grünen
Streifen, die mit zweifelhaftem Recht den Namen Küste führten; als
Verkünder des weit in der Ferne in einzelnen undeutlichen Bergspitzen
sichtbaren Festlandes begrüssten wir sie aber doch mit Freuden. Still
glitt unser Fahrzeug über die spiegelglatte dunkle Wasserfläche,
während die strahlende, aber noch nicht lästig warme Sonne mit ihrem
leuchtenden Glanz das ernste Bild in eintönig grüner Umrahmung zu
beleben trachtete. Weder Mensch noch hier waren anwesend, um den
ersten überwältigenden Eindruck dieses grossen aequatorialen Landes
in seiner beklemmenden Majestät zu brechen.
Zwischen den vielen, aus dem Wasser emporsteigenden Wäldchen steuerte
der Kapitän sein Schiff, nach einigen nur ihm bekannten Kennzeichen,
in der Richtung der Kubu, der südlichsten und schiffbarsten Mündung
des Kapuas. Auch diese Einfahrt liess viel zu wünschen übrig; denn
wir mussten einige Zeit warten, bis die Flut so hoch gestiegen war,
dass sie uns über die Moderbank in die noch immer durch eine grüne
Mauer verborgene Flussmündung tragen konnte. Mehr die Zeit, als die
Tiefe des Wassers, gaben endlich das Zeichen zum Weiterdampfen; als wir
uns nach einer scharfen Biegung vor der ungefähr 40 m breiten Öffnung
in der grünen Mauer befanden, sah das aufgewühlte Wasser verdächtig
moderfarbig aus. Da es sich aber darum handelte, ob wir hier noch
zwölf Stunden warten sollten, oder nicht, wollten wir doch lieber
probieren, ob unser Dampfer nicht ebenso gut durch den Moder als durch
das Wasser dringen konnte. Mit vollem Dampf wurde die Schraube durch
das braune Wasser getrieben, aber gleich darauf fühlten wir den Kiel
durch eine teigige Masse gleiten, die Schnelligkeit verminderte sich,
und plötzlich befand sich der ganze Vorderteil des Dampfers in einem
Wald von Nipapalmen.
Zum Glück war dieser unbeabsichtigte Abstecher nicht verhängnisvoll,
denn von einem festen Ufer war auch hier keine Rede, so dass das
völlig auf die Moderbank geschobene Schiff. nach eigenen Drehungen
der Schraube in umgekehrter Richtung, bald wieder mitten in der Kubu
schwamm und seine Fahrt wieder aufnehmen konnte. Bald begann sich zu
beiden Uferseiten der Reichtum der tropischen Vegetation zu entfalten;
die federförmigen Blätter der Nipapalmen (Nipa fruticans Thb.) bildeten
dabei stets einen lichtgrünen Saum um den dunkleren Urwald.
Das Fahrwasser machte viele Krümmungen und wurde hie und da so eng,
dass es nur für einen kleinen Dampfer mit kräftigem Steuerruder
passierbar war. Bisweilen fuhren wir, um besser wenden zu können,
so dicht unter den Bäumen hindurch, dass wir vor ihren über das
Verdeck streichenden Ästen flüchten mussten. In einigen Stunden
befanden wir uns endlich in einer breiten Flussverzweigung, an deren
Ufern festes Land und Spuren von Kultur sichtbar waren. Kokospalmen
erhoben ihre hohen Federkronen über die niederen Uferbäume, und für
Eingeweihte wurde ein Fusspfad zu den malaiischen Wohnungen, die nach
alter Gewohnheit sorgfältig hinter dem schützenden Wall von Uferbäumen
verborgen lagen, sichtbar. Erst später erschienen auch einige Malaien
in langen, schmalen, kaum über die Wasserfläche hervorragenden Böten;
sie ruderten, um die Strömung zu vermeiden, unter dem Ufergebüsch.
Je weiter wir fuhren, desto zahlreicher wurden die den Reichtum
dieser Gegenden bildenden Kokosnusspflanzungen. Die Eingeborenen waren
hier weniger scheu; die Kinderschar geriet sogar beim Erblicken des
Dampfbootes in fröhliche Erregung.
In wenigen Augenblicken waren alle Nachen mit kleinen Ruderern
in Paradieseskostüm besetzt, die mit Rudern, Stöcken und Händen so
schnell als möglich in die Mitte des Stromes zu gelangen suchten, wo
ihre äusserst ranken Fahrzeuge von den Wellen unseres Dampfers so lange
umhergeschleudert wurden, bis sie Wasser fassten und umschlugen. Dann
plätscherte die braune Bemannung unter fröhlichem Gelichter im Flusse
herum, kehrte das Boot wieder um, entfernte mit einigen geschickten
Bewegungen das Wasser und schwang sich wieder in den Nachen.
Als wir uns gegen Mittag dem Hauptstrome näherten, erlangte die
Wasserfläche eine Breite, wie sie im indischen Archipel nur die
stolzen Ströme von Borneo aufweisen.
Auf der spiegelblanken Fläche war, bis wir Pontianak, den Hauptort
an Borneos Westküste, erreichten, kein lebendes Wesen zu sehen. Jetzt
belebten sich aber die Ufer. Die Häuser standen dicht bei einander und
vereinigten sich, besonders am linken Ufer, zu einem langen malaiischen
_kampong_ (Dorf). Nach ihrer Bauart zu urteilen, hatten die Malaien
auch hier den Begriff des Festlandes noch nicht zu fassen vermocht;
denn vom erkennbaren Ufer aus erstreckten sich ihre Pfahlbauten bis
weit in den Fluss hinein, wo noch einzelne, auf grossen treibenden
Baumstämmen gebaute Häuser den Übergang von festen Wohnhäusern zu
Fahrzeugen vervollständigten. Aus der Ferne war der Anblick der
unregelmässig bei einander liegenden Gebäude mit der grau-braunen
_atap_ (Dachbedeckung von Palmblättern) und den schwarzen Holzdächern
recht hübsch, und die vielen, den Verkehr vermittelnden Ruderbötchen
gaben dem Ganzen ein besonders lebhaftes Gepräge. In der Nähe jedoch
machten sich die unschönen Farben der schlecht unterhaltenen Wände
und Dächer zu sehr geltend; das Gleiche war auch beim Palast (_dalam_)
des malaiischen Sultans der Fall, von dem ein Europäer etwas anderes
als ein Durcheinander grosser, unansehnlicher Hütten erwartete.
Wir fuhren jetzt am anderen Ufer einer Reihe buginesischer Behausungen
entlang, hinter welchen die hässlichen Hinterhäuser des sehr grossen
chinesischen _pasar_ (Markt) zum Vorschein kamen. Keines dieser
Gebäude war auf den Grund gebaut; alle standen auf Pfählen im Morast;
selbst die bis 10 m breiten Strassen bestanden aus Planken, die auf
Pfählen ruhten.
Einen freundlicheren Eindruck machte der europäische Teil der
Ortschaft; er dehnte sich mit seinen netten weissen Häusern und
grossen Gärten zwischen dem üppigen Grün des Ufers aus.
Verglichen mit Batavia ist Pontianak ein kleiner Ort; als wir uns
dem Anlegeplatz näherten, erinnerte ich mich aber, wie einst, nach
dreijährigem Aufenthalt auf meinem nördlicher gelegenen Posten Sambas,
dieser Anblick einen ganz anderen Eindruck auf mich machte. Damals, an
kleine, graue, malaiische oder schmutzige, dunkle, chinesische Häuser
gewöhnt, dachte ich unwillkürlich: "wie ist Pontianak doch gross
und schön!" Die Bewunderung schwand aber, bei näherer Überlegung,
auch damals schnell, und ich musste über die Veränderung lachen,
die der Mensch unter dem Einfluss seiner Umgebung unmerklich erleidet.
Erklärlicher ist die Stimmung eines Offiziers, der mir erzählte,
dass ihm Tränen in die Augen traten beim Gedanken, dass er hier
einige Jahre verbringen sollte. Und doch--hat man hier längere Zeit
gelebt--so nehmen die meisten mit Wehmut Abschied. Der "erste Posten"
wird stets besonders lange in treuer Erinnerung bewahrt. Ist man
an die Unstätigkeit einer indischen Laufbahn einmal gewöhnt, so
fällt es einem leichter, angeknüpfte Bande wieder zu lösen, aber
die beim Abschied vom ersten Posten vergossenen Tränen sind wahr,
und die herzlichen Abschiedsworte, die man den das Geleite gebenden
Bekannten zuruft, sind im. Augenblicke wirklich empfunden.
Bei Ankunft unseres Postdampfers stand, obgleich niemand erwartet
wurde, "ganz Pontianak" in der Mittagsglut auf dem Stege, umgeben
von zahlreichen Eingeborenen mit und ohne Uniform.
Was das Hotel in Pontianak betraf, so hatte es seit meinem letzten
Aufenthalt ebenfalls den Wechsel alles Irdischen erfahren, zum Glück
aber nicht dabei verloren, Der frühere Besitzer, der, obwohl etwas
braun, doch bei jedermann unter dem echt holländischen Namen _Piet_
bekannt war, hatte sich mehr für seinen vorteilhaften Handel in
Orang-Utanen und Orchideen als für den Gang seines Hotels interessiert,
so dass dieses, nach dem Urteil von Kennern indischer Gasthäuser,
unter seinem Interesse und Wirken auf zoologischem und botanischem
Gebiet etwas zu leiden hatte.
Ob ihm nun seine vermittelnde Rolle zwischen europäischen
Wissenschaftlern und Liebhabern und den Dajak des Inneren auf
die Dauer nicht mehr gefiel, oder ob ein Wink des Residenten, der
durch Erteilung einer Regierungsunterstützung auf die Führung des
Gasthauses Einfluss hatte, das Seine dazu beigetragen, konnte ich aus
der Ortschronik nicht sicher feststellen; so viel aber war gewiss,
dass _Piet_ jetzt am jenseitigen Flussufer in einer neu errichteten
Ölfabrik tätig war und dass wir bei dem neuen Wirt auf reinerem Tisch
und besser speisten, als es früher der Fall gewesen.
Der Einfluss der sich immer mehr ausbreitenden europäischen Industrie,
der auch Pontianak aus dem Schlaf zu wecken drohte, hatte leider
noch nicht zu eingreifenden und sehr notwendigen Verbesserungen
seines Hotelgebäudes geführt. Das auf Pfählen in einer Schlammgrube
errichtete Holzgebäude schien nämlich mit einem grossen Teil der
Ortschaft im Einsinken begriffen zu sein. Bei dieser ständigen
Abwärtsbewegung hatte der vor den Häusern dem Ufer entlang laufende
Griessweg immer den Vorsprung; denn, nach dem was die Leute erzählten,
musste er jedes Jahr mindestens um einen halben Meter erhöht werden,
damit er nicht mehrere Male im Jahre unter den braunen Wassern des
Kapuas verschwinde und ein Jagdgebiet der Krokodile werde, denen
bereits etliche Menschen und Hunde zum Opfer gefallen waren.
Um meinen Aufenthalt nach Möglichkeit abzukürzen, hatte ich schon
von Batavia aus an den Residenten von Pontianak die Bitte gerichtet,
grössere Mengen gesalzener Eier, gedörrter Fische, Tabak u. dergl. für
mich einkaufen zu lassen. Zu meiner angenehmen Überraschung hatte der
Resident auch bereits das Salz, welches wir für den Selbstgebrauch
vor allem aber als kostbaren Tauschartikel für die Bahau in grossen
Mengen nötig hatten, luftdicht in verlötete Blechkisten zu je 20 kg
Gewicht verpacken lassen.
Wir nahmen 40 dieser Kisten mit und gebrauchten deren 30 am Mahakam.
An anderen notwendigen Artikeln entdeckte ich auf dem chinesischen
Markt nicht viel Brauchbares; nur selten fand ich eine Partie
Glasperlen, Tücher oder schwarzen Kattuns in der erforderlichen
Verpackung. Die erleichterte Dampferverbindung mit den höher am
Kapuas gelegenen Ortschaften hatte auch hier zur Folge gehabt, dass
die Zwischenhändler verschwanden und die kleinen Händler von oben
ihre Bestellungen direkt nach Singapore richteten.
Weit besser bediente man uns mit _kadjang_ (Palmblattmatten) und
allem, was mein Küchenjunge Midan, um mir in einer Gegend ohne _toko_
(Läden) und _pasar_ (Markt) eine gute Mahlzeit bereiten zu können,
für nötig hielt. Da er hierin am meisten Sachkenntnis besass, konnte
ich ihm die Küchensorgen getrost überlassen.
Der Resident hatte uns, gleich nach meiner Ankunft, seine Jacht
"Karimata" zur Verfügung gestellt, so dass wir schon am 24. Mai nach
Putus Sibau, unserem nächsten Halteplatz, weiterreisen konnten.
Dank der Zuvorkommenheit des Residenten durften wir die mitzunehmenden
Leute unter den bewaffneten eingeborenen Schutzmannschaften selbst
wählen; wir suchten diejenigen zu gewinnen, welche bereits bei der
topographischen Aufnahme des Kapuasgebietes und bei den militärischen
und wissenschaftlichen Expeditionen der letzen 10 Jahre als Geleite
gedient hatten und an das Leben in der Wildnis, fern von ihrer Familie
und der vertrauten Umgebung, gewöhnt waren. Zur Anwerbung dieser
Soldaten begab sich _Barth_ später von Sintang nach seinem früheren
Wohnplatz am Melawie, Nanga Pinoh, und holte uns nachher am oberen
Kapuas wieder ein.
Ich nahm also von Pontianak Abschied und zwar mit dem stillen Wunsch,
dass mich die Westküste vor der Hand nicht wiedersehen sollte. Auf
dem Flusse zeigte sich die gleiche Aussicht, wie einige Tage zuvor,
nur wurden die Ufer eintöniger, weil die Nipa nur so weit wächst,
als das Brackwasser reicht, also etwas über Pontianak hinaus.
Die breiten stillen Ströme bieten nur wenig Abwechslung; das
Dampfschiff vertreibt Krokodile und Affen, die sich sonst zu zeigen
pflegen, und der Waldrand ist zu weit entfernt, als dass man seine
Schönheit wirklich geniessen könnte. Jetzt war er nur als schmaler
Saum längs der Wasserfläche bemerkbar; auf der vorigen Reise hatte ich
aber einen unvergesslichen Eindruck von ihm erhalten. Damals machte
ich die Fahrt mit einem ausgedienten Regierungsdampfer; infolge der
starken Anspannung brach eine Maschinenstange, so dass wir lange liegen
bleiben und mit einer kleinen, an Bord befindlichen Schmiede den Bruch
zu heilen suchen mussten. Als die Schmiede an Land gebracht wurde,
bekam ich, durch den Vergleich mit den am Ufer arbeitenden Menschen,
einen Begriff von den riesenhaften Dimensionen der Urwaldbäume. Für
gewöhnlich verliert man in der Beurteilung der Tropennatur gar bald
jeden Massstab.
Die Landschaftsbilder, die sich auf der weiteren Fahrt vor uns
entrollten, hatten viel Europäisches an sich; mit der Nipa waren
nämlich die charakteristischsten Repräsentanten des Pflanzenreichs im
indischen Archipel, die Palmen, verschwunden; sie zeigen sich in den
aequatorialen Wäldern Borneos, mit wenigen Ausnahmen, nur da, wo der
Mensch sie hinpflanzte. Gewöhnlich geben ihre Federkronen den Ort an,
an dem Menschen wohnen oder gewohnt haben. Erblickt man daher einen
Tropenwald aus der Ferne, von oben oder von der Seite, so sieht man
nur Laubbäume; aus der Nähe betrachtet verschwindet jedoch dieses
europäische Äussere; das einfarbige Bild löst sich nach der grossen
Verschiedenheit der tropischen Baumarten, die hier neben, über und
durch einander wachsen, in eine unendliche Mannigfaltigkeit grüner
Schattierungen auf.
Während der beinahe zwei mal 24 Stunden dauernden Fahrt nach Sintang
verändert sich die Gegend nur wenig; der Strom wird breiter und
breiter, bis bei Tajan, dem Wohnplatz eines Kontrolleurs, die Ufer
1500 m von einander entfernt sind, so weit, dass man die Bäume der
gegenüberliegenden Seite schwer unterscheiden kann. Der Dampfer hielt
nicht an, um dem Beamten Nachrichten von der Aussenwelt zukommen zu
lassen, die ihm in seinem Einsiedlerleben, als einzigem europäischen
Repräsentanten der Regierung, einige Abwechslung gebracht hätten. Der
Kontrolleur verwaltet ein Gebiet von der Grösse einer Provinz seines
Vaterlandes, auf dem sich jedoch nur hie und da eine Niederlassung von
Dajak oder Malaien unter dem _panembahan_ (Fürst) von Meliau befindet.
Endlich brachten einige Hügelreihen mit unregelmässigen Formen
etwas Abwechslung in das Bild; sie waren aber nicht hoch genug, um
die majestätische Wasserfläche zu beherrschen. In der ersten Nacht
passierten wir Sanggau, an dem wir vorbei dampften, um so schnell
als möglich Sintang zu erreichen. Am 26. Mai erwachten wir dort;
um unsere Nachtruhe nicht zu stören, hatte der Kapitän kein Signal
mit der Dampfpfeife ertönen lassen.
An der Mündung der Melawie erbaut, hat Sintang, wie alle grossen
malaiischen Wohnplätze, eine vorzügliche Lage, um auf den Handel der
im Gebiet der Melawie wohnenden Dajak einen beherrschenden Einfluss
auszuüben, d.h., nach malaiischer Auffassung, so viel Steuern als
möglich zu erpressen. Diesem erhebenden Streben der malaiischen Fürsten
ist nun durch die indische Regierung Zaum und Zügel angelegt worden;
aber sie haben doch stets eine starke Festung mit 150 Mann Besatzung
vor Augen nötig, um sich in ihre Beschränkung zu fügen.
Zu meiner Freude konnte ich in Sintang verschiedene alte Bekannte
begrüssen; im übrigen hatte ich aber keinen Grund, mich hier lange
aufzuhalten, denn auf dem Markt fand ich nur einen einzigen für den
oberen Kapuas brauchbaren Artikel. Ich setzte jetzt alle Hoffnung
auf den Markt von Bunut und auf die Chinesen, die von dort aus in
grossen, verdeckten Magazinböten ihre Handelsartikel nach Putus
Sibau hinaufrudern.
Nachdem wir in Semitau, einer Station auf unserer ersten Expedition im
Jahre 1894, den Kontrolleur besucht hatten, ging es schnell den Fluss
aufwärts bis nach Bunut, das wir am 28. Mai abends erreichten. Weiter
aufwärts wurde die Fahrt nachts gefährlich wegen der grossen abwärts
treibenden Baumstämme und der im Fluss versunkenen Stämme (einige
Eisenholzarten haben ein sp. Gewicht von etwa 1.2), die bei Hochwasser
durch den starken Strom immer weiter verschoben werden.
Oberhalb Semitau trugen die Ufer des Kapuas einen anderen Charakter;
die ununterbrochene Buschvegetation war verschwunden, man sah nur
niedriges Strauchwerk, das auf den von Malaien und Dajak verlassenen
_ladang_ (trockenen Reisfeldern) aufgeschossen war.
Der chinesische Markt in Bunut enttäuschte mich, was seinen Vorrat an
Perlen und seidenen Tüchern betraf, zum Glück nicht; wir waren aber
doch schon um 8 Uhr morgens mit unseren Einkäufen fertig und konnten
sogleich weiter nach Putus Sibau hinauf fahren.
Unterwegs hatte ich aufs neue Gelegenheit, mich davon zu überzeugen,
mit welcher enormen Schnelligkeit sich das Pflanzenreich eines
verlassenen Kulturbodens wieder bemächtigt. Vor zwei Jahren hatte ich
mich über die grosse Zahl der am linken Ufer angelegten Reisfelder
gewundert, jetzt war von diesen wenig mehr übrig; das Ufer war überall
gleichmässig von derselben Strauchvegetation von 10-15 m Höhe bedeckt.
Dank dem hohen Wasserstande, konnten wir unsere Fahrt über Untiefen
und versunkene Baumstämme ungehindert fortsetzen, bei den letzten
Strahlen der untergehenden Sonne Putus Sibau erreichen und bei der
mir wohlbekannten _kubu_ (Blockhaus) auf dem Floss anlegen. Diese
_kubu_, deren es am oberen Kapuas zahlreiche giebt, sind viereckige,
ungefähr 2 m über dem Boden errichtete und rund herum mit Palisaden
umgebene Gebäude, die etwa 10-20 mit Beaumontgewehren bewaffneten
Eingeborenen als Wohnhaus dienen. Unter Aufsicht des Kontrolleurs
stehend haben diese Soldaten für die Aufrechterhaltung der Ruhe zu
sorgen, zugleich müssen sie dem Beamten auf seinen Reisen, die hier
stets zu Wasser ausgeführt werden, als Ruderer dienen.
Putus Sibau liegt am Kapuas vor der Mündung seines rechten Nebenflusses
Sibau und ist der höchste Punkt, den Dampfer bei hohem Wasserstande
noch erreichen können. Weiter oberhalb engen grosse Geröllbänke das
Flussbett in Trockenzeiten stark ein und verursachen in Regenzeiten
wiederum so heftige Stromschnellen, dass auch kleine Dampfbarkassen nur
in den günstigsten Fällen weiter hinauffahren können. Lange bevor man
in Putus Sibau an eine Dampferverbindung dachte, hatten die Malaien
die grosse Bedeutung dieses Ortes bereits begriffen und hier ihre
letzte Niederlassung im Binnenlande gebaut. Bis vor kurzem waren sie
hier Alleinherrscher; ihren Hauptunterhalt bildete der Handel mit
den wichtigsten der benachbarten Dajak Stämme: den Kajan-, Taman-,
Kantu- und Sibau-Dajak; einen Nebenerwerb bildete das Sammeln von
Buschprodukten.
Als nach Einsetzung der niederländischen Verwaltung den ständigen
Fehden der Stämme untereinander und besonders den Einfällen der
Batang-Lupar aus Serawak ein Ende gemacht wurde, wagten sich sehr bald
auch die Chinesen bis Putus Sibau hinauf. In langen Ruderröten fuhren
sie in 3-4 Tagen den Kapuas von Bunut aufwärts, um ihre Waren vom Markt
in Bunut hier an den Mann zu bringen. Die niederländische Regierung
verweigerte ihnen aber das Niederlassungsrecht, das sie sich wohl auch
nicht sonderlich wünschten, da der Kontrolleur weit ab, in Semitau,
wohnte und die Malaien ihre Konkurrenten, durch deren Gegenwart ihrem
Monopol auf den betrügerischen Handel mit den Dajak ein Ende gemacht
wurde, mit scheelen Augen ansahen. Das Wohnen in Böten bietet den
Chinesen ausserdem den grossen Vorteil, dass sie sich bei drohender
Gefahr schnell aus dem Staube machen können, was in dieser Gegend,
wie es sich in den letzten Jahren erwiesen, oft sehr wünschenswert war.
Wenige Jahre vor unserer ersten Expedition 1894 waren, auf das Gerücht
eines grossen Einfalls der Dajak aus Serawak hin, alle Händler aus
Putus Sibau nach Bunut geflüchtet; die Bevölkerung selbst lebte seit
dem grossen Plünderungszug der Batang-Lupar am oberen Mahakam 1885
in ständiger Angst.
Bei meiner Ankunft jedoch waren alle schreckenerweckenden Gerüchte
längst vergessen und seit meinem ersten Besuch in Putus Sibau
hatten viele Veränderungen stattgefunden. Der Resident hatte es nach
der ersten wissenschaftlichen Expedition für ratsam gehalten, den
malaiischen Distriktsaufseher von Putus Sibau durch einen Kontrolleur,
den Herrn _Westenenk_, zu ersetzen und dieser hatte dafür gesorgt,
dass das Äussere des malaiischen Dorfes, das, wie überall am Kapuas,
aus einer Reihe niedriger Häuser am Flussufer bestand, wesentlich
verbessert worden war; ausserdem hatte er den chinesischen Händlern
das Niederlassungsrecht gewährt.
Auf dem rechten Ufer, das hoch gelegen war, und nicht, wie das steile
linke, bei jedem Hochwasser ein Stück Boden durch Absturz verlor,
waren eine Reihe chinesischer Häuser im Bau begriffen; sie schlossen
sich dicht an einander und waren durch eine lange Galerie unter ihrem
gemeinsamen Dache verbunden.
Hier war also der Grund zu einem neuen festen Handelsplatze mit
ansässiger. Bevölkerung gelegt, für die umliegenden Gebiete ein
Ereignis von grösster Bedeutung, da die Aufsicht eines europäischen
Beamten den allzueifrigen Bemühungen der Händler, sich auf Kosten
der harmlosen Eingeborenen zu bereichern, eine Grenze setzte. Eine
weitere wichtige Folge der Gewährung des Niederlassungsrechtes war,
dass die chinesischen Handelsdampfer jetzt nicht mehr in Bunut Halt
machten, sondern direkt bis Putus Sibau hinauffuhren, wodurch die
Preise der eingeführten Waren sanken und die der Buschprodukte stiegen.
So konnte auch ich meine Einkäufe jetzt ebensogut in Putus Sibau als
in Bunut machen, was mir, besonders später beim Zuge an den Mahakam,
sehr zu statten kam.
Ein Teil der kleineren malaiischen und chinesischen Händler hatte
jetzt gerade schwere Zeiten zu bestehen, da einige andere, reiche,
von weit unten heraufgekommene Konkurrenten sich besonders des Handels
mit Buschprodukten zu bemächtigen suchten.
Eine wichtige Rolle bei dieser Art von Handel spielt das
Vorschusswesen: ein Malaie oder Dajak, der in den Urwald zieht, um
Buschprodukte zu suchen, erhält von einem anderen Malaien oder Chinesen
auf Kredit eine Ausrüstung an Kleidern, Werkzeugen und besonders an
Reis unter der Bedingung, dass er später mit dem, was die Expedition
an Rotang, Guttapercha und Kautschuk liefern wird, das Geliehene
reichlich zurückbezahlt. Sind die Buschproduktensucher einmal fort,
so ist eine Überwachung ihrer Arbeit oder eine Bestimmung des Termins
ihrer Rückkehr fast unmöglich, da sie wochenlang in unbewohntem Lande
die Flüsse hinauffahren und man sie in den Bergen des Urwaldes schwer
erreichen kann.
Meistens sind es Malaien, die sich ganz dem Sammeln von Buschprodukten
widmen; ihr angeborener Hang zum Nomadenleben und die eingebildete
Freiheit, die sie im Urwalde geniessen, treibt viele dazu, ihre
Dörfer am unteren und mittleren Kapuas für Jahre zu verlassen; ihnen
schliessen sich auch manche, von bösem Gewissen geplagte Leute an,
um dem Gefängnis zu entgehen.
In Gegenden, die reich an Rotang und Guttapercha sind, trifft man
daher eine sehr zweifelhafte Gesellschaft malaiischer Abenteurer
an; sie wissen sich jedoch auch das Leben im Urwalde gemütlich
zu machen. So bildete 1896 der Oberlauf des Kréhau, des linken
Quellflusses des Kapuas, das Zentrum des Buschverkehres; man baute
dort, in nächster Nähe der Buschprodukte, Wohnungen. Händler brachten
die nötigen Waren, die wegen des schwierigen Transportes sehr teuer
wurden; aber die Möglichkeit, die man dort genoss, der Leidenschaft
für Kartenspiel und Hahnengefechte ungestraft fröhnen zu können,
wog manche Nachteile auf. Aus Mangel an Frauen vergriffen sich die
Malaien an denjenigen der in der Nachbarschaft schwärmenden Punan
und Bukatstämme; das kostete ab und zu allerdings einen Kopf--aber
was riskiert man nicht alles der goldenen Freiheit wegen!
Unternehmendere Malaien dingen bisweilen für einige Monate zu einem
bestimmten Lohn Kajan- oder Taman-Männer und ziehen mit ihnen in den
Wald. Wird eifrig gesammelt, so bildet das Buschproduktesuchen eine
lohnende Beschäftigung, der am Kapuas viele einen gewissen Wohlstand
zu danken haben. Die Malaien sind aber im Busch wie zu Hause einer
regelmässigen Arbeit abgeneigt.
Haben sie eine so grosse Menge Guttapercha und Rotang beisammen, dass
sie von ihrem Ertrag einige Zeit leben und geniessen können, so tritt
ihre Sucht zum Faulenzen und ihre Leidenschaft für Würfelspiel und
Frauen so sehr in den Vordergrund, dass die Arbeit im Stich gelassen
wird, bis die Not sie wieder zu ihr treibt. Unter diesen Umständen
regt auch der Gedanke an die fernen Gläubiger nicht zur Arbeit an. Auf
viele wirken diese Verhältnisse geradezu lähmend; denn sie machen
stets neue Schulden, deren Tilgung immer schwieriger wird.
Begreiflicher Weise ist unter derartigen Verhältnissen das Ausleihen
auf Kredit für die Händler mit grossem Risiko verbunden und bietet
nur denjenigen Vorteil, die im Stande sind, mit auf den Arbeitsplatz
zu ziehen und ihre Schuldner zu beaufsichtigen. In dieser Beziehung
sind die kleinen Händler den grossen gegenüber im Vorteil.
Geld spielt bei diesen Handelskontrakten selten eine Rolle. Sowohl
Malaien als Dajak lassen sich ihre Produkte mit Kattun, javanischem
Tabak, Salz und allerhand Nahrungsmitteln bezahlen. Auch die
Dajak kaufen gern auf Schulden und bezahlen diese bei der folgenden
Reisernte. Von einer Zinszahlung in unserem Sinne ist hier keine Rede;
aber die Händler entschädigen sich, indem sie die Quantität des zu
empfangenden Reises erhöhen. Auch hierin bringen geregeltere Zustände
Veränderungen hervor; so erzählte mir der Kajanhäuptling _Akam Igau_,
der in seinem Leben viele Handelszüge unternommen hatte, dass er
seine ersparten Dollars in Bunut nach malaiischer Weise gegen 3%
monatlichen Zinses unterzubringen beabsichtige.
In auffallendem Gegensatz hierzu werden europäische Industrieprodukte,
die aus den Fabriken direkt nach Singapore und von dort durch Chinesen
nach Putus Sibau eingeführt werden, zu kaum höheren Preisen als in
Europa verkauft. Wir wunderten uns nicht wenig, hier für fl 1.37
europäische Regenschirme kaufen zu können, die wegen ihres dünnen
Überzuges zwar besser gegen Sonne als gegen Regen schützten, im übrigen
aber hübsch gearbeitet waren. Einfache Schmucksachen, wie vergoldete
Armbänder, waren zu Bazarpreisen käuflich und nette Glasdöschen mit
einem Dutzend Fingerringe mit bunten Steinen zu fl. 1 lieferten den
traurigen Beweis, dass in Europa viel Arbeit gegen geringe Belohnung
geleistet werden muss.
Da die Bedürfnisse und das Kaufvermögen der Dajak sehr gering sind,
kann ein Handel mit ihnen auch nur wenige unterhalten und die vielen
Malaien, die langsam flussaufwärts gezogen sind, sehen sich genötigt,
hauptsächlich vom Ertrag der Buschprodukte zu leben. Jedoch auch
die Buschprodukte müssen schon seit Jahren aus sehr entfernten
Gegenden geholt werden und der Vorrat ist so beschränkt, dass er
nicht mehr allen einen Verdienst liefern kann. Um der dringenden
Not abzuhelfen, wurde, bei meinem früheren Aufenthalt am Mendalam,
der Kapuas freigegeben, um aus dein Flussand Gold zu waschen. Die
Goldwäscherei ist hier zwar nicht sehr lohnend, reicht jedoch zum
Unterhalt einer Familie aus, da auch Frauen und Kinder sich an
der Arbeit beteiligen. In Anbetracht des Umstandes, dass sich die
benachbarten Dajakstämme dadurch in ihren Rechten verkürzt glaubten,
verlangte diese Massregel viel Umsicht und Geschicklichkeit seitens
des Kontrolleurs, und die Goldwäscherei wurde auch nicht weiter als
bis zur Mündung des Kréhau gestattet.
Dergleichen Rechte der Dajak auf die Erzeugnisse des Landes werden
übrigens auch beim Sammeln von Buschprodukten berücksichtigt und die
Sitte verlangt, dass dem betreffenden Dajakhäuptling 10% des Ertrages
abgeliefert werden. Am oberen Kapuas sind durch das Hin- und Herziehen
der Stämme die Ansprüche auf Ländergebiete so kompliziert geworden,
dass die holländische Verwaltung sich in diesem Stromgebiet mit der
Einnahme und Verteilung der Steuern unter den Häuptlingen hat befassen
müssen. Auch die ausserhalb wohnenden Pnihinghäuptlinge vom Mahakam
kommen hierbei in Betracht, da auch sie früher am Kapuas lebten.
KAPITEL II.
Aufenthalt in Patus Sibau--Aussichten für die
Mahakamreise--Besuch der Batang-Lupar Aufbruch nach Tandjong
Karang--Einrichtung des Kajan Hauses--Ärztliche Praxis
unter der Bevölkerung--Vorbereitungen für den Zug nach dein
Mahakam--Rückkehr nach Putus Sibau Einkauf von Ethnographica und
Krankenbehandlung--Verwundung eines Sibau Dajak.--Zurücksendung
eines Jägers--Besuche der Kajan--_Usun_ in Putus Sibau--Befragen
der Vögel--Aufbruch nach dem Mahakam.
Der Kontrolleur von Putus Sibau, dein schon von Batavia aus die
Bestellung von Böten aufgetragen worden war, hatte uns bereits
erwartet und die Kaserne seiner Schutzsoldaten zur Aufnahme unserer
Mannschaften und Güter vorbereitet. Nachdem wir uns in der alten
Umgebung wieder eingerichtet hatten, erkundigten wir uns, wie es
mit der Aussicht auf eine Expedition zum Mahakam stehe. Vorläufig
waren die Aussichten noch nicht glänzend; die Kajan am Mendalam
waren noch mit der Ernte beschäftigt; ihr Häuptling _Akam Igau_,
der mich bereits auf der vorigen Reise begleitet hatte, befand sich
eben am Embálau, um mit den Erbfeinden der Kajan, den Batang-Lupar
(auch Hiwan genannt) aus Serawak, zu beraten; endlich lauteten auch
die Berichte vom Mahakam beunruhigend. Wie bei allen bösen Gerüchten
aus diesen Gegenden, standen auch jetzt wieder begangene Mordtaten im
Vordergrund: die Bungan Dajak sollten einen Malaien _Adam_, der 1896
meinen Zug zum Mahakam zu verhindern gesucht hatte, getötet haben
und am _Boh_ sollten fünf Batang-Redjang, welche am Flussufer nach
Buschprodukten suchten, ermordet worden sein.
Bald stellte sich auch heraus, dass die Kajan die bestellten Böte noch
nicht fertig hatten, so dass die wenigen Monate günstiger Reisezeit,
die uns noch übrig blieben, sicher mit Vorbereitungen verstreichen
mussten.
Sobald _Akam Igau_, den der Kontrolleur mit dem kleinen Dampfer
"de Punan" vom Embälau zurückholen liess, unsere Pläne gehört und
sich überlegt hatte, erklärte er sich bereit, uns zu begleiten. Seine
Zusage war für uns eine grosse Beruhigung; wir ersahen aus ihr, dass
er, der die Denkweise seiner Verwandten am Mahakam besser als irgend
jemand kannte, die Aussicht auf Erfolg für genügend gross hielt, um
mit uns die Reise zu wagen. Seine Zusage bezog sich jedoch nur auf ihn
und einige seiner Leibeigenen; um aber eine rationelle und ausgiebige
Unterstützung zu erlangen, musste ich selbst mit den verschiedenen
Niederlassungen der Kajan am Mendalam Unterhandlungen anknüpfen.
Auf meiner letzten Reise hatte ich einen jungen, _Akam Igau_ feindlich
gesinnten Häuptling, namens _Tigang Aging_, vorn Zuge ausschliessen
müssen, weil ich Zwistigkeiten zwischen beiden fürchtete; jetzt aber
hatte ich so viel mehr Personal bei mir, dass auch mehr Träger und
Ruderer erforderlich waren, als eine einzige Niederlassung liefern
konnte; es war mir daher sehr willkommen, dass auch Tigang zum Mitgehen
bereit war.
Die Unterhandlungen begannen wiederum mit einer Diskussion über die
Zeit des Aufbruchs.
Obgleich die Ernte noch nicht beendet und das grosse Neujahrsfest
noch nicht gefeiert worden, zu den Reisevorbereitungen also noch
ein Überfluss an Zeit vorhanden war, lautete der Vorschlag seitens
der Kajan doch, dass nicht vor der folgenden Saatzeit aufgebrochen
werden sollte, was einen Aufschub von fünf Monaten und ein Reisen
zu ungünstiger Jahreszeit bedeutete. Ich appellierte jedoch an ihren
gesunden Verstand und suchte ihnen begreiflich zu machen, warum dieser
Vorschlag unausführbar war; im übrigen überliess ich diese wichtige
Frage jedoch der Zukunft, da ein erwarteter Versöhnungsbesuch der
Batang-Lupar, die sich noch am Embálau aufhielten, die Gemüter sehr
erregte und für andere Interessen unzugänglich machte.
Diese Batang-Lupar kamen nämlich, etwa 100 Mann stark, aus dem
Gebiete von Serawak und standen unter Führung von zweien der grössten
Häuptlinge am mittleren Batang-Redjang, _Kanjan_ und _Rawing_. Beide
hatten sich als Anführer des grossen Feldzuges der Batang-Lupar gegen
die Kenjastämme im Quellgebiet des Balui oder oberen Batang-Redjang
einen grossen Ruf erworben. Schon seit alter Zeit lebten die
Batang-Lupar mit den Taman und Kajan am Mendalam auf dem Kriegsfuss,
jetzt kamen ihre Häuptlinge, wie sie sagten, um Frieden zu schliessen.
Nach ihrer Art und Weise zu reisen waren diese Batang-Lupar schon
seit sechs Monaten unterwegs; ihre wahrsagenden Vögel hatten sie
stets wieder gezwungen Halt zu machen und sie selbst hatten jede
Gelegenheit benutzt, um im Gebirge Buschprodukte zu sammeln. Auch
hatte ihnen im Urwald die Herstellung von Böten zum Befahren des
Embálau viel Zeit gekostet.
In Borneo ist jeder Fremdenbesuch verdächtig, da nach Landessitte
eine gute Gelegenheit Köpfe zu jagen auch auf Gäste sehr verlockend
wirkt. Bedenkt man, dass der Kontrolleur in Putus Sibau mit seinen
8 Schutzsoldaten keine starke Festung zur Verfügung hatte, so nimmt
es nicht Wunder, dass man auch dort sehr auf der Hut war.
Sicherheitshalber hatte der Kontrolleur _Kanjan_ und _Rawing_ nur mit
30 Mann Gefolge nach Putus Sibau zu kommen gestattet, auch sollten
die beiden Häuptlinge nur eine Nacht in jeder Kajan Niederlassung
verbringen und zwar ohne ihr Geleite. Um ihnen diesen Beschluss
mitzuteilen, war _Akam Igau_, der als weitgereister Mann auch diese
Stämme kannte, zum Embálau gesandt worden.
Ich erlebte noch die Ankunft der Batang-Lupar in Putus Sibau und hörte
ihre indirekten Berichte vom Mahakam. Da empfing ich von den Mendalam
Kajan aus Tandjong Karang die Nachricht, dass sie mich, ihrer vielen
Kranken wegen, mit Ungeduld erwarteten. Obgleich die Friedensfeier
sehr interessant zu werden versprach, beschloss ich doch, der Bitte
meiner Kajanfreunde bald Folge zu leisten.
An Vorräten und Tauschartikeln nahm ich nur das Notwendigste mit,
alles übrige liess ich unter der Obhut des Kontrolleurs in Putus
Sibau zurück.
_Demmeni_ und _Bier_ sollten während meines Aufenthaltes bei den
Kajan ihre Zeit dazu verwenden, ihre Ausrüstung in Ordnung zu
bringen. Ersterer sollte ausserdem die Aufsicht über einige Leute
aus Buitenzorg führen, die Kisten und Blechsachen zu reparieren oder
herzustellen hatten.
_Doris_ der Präparator begann sogleich seine Tätigkeit auf zoologischem
Gebiet, während die beiden Javanen, _Sekarang_ und _Hamja_, hier
gute Gelegenheit hatten, sich im Sammeln und Lebendkonservieren von
Urwaldpflanzen zu üben. Obgleich beide nur im botanischen Garten von
Buitenzorg gearbeitet hatten, zeigten sie sich doch bald, in noch
höherem Grade als ihre Kollegen im Jahre 1896, zur Erfüllung ihrer
Aufgabe befähigt.
Wegen der Schwierigkeit, die Kajan auch nur für einen Tag zur
Unterbrechung ihrer Arbeit zu bewegen, um mich und mein Gepäck
nach Tandjong Karang abholen zu lassen, mietete ich einige Malaien,
die sich nie durch anderweitige Pflichten daran verhindert sehen,
einen Extralohn zu verdienen.
Böte lieh mir der Kontrolleur und so konnte ich bereits am 7. Juni
zum Mendalam aufbrechen.
Als wir, nach fünfstündiger Fahrt, um die letzte Flussbiegung fuhren,
trat mir das wohlbekannte Tandjong Karang wieder vor Augen: hinter
einem Vordergrunde von dunkelgrünen Fruchtbäumen und zahlreichen
kleinen, zerstreuten Reisscheunen kam das hohe, gerade Dach der langen
Kajanwohnung zum Vorschein. Das Haus dehnte sich parallel dem Ufer
über eine 250 m lange Strecke aus; sein 15 m hoher First, der sich
gegen den hellen Himmel besonders scharf und geradlinig abhob, war nur
in der Mitte, über der Wohnung des Häuptlings, um einige Fuss erhöht.
Mit Stangen das Boot längs dem Ufer vorwärtstreibend, erreichten
wir bald die Steinbank vor dem Hause und ich verliess mein Fahrzeug,
umringt von Kindern, von denen mich einige mit dem Finger im Munde
verlegen anstarrten; durch meinen vorigen Besuch waren sie jedoch
schon zu sehr an mich gewöhnt, um fortzulaufen. Ein vielbetretener Pfad
führte mich das hohe Ufer hinauf; weiter diente ein langer Baumstamm
als Brücke über einen 5 m tiefen Graben, den der Strom seit meinem
letzten Aufenthalt hatte entstehen lassen. Hieran schloss sich ein aus
1 m breiten Brettern bestehender Steg, der in 1 1/2 m Höhe über dem
Erdboden auf Eisenholzquerbalken ruhte, die wiederum in die Öffnungen
senkrecht stehender Pfähle eingefügt waren. Dergleichen Pfähle werden
gewöhnlich mit grotesken Menschenfiguren verziert, hier war man aber
noch nicht so weit. Dieser 40 m lange Steg führte zu einer kleinen
Plattform am Fuss der Haustreppe. Wir hatten bei diesem Gang den mit
Fruchtbäumen und Reisscheunen besetzten Vorderplatz passiert, der
ausserdem viele kleine mit Sirih (Piper betle) und Gemüse bepflanzte
Gärtchen enthielt, welche gegen die vielen frei herumlaufenden Schweine
und Hühner mit festen flecken umgeben waren.
Am Fuss der Treppe stand _Akam Igau_; er empfing mich sehr erfreut und
forderte mich auf, ins Haus einzutreten. Auf der Galerie des 5 m über
dem Erdboden auf einem Wald von Pfählen ruhenden Hauses hatte sich bei
meiner Ankunft eine Menge brauner Gestalten aus den verschiedenen
Wohngemächern versammelt, vor allem Frauen und Kinder, die ihre
Neugier am wenigsten zu beherrschen schienen. Die gute Kajansitte
forderte jedoch, dass sich keiner unsere frühere Bekanntschaft
merken liess, bevor ich ihn mit einem Kopfnicken begrüsst hatte,
d.h. auch das Kopfnicken entsprach eigentlich nicht der Sitte; denn
unter einander begrüssen sich die Kajan überhaupt nicht. Besuchen sie
einander, so machen sie es sich erst bei ihren Gastherren gemütlich,
bevor sie für diese zu sprechen sind.
Die Frauen trugen offenes Haar, blossen Oberkörper und verschiedene
Halsketten; von unterhalb der Hüften bis zu den Füssen bekleidete sie
ein Röckchen, das mittelst zweier Perlenschnüre am Körper festgebunden
war. Von den Kindern liefen nur die kleinsten nackt umher, die ungefähr
zweijährigen trugen bereits ein Röckchen oder Lendentuch. Die Kleidung
der Männer bestand bei den meisten nur in einem Lendentuch, einige
erfreuten sich auch des Besitzes einer bunten malaiischen Hose.
Nachdem sich die Menge etwas verlaufen hatte, liess sich die mächtige
Galerie des Hauses in ihrer ganzen Ausdehnung überblicken.
Bei allen Dajak herrscht die Sitte, dass der ganze Stamm in einem
einzigen langen Hause (_uma_) wohnt; sie tun dies der Sicherheit
wegen. Aus dem gleichen Grunde bauen sie ihre Häuser auch auf Pfählen,
mehrere Meter über dem Erdboden; jedes Haus dient bei Überfällen
zugleich auch als Festung gegen den Feind. Von der Galerie (_awa_)
führen an der durchlaufenden, mittleren Hauswand (_liding_) in
Abständen von 4-6 m Türen mit 1/2 m hohen Schwellen in die dahinter
gelegenen Wohngemächer (_amin_) der einzelnen Kajanfamilien. Vor
der Häuptlingswohnung (_amin aja_), wo das Dach etwas erhöht war,
erreichte auch die Galerie eine grössere Breite und ragte mit erhöhtem
2 m breitem Fussboden nach aussen vor. Dieser Ausbau, auf dem ein
Herdplatz angebracht war, diente als Gastgemach und war auch mir
als solches angewiesen. Bau, Ausführung und Reinheit der Galerie
fielen angenehm auf; der Fussboden bestand aus gut bearbeiteten
aneinanderschliessenden Planken, auf denen man auch abends, ohne
seine Gliedmassen zu riskieren, ruhig umhergehen konnte.
Vor jeder Wohnung bzw. jedem Wohngemache stand neben der Tür ein zum
Reisstampfen bestimmter Block, (_lesong)_.
An der Aussenseite, wo das schräge Schindeldach nur t m über dem
Fussboden hing, war die Galerie durch eine Reihe horizontaler Latten
abgeschlossen.
Während meine Leute das Gepäck nach oben ins Gastzimmer brachten, lud
mich _Akam Igau_ zur Begrüssung seiner Familie in seine Wohnung ein.
In gebückter Haltung über die Türschwelle steigend gelangte ich
in einen schmalen langen Gang, der mitten in ein 8 × 12 m grosses
Gemach führte. Männer, Frauen, Kinder und Hunde bewegten sich in dem
rauchgeschwärzten Raume durcheinander.
Beim Lichtschein, der spärlich durch das grosse, mittelst einer
Palmblattklappe geschlossene Dachfenster (_huwábw_) hereindrang,
bemerkte ich längs den Wänden verschiedene gesonderte Räumlichkeiten,
welche den verheirateten Familiengliedern, die im übrigen alle
zusammenlebten, als Nachtquartier dienten. Längs der Galeriewand erhob
sich ein 5 m breiter Herd auf dem etliche eiserne Töpfe (_taring_)
auf Dreifüssen zum Kochen gestellt waren. Auf Wandgestellen über dein
Feuer befanden sich, durch den Rauch vor Feuchtigkeit und Insekten
geschützt, die Küchenvorräte: das sehr kostbare Salz, Bataten, Mais
und trockene Zuspeisen für den Reis.
Die Kochgerätschaften bestanden ausschliesslich aus flachen
Eisenpfannen verschiedener Grösse, während zum Wasserholen grosse
Bambusgefässe und Kalabasse dienten.
Über den Gestellen mit Esswaren befanden sich andere mit sorgfältig
gestapeltem Brennholz, das hier zum Trocknen ausgebreitet war.
Während ich die Umgebung musterte, hatten die Hausbewohner Zeit
gehabt, sich von der Erregung, welche meine Ankunft verursacht hatte.,
zu erholen, und ich begann die Hauptpersonen der Gesellschaft zu
begrüssen. Die Töchter des Häuptlings und deren Ehemänner kamen
zuerst an die Reihe, die jüngeren Söhne waren zum Glück nicht allzu
schüchtern.
Auch verschiedene Sklavenfamilien, die bei der Hausarbeit behilflich
sein mussten, hausten in diesem Gemache.
An der Aussenwand gegenüber der Tür (_betamen_), wo der Zimmerboden
etwas erhöht war, standen in langer Reihe grosse Gonge und Tempajan
(chinesische Töpfe); die älteren und kostbareren waren mit den
übrigen Familienstücken wie: alte Schwerter, Speere und Perlen,
in den gesonderten Räumlichkeiten geborgen.
Um die Anwesenden baldmöglichst von meiner beängstigenden Gegenwart
zu befreien, ging ich wieder auf die Galerie hinaus und sorgte dort,
dass mein Gepäck geschickt gestapelt wurde, damit für mein Klambu
(Moskitonetz) noch Platz übrig blieb. Mittelst einiger Matten wurde der
Raum schnell in ein Zimmer verwandelt, das mir nach der langen Reise
sehr willkommen war. Sobald konnte jedoch von Ruhe keine Rede sein,
denn die Malaien aus Putus Sibau mussten ihren Lohn erhalten, um noch
am selben Tage zurückzukehren, und bald strömten auch besorgte Eltern
mit kranken Kindern und besorgte Kinder mit kranken Eltern herbei,
die alle von meinen allmächtigen Arzneien Hilfe erwarteten.
Nachdem ich etwas geruht und von dem genossen hatte, was mein
Diener auf dajakischem Herde für mich bereitet hatte, reichte
das Tageslicht noch gerade zu einem Spaziergang in der Galerie;
absichtlich beschäftigte ich mich mehr mit den leblosen als mit den
allzu schreckhaften lebenden Wesen meiner Umgebung.
Das lange Haus enthielt ungefähr 50 verschiedene Räume, jeder von
einer mehr oder minder zahlreichen Familie bewohnt und von nahezu
gleicher Grösse; nur die Einrichtung der Zimmer war, je nach der
Wohlhabenheit ihrer Bewohner, verschieden.
Über jeder Haustür standen auf horizontalen Balken der Vorwand grosse
Körbe mit Rotang und Fischerei- und Ackerbaugerätschaften.
Auch in diesen kleineren Wohnräumen der gewöhnlichen Leute herrschte
wie bei der Häuptlingsfamilie das Prinzip der gesonderten Schlafkammern
für Verheiratete und junge Mädchen. Die jungen, unverheirateten Männer
schlafen vom achten Jahre an in der Galerie.
Am folgenden Tage setzten mit Hilfe des Häuptlings einige Männer
das Gerüst für eine Hütte von 4 × 6 m Bodenfläche zusammen; mit
den mitgeführten Palmblattmatten wurden die Wände belegt und mit
Segeltuch das Dach gedeckt, so dass ich bereits abends mein Klambu
im neuen Palast aufstellen konnte; hier belästigte ich die Bewohner
des langen Hauses nicht und war auch selbst in ruhigerer Umgebung.
In den ersten Tagen erneuerte ich die Bekanntschaft mit einstigen
Freunden und Freundinnen; bei allen hatte ich anfangs eine gewisse
Zurückhaltung zu überwinden, die aber nur ihrer Sitte entsprang;
denn sie schwand bei einem freundlichen Blick oder Wort oder kleinen
Geschenk. Obgleich ich fast alle bekannten Gesichter wiederfand,
war es doch Zeit, dass ich mit meinen Arzneien den Kampf gegen die
bösen Geister, die Urheber aller Krankheiten, wieder aufnahm. Einen
kleinen Jungen, der, durch Syphilis erschöpft, seinen Eltern schon
monatelang Angst und Sorgen bereitet hatte, konnte ich nicht mehr
retten, er starb drei Tage nach meiner Ankunft; das verzweifelte
Jammern seiner Mutter tönte mir noch lange Zeit in den Ohren. Kleine,
infolge leichter Malariaanfälle anämisch aussehende Patienten wurden
mir in grosser Zahl gebracht; in den ersten 14 Tagen kamen sie
regelmässig zu bestimmter Zeit, um ihre Chinindosis einzunehmen.
Obgleich die Rosen, die auf ihre Wangen zurückkehrten, einen etwas
bräunlichen Ton hatten, so war doch das Schwinden der graugelben
Hautfarbe, die wiederkehrende Fröhlichkeit und das gesündere Aussehen
erfreulich zu beobachten.
Bei meinem ersten Besuch in Tandjong Karang hatte ich die Leute nur
mit Mühe dazu bringen können, mir irgendwelche Gegenstände für meine
ethnographische Sammlung abzutreten; jetzt brachte man mir bereits
von selbst allerhand Sachen. Ich suchte aber nur einige besonders
schöne Schnitzereien in Horn und Holz zu erlangen, da es mir nur
darum zu tun war, meine beiden früheren Sammlungen zu vervollständigen.
Mein Hauptinteresse galt aber der Vorbereitung für die Expedition,
d.h. dem Einkauf von Böten und Reis. Zwar waren, wie erwähnt, bereits
vor langer Zeit 25 Böte bestellt worden, aber aus Ungewissheit und
Sorglosigkeit hatten die Kajan die Arbeit noch nichtbeendet, obgleich
sie dieses Mal zum Glück mehr zu Stande gebracht hatten, als vor
meiner früheren Reise. Um den Leuten zu zeigen, dass es mir Ernst
war, suchte ich auch nach alten brauchbaren Böten und zwar mit gutem
Erfolge. Sobald der eine Kajan sah, dass sein Nachbar an seinem Boote
arbeitete, machte auch er sich, um nicht im Rückstande zu bleiben,
ans Werk; so half die Konkurrenz mehr als alle Worte. Der Konkurrenz
verdankte ich es auch, dass ich die Böte zu den gleichen Preisen wie
früher erhielt. Da ich für meine Vogel- oder mexikanischen Dollars, die
in West-Borneo noch stets neben dem holländischen Gelde zirkulieren,
in Singapore nur fl. 1.10 bezahlt hatte und die Chinesen sie den Dajak
immer noch zu fl. 1.50 berechnen, kaufte ich sehr vorteilhaft ein.
Noch mehr Schwierigkeiten als das Herbeischaffen von Böten bereitete
der Einkauf von Reis; ich hatte ihn in grosser Menge nötig und der
Reisvorrat der Kajan war beinahe erschöpft.
Es lag mir daran, von dem Gelde, das für Reis ausgegeben werden musste,
besonders viel den Kajan selbst zukommen zu lassen, daher verabredete
ich mit _Akam Igau_, dass er unter den Familien von Tandjong Karang
100 Dollar verteilen sollte, für die sie mir nach der Ernte Reis
zu liefern hatten. _Akam Igau_ behielt jedoch einen guten Teil des
Geldes für sich und seine Leibeigenen und folgte bei der Verteilung
so sehr seinen Sympathieen, dass einige, die auch etwas beitragen
wollten, aber nicht in seiner Gunst standen, leer ausgingen. Als man
mit Klagen zu mir kam, konnte ich mich durch einige Dollars Vorschuss
einer weiteren Quantität Reis versichern. Leider war dieses Verfahren
nicht auch in den höher gelegenen Niederlassungen anwendbar; die
Ernteaussichten waren dort sehr schwach, und viele Männer beteiligten
sich nur deshalb an der Expedition, um später mit dem verdienten Lohn
für sich selbst Reis einkaufen zu können.
Kaum hatten die Chinesen und Malaien in Putus Sibau gemerkt, dass
es etwas zu verdienen gab, als auch sie mir anboten, nach der Ernte,
sobald die benachbarten Dajakstämme ihnen ihre Schuld in Reis bezahlt
haben würden, einige Tausende von Kilo zu liefern.
Inzwischen kam auch wieder die Frage nach dem Termin des Aufbruchs zur
Sprache. Bald nach der Abreise der Batang-Lupar kam _Tigang_ nochmals
zu mir und erklärte, dass seine Leute nicht vor der nächsten Reissaat
aufbrechen wollten. Glücklicher Weise sind die Kajan Beweisgründen
zugänglich, so dass mir _Tigang_ auf meine Bemerkung, dass nach dem
langen Warten eine ungünstige Reisezeit angebrochen sein würde, nichts
anderes erwidern konnte, als dass die Beteiligung an der Expedition
den Kajan viele Opfer kostete.
Nach langem Hin- und Herreden wurde beschlossen, dass die Männer nach
dem Erntefest einige neue Grundstücke für die Anlage der Reisfelder
suchen sollten und dass wir, wenn auch das Fällen des Waldes beendet
sein werde, die Reise antreten sollten.
_Akam Igau_ war zwar bei dieser Verhandlung nicht gegenwärtig gewesen,
ich wusste aber doch, dass auch er für einen beschleunigten Aufbruch
war und fragte ihn daher nicht um seine Meinung. Wir hatten zugleich
überlegt, dass es unmöglich sein würde, für die 140 Mann, die sich
am Zuge beteiligen sollten, auch den Proviant in den Böten gleich
mitzuführen; es sollte daher ein Vorrat Reis und Salz so schnell und
so weit als möglich den Kapuas aufwärts transportiert und dort bewacht
werden, bis wir nachkamen und ihn über Land Weiterschaffen konnten.
Als die Zeit des Aufbruchs ungefähr bestimmt war, erkundigten sich
die verschiedenen Häuptlinge nach der Zahl der Dorfgenossen, die
mitgehen konnten. Bald trat die alte Eifersucht zwischen _Akam Igau_
und _Tigang_ wieder zu Tage; letzterer erzählte triumphierend, dass
er in Tandjong Kuda, seinem Dorf, 50 Mann aufstellen konnte, Tandjong
Karang dagegen nur 30, Pagong nur 10 und die Ma Suling ebenfalls nur
10 Mann. Da _Tigang_ der Schwiegersohn von _Akam Lasa_, dem Ma Suling
Häuptling, war, der selbst nicht mitziehen konnte, so fügte sich der
Anführer der Ma Suling mehr _Tigang_ als _Akam Igau_.
Dieser wusste jedoch, dass ich ihn, den erprobten Führer, doch als
Leiter des Ganzen behandeln würde und nahm sich die geringere Anzahl
seiner Männer nicht zu Herzen.
Inzwischen war die Ernte vorüber und das Erntefest mit gewohnter Freude
und Feierlichkeit begangen worden; ich hatte mich wiederum davon
überzeugen können, in wie hohem Masse die ganze Bevölkerung von den
für Europäer so unbegreiflichen und unsinnigen religiösen Zeremonien
ergriffen wurde. So verging der ganze Monat Juni; da er sehr trocken,
also zum Reisen äusserst geeignet gewesen und ich ausserdem überzeugt
war, dass es noch lange dauern würde, bevor wir uns in Bewegung setzen
konnten, machte mich das Warten sehr ungeduldig. Es war mir noch ein
Trost, dass ich, nachdem ich erst 12 Böte mit einer grossen Menge Reis
nach Putus Sibau hatte bringen lassen, einige Tage darauf eine zweite
Truppe Kajan aus Tandjong Karang mit 2000 kg Reis und 14 Blechgefässen
Salz den Kapuas aufwärts schicken konnte. Sie sollte versuchen, den
Kapuas, Bungan und Bulit bis zu dem Ort hinaufzufahren, von wo aus der
Landweg beginnen sollte; zwei bewaffnete Schutzsoldaten, von denen der
eine, Korporal _Suka_, bereits auf einer Expedition am oberen Melawie
sich ausgezeichnet hatte, und ein Kajan, der die Punansprache kannte,
wurden als genügende Bewachung im unbewohnten Berglande angesehen.
In Putus Sibau war es dem Kontrolleur inzwischen gelungen, die
tüchtigsten der bewaffneten malaiischen Schutzsoldaten dazu zu bringen,
uns zum Mahakam zu begleiten.
Zu unserem Erstaunen war auch ein malaiischer Häuptling, Raden _Inu_,
sein Bruder, _Abang Ganda_, und ein Untergebener, _Persat_, aus
dem Pinaugebiet am Melawie nach Putus Sibau gekommen; diese hatten
zufälliger Weise gehört, dass der Kontrolleur, den sie von früher
her kannten, eine grosse Reise antreten sollte, und wollten sich nun
aus alter Anhänglichkeit an derselben beteiligen. Ein Zuwachs der
Gesellschaft erschien uns anfangs zwar nicht sehr erwünscht, weil die
Leute aber so viel Eifer an den Tag legten, beschlossen wir doch, sie
mitzunehmen, und haben es später auf der Reise nicht zu bereuen gehabt.
Mein Aufenthalt am Mendalam war nun nicht mehr unbedingt notwendig und
auch _Akam Igau_ drang darauf, man solle sich zur Reise vorbereiten,
damit man nach der Rückkehr der Gesandtschaften gleich aufbrechen
könne; ich nahm daher zum Leidwesen meiner vielen Freunde und Bekannten
von Tandjong Karang Abschied und kehrte nach Putus Sibau zurück.
Hier waren unterdessen aus Pontianak nachbestellte Güter angekommen,
auch allerhand nützliche Dinge, wie Kisten für Lampen und andere
tägliche Gebrauchsartikel, verfertigt und ein Vorrat Segeltuchs
zugeschnitten, besäumt und mit Seilen versehen worden. Ferner hatte
_Demmeni_ auf seine photographische Ausrüstung viel Arbeit verwandt;
ebenso _Bier_ für eine topographische Aufnahme des Mahakamgebietes
alles vorbereitet.
Um alles hatte sich der Kontrolleur _Barth_ bekümmert, und ich sah
zu meiner Befriedigung, dass er auch mit den Eingeborenen sehr gut
umzugehen verstand. Da die allgemeine Verkehrssprache der Bahau,
das Busang, ihm noch unbekannt war, hatte er sich alle Mühe gegeben,
sie vor dem Beginn des Zuges zu erlernen.
Ich hatte bereits 1894 dem ältesten Sohne _Akam Igaus_, namens _Ju_,
das Lesen und Schreiben mit lateinischen Buchstaben beigebracht; nun
hatte er den Kontrolleur gebeten, auch seinen jüngeren Sohn, _Adjang_,
im Lesen und Schreiben des Malaiischen, das er nur notdürftig sprach,
zu unterrichten. _Adjang_ war studienhalber nicht nur monatelang
beim Kontrolleur in Putus Sibau geblieben, sondern zog auch mit
uns zum Mahakam. Während unserer Reise durch den Urwald lernte er
abends im Lager seine Lektionen ebenso eifrig wie in Putus Sibau,
und am Mahakam angekommen las und schrieb er bereits befriedigend.
Da an der Ausrüstung nichts mehr zu tun übrig blieb und das für
die Reise so günstige trockene Wetter anhielt, hätte mich die
Ungeduld, endlich fortzukommen, sehr gequält, wenn die Bewohner der
Niederlassungen ober- und unterhalb von Putus Sibau meine ärztliche
Hilfe nicht ständig in Anspruch genommen und mich gezwungen hätten,
mich um ihre Interessen zu bekümmern.
Unterhalb Putus Sibau waren in den letzten Jahren Niederlassungen
der Kantu Dajak entstanden. Dieser mit den Batang-Lupar verwandte
Stamm aus dem Seengebiet war von diesen aus seinem alten Wohnplatz
nach Südwesten vertrieben worden. Seit der Zeit hatten sich die Kantu
bald hier bald da in sehr kleinen Niederlassungen weiter oben am Kapuas
verteilt. Sie waren viel zugänglicher als die Kajan und interessierten
mich auch durch ihre Kunstfertigkeit in der Herstellung von Webereien
und Perlenarbeiten, so dass ich es lebhaft bedauerte, mich mit ihnen
aus Zeitmangel nicht mehr abgeben zu können. Da sie mehr als die
anderen Stämme geneigt waren, ihre seltenen Produkte um hohen Preis
loszuschlagen, gelang es mir, in kurzer Zeit allerlei anzuschaffen,
was mir von ihrer sehr hoch stehenden Webe- und Färbeindustrie eine
Vorstellung geben konnte.
Auch mit den weiter oben wohnenden Taman Dajak kam ich dadurch in
Berührung, dass sie mir ihre Kranken brachten und durch vorteilhaften
Verkauf ihrer eigenartigen Kleidungsstücke von mir zu profitieren
trachteten. Verschiedene Personen boten mir auch ihre aus bunten
Perlen und Muscheln (Nassa callosa) verfertigten Jäckchen und
Röckchen an, die sie früher bei ihren religiösen Festen trugen, jetzt
aber, wegen der Ausbreitung des Islam in ihrem Stamm, nur selten
mehr gebrauchten. Diese in schönen farbigen Mustern ausgeführten
Kleidungsstücke sind in jeder Familie altes Erbgut, dessen Herstellung
viel Zeit und Geld gekostet hat; unter gewöhnlichen Umständen sind
sie auch beinahe nicht zu erlangen. In dieser Erwägung kaufte ich die
schönsten dieser Kleidungsstücke und rettete sie so vor dem Untergang.
Die meisten kosteten 20 bis 26 Dollar; für ein besonders schönes
Röckchen musste ich sogar 35 Dollar bezahlen. Die Besitzerin dieses
Kleinods, eine Taman Frau am Mendalam namens _Litong_, war anfangs
durchaus nicht geneigt, mir diesen ihren schönsten Schmuck abzutreten
und ich hatte bereits alle Versuche, sie zu erweichen, aufgegeben,
als ihr Vater, von einem Handelszuge aus Bunut zurückkehrend, den
hohen Preis erfuhr, den ich geboten. So kam er eines schönen Tages
nach Putus Sibau und übergab mir sehr erfreut für die 35 Dollar das
Röckchen. Hätte ich geahnt, dass er ganz gegen den Wunsch seiner
Tochter handelte und dass diese, wie ich später durch Kajan erfuhr,
vor Kummer heisse Tränen vergossen, so hätte ich meine Sammellust
vielleicht bezwungen.
Auch die Taman Dajak, die am Sibau wohnten, der neben unserer Wohnung
in den Kapuas strömte, trugen dazu bei, uns die erzwungene Ruhe nicht
allzu fühlbar werden zu lassen. Wenige Tage nach meiner Rückkehr
nach Putus Sibau holten vier dieser Sibau Dajak mich in einem
Boot in ihre Niederlassung ab, wo einer der Ihren, der sich beim
Holzhacken mit dem Schwerte das Bein verletzt hatte, heftig blutend
darniederlag. Den Verwundeten nach Putus Sibau zu bringen schien
unmöglich; so blieb mir nichts anderes übrig, als mit den nötigsten
Hilfsmitteln und einem unserer Malaien zum Kranken zu reisen. Nach
dreistündiger Fahrt in schwankendem Nachen erreichten wir das lange
Haus, auf dessen grosser Galerie vor der Häuptlingswohnung eine Menge
Männer, Frauen und Kinder um eine Gruppe herumhockte, die sich mit
der Pflege des Kranken beschäftigte. Dieser schien ein kräftiger
junger Mann zu sein; auf dem Rücken zwischen seinen jammernden
Angehörigen liegend zeigte er bereits eine verräterische graubraune
Leichenfarbe, auch hatte er schon das Bewusstsein verloren und sein
Puls war nicht mehr fühlbar. Sein rechter Fuss war an der Innenseite,
unterhalb des Knöchels, verwundet und mit alten Lappen voll geronnenen
Blutes verbunden. Fortwährend tröpfelte noch Blut aus dem Verbande,
was hauptsächlich wohl einem zweiten Verbande zugeschrieben werden
musste, den man um die Wade angebracht hatte und der, gleichwie auch
die horizontale Lage des Beines, einen Abfluss des venösen Blutes
verhinderte. Während ich den zweiten Verband abnehmen und das Bein
hoch halten liess, erzählte man mir, wie sich der junge Mann die Wunde
beigebracht hatte. Die Abwesenheit des Pulsschlags bewies, dass die
Blutung auch während des Transportes nach Hause sehr heftig gewesen
sein musste. Man hatte, um die Blutung zu stillen, das gebräuchliche
Mittel, gekaute Sirihblätter mit Kalk, auf die Wunde gelegt, welch
letzterer adstringierend wirkt und durch das starke Anpressen mittelst
der Blätter zugleich als Tampon dient. Da der Patient augenscheinlich
nicht mehr viel Blut zu verlieren hatte und seine Herztätigkeit sehr
schwach war, musste ich einen neuen Bluterguss bei der Untersuchung zu
vermeiden trachten und hielt daher den Kautschukschlauch am Schenkel
bereit. Zum grossen Erstaunen der Taman kam, da ich das Bein hoch
halten liess, beim Wegnehmen der schmutzigen Lappen und Sirihballen
kein Tropfen Blut mehr aus der Wunde; doch war die bis tief hinter
den maleolus internus reichende Wunde durch die falsche Behandlung
bereits so infiziert, dass an einen aseptischen Heilverlauf nicht zu
denken war.
Vor allem musste der Patient wieder zu Kräften kommen, dann konnte man
ihn, zwecks einer rationellen Behandlung, nach Putus Sibau bringen
lassen. Ich desinfizierte daher die Wunde so weit als möglich,
bestreute sie mit Jodoform, tamponierte sie gründlich und empfahl
den Taman, das Bein ständig hoch liegen zu lassen und gut für den
Patienten zu sorgen.
Dank seiner kräftigen Konstitution war der Mann nach zwei Tagen
bereits so weit, dass seine Familie ihn mir zur weiteren Behandlung
nach Putus Sibau bringen konnte. Nachdem ich schon gehofft, dass
keine Nachblutung den Heilprozess stören würde, rief man mich doch
sechs Tage darauf nachts, weil der Verband ganz mit Blut durchtränkt
war. Es blieb nun nichts anderes übrig, als die Galerie unserer
Kaserne zum Operationszimmer zu machen und den gewandtesten meiner
Gehilfen zum Assistenten zu promovieren. Zum Glück gelang es mir bald,
die Blutungsquelle zu entdecken. Ich hatte bereits vorher versucht, die
Wunde von dem nekrotischen Gewebe zu reinigen, aber die Infektion hatte
sich bereits zu sehr verbreitet. Sobald die Schlinge um den Schenkel
etwas gelockert wurde, quoll in rhythmischen Stössen eine Blutmenge,
augenscheinlich aus der arteria tibialis postica, hervor. Beim Schein
einiger Lampen entfernte ich so lange nekrotisches Gewebe, bis die
Arterie bloss lag; es zeigte sich, dass diese auf die ungünstigste
Weise beschädigt war, nämlich halb durchgeschnitten, so dass die
Enden sich nicht zurückziehen konnten und wegen der Retraktion
der Ränder ständig offen gehalten wurden. Mit einigen Bedenken,
wegen der stark entzündeten und infizierten Umgebung, entschloss
ich mich doch, das Gefäss zu durchschneiden und die beiden Enden
zu unterbinden. Glücklicher Weise schlossen sich die Gefässe und
eine Blutung trat nicht mehr ein, trotzdem sich die Entzündung über
den ganzen Unterschenkel verbreitete. Einige Einschnitte bis in das
subkutane Gewebe, zur Entfernung des Eiters, und eine Ausspülung mit
Borwasser übten eine gute Wirkung. Infolge unserer sorgsamen Pflege kam
der Taman bald wieder zu Kräften, und nachdem der Kontrolleur von Putus
Sibau nach unserer Abreise noch einige Zeit für ihn gesorgt hatte,
konnte er wieder nach Hause gebracht werden, wo er bald völlig genas.
Der langdauernde Aufenthalt in Putus Sibau hatte noch den grossen
Vorteil, dass wir uns über die aus Java mitgenommenen und uns
grösstenteils fremden Leute ein Urteil bilden konnten. Bereits als
ich sie in Dienst nahm, hatte ich dafür gesorgt, dass jeder von ihnen
einen Kameraden oder Verwandten bei sich hatte, damit er sich nicht
einsam fühlen sollte. Da eine gute Stimmung unter den Teilnehmern
einer Expedition deren guten Erfolg wesentlich beeinflusst, freute
es mich sehr, zu bemerken, dass Zwistigkeiten unter unseren Leuten
wenig vorkamen. Nur der zweite Jäger, _Djumat_, erregte zu meiner
Verwunderung bei seinen mohammedanischen Glaubensgenossen durch seine
ständigen religiösen Übungen Anstoss. Wie ich bei meiner Rückkehr
von den Kajan hörte, war er, ein europäisches Halbblut, zum Islam
übergetreten. Obgleich beinahe mein ganzes Geleite mohammedanisch war,
hatte ich doch von Beten und von anderen religiösen Verrichtungen
nie etwas gemerkt; nur _Djumat_ war hierin sehr eifrig und ärgerte
dadurch die anderen so sehr, dass einer der Schutzsoldaten zuletzt
auf seiner Violine zu spielen begann, sobald _Djumat_ seine Gebete
anfing. Wahrscheinlich geschah dies nicht wegen der Andachtsübungen
selbst, dazu waren meine Javaner und Malaien zu friedliebend,
sondern weil sie ihn besser kannten als ich. Bald hörte ich auch
einige Bemerkungen über _Djumat_, der sich viel mit den Chinesen
auf dem Markte abgab, und eines Morgens fand ich auf der Galerie
einen zusammengefalteten chinesischen Brief, den ich aber nicht
lesen konnte. Etwas Besonderes vermutend, wollte ich meine farbigen
Begleiter doch nicht in die Angelegenheit einweihen, und da auch
unsere Europäer das Schreiben nicht lesen konnten, liess ich es
unbeachtet. Der Schreiber schien aber die Sache ernst zu nehmen;
denn zwei Tage darauf erhielt ich ein anderes Briefchen, diesmal
malaiisch geschrieben. Der Inhalt des Briefes war der, dass _Djumat_
den chinesischen Frauen auf dem _pasar_ auf brutale Weise nachstellte
und dass ein derartiges Betragen meines Personals mir am Mahakam
gefährlich werden konnte. Für mich war diese Tatsache zu wichtig,
um ihr nicht Rechnung zu tragen.
Mit dem Kontrolleur _Barth_ und dessen Kollegen von Putus Sibau
kam ich überein, dass wir gleich die Ankunft des kleinen Dampfers
"de Punan", der uns die letzte Post und noch einige Güter bringen
sollte, benützen mussten, um uns dieses lästigen Reisegenossen zu
entledigen. Sobald denn auch der Dampfer angekommen war, erhielt
_Djumat_ zu seiner Verwunderung den Befehl, sich bereit zu halten,
um sich zwei Stunden später nach Java einzuschiffen. Diese plötzliche
Entlassung musste ihn umsomehr in Erstaunen versetzen als er, wie auch
seine Kameraden, bereits in Java 75 fl. Vorschuss von seinem Lohn
erhalten hatte. Sein Betragen, das in seiner javanischen Umgebung
nicht viel Anstoss erregte, war jedoch in unserer künftigen Lage,
mitten unter den eingeborenen Stämmen, viel zu gefährlich, als dass
ich die übrigen Männer nicht auf den Ernst eines solchen Vergehens
hätte aufmerksam machen müssen. Bereits seit langem wusste ich,
dass eine grosser Teil der Morde und Unglücksfälle von Malaien unter
den Dajak hauptsächlich daher kam, dass die malaiischen Männer darauf
ausgingen, die dajakischen Frauen zu verführen. Obgleich es nämlich bei
den Bahau, nach längerem Aufenthalt in ihrer Mitte, wohl gestattet ist,
mit einem der jungen Mädchen, die in ihrem Tun und Lassen fast gänzlich
unabhängig sind, ein Verhältnis anzuknüpfen, geschieht es doch häufig,
dass die Malaien, mit Hilfe von Geschenken und anderen Mitteln, mit
der ersten besten Frau, die sich hierfür empfänglich zeigt, einen
intimen Verkehr anzubahnen versuchen. Da aber die eheliche Treue bei
diesen Stämmen sehr streng gehalten wird, laden sich die Malaien durch
ihr leichtsinniges Betragen die Rache des beleidigten Gatten auf den
Hals. Ich suchte daher, wenn wir irgendwo bei den Bahau längere Zeit
bleiben mussten, tun ihr Vertrauen zu gewinnen, alles daranzusetzen,
um ein derartiges Betragen zu verhindern. So hatte ich von Anfang an
getrachtet, etwas ältere Männer für unseren Zug anzuwerben und habe
auch später durch leichtsinniges Betragen meiner Leute nicht viel
Unannehmlichkeiten gehabt.
Nach meiner Abreise von Tandjong Karang nahmen die Kajan noch öfters
jede Gelegenheit wahr, um uns in Putus Sibau zu besuchen, teils aus
persönlicher Anhänglichkeit, teils um noch einiges vorteilhaft zu
verkaufen, teils um noch allerhand Neues und Schönes von unserer
Ausrüstung zu sehen.
Selten vergingen einige Tage, ohne dass ich Besuch bekam, und
jetzt waren es nicht nur, wie in früherer Zeit, erwachsene Männer
und einzelne Frauen, die sich aus dem Mendalamgebiet herauswagten,
sondern es kamen auch viele Knaben und Mädchen und sahen sich zum
ersten Mal in ihrem Leben Putus Sibau mit seinen vielen Malaien,
Chinesen und seinem Markt an. Auch viele 18-20 jährige Frauen
erklärten, noch nie hier gewesen zu sein; zum Übernachten konnten
sie sich aber nicht entschliessen, sie sorgten vielmehr alle, vor
Einbruch der Nacht aus dieser fremden Umgebung wieder fortzukommen.
Besonders meine Freundin _Usun_, die älteste und oberste Priesterin
von Tandjong Karang, benützte jede Gelegenheit, um nach Putus Sibau
zu kommen, und es zeigte sich, dass aufrichtiges Interesse sie
dazu trieb. Bereits bei meinen Besuchen 1894 und 1896 hatte sie mir
allerhand, nach ihren Begriffen schöne Geschenke gemacht, auch war
sie die einzige Frau ihres Stammes gewesen, die es gewagt hatte, sich
photographieren zu lassen. Auch jetzt wieder gab sie uns einen starken
Beweis ihres Vertrauens, indem sie einmal mit einer Gesellschaft
vom Mendalam ankam, mehrere Tage allein bei uns blieb und erst mit
einer zweiten Gesellschaft nach Hause zurückkehrte. _Usun_ äusserte
oft ihre Besorgnis aller Gefahren wegen, die uns auf den weiten
Reisen bedrohten, besonders beunruhigte sie mein Plan, in das ferne
Gebiet des Apu Kajan, das Stammland ihrer Vorfahren, einzudringen,
ein Land, das in ihrer priesterlichen Wissenschaft einen mythischen
Charakter angenommen hatte und von dem sie wusste, dass es von den
so gefürchteten Kenjastämmen bewohnt wurde.
Wenige Tage vor unserer Abreise kam _Usun_ mit einigen Männern und
Frauen von Tandjong Karang zu uns herunter und bat um die Erlaubnis,
bis zu unserer Abfahrt bei uns bleiben zu dürfen. Zugleich gab
sie zu verstehen, dass sie, da es nun doch zum Scheiden kam,
beschlossen hatte, ihren kostbarsten, oder besser gesagt, ihren
heiligsten Besitz zwischen ihrem Enkel und mir zu teilen, damit diese
geweihten Gegenstände mich vor allen Gefahren, denen ich entgegen ging,
beschützten. Sie übergab mir ein sehr altes Schwert, das, nach der
Aussage meiner 70 jährigen Freundin, bereits in ihrer Jugend sehr
alt gewesen war, ferner Kieselsteine von aussergewöhnlicher Form
in einem kleinen Säckchen und ein steinernes Fläschchen mit etwas
Kokosnussöl. In diesen ernsten Abschiedstagen wurde _Usun_ gestattet,
ihre Schlafmatte in der kleinen Kammer auszubreiten, in welcher der
Kontrolleur _Barth_ auf einer Seite und ich auf der anderen unsere
Moskitonetze aufgehängt hatten. Beim Erwachen am anderen Morgen sah
ich, dass _Usun_ bereits alle ihre Vorbereitungen getroffen hatte
an der Stelle, wo sie geschlafen hatte, lagen auf einer kleinen Matte
neben einander die für mich bestimmten Schätze, ausserdem das Geldstück
und die Perlen, die ich ihr als _usút_ gegeben hatte, d.h. damit diese
Dinge in gleicher Weise in ihre Hände übergehen könnten, wie ihre
Talismane in die meinen und der Geist, der in letzteren steckte, nicht
erzürnt würde. Darauf sprach sie, vor der Matte hockend, die Geister
an, die in den Gegenständen hausten und trug ihnen auf, mich gegen alle
Angriffe böser Geister zu schützen, mich vor Anstrengungen sowie vor
einem Fall in den Bergen oder Tälern zu behüten und zu verhindern,
dass meine Seele sich von mir entfernte. Weiter berichtete sie den
Geistern der geweihten Gegenstände, dass ich die Absicht habe, sie
zum Mahakam und weiter bis zum Apu Kajan zu bringen. Auch erzählte
sie ihnen, dass ich ihr das Geldstück und die Perlen gegeben, damit
sie an Stelle der alten Gegenstände in ihren Händen zurückblieben.
Ich schenkte _Usun_ zuletzt noch, da meine Vorräte es zu erlauben
schienen, einen Satz schöner Armbänder aus Elfenbein. Bis zum letzten
Augenblick blieb _Usun_ bei uns und, während ich des Morgens mit
dem Verteilen von Menschen und Gütern in die Böte viel zu tun hatte,
strengte sie sich an, mir mit ihren alten Beinen wie mein Schatten
zu folgen und hörte nicht auf, mir unter heissen Tränen Segenswünsche
auf die Reise mitzugeben.
Mit _Akam Igau_ hatte ich abgemacht, dass er seine Leute dazu
bringen sollte, gleich nach der Rückkehr der vorausgeschickten
Gesandtschaften die wahrsagenden Vögel zu befragen. Am 24. Juli
kehrten die Gesandtschaften endlich gemeinsam zurück; ihre Reisen
waren ohne Unfall verlaufen, nur hatten sie, wegen des sehr hohen
Wasserstandes, lange gedauert; auch war es ihnen nicht geglückt,
den Bulit aufwärts bis zum Landweg zu gelangen; sie hatten aber den
Reis an der Mündung des Bulit unter dem Schutze von Korporal Suka
und zwei anderen zurückgelassen.
Den folgenden Tag kam _Tigang Aging_ aus Tandjong Kuda mit dem Bericht,
dass in seinem Dorf für sechs Tage "_melo njaho_" ein "Stillsitzen
wegen der Vorzeichen" angesagt war, weil man ein Reh über ein eben
bearbeitetes Feld hatte laufen sehen (ein böses Omen) und dass man
erst nach dieser Ruhezeit, unter Anführung des Ma-Suling namens _Obet
Lata_, zur Beobachtung der Vorzeichen aufbrechen würde.
Nach Ablauf dieser sechs Tage kam _Tigang Aging_ abermals nach
Putus Sibau, diesmal mit dem Vorschlag, wiederum einen Teil unseres
Gepäckes unter Aufsicht der zwei alten Häuptlinge _Seniang_ und
_Akam Lasa_, je mit zehn Mann; vorauszuschicken. Diese Leute waren
nämlich nicht im stande, den Zug mitzumachen, wollten aber, wie es
schien, auch noch etwas verdienen. Nachdem ich diesem Vorschlage
in der Überlegung zugestimmt hatte, dass wir dadurch später um
so schneller flussaufwärts fahren konnten und ich, um nur endlich
fortzukommen, möglichst viel Freunde gewinnen musste, verpflichtete
sich wiederum _Tigang_, den _Obet Lata_ bereits am folgenden Tage
auf die Vogelschau auszusenden. Auf diese Weise suchte sich _Tigang_
als Herrn der Mendalambewohner aufzuspielen, obwohl er sehr gut
wusste, dass _Akam Igau_ von mir als Führer angesehen wurde. Mein
Hauptziel war jedoch die Abreise, der ich mit Ungeduld entgegensah,
da die Trockenzeit bereits zwei Monate gedauert hatte und jeder Tag
uns Regen und ungünstig hohen Wasserstand bringen konnte; daher fand
ich alles gut, was uns einen Schritt weiter brachte. Es verging aber
ein Tag nach dem andern, ohne dass wir etwas anderes hörten, als dass
die Vögel noch immer nicht alle erforderlichen Zeichen gegeben hatten,
bis endlich am 16. August _Akam Igau_ seinen Sohn _Adjang_ abholte,
um gemeinschaftlich mit den übrigen Teilnehmern an der Expedition
ein _melo njaho_ zu feiern, da die Vögel jetzt genügende Auskunft
gegeben hatten. Zwei Tage darauf sollte die ganze Gesellschaft bei
uns eintreffen.
Um _Akam Igaus_ Oberherrschaft wieder einzuschränken, kam auch
_Obet Lata_ im Auftrage _Tigangs_ am folgenden Tage und meldete,
dass man aus Tandjong Kuda aufbrechen werde, dass man sich aber,
wie auch auf der vorigen Reise, noch einen Tag an der Mündung des
Mendalam aufhalten wolle, um noch einen besonderen Vogel zu befragen.
Am 18. August schlug endlich unsere Befreiungsstunde; denn bereits des
Morgens kam ein bemanntes Boot nach dem anderen hinter der Flussbiegung
zum Vorschein. Auch _Seniang_ und _Akam Lasa_ brachten ihre eigenen
Böte und Leute mit; gegen ihren Vorschlag, bereits am selben Tage
weiterzufahren, hatte ich nichts einzuwenden. Ich gab ihnen eine
gute Ladung Reis und Salz mit und so fuhren sie bereits mittags den
Kapuas aufwärts.
Die Leute, welche die Mahakamreise selbst mitmachen sollten,
übernachteten, der Übereinkunft gemäss, unter _Akam Igaus_ und
_Tigangs_ Aufsicht an der Mendalam Mündung, trafen aber schon früh
am folgenden Morgen vor unserer Wohnung ein.
Im Ganzen erschienen aus den verschiedenen Niederlassungen am Mendalam
ungefähr 110 Mann, die sich in so viel Gruppen verteilten, als die
Zahl der Dörfer und Stämme, denen sie angehörten, betrug. Die Kajan
aus Tandjong Karang und Tandjong Kuda waren die zahlreichsten,
ihnen folgten die Ma-Suling und Uma-Pagong, und schliesslich noch
Glieder der Bukat und Punan, der meist nur zeitweise am Mendalam
lebenden Nomadenstämme. Jede Gruppe hatte einen eigenen Häuptling
oder angesehenen Mann zum Anführer; ich betrachtete aber, wie bereits
gesagt, _Akam Igau_ aus Tandjong Karang als Oberhaupt aller, da er
als alter weitgereister Mann am meisten Einfluss besass, während
sein viel jüngerer Nebenbuhler _Tigang Aging_ aus Tandjong Kuda nur
durch seine hohe Geburt sich Ansehen zu verschaffen trachtete. Ihm
völlig ergeben war nur _Obet Lata_, der Anführer der Ma-Suling,
ein alter unbedeutender Mann, der _Tigang_ als den Schwiegersohn des
Ma-Sulinghäuptlings _Akam Lasa_ fürchtete.
Die Männer von Uma-Pagong standen, wie auch auf der vorigen Reise,
unter Anführung von _Jung_, einem Adoptivsohn des weiblichen Häuptlings
_Bulan_. Es war dies eine junge energische Persönlichkeit, die uns
auf der Reise viele Dienste erwies.
Die Gruppe der Punan und Bukat bestand aus 12 Männern sehr
verschiedener Abkunft, auch befanden sich unter ihnen einige Leute
eines anderen Jägerstammes, der Beketan. _Ludang_, der Punanhäuptling,
konnte an der Expedition nicht teilnehmen, liess sich aber durch
seinen jungen Sohn _Kwing_ vertreten, dem ein schwächlicher, aber
intelligenter Mann namens _Tetuhè_ zur Seite stand.
Um keine Zeit zu verlieren, hatten wir bereits am Tage zuvor alles
Gepäck so geordnet, dass die Ladung auf die schnellste Weise von
statten gehen konnte. Nun galt es, Menschen und Güter auf die
praktischste Weise in die 25 Böte zu verteilen, was insofern seine
Schwierigkeit hatte, als die Leute sich bereits in Gruppen verteilt
und in den Böten da Platz genommen hatten, wo es ihnen gerade am besten
gefiel; dadurch war das eine Boot überladen, das andere beinahe leer;
ausserdem nahm jedes Boot so wenig als möglich Gepäck mit, so dass ich
das Einladen genau regeln und überwachen musste. Das, erforderte alles
viel Hin- und Herreden, Ermahnungen und bisweilen ernstes Auftreten
und dauerte bis 10 Uhr morgens. Die ganze Zeit über hatte ich die
alte _Usun_ an meinen Fersen. Endlich war alles geregelt, jeder Mann
an seinem Platze und wir nahmen vom Kontrolleur Abschied, der uns
mit seinen zwei kleinen Kanonen noch eine gute Reise nachdonnerte.
KAPITEL III.
Allgemeines über die Insel Borneo--Die Gebirge von
Mittel-Borneo--Die Wasserscheiden zwischen dem Mahakam
und dem Batang-Rèdjang, Kajan und Barito--Geologie des
oberen Mahakamgebietes--Salzquellen--Geologischer
Charakter des Apu Kajan--Äussere Gestaltung
Mittel-Borneos--Buschvegetation--Meteorologische
Verhältnisse.--Bewohner der Insel--Malaien und Dajak--Sesshafte
Stämme: Bahau und Kenja--Nomadenstämme: Punan, Bukat und
Beketan--Herkunft der Bahau und Kenja--Legende vom Wasser und
Feuer-Auswanderungen und Vermischungen der Stämme.--Organisation
eines Bahau- bezw. eines Kajan-Stammes--Geschichte der
Mendalam Kajan--Glieder eines Stammes: Häuptlinge, Freie und
Sklaven-Gegenseitige Verpflichtungen der Stammesglieder--Abstammung
des Häuptlings _Akam Igau_.
Die Insel Borneo ist mit ihrer Oberfläche von 734.000 quad. km
nach Neu-Guinea die grösste der Welt; sie ist mehr als zweieinhalb Mal
so gross als England, Schottland und Irland zusammen. Betrachtet man
eine in grossem Massstab gehaltene Karte von Borneo, so bemerkt man,
dass vom Zentrum der Insel aus mächtige Ströme nach allen Richtungen
hin den Küsten zuströmen; sie durchziehen in ihrem Unterlauf weite
Ebenen, die sie mit der Zeit selbst gebildet haben. Die Entstehung so
grosser Flüsse und Ebenen ist nur da möglich, wo starke Regenfälle
herrschen. Die durchschnittliche jährliche Regenmenge in Borneo ist
in der Tat eine sehr bedeutende, sie kann bis über 5 m betragen, doch
machen sich auf dem ausgedehnten Gebiet grosse lokale Abweichungen
bemerkbar. Wegen ihrer aequatorialen Lage bestreichen die Passatwinde
die Insel Borneo lange nicht so regelmässig wie Java, daher ist der
Regenfall dort gleichmässiger auf das ganze Jahr verteilt.
In scharfem Gegensatz zu den Nachbarinseln hat man auf Borneo bis jetzt
keine tätigen Vulkane gefunden. Zwar entdeckte Prof. _Molengraaff_
im Jahre 1894 südlich vom oberen Kapuas ein ausgedehntes vulkanisches
Gebiet, das hauptsächlich aus riesigen Tufflagern besteht, Spuren
einer Eruption jüngeren Datums fand er jedoch nicht. Die südlichen
Nebenflüsse des oberen Kapuas haben daher auch Zeit gehabt, diese
Tufflager durch Erosion in ein höchst eigenartiges Bergland umzuformen,
dessen eigentümliche terrassenförmige Erhebungen bisweilen mehr als
1000 m Höhe erreichen. Dem 1825 verunglückten Forschungsreisenden
_Georg Müller_ zu Ehren nannte Prof. _Molengraaff_ dieses Gebirge:
Müller-Gebirge. Die zahlreichen Petrefakten, welche diese Tufflager
enthalten, deuten darauf hin, dass das Müller-Gebirge hauptsächlich
in der Tertiärzeit gebildet sein muss.
An der Ostküste, gegenüber der Insel Miang und auf dieser selbst,
liegen 100 m hohe Hügel, die in späteren geologischen Perioden durch
negative Strandverschiebung entstanden sein müssen; denn man findet
auf ihnen die Riesenmuschel (Tridacna). Das ganze flache Gebiet
von Kutei wird durch diese auf die Ostküste beschränkte Hügelreihe
gegen das Meer hin abgegrenzt. Die vielen Seeen, welche die grosse
eingeschlossene Ebene aufweist, lassen vermuten, dass sie früher ein
Becken gewesen, das durch den Mahakam und seine Nebenflüsse allmählich
angefüllt worden ist. Bereits seit langer Zeit werden in den Hügeln
an der Mahakammündung Steinkohlenlager ausgebeutet; vor einigen Jahren
sind dort auch reiche Petroleumquellen angebohrt worden.
Das Kettengebirge, welches sich von dem an der Westküste gelegenen
Tandjong Dato an quer durch die Insel nach Osten, wahrscheinlich
bis zum Kap Mangkalihat, erstreckt und die Wasserscheide zwischen
zahlreichen Flüssen bildet, besteht grösstenteils aus stark gefalteten
Schieferschichten.
Nach den Untersuchungen von Prof. _Molengraaff_ ist dieses Gebirge,
nördlich von dem grossen Seeengebiet der Batang-Lupar, aus stark
abgetragenen Schiefern zusammengesetzt und erhebt es sich nur ungefähr
200 m über den Meeresspiegel. An der Südseite traf er zum ersten Mal
die für Mittel-Borneo charakteristische Danau-Formation [3], deren
obere, aus Kieselschiefer, Jaspis und Hornstein bestehende Schichten
Radiolarien enthalten und daher Tiefseeablagerungen sein müssen.
Nördlich vom oberen Kapuas und Mahakam, nach Osten zu, steigt dieses
Gebirge immer mehr an, behält jedoch stets denselben Charakter
bei. Vom Bukit Tjondong aus konnte _Molengraaff_ das Gebirge, das
er Ober-Kapuri-Kettengebirge nannte, übersehen; es erwies sich auch
später, vom Liang Tibab aus gesehen, als typisches Kettengebirge,
das ganz aus zahlreichen, scharfen, in gleichen Entfernungen neben
einander sich erhebenden Rücken zu bestehen schien. Wie gesagt,
steigt das Gebirge in östlicher Richtung an: der Lawit ist bereits
1767 m hoch, die höchsten Gipfel bei den Kapuas-Quellen erreichen 1900
m und diese Höhe bleibt ungefähr konstant bis zum oberen Mahakam,
wo das Kettengebirge vom Batu Tibang durchbrochen wird. Dem Geröll
seiner Flüsse nach zu urteilen, scheint dieser letztere Teil des
Gebirges eruptiven Ursprungs zu sein.
Östlich vom Batu Tibang setzt sich das Kettengebirge, das jetzt den
Namen Bawui Gebirge trägt, weiter fort; in westlicher Richtung, bis
zum Batu Okang, dem grossen Bergmassiv, auf dem der Boh entspringt,
verschmälert es sich und bildet dort die Wasserscheide zwischen
Kajan und Mahakam. Östlich vom Batu Okang ist das Kettengebirge noch
unerforscht; künftige Untersuchungen werden aber voraussichtlich
ergeben, dass es sich ununterbrochen bis zum Kap Mangkalihat fortsetzt.
Im Flussbett des Selirong und Seliku, der beiden Quellflüsse
des Mahakam, beobachtete ich im Hangenden der fast senkrecht
aufgerichteten, alten Schiefer beinahe horizontal gelagerte
Sandsteinschichten, die im übrigen Teil des Gebirges bereits weggespült
sein müssen. Auch dieser mittlere Teil des Kettengebirges ist also
nach seinem Entstehen untergetaucht gewesen. Am oberen Seliku befanden
sich diese Sandsteinschichten am Fuss des Lasan Tujan in 720 in Höhe,
am Selirong, etwas oberhalb des Landweges nach Serawak, in 650 m
Höhe. Der Sandstein, aus dem die 5-10 cm dicken Schichten bestanden,
war an beiden Orten grobkörnig. Die Schichten fallen unter 26º nach
Norden ein und das Streichen ist 236º.
Die Danauformation, die _Molengraaff_ im Seeengebiet der Batang-Lupar,
im Bungan und Bulit, an der Südseite des Kettengebirges antraf,
stellte ich auch am oberen Mahakam, unterhalb der Mündung des Sikè
und im Boh in der Nähe der Ogamündung fest.
Weitere Hornsteinschichten beobachtete ich im Mahakam und zwar
in seiner westlichen Reihe von Wasserfällen bei Long Tepai, wo
beim Fall des Lobang Kubang die Lagen eine Dicke von 3 dm bis 1 m
erreichen. Der hier weisse Hornstein wird von den Sandsteinschichten
des grossen Gebirgszuges überlagert, der die Wasserscheide zwischen
dem oberen Mahakam und oberen Barito bildet. In seinem von West nach
Ost sich erstreckenden Teil heisst dieser Gebirgszug Batu Lesong,
seine südliche Fortsetzung heisst bis zur Quelle des Rata: Batu Ajo.
Dieses ganze Gebirge erscheint als ein schmaler, sehr steiler, oben
abgeflachter Rücken. Seine grobkörnigen Sandsteinschichten erreichen
eine Mächtigkeit von 5-50 m und haben eine Neigung von 8º nach Süden.
Der 1800 m hohe Batu Lesong wird seiner regelmässigen Form wegen von
den Eingeborenen mit einem Reisblock, _lesong_, verglichen. Bei einer
Besteigung des Batu Lesong im Quellgebiet des Blúu konstatierte ich,
dass er sich mit senkrechten 4-500 m hohen Wänden aus den Flussbetten,
welche das Wasser nach Norden in den Mahakam, nach Süden in den Busan
und Belatung wegführen, erhebt. Der Hauptrücken ist nur 1-2 km breit
und sendet nach Norden eine Reihe von Querrücken, welche die Täler
der Nebenflüsse des Mahakam von einander scheiden. Zum Mahakam hin
fallen diese Querrücken oft sehr steil ab, zwischen dem Blúu und
Danum Parei mit einer Höhe von 1000 m; dazu sind sie oft so schmal,
dass sie kaum für einen Pfad Platz lassen. Eine starke Abtragung wird
durch die üppige Vegetation verhindert. Nach Osten hin nimmt die Höhe
des Batu Lesong immer mehr ab; seine Fortsetzung, Batu Ajo, ist nur
noch 1000-1200 m hoch. Das Gebirge, welches den gleichen Charakter
stets beibehält, kehrt sich mit einer scharfen Wendung nach Süden;
es scheint das vulkanische Müller-Gebirge nach Osten zu begrenzen.
Die nördlichen, zwischen dem Sumwé und Merásè gelegenen Nebenflüsse
des Mahakam, sowie der betreffende Teil des Hauptstromes selbst, haben
sich ebenfalls ihre Betten aus beinahe horizontalen Sandsteinlagern
erodieren müssen. Diese gehören dem ursprünglich augenscheinlich
mit dem Batu Lesong zusammenhängenden Ong Dia (ong = Gebirge) der
Bahau an. Der Ong Dia ist nicht über 900 m hoch, läuft in Form eines
schmalen Rückens dem Batu Lesong parallel, fällt dem Mahakam zu steil
ab und dehnt sich in nördlicher Richtung bis zu dem hoch aufragenden
Kalksteingebirge Batu Matjan aus. An die steilen Wände des Ong Dia
lehnen sich auf der Mahakam Seite eine Reihe von Hügeln in Gestalt von
200-500 m hohen steilen Kalkbergen, welche die Erosion des Sandsteins
aufzuhalten scheinen.
Das eben erwähnte nördliche Kalksteingebirge liegt zwischen dem Serata
und oberen Tepai und erhebt sich mit seinen eigentümlichen Formen bis
zu einer Höhe von 1900 m; es giebt dem Serata, Sumwe, Merásè, Tepai,
Glat und anderen Flüssen den Ursprung, während südlich von ihm der
obere Mahakam einen mächtigen Bogen nach Westen macht, bevor er den
Weg nach Süden einschlägt. Die höchsten Berge dieser Kalkformation
heissen: Batu Matjan, Batu Brok und Batu Ulu.
Diesem grossen Kalkgebirge schliesst sich eine Reihe schmaler,
sehr steiler, freier Kalkberge von 300-900 m Höhe an, welche ich
längs den Ufern des Tjehan unterhalb des Pakatè und weiter östlich
längs dem Mahakam bis an den Blúu entdeckte. Der Kalk hat eine dichte
Struktur und findet sich teils massig, teils in Schichten bis zu 40
m Mächtigkeit. Diese fallen am Mahakam sowohl als am Tjehan ungefähr
gleich unter 44° nach Süden und das Streichen ist 242°, also im
wesentlichen gleich dem der oben erwähnten Sandsteinschichten.
Zu den höchsten Erhebungen dieser Kalkberge gehört der Liang Karing
an der Mündung des Tjehan, der Liang Nanja im Flusstal selbst und
der Batu Baung am Mahakam.
In den zahlreichen Höhlen dieser Berge bewahren die Eingeborenen ihre
Kostbarkeiten auf und setzen sie ihre Toten bei. Ähnliche grosse
Felsenhöhlen sollen auch im grossen Kalksteingebirge z.B. im Batu
Matjan, Batu Brok u.a. vorkommen.
Ausser den eben besprochenen beiden Gebirgsgliedern kommt im Gebiet
des oberen Mahakam noch eine Reihe vulkanischer Andesitkegel vor, die
sich im Tal des Blúu von Süden nach Norden hinzieht. Der nördlichste
dieser Kegel ist der Batu Mili 840 m, ihm gegenüber an der Mündung
des Blúu liegt der Batu Kasian 650 m, weiter südlich der Moang 900
m. Am Fuss dieser Hügel kommen Quellen vor, die gleichzeitig Salz und
Kohlensäure liefern; die Bevölkerung benutzt sie zur Salzgewinnung. Bei
einer dieser Quellen, der Span Dingei am Fuss des Moang, glückte
es mir im Jahre 1896 mit _Kwing Irang_, dem Häuptling der Mahakam
Kajan, eine alte Vorrichtung zur Salzgewinnung auszugraben. Als auf
Anweisung von _Kwing Irang_ neben einer Reihe Felsen von glasigem
Eruptivgestein die Erde fortgeschafft wurde, kam der Rand eines
ausgehöhlten Baumstammes von 6 dm Durchmesser zum Vorschein, der
senkrecht in den Boden gerammt war. Etwas tiefer bemerkten wir einen
zweiten hohlen Baumstamm, der in den ersten hineingesteckt war und
aus dem das Wasser kräftig hervorsprudelte. Die Baumstämme dienten
dazu, das Wasser vor Verunreinigung durch hineinfallende Erde zu
schützen. Gegenwärtig wird die Quelle ihres geringen Salzgehaltes wegen
nicht mehr ausgebeutet, in früherer Zeit jedoch wurde das Salzwasser
aufgefangen und in grossen Töpfen verdampft.
Trotz der Einfuhr von Salz von der Küste her benutzten die Ma-Suling
am Merásè noch bis vor kurzem eine andere, salzhaltigere Quelle,
Sepan Daja, am Fuss des Ong Dia zur Salzgewinnung. Eine Analyse des
mitgenommenen Wassers ergab folgende Bestandteile
per Liter Wasser (neutral).
Kieselsäure (Si O2) 0.068 g
Chlor (Cl) 3.592 g
Kalk. (Ca O) 0.202 g
Magnesia. (Mg O) 0.098 g
Kali (K2 O) 0.095 g
Natron (Na2 O) 3.260 g
Was das Gestein am Grunde des Mahakambettes betrifft, so sah
ich unterhalb der Mündung des Kaso, bis oberhalb der westlichen
Wasserfälle, jüngere Schiefer in dünnen Schichten mit 1-10 cm
dicken sandsteinartigen Schichten abwechseln. Alle diese Schichten
streichen von West nach Ost, im Grossen und Ganzen mit der Richtung
des Flusslaufes übereinstimmend.
Von der Vereinigung des Selíku und Selírong an bis zur Mündung des
Blúu fällt der Mahakam von 550 auf 200 in Höhe; bei der Fahrt den Boh,
Oga, Temha und Meseai aufwärts steigt man von 150 bis 600 m Höhe,
wo der Landweg zum oberen Kajan beginnt.
Von hier aus kann man die Wasserscheide längs einem ins Tal des Laja,
eines Duellflüsschens des Kajan, hinabführenden Querrücken in einem
Tage überschreiten. Der Kajan entspringt in der Nähe auf dem Batu
Telunjôn und strömt in nördlicher Richtung, in 600 m Höhe, durch ein
ausgedehntes Hügelland, das die Bahau Apu Kajan nennen.
Die Erhebungen bestehen hier hauptsächlich aus Rücken, die sich
von der Wasserscheide aus nach Norden erstrecken; sie sind, wie
die Wasserscheide selbst, aus altem Schiefergestein gebildet,
das unter der allgemeinen Büschbedeckung verborgen, fast nur in
den Flussbetten zum Vorschein kommt. Diese Schiefer sind schwach
gefaltet und fallen im allgemeinen unter 45°-70° nach Süden; das
Streichen ist 245°-275°. An einigen Stellen werden die Schiefer
von Sandsteinschichten bedeckt. Diese sind 1-6 dm dick und liegen
horizontal den älteren, geneigten Schieferschichten auf. Die Schiefer
werden von Basaltgängen durchbrochen.
Nach Auffassung der Bevölkerung dehnt sich das Gebiet des Apu Kajan
bis zu der Stelle aus, wo der Kajan eine lange Reihe unüberwindlicher
Wasserfälle, Baröm, bildet. Der Beschreibung zufolge muss der Fluss
dort über eine grosse Strecke hin von sehr hohen Bergen eingeschlossen
sein.
Etwas Näheres wissen auch die Eingeborenen nicht über dieses ihnen
selbst unbekannte und mystische Gebiet; künftige Forschungsreisen
werden hoffentlich auch dorthin Licht bringen.
Nach diesem kurzen geologischen Überblick über Mittel-Borneo betrachten
wir uns im folgenden das Land, wie es sich dem Beschauer in seiner
äusseren Gestalt darbietet.
Man kann sich Mittel-Borneo am besten als ein mit Urwald bedecktes
Gebirgsland vorstellen, dessen bedeutendste Flussläufe unter 200 m
Höhe liegen und dessen höchste Bergspitzen 2000 m nicht überragen. So
grosse Erhebungen kommen jedoch in der Nähe menschlicher Wohnungen
nicht vor; Niederlassungen finden sich stets nur an den Flüssen und
höher als 250 m liegen sie in Mittel-Borneo überhaupt nicht.
Das ganze Land ist mit ununterbrochenen, Jahrhunderte alten Wäldern
bedeckt, die, je nach der Höhe ihrer Lage, von einander verschieden
sind. Diejenigen Wälder, mit denen der Mensch in Berührung kommt,
zeigen eine äusserst üppige Vegetation, die zwischen einem Gerüst
von Riesenstämmen mit alles überdeckendem Blätterdache eine Menge
kleinerer Bäume, Sträucher und Kräuter gebildet hat, so dicht,
wie sie hohe Temperatur und ständige Feuchtigkeit auf humusreichem
Boden allein zu schaffen vermögen. Auf dieses alles überwuchernde
Pflanzenkleid übt die menschliche Tätigkeit wenig Einfluss aus. Für
seine relativ geringen Bedürfnisse fällt der Mensch stellenweise den
Wald, dessen Boden für 1-2 Jahre als _ladang_ (trockenes Reisfeld)
gebraucht wird; aber unmittelbar darauf wird diese kleine Lücke in
der Buschbedeckung von der alles beherrschenden Vegetation wieder
ausgeglichen, so dass binnen weniger Jahre nur der Eingeweihte
die Spuren früherer menschlicher Arbeit erkennen kann. So wurde in
früherer Zeit ein grosser Teil der tiefer gelegenen Wälder durch seine
Bewohner gefällt, aber, wenn nicht hie und da steinerne Gerätschaften
zurückgeblieben wären, käme man schwerlich auf die Vermutung, dass
an Stelle dieser sogenannten Urwälder einst Reisfelder gestanden.
Die ungestörte Ruhe, welche die verlassenen Reisfelder geniessen,
gestattet dem Gestrüpp und Busch, sogleich wieder ihr Reich
einzunehmen, und noch keine einzige Grasart, nicht einmal das im
übrigen Indien so häufige und verbreitete _alang-alang_ hat sich im
Gebirgslande von Mittel-Borneo entwickeln können. Erst seit ungefähr
dreissig Jahren ist am oberen Mahakam Gras aufgetreten, zum grossen
Verdruss der Bewohner, die es nun aus ihren Reisfeldern jäten müssen.
Die Buschvegetation findet in der aequatorialen Lage des Landes eine
mächtige Stütze, da der Einfluss der Passatwinde, der in höheren
Breiten den Wechsel von Regen- und Trockenzeit hervorruft, sich hier
nur in geringem Masse geltend macht. Daher erleidet die Vegetation von
Mittel-Borneo niemals die Nachteile einer langdauernden Dürre, die
den Graswuchs öfters begünstigt; auch schafft die grosse Ausdehnung
der Wälder selbst, ausser der Zufuhr von Wasserdampf aus dem Meere,
einen Überschuss an Feuchtigkeit in der Luft, während in den kühlen
Räumen unter dem Blätterdache und im Boden beständig ein grosser
Feuchtigkeitsvorrat angehäuft bleibt.
Durch diese das ganze Jahr anhaltende Feuchtigkeit und den übermässigen
Regen ist die Temperatur dieser Gegenden niemals besonders hoch und nur
da, wo die Bevölkerung zum Bau der Wohnungen einen kleinen Teil des
schützenden Pflanzenkleides zerstört hat, steigt um die Mittagszeit
die Temperatur unter einem _kadjang_- (Palmblatt-) Dache auf 30°-31°
C, sinkt aber auch nachts selten unter 20° C.
In unmittelbarer Nähe der Berge, mehr am Mandai und Mahakam als
im Tale des Mendalam, ist der Himmel oft bewölkt, und nachts
bedecken tief hängende Wolken und Nebel den Wald. In der Regel
beginnt die Bewölkung gleich nach Sonnenuntergang und verschwindet
bei Sonnenaufgang; daher gehört ein klarer Sternhimmel in vielen
Gegenden zu den Seltenheiten. Die Gipfel der Berge bleiben oft auch
an heiteren Tagen bis zum Abend mit Wolken bedeckt. Das Gleiche gilt,
mit geringen Ausnahmen, auch für die Küstengebiete, nur bewirken hier
die Seewinde bisweilen kühlere Nächte.
In höheren Regionen verändert sich der Charakter der Vegetation
unter dem Einfluss häufiger und regelmässiger Regen auffallend
schnell. Gegen die Berge aufsteigend, lassen die mit Wasserdampf
stark geschwängerten Luftströme ihre Wassermassen in Form von Regen
anhaltend niederfallen und ihre Wolken widerstehen der Sonnenwärme;
dadurch kühlen die höheren Stellen so stark ab, dass man auf einer
Höhe von 1000 m an, abgesehen von wenigen kleinen Bäumen und niedrigem
Gestrüpp, eine dicke, alles überdeckende Moosvegetation antrifft,
der man in Java nur auf einer Höhe von 2500-3000 m begegnet.
Die Bewohner Borneos wurden bisher in Dajak (die ursprünglichen
Inselbewohner) und Malaien (die eingewanderte Bevölkerung)
eingeteilt; jene, sagte man, bewohnen das Binnenland, diese die
Küsten. Im allgemeinen ist diese Einteilung richtig, aber hie und
da, z.B. in Serawak, bewohnt die heidnische Bevölkerung das Land bis
zur Küste, andrerseits leben Stämme, die sich auch Malaien nennen,
bis tief ins Innere an den grossen Flüssen. Diese zwei Hauptgruppen
sind ausserdem nirgends scharf geschieden, sondern haben sich stark
vermischt, was zur Folge gehabt hat, dass sich die Bewohner vieler
Orte zwar Malaien und Mohammedaner nennen, in Wirklichkeit aber
beinahe oder ganz rein dajakischer Abstammung sind und sich zu einer
Religion bekennen, die dem heidnischen Dajaktum viel mehr ähnelt als
dem Mohammedanismus. Auch findet man, allerdings weniger häufig,
Dajak, in deren Adern malaiisches Blut fliesst. Diese Vermengung
wird durch die grossen Flüsse, die für Fahrzeuge der Eingeborenen
bis tief ins Innere des Landes zugänglich sind, stark befördert. Die
vorzugsweise seefahrenden Malaien konnten sich längs diesen Strömen
leicht verbreiten. Wie sehr sich die Malaien an einen Verkehr zu
Wasser gebunden fühlen, erkennt man überall daran, dass sie sich
hauptsächlich an den grossen Strömen niederlassen und die Dajak in
das Bergland an die Nebenflüsse zurückdrängen.
Auch die allgemeine Bezeichnung der eingeborenen Bevölkerung
Mittel-Borneos als Dajak ist nicht ganz zutreffend, da diese aus
verschiedenen, ethnologisch scharf von einander geschiedenen Gruppen
zu bestehen scheinen. Nach meinen im Jahre 1894 an 135 Dajak im
Gebiete des oberen Kapuas ausgeführten anthropologischen Messungen
scheinen sich diese Gruppen auch körperlich sehr verschieden
zu verhalten. Dr. _Kohlbrügge_, der die Freundlichkeit hatte,
meine Messungen zu bearbeiten, kam, ohne von den ethnologischen
Verschiedenheiten der Stämme etwas zu wissen, auf Grund der Ergebnisse
der Schädelmessungen und anderer Körpermerkmale zu der Vermutung,
dass Mittel-Borneo von zwei Völkergruppen bewohnt wird, von denen die
eine brachyzephal, die andere dolichozephal ist; diese kann zu den
Indonesiern gerechnet werden [4]. Zu den Brachyzephalen gehören die
Kajan; zu den Dolichozephalen die Ulu-Ajar Dajak am Mandai. Auch vom
ethnographischen Gesichtspunkte aus sind diese zwei Gruppen durch ihre
sehr verschiedenen Sitten und Gewohnheiten geschieden. Ausserdem sind
sie geschichtlich getrennt, denn die Kajan gehören zur grossen Gruppe
der Bahau- und Kenjastämme von Ost-Borneo, während die Ulu-Ajar zu den
Stämmen gerechnet werden müssen, die als Ot-Danum und Siang am oberen
Melawi, oberen Kahájan und oberen Barito wohnen. Dass Dr. _Kohlbrügge_
die Kajan auf Grund der Messungen für ein Mischvolk ansieht, ist sehr
richtig, denn dieser Stamm ist seit 150 Jahren von seinem Stammland
Apu Kajan am weitesten, bis in das Kapuasgebiet, fortgezogen, wo viele
Sklaven, Abkömmlinge von Kriegsgefangenen verschiedenen Ursprungs und
Individuen benachbarter Stämme durch Heirat in den Stamm aufgenommen
wurden.
Neben diesen zwei grossen Gruppen, welche die ackerbautreibenden
Stämme umfassen, giebt es in Mittel-Borneo, in geringerer Zahl,
auch Jägerstämme, die unter den Namen von Punan, Bukat und Beketan
in den hohen Gebirgen, den Quellgebieten der grossen Ströme, ein
Nomadenleben führen. Diese Stämme betreiben wenig oder gar keinen
Landbau, sondern leben von Jagd, Fischfang oder Waldfrüchten. Sie
scheinen älter als die beiden anderen Gruppen zu sein und gehören
vielleicht zu den ältesten Bewohnern Borneos.
Sowohl die Bahau- als die Kenjastämme haben zum gemeinsamen Stammland
das Quellgebiet des Kajan bzw. Bulunganflusses, welches Apu Kajan
oder Po Kedjin genannt wird. Früher wurden alle Stämme der Bahau und
Kenja unter den Namen Paristämme zusammen gefasst.
Augenblicklich bewohnen diese Stämme die Stromgebiete des ganzen
Mahakam bis zum Mujub, des Berau und des Kajan, die alle an Borneos
Ostküste ins Meer münden; ferner die Gebiete des Oberlaufs der Flüsse,
die nach Norden strömen: des Limbang, des Baram und des Balúi oder
Batang-Rèdjang. Von hieraus drang ein kleiner Teil der Bevölkerung
in die Kapuasebene ein, wo er jetzt am Mendalam wohnt.
Die Bewohner dieser Ländergebiete nennen sich, wie oben gesagt,
teils Bahau teils Kenja.
Zu den Bahau rechnen sich die Stämme am Mahakam bis zum Mujub. Oberhalb
der Wasserfälle gehören also zu ihnen die:
Seputan im Gebiet des Kasoflusses; Pnihing vom Howong bis zum
Sumwé; Kajan vom Sumwé bis zum Dini; Long-Glat vom Dini bis zu den
Wasserfällen; Ma-Suling am Merasè.
Unterhalb der Wasserfälle des Mahakam gehören zu den Bahau die:
Hwang-Sirow; Long-Wai; Uma-Lohat in Udju Halang; Hwang-Ana; Hwang-Tring
in Tepu.
Am oberen Batang-Rèdjang oder Balui fasst man die Bahaustämme unter dem
Namen Kajan, der wieder verschiedene Stämme begreift, zusammen. Ebenso
wohnen am Mendalam, dem nördlichen Nebenfluss des Kapuas, Bahau: die
Kajan Uma-Aging zu Tandjong Karang und Tandjong Kuda, die Ma-Suling
und Uma-Pagong weiter flussaufwärts.
Zu den Kenja rechnen sich vor allen die Stämme, die augenblicklich
noch im Apu Kajan wohnen, ferner die, welche sich an den nach Osten
strömenden Flüssen niedergelassen haben, nämlich die am Tawang,
Brau und Kajan. Auch die Stämme am oberen Limbang und oberen Baram
gehören zu den Kenja.
Die Kenjastämme, die gegenwärtig den Apu Kajan bewohnen, haben ihre
Heimat an dem östlich gelegenen Iwan, einem linken Nebenfluss des
Kajan. Neben diesem Nebenflusse befindet sich ein anderer, der Bahau,
von dem wahrscheinlich der Name der Bahau herrührt, so dass diese
also ursprünglich ebenfalls aus dem Osten herstammen.
Es entspricht nämlich der Gewohnheit der Kenja und Bahau, den Stämmen
den Namen des Flusses, an dem sie lebten oder leben, zu geben. So
setzt sich der Name "Long-Glat" zusammen aus: "_long_" = Mündung und
"Glat" = Name eines Nebenflusses des Oga. Ma-Suling = Uma Suling =
Haus am Suling; Uma-Mehak = Haus am Mehak (Nebenflüsschen des Boh);
Uma-Tepai =- Haus am Tepai (Nebenfluss des Mahakam); Hwang-Tring =
Stamm vom Tring (Berg im Gebiet des Boh).
Am Kajan wohnen von seinem Ursprung flussabwärts folgende Kenjastämme,
die:
Uma-Tow; Uma-Bom; Uma-Djalan; Uma-Tokong; Uma-Kulit; Uma-Baka;
Uma-Bakong; Uma-Leken (unmittelbar oberhalb des Baröm).
Die Bahau- und Kenjastämme wissen noch sehr wohl, dass sie vom Apu
Kajan herstammen und die meisten können auch noch die Zeit ihrer
Auswanderung angeben. Auch gegenwärtig finden solche Auswanderungen
noch statt. Vor ungefähr dreissig Jahren sind die Kenja Uma-Time,
die jetzt am Tawang wohnen, vom Kajan dorthin übergesiedelt; der
Stamm der Uma-Bom hat jetzt den Plan, in das Tal des Boh zu ziehen
und sich dort niederzulassen. Im Lauf der Zeit wandert ein solcher
Stamm immer weiter flussabwärts, den Weg der meisten Bahaustämme,
die jetzt am Mahakam wohnen, folgend.
Obgleich die Geschichte ihrer Auswanderung den Stämmen sehr wohl
bekannt ist, hat doch auch die Legende die Tatsache, dass alle vom
Apu Kajan gebürtigen Stämme jetzt nach allen Himmelsgegenden zerstreut
wohnen, zu erklären versucht:
In alten Zeiten, heisst es, entstand zwischen dem Feuer (_apui_) und
dem Wasser (_ata_) ein Zwist, der sich so steigerte, dass beide im
Kampfe die Kräfte aufs äusserste anspannten. Wind und Regen kamen dem
Wasser zu Hilfe, welches infolgedessen so sehr stieg, dass es alles
Land mit Wäldern und allem überflutete. Dadurch erlosch das Feuer,
aber auch alle Menschen bis zum Apu Kajan hinauf kamen um. Nur einige
wenige, die in Böten sassen, blieben am Leben. Diese sahen keine andere
Möglichkeit, das Wasser zum Sinken zu bringen, als eine der Ihren,
_Hillo_, die Tochter eines Häuptlings, zu töten, indem sie ihr die
Schulter durchhieben. Da fiel das Wasser plötzlich vom hohen Bergland
hinunter und führte zugleich die in den Böten überlebenden Menschen
nach verschiedenen Seiten auseinander. So wurden die Bewohner von
Apu Kajan in alle Himmelsrichtungen zerstreut und sprechen heute so
viele verschiedene Sprachen.
Wenn irgend möglich, wohnen die Stämme im Mahakam- und Kajangebiete am
Hauptfluss selbst; nur wenn der Wohnplatz für unsicher gehalten wird,
wie nach dem Einfall der Batang-Lupar im Jahr 1885 am Mahakam, oder
wenn eine starke Zunahme der Bevölkerung es gebietet, wie am Kajan,
lassen sich Bahau und Kenja auch an Nebenflüssen, häufig hoch im
Gebirge, nieder. Das Gleiche sehen wir am oberen Barito oder Murung,
wo sich die Dajak vor den am Hauptfluss sich ansiedelnden Malaien an
die Ufer der Nebenflüsse zurückgezogen haben.
Eine Eigentümlichkeit aller Bahau besteht darin, dass sich ihre
selbständigen Stämme, obgleich sie einander nicht bekriegen, doch
auch nur wenig vermischen. Heiraten zwischen Pnihing, Kajan und
Long-Glat kommen, beispielsweise, nur selten vor, noch viel seltener
sind Verbindungen zwischen Bahau und Kenja. Demnach müssen Heiraten
zwischen Gliedern von Stämmen, die verschiedenen Gruppen angehören,
wie Bahau und Ot-Danum, früher eine grosse Seltenheit gewesen sein. Man
sollte daher erwarten, dass sich das Blut der Stämme von Mittel-Borneo
sehr rein erhalten habe, aber das Gegenteil ist der Fall. Die Bahau
haben nämlich alle ihre gegenwärtigen Wohnplätze erst erobern müssen;
am Mahakam fanden sie Stämme vor, die mit den Ot-Danum vom Kahájan und
Melawie und den Siang vom oberen Barito verwandt waren. Die Bewohner
wurden teils vertrieben, teils zu Sklaven gemacht und den Häuptlingen
der Stämme zugeteilt. Diese Sklaven lebten anfangs in Familien,
getrennt von den freien Gliedern des Stammes, aber allmählich wurden
sie durch Heirat in den Stamm selbst aufgenommen, bei den Long-Glat
z.B. beinahe vollständig. Daher bestehen die Bahaustämme am Mahakam
gegenwärtig aus einer Mischung der dolichozephalen Ot-Danum mit den
ursprünglichen Bahau, die wahrscheinlich brachyzephal waren.
Ähnlich verhält es sich mit den Kajan am Mendalam.
Die Kenjastämme im Apu Kajan jedoch müssen den ursprünglichen Charakter
der Bewohner dieses Stammlandes noch sehr rein erhalten haben, und
dürften daher für künftige anthropologische Untersuchungen einen
ausgezeichneten Ausgangspunkt bilden.
Noch ein anderer Faktor zwingt uns bei der Beurteilung der Reinheit
eines Stammes zur Vorsicht und zwar folgender: in Anbetracht, dass
die Zahl seiner Glieder für die Macht und den Einfluss eines Stammes
auf die anderen von grösster Wichtigkeit ist, streben die meisten
Häuptlinge danach, diese Zahl nach Möglichkeit zu vergrössern. Vor
allem suchen sie Heiraten ihrer Stammesgenossen in fremde Stämme zu
verhindern; sobald sie sich aber stark genug dazu fühlen, wie die
Long-Glat im Anfang des 19. Jahrhunderts, bekriegen sie schwächere
Stämme und zwingen sie, mit ihnen zusammen zu wohnen und zwar als ihre
Untergebenen, nicht als Sklaven. Es leben jetzt noch unter den bereits
getrennten Long-Glat die Stämme der Ma-Tuwan, Manok-Kwe, Uma-Tepai,
Uma-Wak und Batu-Pala, die wahrscheinlich auch vom Apu Kajan gebürtig
sind. Merkwürdiger Weise haben diese oft nur 100 Individuen zählenden
Stämme sich ihre eigenen Sprachen und Sitten erhalten; Heiraten mit
den Long-Glat kommen jedoch häufig vor. So kann auch auf diesem Wege
Vermischung stattfinden.
In letzter Zeit ist in Borneo ein neues Moment entstanden, das
die scharfen Gegensätze zwischen den verschiedenen Völkergruppen
und die grosse Feindschaft, die früher zwischen ihnen herrschte,
zum Verschwinden bringt: es ist die europäische Nachfrage nach den
Buschprodukten Borneos, vor allem nach Guttapercha und Rotang. Infolge
dieser Nachfrage vereinigen sich Männer aus den entlegensten Gegenden
der Insel in Gruppen und ziehen als Buschproduktensucher überall hin,
wo diese Artikel noch zu finden sind. Diese Banden sind stark genug,
um den Widerstand einzelner Stämme, die sie nicht aufnehmen wollen, zu
brechen und sich allmählich auf freundschaftlichen Fuss mit ihnen zu
stellen. Daher erscheinen jetzt Ot-Danum und Siang, die sich früher,
wegen der feindlichen Gesinnung der Bahau, nie in das Gebiet des
Mahakam wagten, scharenweise bei ihnen und gehen nicht selten sogar
eine vorübergehende Eheverbindung mit deren Frauen ein.
Auch die Malaien der Küste haben begonnen, sich an dem Sammeln von
Buschprodukten stark zu beteiligen; in grosser Zahl ziehen die Männer
aus ihren Dörfern am Unterlauf der Flüsse nach deren Quellgebieten,
um in ihren noch unberührten Wäldern nach Rotang und Guttapercha
zu suchen. Man findet daher gegenwärtig in ganz Borneo Malaien, was
für die einheimische Bevölkerung neben einigen Vorteilen sehr grosse
Nachteile mit sich bringt.
Bei sämmtlichen Bahau und Kenja ist die Organisation der Gemeinwesen
in der Hauptsache die gleiche, was sich aus der Verwandtschaft
dieser beiden Stammgruppen sehr wohl erklären lässt. Ich beschränke
mich daher darauf, hier nur die Verfassung des Stammes der Mendalam
Kajan ausführlich zu besprechen und bei anderen Stämmen vorkommende
Abweichungen gelegentlich zu erwähnen. Es sei mir gestattet, einige
geschichtliche Bemerkungen über diese Kajan vorauszuschicken.
Der Stamm der Kajan bewohnt die Ufer des Mendalam gemeinsam mit dem der
Ma-Suling und Uma-Pagong, mit denen sie, nach ihren geschichtlichen
Überlieferungen, gemeinsame Abstammung aus dem Quellgebiet des
Kajanflusses verbindet. Eine Hauptursache der Auswanderung bildete
die zu starke Zunahme der Bevölkerung; den unmittelbaren Anstoss gab
aber ein unter den Stämmen ausgebrochener Zwist.
Die Vorfahren der eben erwähnten Bahaustämme durchzogen damals das
zwischen dem Berge Batu Tibang und der Oga-Quelle gelegene Land,
in dessen ausgedehntem Urwald sich noch heute Spuren ihrer früheren
grossen Niederlassungen finden. Von hier wanderten sie nach dem
Njangéjan, einem Nebenfluss des Batang-Rèdjang, den sie später wieder
verliessen, um nach zwei verschiedenen Richtungen auseinander zu gehen.
Der eine Teil zog an den oberen Mahakam, wo er heute noch im Tal
seines Nebenflusses, des Merasè, wohnt; der andere Teil begab sich
in das Gebiet des oberen Kapuas, wo er jetzt am Mendalam lebt. Bevor
er sich jedoch hier niederliess, bewohnte er lange Zeit das Tal des
Sibau, in welches er längs dem Batang-Rèdjang, auf dem heute noch
gebräuchlichen Wege, gelangt war. Obgleich es sicher 150 Jahre her
sind, seit die Mendalam Kajan dort wohnten, machen ihre Häuptlinge
doch jetzt noch auf diese Gebiete und besonders auf die damals
gepflanzten Fruchtbäume Ansprüche geltend. Während ihres Aufenthaltes
am Sibau trennte sich auch dieser Zweig nochmals; ein Teil blieb am
oberen Kapuas, der andere fuhr den Fluss hinunter und liess sich an
verschiedenen Orten des Hauptstromes bis unterhalb Semitau nieder. Aus
verschiedenen Ursachen nahmen seine Glieder hier aber so stark an Zahl
ab, dass ihre Häuptlinge beschlossen, zum alten Zweig am oberen Kapuas
zurückzuziehen. Sie wurden dort aufgenommen, nachdem sie sich eidlich
verpflichtet hatten, nicht wieder fortzuziehen. Als sie später trotz
ihres Eides wiederum den Kapuas abwärts auswanderten, gingen sie dort
aus unbekannten Ursachen völlig zu Grunde. Die drei überlebenden Kinder
aus der Häuptlingsfamilie wurden von dem alten Stamm wieder aufgenommen
und verbanden sich durch Heirat mit ihren früheren Stammesgenossen.
Auch dieser sesshaftere Teil der Bahaustämme wechselte seinen
Wohnplatz, sei es aus Mangel an geeignetem Boden für seine Reisfelder,
sei es, weil er an einem bestimmten Ort zu stark von Krankheiten, die
von den vielen dort hausenden Geistern ausgehen sollen, heimgesucht
wurde.
Im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erhielten die Kajan den
unerwünschten Besuch von Scharen ihrer Verwandten aus dem Gebiet
des oberen Mahakam. Diese waren damals sehr mächtig und zogen unter
Anführung zweier grosser Long-Glathäuptlinge, _Ledju_ und _Ibau_,
durch ganz Mittel-Borneo brandschatzend umher. Während aber das Haus
der Taman am Mendalam und viele andere am Kapuas von ihnen verwüstet
wurden, blieb das der Kajan am Mendalam verschont und zwar, der
Überlieferung nach, aus dem Grunde, dass Ledju, durch das Erscheinen
eines aussergewöhnlich grossen und starken Kajan, namens _Bang_,
erschreckt den Kampf einstellte. Im Friedensschluss kam man überein,
dass Tipong Aging, die Tochter des vornehmsten Kajanhäuptlings,
_Ledju_ als Gattin an den Mahakam folgen sollte.
Fährt man heute den Mendalam einige Stunden weit aufwärts, so
trifft man zuerst die Niederlassung von Tandjong Karang, bewohnt von
dem Stamm, genannt Kajan Uma-Aging; etwas weiter oben, in Tandjong
Kuda, wohnt ein anderer Teil des gleichen Kajanstammes, während noch
weiter oben am Fluss die Ma-Suling und der Stamm Uma-Pagong gemeinsam
wohnen. Der Rest des Tamanstammes, der vor der Ankunft des _Ledju_
sehr stark war, lebt jetzt teils mit den Ma-Suling und Uma-Pagong,
teils mit den Kajan in Tandjong Karang zusammen.
Die Kajan Uma-Aging haben sich erst vor wenigen Jahren infolge von
Zwistigkeiten in der Häuptlingsfamilie getrennt. Sie wohnten früher
gemeinsam in Tandjong Karang, aber neben _Seniang_, dem Manne der
_Bulan_, die eigentlich allein erbberechtigter Häuptling war, hatte
auch _Akam Igau_, der Gatte von _Seniangs_ verstorbener Schwester, viel
Einfluss und Ansehen gewonnen; die beiden Schwäger konnten sich jedoch
nicht vertragen. Als _Seniangs_ Sohn _Tigang_ einst einen heftigen
Streit herbeiführte, zog _Akam Igau_ mit einem grossen Teil der freien
Kajan und Leibeigenen an das gegenüberliegende Ufer und. baute sich
dort ein neues Tandjong Karang. Auch _Seniangs_ Familie zog später
mit dem Rest der Kajan weiter den Fluss hinauf und liess sich in dem
jetzigen Tandjong Kuda nieder. Seit ungefähr zehn Jahren wohnen diese
Häuser oder Stämme nun getrennt in kleinem Abstand von einander und
die gegenseitigen Eifersüchteleien und Zwistigkeiten haben in dieser
Zeit nicht abgenommen.
Trotz des vielen Herumschweifens haben die Kajan die ursprüngliche
Organisation ihres Gemeinwesens nicht verändert.
Ein Stamm der Kajan besteht aus folgenden Gliedern: einem Häuptling
(hipui), Freien (_panjin_) und Sklaven (_dipen)_. Während der Häuptling
stets einer bestimmten, bevorrechteten Familie angehört, setzen sich
die Freien aus lauter Familien von der gleichen Rangstufe und den
gleichen Rechten zusammen.
Die Leibeigenen sind meistens Nachkommen von Kriegsgefangenen und
Eigentum des ganzen Stammes; ihre Arbeit kommt dem Häuptling zu Gute,
der sie dafür zu unterhalten hat. Ab und zu werden Sklaven von den
nomadisierenden Jägerstämmen, die sie auf ihren Kopfjagden erbeuteten,
gekauft.
Die eingeborenen Sklaven und auch die, welche einmal das Haus ihrer
Herren betreten haben, dürfen nie mehr verkauft und auch nie auf den
Gräbern der Häuptlinge geopfert werden; zu letzterem Zweck wurden
früher die gekauften Sklaven verwendet.
Wegen Schulden oder Missetaten wird bei den Bahau nie jemand zum
Sklaven gemacht.
Das Ansehen eines Häuptlings hängt im allgemeinen von der Höhe seiner
Geburt ab. Die Häuptlingswürde ist erblich. Bei der Nachfolge wird aber
nicht nur auf das Alter der Kinder, sondern auch auf deren Befähigung
für das Häuptlingsamt Rücksicht genommen: Der Häuptling bestimmt oft
schon bei Lebzeiten den Nachfolger und ist dieser einmal erwachsen,
so spielt er häufig eine grössere Rolle als sein Vater.
Zu den physischen Gebrechen, die einen Sohn an der Nachfolge hindern,
gehören Taubheit und Blindheit. So konnte _Adjang_, der älteste Sohn
_Seniangs_, seiner Taubheit wegen, nicht Häuptling von Tandjong
Kuda werden; es erbte daher sein jüngerer Bruder, _Tigang_, die
Häuptlingswürde. Charakterfehler können die Nachfolge nicht verhindern,
sie geben aber öfters zu heftigem Widerspruch seitens der Untertanen
und nicht selten auch zu einer Spaltung des Stammes Anlass.
Die grössten Tugenden eines Häuptlings sind: Uneigennützigkeit
und Rechtschaffenheit; neben diesen werden auch Tapferkeit und
Redegewandtheit geschätzt, aber in geringerem Masse. Der Häuptling
gewinnt sich die Gunst der Seinen hauptsächlich durch Milde und
Freigebigkeit und diese Eigenschaften sind auch für alle, die mit den
Bahau in Berührung kommen, eine Grundbedingung zu einem guten Empfang.
Die Häuptlingswürde kann auch auf die Töchter übergehen, die Söhne
werden aber bevorzugt. Ist eine Frau jedoch einmal zum Häuptling
gewählt, so geniesst sie alle Ehren, die ihrer Stellung zukommen.
Der Häuptling vertritt seinen Stamm nach aussen, übt durch Auferlegung
der Strafen die richterliche Gewalt im Stamm, hat die Nutzniessung
der Leibeigenen und ist Inhaber des allgemeinen Eigentums, wie alter,
halb heiliger Erbstücke (_dawan una)_.
Nicht nur weltlichen, sondern auch geistigen Mächten gegenüber muss ein
Häuptling die Interessen der Seinen vertreten; daher leitet er alle
bei den Ackerbaufesten stattfindenden religiösen Zeremonien ein. Da
jedes Verfahren, das der Reisbau erfordert, mit einer religiösen Feier
begonnen werden muss, giebt der Häuptling das Zeichen für den Anfang
jeder neuen Periode.
Obgleich der Häuptling nicht zur eigentlichen Priesterschaft gehört,
muss er doch die Verbotsbestimmungen, gleich wie die Priester,
strenger als alle übrigen befolgen.
Ferner fallen dem Häuptling grösstenteils die Kosten der öffentlichen
Festmahlzeiten und der Sold für die Priester zur Last; auch hat er
für die Entrichtung der Bussen, die dem Stamm durch Feinde oder die
Regierung auferlegt werden, zu sorgen.
Alle innerhalb des Stammes ausgebrochenen Zwistigkeiten werden bei
den Kajan durch den eigenen Häuptling geschlichtet, sehr im Gegensatz
zu den benachbarten Stämmen der Taman-, Sibau- und Kantu Dajak, die
keine andere Autorität als die des holländischen Beamten anerkennen
und ihn daher ständig mit kleinlichen Angelegenheiten belästigen. Die
Mendalam Kajan wenden sich nur dann an den Kontrolleur, wenn Häuptlinge
untereinander in Streit geraten und eire entscheidende Macht somit
fehlt.
Erhält der Stamm Besuch von fremden Gästen, so nimmt der Häuptling
die Gastherrnpflichten auf sich, auch wenn der Besuch einen Monat
lang bleibt; sind die Gäste jedoch zu zahlreich, so werden sie unter
die verschiedenen Familien verteilt, die in der Hilfe, die ihnen
die Fremden bei ihrer Arbeit leisten, einigermassen Entschädigung
finden. Ein Besuch kann sich nämlich, durch plötzliches Eintreten
einer Verbotszeit bei Erntefesten oder beim Tode angesehener Personen,
sehr in die Länge ziehen, da Fremde in dieser Zeit das Haus nicht
verlassen dürfen.
Hat sich ein Glied eines Stammes etwas zu Schulden kommen lassen,
so wird sein Vergehen dem Häuptling vorgetragen und diesem liegt die
Rechtsprechung ob; er fällt sein Urteil jedoch nicht nach persönlicher
Überzeugung oder Willkür, sondern nach den überlieferten, dem Stamme
eigenen Gesetzen, die als Gewohnheitsrechte (_adat_) bezeichnet
werden. Da die _adat_ sehr verwickelt ist, ruft der Häuptling vor
jeder Rechtsprechung die tüchtigsten, angesehensten und ältesten
Männer der Freien, _mantri_ genannt, zusammen und berät mit ihnen
die Angelegenheit.
In gleicher Weise wie die Priester für die Erfüllung der religiösen
_adat_ zu sorgen haben, müssen die _mantri_ auf die Befolgung
der weltlichen _adat_ achten; sie bilden die ausführende Macht im
Gemeinwesen der Kajan, üben aber auch auf jeden Beschluss grossen
Einfluss aus.
Vor jeder Rechtshandlung werden nicht nur die _mantri_, sondern mit
deren Hilfe auch die betroffenen Parteien und sämmtliche Bewohner
des Hauses, Leibeigene und Frauen inbegriffen, zu einer öffentlichen
Versammlung einberufen, und jedem steht das Recht zu, sich frei zu
äussern. Derartige Versammlungen werden häufig abends oder an Tagen,
an denen schwere Arbeit oder ein Verlassen des Hauses verboten ist,
abgehalten und dauern oft eine ganze Nacht, bisweilen auch noch den
folgenden Tag.
Lässt sich ein Kajan einem anderen gegenüber Diebstahl, Ehebruch oder
Mord zu Schulden kommen, so kann sein Vergehen mit einer Busse gesühnt
werden. Körperliche Strafen, Gefängnisstrafe und vorgeschriebene
Blutrache kommen in diesem Falle nicht zur Anwendung. Den unmittelbaren
Tod heischt die _adat_ nur für Personen, die dem öffentlichen Interesse
gefährlich sind oder zu sein scheinen.
Die Bussen werden teils der geschädigten Partei, teils dem Häuptling
ausbezahlt, der bei der Auferlegung der Strafen vorsichtig zu Werke
gehen muss; denn zeigt er einen Schimmer von Habsucht, so läuft er
Gefahr, die Volksgunst zu verlieren.
Die Busse trägt den Charakter einer Schadloshaltung. Hat z.B. ein frei
herumlaufendes Schwein einen Teil eines Reisfeldes vernichtet, so steht
es dem Besitzer des Ackers frei, das Tier zu töten. Dessenungeachtet
ist er aber verpflichtet, dem Besitzer des Schweines ein anderes
Tier als Ersatz zu liefern. Der Eigentümer des Schweines wiederum
muss den auf dem Reisfelde verursachten Schaden vergüten.
Auch Mordtaten werden mit Bussen gestraft; nur wenn die Bussen nicht
bezahlt werden oder nicht auferlegt werden können, weil der Täter
entflohen ist oder einem feindlichen Stamme angehört, tritt die Rache
in den Vordergrund. Sie trifft jedoch nicht immer die schuldige Person,
sondern auch deren Stammesgenossen, wenn die Gelegenheit sich gerade
dazu bietet.
Handelt es sich um den Mord mehrerer Personen, der häufig durch
Geisteskranke geübt wird, so wissen sich die Bahau nicht anders zu
helfen, als indem sie den Mörder töten. In einzelnen Fällen, wenn der
Mord nicht vollständig ausgeführt wurde, werden dergleichen Personen
auch in kleinen Häuschen oder in gesonderten Räumen des grossen Hauses
eingesperrt und verpflegt.
Steht ein Stammesglied im Verdacht, Gift (_puli_) zu besitzen, mit
dem es Menschen tötet oder krank macht, so riskiert es, von dem einen
oder anderen niedergemacht zu werden, natürlich oft unschuldiger Weise.
Bei Ehebruch kommt es vor, dass der betrogene Ehemann die Schuldigen,
wenn er sie überrascht, tötet; er ist jedoch verpflichtet, für die
getötete Person Schadenersatz zu bezahlen. Nicht immer hat der Ehebruch
eine Scheidung der Gatten zur Folge.
Frauen, welche ausserehelich schwanger werden, und die schuldigen
Männer haben nach Anschauung der Bahau eine Missetat begangen, welche
die Geister erzürnt und dem Stamme Unglück bringt. Die Strafe, die
man ihnen auferlegt, gleicht daher einem Opfer an die Geister. Die
Long-Glat am Mahakam lassen die Schuldigen mit einem Schwein als
Opfergabe auf einem Floss mit der Strömung flussabwärts treiben. Das
Schwein ertrinkt in den Wasserfällen, während sich das schuldige Paar
durch Schwimmen rettet.
Zur Entdeckung des Schuldigen sah ich die Bahau von folgendem Mittel
Gebrauch machen: Der Bestohlene liess jeden ein Ei anrühren in der
Überzeugung, dass der Schuldige das Ei nicht zu berühren wagen würde,
aus Furcht krank zu werden.
Die Bahau schwören auf den Zahn des Königstigers; in ernsten Fällen
jedoch geschieht die Eidesleistung unter gleichzeitigem langsamem Töten
eines Hundes. Dem Tiere werden mittelst eines Schwertes Stichwunden
beigebracht und derjenige, der den Eid leistet, bestreicht sich
mit dem ausströmenden Blute. Bei Meineid wird der Schuldige, nach
dem Glauben der Bahau, später durch den Hund, d.h. durch den Geist,
der in ihm steckte, verfolgt, gebissen und getötet.
Die Vollziehung der Strafen ist für die _mantri_ keine leichte
Aufgabe, denn sie besitzen keine Zwangsmittel und im Kajanstaat
geniesst jeder die grösste Freiheit. Die _mantri_ finden aber für
die Aufrechterhaltung der Ordnung in zwei Faktoren eine wesentliche
Stütze: erstens in der Achtung der Kajan vor der öffentlichen Meinung,
zweitens in ihrer Furcht, bei Übertretung der _adat_ zur Strafe krank
zu werden, dem sog. "_takut parid_."
Dass Menschen, die ihr ganzes Leben gemeinsam in einem
Hause, in unmittelbarer Nähe von einander, verbringen, doch
ein so ausgesprochenes Gefühl der Eigenwürde und beinahe eine
Überempfindlichkeit für die Meinung ihrer Umgebung besitzen, setzt uns
in Erstaunen. Die _adat_ und die Art ihrer Handhabung ist überhaupt
nur bei einem Stamm mit derartigem Charakter denkbar.
Wird in einer öffentlichen Versammlung oder durch den Häuptling und
die _mantri_ einem Schuldigen eine Busse auferlegt, so wagt er es
nur in seltenen Fällen, sich zu widersetzen. Es kommt noch hinzu,
dass sich seine ganze Familie bei der Angelegenheit betroffen fühlt.
Nicht minder als die öffentliche Meinung trägt das "_takut parid_"
dazu bei, im Staate und in der Familie der Kajan Ordnung und Sitte
aufrecht zu erhalten. Der Aberglaube _parid_, krank, kachektisch zu
werden, sobald man dieses oder jenes Verbot übertritt, übt auf das Tun
und Lassen von alt und jung den grössten Einfluss aus. Im allgemeinen
wird bei den Kajan jemand _parid_, wenn er etwas tut oder anrührt, das
nur Älteren oder Höherstehenden zukommt. Das _takut parid_ gilt somit
nicht für sämmtliche, sondern nur für besondere Übertretungen. Kindern
ist es verboten, Gegenstände, die älteren Männern oder dem Häuptling
gehören, hauptsächlich aber Kriegswaffen, anzurühren. Junge Männer
dürfen keine Schwertgriffe aus Horn schnitzen oder eiserne Schwerter
und Speere gravieren oder Gestelle für Reiskörbe mit Rotang umflechten
oder endlich sich nicht mit den Schwanzfedern des Nashornvogels
schmücken--alle diese Dinge sind nur alten, tapferen Männern gestattet.
In bezug auf alles, was den für die Borneobewohner mystischen
Tiger (_ledjo_) betrifft, ist jeder in hohem Masse _takut parid_;
nur einige der vornehmsten Häuptlinge wagen es, den Zahn eines
Königstigers anzurühren. Als ich daher auf meiner letzten Reise
als grosses Geschenk für die obersten Häuptlinge am Mahakam einige
Tigerzähne aus Java mitnahm, hütete ich mich davor, zu verraten, in
welcher Kiste sie sich befanden, da sonst kein Kajan sie hätte tragen
wollen. Aus dem gleichen Grunde musste ich auch einen Tigerschädel
in Putus Sibau zurücklassen. Jeder fürchtete sich davor, auch nur
mit dem Staub des Tigerzahnes in Berührung zu kommen, den _Demmeni_
für den Pnihinghäuptling _Belarè_ einst feilte.
Auch in allem, was den Gottesdienst angeht, seien es Gebräuche, Verbote
oder religiöse Gegenstände, ist jeder Laie _takut parid_. Selbst die
jungen Priesterinnen können _parid_ werden und nur die ältesten,
wie _Usun_ in Tandjong Karang, wagten es, über ihre Wissenschaft
zu sprechen und religiöse Gegenstände (_barang lali_) für mich
nachzumachen.
Dass in einem Gemeinwesen, das, wie wir gesehen haben, mehr durch die
öffentliche Meinung und abergläubische Furcht als durch Gesetz und
Recht zusammengehalten wird, einzelne Individuen mit ausgesprochener
Persönlichkeit; leichter als wo anders, eine leitende Rolle zu
übernehmen im stande sind, ist selbstverständlich. Daher hat der
Häuptling auch hauptsächlich diesen einzelnen Rechnung zu tragen,
die grosse Menge folgt von selbst.
Treten jedoch aussergewöhnliche Ereignisse ein, wie z.B. meine
Expedition zum Mahakam, so fühlt sich auch eine Persönlichkeit wie
_Akam Igau_ auf unsicherem Boden; denn sobald das Gewohnheitsrecht,
keine Bestimmungen getroffen hat, ist der Häuptling seinen Untergebenen
gegenüber machtlos. Zwar wagen diese ohne des Häuptlings Hilfe nichts
zu beginnen, aber er hat kein Mittel, seine Leute zu zwingen, sich an
einem besonderen Unternehmen zu beteiligen, sondern jeder beschliesst
selbst, ob er mithält oder nicht. In Anbetracht, dass sein Ansehen zum
grossen Teil von der Wohlgesinntheit seiner Untergebenen abhängt, zieht
sich ein Häuptling, sobald es darauf ankommt, etwas Aussergewöhnliches
durchzusetzen, gern zurück und schiebt die Entscheidung am liebsten
einem anderen zu:
Der freie Kajan (_panjin_) hat dem Häuptling gegenüber keine andere
Verpflichtung, als ihm bei jedem neuen Verfahren, das der Reisbau
erfordert, einen Arbeitstag zu leisten, ferner ihm bei der Ausführung
grösserer Arbeiten, wie bei der Herstellung und beim Transport von
Böten durch den Wald, sowie beim Bau seiner Wohnung behilflich zu sein.
Wird für den ganzen Stamm ein neues Haus gebaut, so liefert jede
Familie, ausser dem Material für die eigene Wohnung, noch einen Pfahl,
einige Planken und 100 Schindeln zum Bau der Häuptlingswohnung (_amin
aja)_. Der Häuptling wiederum ist verpflichtet, mit seinen Sklaven
demjenigen zu helfen, der aus irgend einem Grunde sein Feld nicht
bebauen kann oder sonst der Unterstützung bedürftig ist.
Ein derartiges gegenseitiges Hilfeleisten ist bei den. Kajan sehr
üblich; bei jeder besonderen Ausgabe oder Unternehmung wendet man
sich um Leistung von Geld oder Arbeitskraft an die Opferwilligkeit
der Verwandten und Dorfgenossen.
Heiratet z.B. ein Kind des Häuptlings, so beteiligen sich alle
Stammesgenossen an den Festkosten; für öffentliche Festmahlzeiten
liefert jeder etwas gewöhnlichen Reis oder Klebreis; hat ein Häuptling
eine ansehnliche Busse zu bezahlen, wie _Akam Igau_, als er sich zu
bald nach dem Tode der ersten Frau. wieder verheiratete, so trägt
jeder seines. Anteil bei.
Befindet sich ein Kajan in Not, so sind in erster Linie seine
Anverwandten, in zweiter der Häuptling verpflichtet ihm zu helfen.
Nicht nur bei öffentlichen, sondern auch bei privaten Festen hat
der Häuptling eine besondere Rolle zu erfüllen: die Kinder, die zu
Neujahr einen Namen erhalten, werden ihm zugetragen, damit er sie mit
Wasser besprenge; will ein junger Mann in eine andere Niederlassung
hineinheiraten, so muss ihm der Häuptling hierzu seine Bewilligung
erteilen und der neue Häuptling erhält ein Geschenk; sind keine
Angehörigen vorhanden, so fällt dem Häuptling die Vormundschaft und
die Vermögensverwaltung der Waisen bis zu deren Volljährigkeit zu.
Was die Verpflichtungen der Leibeigenen (_dipen_) gegenüber dem
Häuptling betrifft, so liegt ihnen, wie erwähnt, alle Arbeit in Wald,
Feld und Haus ob. Oft tritt auch Arbeitsteilung ein, so dass Männer
und Frauen ohne kleine Kinder mehr ausserhalb des Hauses arbeiten,
die anderen dagegen das Reisstampfen, Kochen, Reinigen der Wohnung
und dergleichen übernehmen. Die Sklaven arbeiten unter Aufsicht
der Häuptlingsfamilie oder unter der bestimmter, von dem Häuptling
erwählter Personen. Das Verhältnis von Herr und Knecht ist jedoch
derart, dass man lange unter den Kajan gelebt haben muss, um zu wissen,
wer eigentlich Leibeigener ist.
Besonders fähige Sklaven schickt der Häuptling oft für Monate auf
Reisen, um unter verwandten Stämmen am Mahakam oder Batang-Rèdjang
Handel zu treiben. Da den Sklaven hierbei ein Teil des Gewinnstes
zufällt, bringen sie es oft zu grösserer Wohlhabenheit als die
freien Kajan.
Die Leibeigenen dürfen ausserdem noch für ihren unmittelbaren Vorteil
arbeiten; früher scheint der Häuptling regelmässig einen bestimmten
Prozentsatz ihres Gewinnes für sich beansprucht zu haben, gegenwärtig
macht _Akam Igau_ nur selten von diesem Recht Gebrauch. Anders verhält
es sich in Tandjong Kuda, wo der Häuptling arm ist.
Für 100 Dollar kann sich ein Leibeigener am Mendalam loskaufen;
ich habe aber nie von einem solchen Fall gehört. Ebenso ungewöhnlich
sind Fluchtversuche Leibeigener aus Unzufriedenheit über ihr Los. Die
meisten der gegenwärtigen Sklaven sind im Stamme geboren und können
sich nirgends anders niederlassen, wenn ein anderer Häuptling sie
nicht unter seinen Schutz nimmt.
Wie die freien Kajan, haben auch die Leibeigenen mannigfach
Gelegenheit, sich durch persönliche Eigenschaften eine einflussreiche
Stellung zu verschaffen; sie können sogar in die Priesterschaft
aufgenommen werden und sich durch ihr Amt ein bedeutendes Einkommen
erwerben; auch können sie es im Kriege bis zum Anführer bringen.
In der Häuptlingswohnung essen die Leibeigenen gesondert, auch schlafen
sie in besonderen Abteilungen.
Die Sklaven heiraten meist unter einander, aber eine Verbindung mit
freien Kajan gehört nicht zu den Seltenheiten. Die Freien übernehmen
durch eine Heirat mit Sklaven deren Verpflichtungen, sie "heiraten in
die grosse Wohnung" = "_ngahawa halam amin aja_," wie der offizielle
Ausdruck lautet. In Wirklichkeit aber zieht das junge Paar nur selten
in die Häuptlingswohnung, meist erhält es eine selbständige Wohnung
im grossen Hause.
Erfolgt Scheidung, so tritt der Freie in seinen früheren Stand zurück
und die Kinder folgen teils dem Vater teils der Mutter; eine besondere
Bestimmung hierüber habe ich nicht ausfindig machen können.
Als allgemeines Eigentum des Stammes dürfen die Sklaven nie verkauft,
bei Erbschaft verteilt oder bei der Heirat eines Häuptlings von ihm
in eine andere Niederlassung mitgeführt werden. Den Sklaven wird nur
selten gestattet, in ein anderes Dorf zu heiraten.
Man sollte nicht erwarten, dass in einem Staate, in welchem, dank
seiner freien Organisation, der niederste Sklave durch persönliche
Eigenschaften zu Einfuss und Ansehen gelangen kann, das Gefühl für
Standesunterschiede sehr ausgeprägt ist--und doch ist dies bei den
Kajan in hohem Masse der Fall. Sie unterscheiden in ihrem Gemeinwesen
nicht nur Häuptlinge, Freie und Sklaven, sondern zwischen diesen noch
verschiedene Übergangsstufen und zwar in der Art, dass eine bestimmte
Stellung ihren Familien zwar rechtlich, aber nicht gesellschaftlich,
zukommt. Dem Häuptling wird z.B. nachgerechnet, ob unter seinen
Vorfahren Freie vorkommen und wie viele, ob Fremde oder nur Glieder
verwandter Stämme in seine Familie hineingeheiratet haben; von allen
diesen Verhältnissen ist sein Ansehen abhängig. Unter den _panjin_
wiederum giebt es Familien, die seit alters zum Stamme gehören, in
die womöglich Glieder der Häuptlingsfamilie durch Heirat aufgenommen
worden sind, die sich nicht mit Fremden oder Sklaven vermischten
und die überdies reich sind; man nennt sie _Panjin saju_ = schöne
Freie. Ihre ältesten Glieder üben einen besonderen Einfluss im
Staate. Dagegen giebt es andere _panjin_, denen alle diese günstigen
Umstände fehlen und die daher eine viel tiefere gesellschaftliche
Stufe einnehmen. Sind diese Familien lange arm gewesen oder haben sie
öfters Sklaven oder Glieder fremder Stämme durch Heirat aufgenommen,
so geniessen sie unter ihren Dorfgenossen oft viel weniger Ansehen
als wohlhabende Sklavenfamilien, die kluge und einflussreiche Glieder
zu den Ihrigen zählen.
Die Kajan dichten ihren Häuptlingen gern eine besonders hohe Herkunft
an, so lassen sie _Akam Igau_, dessen Vater vom Mahakam gebürtig war,
von den guten Geistern des Apu Lagan abstammen. Die Legende lautet
folgendermassen
In alten Zeiten feierte das Haus der Uma-Aging am oberen Kajan
einst das Saatfest (_tugal_). Nachdem der Häuptling _Ledjo Aging_
mit den Priesterinnen auf dem heiligen Reisfelde (_luma lali_)
alle Zeremonien ausgeführt und einen _pelale_ (Opfergerüst mit
Opferspeisen) errichtet hatte, bemerkte er beim Nachhausekommen,
dass er sein Messer, das er bei der Arbeit gebraucht hatte, auf dem
Opferplatze hatte liegen lassen. Als _Ledjo_ allein auf das Feld
zurückkehrte, fand er dort zu seinem Erstaunen eine Schar weiblicher
Geister aus dem _Apu Lagan_ (Aufenthaltsort der guten Geister), die die
Aufforderungen der Priesterinnen er hört hatten und sich an den auf
dem _pelale_ niedergelegten Opferspeisen gütlich taten. Bei _Ledjos_
Kommen entflohen die Jungfrauen bis auf eine, die mit ihrem langen,
prachtvollen Haar am Opfergerüst hängen blieb und so dem Häuptling
in die Hände fiel. _Ledjo_ nahm das schöne Mädchen mit der heller
Hautfarbe nach Hause und überredete es, als seine Gattin bei ihm zu
bleiben. In damaliger Zeit war es aber im Kajanlande immer hell, daher
schämte sich Jungfrau _Mang_ vor innigeren Beziehungen und stieg zu
ihrem Himmel hinauf, um von dort den Schutz des nächtlichen Dunkels
in ihre neue irdische Heimat herniederzubringen. _Mang_ brachte die
Finsternis in einem _samit_ (Palmblattsack) mit, den sie, zu Hause
angekommen, im Gemache niederlegte, worauf sie sich nach der langen
Reise etwas Erholung und Erfrischung gönnte. Ein neugieriges Kind,
das wissen wollte, was sich in dem Sacke befand, schnitt ein Loch
hinein; da entfloh die Finsternis und breitete sich zum Schrecken
des Stammes über das ganze Land aus. Die Kajan wussten in ihrer Angst
nicht, was sie beginnen sollten und entwarfen allerhand Pläne, um dem
Unglück zu wehren, als die Hähne zu krähen anfingen und es wieder
Licht wurde. Seit der Zeit kehren Nacht und Tag regelmässig zu den
Menschen zurück.
Nun war _Mangs_ Eheglück vollkommen und bald darauf wurde sie
schwanger. Als sie nach etlichen Monaten mit vielen anderen ihres
Stammes auf einer Geröllbank mit Fischen beschäftigt war, fühlte sie,
dass ihre Stunde gekommen sei. Sie zog sich daher zurück und hockte
in der Ferne nieder, um ihr Kind zur Welt zu bringen. _Ledjo_ und
die Seinen dachten aber, dass sie nur einem Bedürfnis nachkommen
wolle; denn bis dahin war es bei den Kajan üblich gewesen, wenn
ein Kind geboren werden sollte, der schwangeren Frau den Leib
aufzuschneiden. Von Mang lernten die Kajan nun ein besseres Verfahren;
denn bald brachte sie ihrem Gatten ein Töchterchen, _Do Neha_ (_neha_
= Geröllbank).
Als _Do Neha_ erwachsen war, konnte Mang ihre Sehnsucht nicht länger
bezwingen und kehrte zum _Apu Lagan_ zurück. Ihre Tochter vermählte
sich mit _Tigang Aging_, dem sie einen Sohn, _Batang Huwang_,
schenkte. Bald nach der Geburt schnitt sich die junge Mutter, um ihr
Söhnchen zu trocknen, einen Teil ihres langen Haares ab. Kaum hatte
sie diese weggeworfen, als sie aus ihren Haaren so stark zu bluten
begann, dass sie starb. Seither dürfen die Häuptlinge von dem Stamme
Aging ihre Haare nicht schneiden lassen.
Da das Kind den Tod der Mutter veranlasst hatte, brachten es die
Dorfbewohner in den Wald, um es dort umkommen zu lassen. Niemand wagte
das Kind aufzunehmen. Endlich kam eine gute Frau, die das Kind aufhob
und mit ihm an den Fluss Kaso zog. Dort liess sich _Batang Huwang_,
der keine Lust mehr verspürte, nach seinem Stamm zurückzukehren,
nieder. Seine Nachkommen blieben ebenfalls im Mahakamgebiet wohnen,
nur _Akam Igaus_ Vater zog an den Mendalam und heiratete in den Stamm
der Ma-Aging (= Uma-Aging).
Durch diese Erzählung erhält _Akam Igau_ eine Abstammung von
den Himmelsgeistern und wird gleichzeitig zu einem Glied der
Häuptlingsfamilie der Uma-Aging gemacht.
KAPITEL IV.
Lebenslauf eines Bahau bzw. eines Kajan--Geburt--Behandlung
des Neugeborenen--Kindertragbrett (_hawat_)--Verpflegung
des Kindes--Erste Namengebung--Zweite
Namengebung--Namenänderungen--Das Kind bis zur Pubertät--Junge
Männer und Mädchen--Tätowierung--_utang_--Künstliche
Verunstaltungen--Beschäftigungen und Verkehr der
jungen Leute--Mahlzeiten--Beirat--Stellung von Mann und
Frau--Erbschaft--Tod--Trauer--Kopfjagden.
Bevor ein junger Kajan das Licht der Welt erblickt, haben sich
seine künftigen Eltern zahlreichen Vorschriften der _adat_ zu
unterwerfen. Die Mutter darf keine Tiere töten und keine zu jungen
Fische essen. Auch einige ausgewachsene Fische, das Fleisch des
Schuppentieres (Manis javanica) und verschiedene Arten von Früchten
und Gemüsen sind ihr verboten. Ferner muss sie sich hüten, während
des Regens zu schlafen, geschieht dies doch, so wird sie geweckt.
Der Gatte darf vor und nach der Entbindung seiner Frau nicht auf die
Jagd gehen, keine Pfähle einrammen und keine jungen Fische essen. Um
die Geburt zu erleichtern, legt ein sorgsamer Ehemann während der
Schwangerschaft seiner Frau seine Schnitzarbeit in Hirschhorn bei
Seite; auch reisst er keinen Kattun, um sich ein Kleidungsstück
herzustellen.
In der ersten Zeit ihrer Schwangerschaft geht die Kajanfrau ihrer
gewohnten Arbeit im Hause und auf dem Felde nach. Sobald ihre
Körperform im dritten oder vierten Monat auffallend wird, bedeckt sie
zuerst den Leib und dann auch die Brust mit einem Tuche (_djat butit_).
Bei der Entbindung dürfen nur Frauen zugegen sein. Die Männer werden
schon beim Beginn der Wehen aus dem Gemache entfernt und mit ihnen
auch alle eisernen und schneidenden Gegenstände--wahrscheinlich um
die Kindesseele nicht zu erschrecken. Die Mutter gebiert in hockender
Stellung. Ist das Kind zur Welt gekommen, so schneidet ihm eine der
Hilfe leistenden Alten mit einem Schwerte den Nabelstrang durch,
nachdem er in einer Entfermung von 4 cm vom Kinde unterbunden worden
ist. Dieses Schwert, das nie verkauft werden darf, wird als altes
Familienstück pietätvoll bewahrt. Die Nachgeburt wird in den Wald
geworfen und dort in der Regel von Schweinen und Hunden aufgefressen.
Da die Kajanfrauen alle gut gebaut sind und Rhachitis nicht vorkommt,
verläuft eine Entbindung gewöhnlich normal. Die Geburtshelferinnen
sind auch nicht im stande, bei anormaler Kindeslage öder bei Blutungen
Hilfe zu leisten; nur das Reiben des Leibes ist gebräuchlich. Als
grosse Merkwürdigkeit wurde mir erzählt, dass eine Frau aus Pagong
einst den prolabierten Uterus einer Wöchnerin mit gutem Erfolge
zurückgestülpt hatte.
Einige bei den Kajan verbreitete Krankheiten, gonorrhoeische
Endometritides und Lises, können jedoch dem Verlauf der Geburt eine
ernste Wendung geben. Hilft sich die Natur nicht selbst, so hat jede
Abweichung Tod oder schweres Leiden zur Folge. Berücksichtigt man,
dass die Kajan den bei der Geburt sterbenden Frauen kein ehrenvolles
Begräbniss und glückliches Leben im Jenseits zugestehen, so ist
die Angst, mit welcher diese ihrer Entbindung entgegensehen,
begreiflich. (Näheres f. Kap.).
Tot- und Frühgeburten sind so häufig, dass die Frauen nicht wissen,
wie lange eine normale Schwangerschaft eigentlich dauert. Nach dem
siebente und achten Monat sah ich besonders viele unausgetragenen
Kinder zur Welt kommen. Abortus ist ebenfalls eine häufige Erscheinung,
aber nur als Folge von Krankheit. Für künstliche Fruchtabtreibung
besitzen die Kajan und, wie es scheint, auch die übrigen Dajak,
im Gegensatz zu den Malaien, absolut kein Mittel.
Wenn die Mutter bei der Geburt stirbt oder schwer erkrankt oder böse
Träume die Eltern erschrecken, setzt der Vater das Kind im Walde
aus; es wird aber häufig von anderen Kajan oder Malaien aufgenommen
und erzogen.
Unmittelbar nachdem das Kind gewaschen ist, werden seine Ohrläppchen
von einer alten Frau mittelst scharf zugespitzter Bambusstäbchen
durchstochen. Die Hölzchen bleiben bis zur Heilung der Wunde in der
Öffnung, werden dann aber durch einen Zinnring, dessen Schwere das
junge Gewebe ausrecken soll, ersetzt. Je grösser die Öffnung wird,
desto mehr Ringe werden angebracht, so dass fünf- bis sechsmonatliche
Kinder bereits 200 g Zinn an jedem Ohre tragen. Um ein Durchreissen der
Ohrläppchen zu verhindern, ist den Müttern in der ersten Zeit verboten,
Fische zu essen, die mit einem Angelhaken gefangen worden sind.
Weitere Verbildungen werden mit den Neugeborenen nicht vorgenommen.
Gleich nach der Geburt erhält das Kind ein Armband (_leku lali =_
geweihtes Armband) aus _bua djele_, den hellbraunen und schwarzen
Früchten von Coix-Arten, welche auf die bösen Geister abschreckend
wirken sollen. Beim Abfallen des Nabelstranges wird dieses Armband
durch ein zweites ersetzt und dieses wiederum nach Ablauf eines
Monats bei der ersten Namengebung durch ein drittes. Die abgelegten
Armbänder des Kindes werden von der Mutter bis zur ersten und zweiten
Namengebung an einer Halskette getragen, nach Schluss der betreffenden
Verbotszeiten aber in einem Säckchen aus Kattun an das Kindertragbrett
gebunden (pag. 72).
Die Kinder werden nicht gewickelt, sondern liegen völlig nackt auf
einer mit Tüchern oder einer kleinen Matratze bedeckten Matte. Ein
langes schmales Tuch, dessen Enden über einem Balken geknüpft werden,
dient als Wiege, indem man das Kind in dem Bausch, welchen das Tuch
bildet, schlafen legt.
Zum Herumtragen der Kinder besitzen die Kajan die sehr praktische
_hawat_, die am Mendalam aus einem Liegebrett in Form eines beinahe
völlig aufgeschlagenen Buches und eines senkrecht dazu angebrachten
Sitzbrettes besteht. Solange das Kind sehr klein ist, trägt es die
Mutter mittelst zweier um die Schultern gehängter Schnüre liegend vor
sich auf der _hawat;_ ist das Kind grösser, so trägt es die Mutter
sitzend auf dem Rücken. Als weiche Unterlage für das Kind werden auf
den Boden der _hawat_ einige Tücher gelegt.
In Anbetracht, dass das Kind einen grossen Teil des ersten Lebensjahres
auf der _hawat_ verbringt, nehmen die Bahau an, dass auch dessen
Seele (_bruwa_) mit dem Tragbrett eng verbunden ist und dieses ötters
als Aufenthaltsort wählt. Um nun eine ständige Verbindung mit dem
Kinde und dessen Seele zu unterhalten, versäumen die Mütter niemals,
ihre Kleinen morgens und abends in innige Berührung mit der _hawat_
zu bringen. Sie tun dies, indem sie einen Finger des Kindes in eine
Schlinge aus Lianenfasern, welche an der _hawat_ befestigt ist,
stecken, ihn hin- und herbewegen und einige Worte dazu murmeln. Die
Kindesseele wird durch diese Handlung aufgefordert, in ihren
eigentlichen Wohnsitz zurückzukehren; eine längere Abwesenheit oder
ein gänzliches Fortbleiben der Seele hat nämlich Krankheit bzw. Tod
des Kindes zur Folge. Der Vorgang wird mit _njina_ bezeichnet. An
jeder _hawat_ hängen drei bis vier derartiger Schlingen und zwar
sind sie alle an Häkchen aus dem Holz von Fruchtbäumen befestigt,
für die die Seelen und Geister eine grosse Vorliebe haben sollen.
Verschiedene andere Gegenstände, welche ebenfalls an der _hawat_
angebracht werden, haben den Zweck, die guten Geister für das Kind
günstig zu stimmen und die bösen zu vertreiben.
Wie an der _hawat_ auf nebenstehender Tafel zu sehen, hängt an ihrer
Aussenseite eine Schnur mit vielen, kleinen, runden Päckchen; sie
werden _kawit_ (Kap. VI) genannt und enthalten allerhand Esswaren zur
Anlockung der guten Geister. Bei jeder wichtigen religiösen Zeremonie,
die im Laufe des Jahres stattfindet, wird ein derartiges Opferpäckchen
an der _hawat_ befestigt und hängen gelassen.
Neben diesen _kawit_ befinden sich fünf verschiedene Schalen von
Schnecken und Seetieren, die alle an Schnüren mit Perlenverzierungen
hängen und ein beliebtes Mittel zur Vertreibung böser Geister
bilden. Dem gleichen Zweck dient auch ein Bündel _blehiding_, der
Bast einer beim Verbrennen entsetzlich riechenden Anonacee.
Die zwei in der Mitte an der _hawat_ hängenden Läppchen stellen die
ersten Kleidungsstücke des Kindes vor.
An der zweiten, über der ersten hängenden Schnur sind, als Lockmittel
sowohl für die Seele des Kindes als für die guten Geister, an
Perlenschnüren zwei aus Muschelschalen geschliffene Knöpfe und ein
europäischer weisser Porzellanknopf befestigt, ausserdem eine Reihe
kleiner Geschenke (_usut)_, bestehend aus kleinen Schnüren aus
Lianenfasern mit Perlen von verschiedenem Werte; letztere sollen
besonders zur Beruhigung der Kindesseele dienen.
An der gleichen Schnur hängen ferner: ein Hundezahn zur Abwehr böser
Geister; das erste Armband des Kindes und zwei aus Pandanusblättern
(_tika_) geflochtene Streifchen (pag. 74).
Endlich werden an die _hawat_ auch noch die vorhin erwähnten geweihten
Armbänder des Kindes und die Halsketten, welche die Mutter nach Ablauf
der Verbotszeiten, gelegentlich der ersten und zweiten Namengebung,
ablegt, gebunden.
Die Kajan freuen sich über die Geburt von Mädchen mehr als über die
von Knaben; denn diese verlassen die Eltern, wenn sie heiraten oder
weite Reisen unternehmen, jene dagegen helfen häufig während ihres
ganzen Lebens bei der Arbeit und bringen ausserdem einen Schwiegersohn
ins Haus.
Die Neugeborenen werden in den ersten Monaten ausschliesslich mit
Muttermilch genährt; kann die Mutter diese nicht geben, so hilft eine
andere Frau. Aus Gesundheitsrücksichten ist der Stillenden nur weich
gekochter Reis als Nahrung erlaubt; scharfe Speisen darf sie nicht
geniessen und im ersten Jahr auch nicht rauchen oder Betel kauen.
Die ersten zehn Tage ist der Wöchnerin jede Arbeit verboten; dann
beginnt sie sich innerhalb des Hauses mit dem Haushalt und der Pflege
des Kleinen zu beschäftigen.
Wöchnerin und Kind werden in den ersten Tagen zum Schutz gegen
Krankheit mit dem Russ von Damaraharz eingerieben. Ausserdem darf,
solange der Nabelstrang noch nicht abgefallen ist, ausser den
Hausbewohnern niemand das Gemach betreten, da das Kind sonst krank
werden könnte; als Warnungszeichen hängen zwei gekreuzte Holzstückchen
vor der Tür. Der abgefallene Nabelstrang wird sorgfältig in ein
Tuch gewickelt und in einem Bambusbehälter aufbewahrt; er bildet
mit den Gerätschaften, die zum Durchstechen der Ohrläppchen und
Durchschneiden der Nabelschnur dienten, den Grundbestandteil des
_legén_, einer Sammlung aller Gegenstände, die im Leben des Kajan eine
Rolle gespielt haben. Das _legén_ wird nach dem Tode des Besitzers
unter dem Wohnungsdache verborgen und als _lalí_ (geweiht) seinem
Schicksal überlassen. (Siehe Kap. VI).
In den ersten Monaten dürfen die neugeborenen Kinder nicht aus dem
Hause gebracht oder im Fluss gebadet werden, eine Sitte, die für die
unbekleideten Wichte nur zuträglich sein kann.
Vor Ablauf des ersten Jahres geht die Mutter nicht aufs
Reisfeld; während dieser Zeit setzt sie das Stillen fort, bis die
Milchabscheidung von selbst oder infolge einer neuen Schwangerschaft
aufhört. Im dritten oder vierten Monat beginnt die Mutter dem Kinde
etwas Bananen und dann weich gekochten Reis zu essen zu geben.
Die Mutter muss sich, hauptsächlich während des ersten Monats,
solange das Kind noch keinen Namen erhalten hat, einer langen Reihe
von Verbotsbestimmungen unterwerfen, welche sich vor allem auf Essen
und Trinken, Arbeiten u.s.w. beziehen. Auch dürfen Mutter und Kind
keinen Putz und besonders nichts Rotes tragen. Für die Ausstattung
der Kleinen wird vorzugsweise gebrauchtes Material benutzt, selbst
die hängende Decke aus Palmblättern über dem Schlafplatz muss bereits
gedient haben. Weiter verlangt die _adat_, dass bei jeder Mahlzeit dem
Kinde etwas Speise auf dem _uwit lali_ (geweihten Teller) gespendet
werde; auch muss die Mutter sich nach dem Essen stets für kurze
Zeit entfernen.
Auch die Väter haben nach der Geburt ihres Kindes verschiedene
Vorschriften zu befolgen, sie dürfen sich in der ersten Zeit z.B. nicht
weit vom Hause entfernen.
Um ihr Kind vor bösen Geistern zu schützen, trägt die Mutter
verschiedene Amulette: um den Kopf ein schlichtes Band aus den Blättern
einer Pandanusart, an denen _long_, Stückchen des Wurzelstockes
von _daun long_ (Aroïdeae spec.) befestigt sind; letztere Pflanze
gilt als sicherstes Schreckmittel gegen böse Geister. Um den Hals
trägt sie eine Kette aus den Früchten von drei Pflanzen (Coix-Arten)
und aus verschiedenen Muschelarten. Begiebt sich die Mutter mit dem
Kinde auf die Galerie oder in den folgenden Monaten ausserhalb des
Hauses, so nimmt sie stets ein brennendes Bündel _plehiding_ mit,
dessen unangenehmer Geruch die bösen Geister in die Flucht schlägt.
Nach Ablauf des ersten Monats findet die erste Namengebung des
Kindes statt; sie ist nur provisorisch, denn den eigentlichen Namen
erhält das Kind erst bei dem nächsten _dangei_ (Neujahrsfeste). Ein
namenloses Kind heisst _hapang;_ stirbt es, so wird ihm nicht
öffentlich nachgetrauert.
Mit der ersten Namengebung endet die erste, strengste Verbotszeit;
die Mutter darf jetzt ihre früheren Tätigkeiten, wie z.B. das
Mattenflechten, wieder aufnehmen; als symbolisches Zeichen hierfür
flicht sie einen Streifen, der an die _hawat_ gebunden wird.
Man findet bei allen Stämmen von Mittel-Borneo die Eigentümlichkeit,
dass sie Fremde nur mit Angst in die Nähe kleiner Kinder kommen sehen;
bei den Punan darf niemand, der die Sprache des Stammes nicht kennt,
ein Kind anrühren, da dieses sonst dumm werden muss. Bei den Kajan
bringt jeder Fremde bei seinem ersten Eintritt in eine Wohnung, in der
sich ein kleines Kind befindet, ein Geschenk (_usut_) von Perlen oder
etwas Zeug mit; augenscheinlich liegt dieser Sitte die Überzeugung
zu Grunde, dass die Seele des Kindes, die durch die neue Erscheinung
erschreckt worden ist, durch etwas Schönes wiederum beruhigt werden
muss; geschieht dies nicht, so entflieht die Seele und das Kind
wird krank.
Bei der zweiten Namengebung wird den Geistern durch die Priester ein
Opfer von Schweinen und Hühnern gebracht; das Fleisch der Tiere wird
bei fröhlichem Festmahl mit Freunden und Bekannten verzehrt. Darauf
bringt man den jungen Weltbürger in die Wohnung des Häuptlings. Die
sehr schlicht gekleidete Mutter trägt auf dem Kopfe einen schmucklosen
und mit _kawit_ versehenen Hut, _haung lali_ (geweihter Hut); in der
Hand hält sie eine Bambusklapper und ein Bambusgefäss mit Wasser,
in dem von dem Häuptling die Füsse des Kindes gebadet werden. Das
Kind erhält hierbei den Namen, mit dem es weiter genannt werden soll.
Bei der Wahl der Namen vermeidet man diejenigen kürzlich verstorbener
Familienglieder, wahrscheinlich um deren Seelen nicht zu beunruhigen
und auf das Kind abzulenken, was diesem schaden könnte. Gewöhnlich
nennt man das Kind nach sehr alten oder bereits vor langer Zeit
verstorbenen Verwandten.
Leidet ein Kind öfters an Krankheit, so verändert man seinen Namen,
sobald es ihm wieder besser geht, um die bösen Geister, die es so
häufig besuchen und dadurch krank machen, irre zu leiten.
Einige allgemeine Bemerkungen über Namengebung und Namenänderung bei
den Bahau mögen hier eingeflochten werden.
Familiennamen existieren bei den Bahau nicht. Will man eine bestimmte
Person bezeichnen, so fügt man ihrem eigenen Namen denjenigen von
Vater oder Mutter bei; eine besondere Bestimmung hierüber ist mir nicht
bekannt. Tipong Igau z.B. bedeutet: Tipong, die Tochter des Igau (Name
des Vaters); Adjang Song bedeutet: Adjang, der Sohn der Song (Name der
Mutter). Die Kinder behalten die Namen der Eltern auch nach deren Tode.
Wird bei den Bahau ein Mann Vater eines Sohnes, der Bang oder einer
Tochter, die Kehad genannt wird, so verliert er meistens seinen eigenen
Namen und man bezeichnet ihn fortan als: Vater des Bang bzw. Vater
der Kehad. Bei den Mendalam Kajan z.B.: Amei (Vater) Bang oder Amei
Kehad. Die Mutter wird dementsprechend Inei (Mutter) Bang bzw. Inei
Kehad genannt. Bei den Pnihing heissen die Eltern in diesem Fall:
Amun (Vater) Bang bzw. Kehad und Hinan (Mutter) Bang bzw. Kehad;
am Mahakam in der Busang Sprache: Taman (Vater) Bang bzw. Kehad.
Sobald jedoch das erstgeborene Kind stirbt, nehmen die Eltern wieder
ihren früheren Namen an; so wurde der Kenjahäuptling Taman Kuling (=
Vater der Kuling) nach dem Tode seiner Tochter Kuling wieder Djalong
genannt und zwar mit dem Beinamen "Bui", der die gleiche Bedeutung wie
"Ujung" (siehe unten) bei den Mendalam Kajan hat.
Gewisse Familienereignisse werden bei den Bahau durch bestimmte
Beiworte, welche den Eigennamen der Personen vorangesetzt werden,
angedeutet. Bei den Mendalam Kajan sind die folgenden gebräuchlich:
Balo, wenn der Mann gestorben ist, z.B. Balo Paja = Wittwe Paja;
Hawal, wenn die Frau gestorben ist, z.B. Hawal Igau = Wittwer Igau;
Akam, wenn ein kleines Kind gestorben ist, z.B. Akam Igau; Ujung,
wenn ein fast erwachsenes Kind gestorben ist, z.B. Ujung Igau; Hiat,
wenn ein jüngerer Bruder oder eine jüngere Schwester gestorben ist,
z.B. Hiat Bang; Abel, wenn ein älterer Bruder oder eine ältere
Schwester gestorben ist, z.B. Abel Imu.
Für die gleichen Familienverhältnisse findet man bei den verschiedenen
Stämmen verschiedene Bezeichnungen.
Sobald Männer und Frauen alt und grau werden, erhalten sie vor ihrem
eigentlichen Namen die Bezeichnung "Bo", z.B. Bo Belarè, Bo Uniang.
Eigentümlicher Weise erhalten besonders vornehme Häuptlinge nach ihrem
Tode ganz andere Namen, als sie zu Lebzeiten getragen. Man bezeichnet
diese Namenänderungen mit "_gelön_". So nannte man am Mahakam den
Long-Glathäuptling Ding nach seinem Tode Bo Kulè und seinen Sohn Ngau
nach dem Tode Bo Langit. Die Kajan am Mahakam sprechen jetzt von dem
Häuptling Kwing Irang, unter dessen Anführung sie vor 150 Jahren an
den Mahakam zogen, stets nur als von Singa Melön.
Nach der zweiten Namengebung dürfen die Kinder schön gekleidet
werden, auch geniessen sie bis zur Pubertät das Vorrecht, den
zahlreichen Verbotsbestimmungen, welche für Erwachsene bestehen,
nicht unterworfen zu sein. Sie dürfen z.B. Hirsche, graue Affen,
Schlangen und Nashornvögel essen; auch werden ihnen bei religiösen
Festen keine Beschränkungen auferlegt. Sie brauchen sich auch nicht
die Wimpern und Augenbrauen zur Verschönerung ausziehen zu lassen,
kurz, sie geniessen in jeder Beziehung einer grossen Freiheit.
Vater und Mutter widmen sich der Erziehung ihrer Kinder mit viel
Liebe. Sobald die Sprösslinge einmal zur Welt gekommen sind, machen
sie sich zum Mittelpunkt des ganzen Kajanhaushaltes. Die elterliche
Zuneigung wird von den Kindern übrigens erwidert und es ist auffallend,
wie selten sie zu Züchtigungen Anlass geben; man hört sie eigentlich
nur bei Krankheit schreien. Treibt die Jugend es gar zu arg, so halten
die Eltern eine Bestrafung der Schuldigen mit ein paar Schlägen oder
einer Strafrede wohl auch für angebracht. In einigen Fällen, die
ich miterlebte, kam es jedoch nicht bis zum Weinen; die Wirkung der
Strafe zeigte sich nur in einem etwas erschreckten Gesichtsausdruck
der Kleinen.
Schon die 1 1/2-2 jährigen Kinder gehen, wenn sie im Freien spielen,
gewöhnlich bekleidet umher: die Knaben tragen das Lendentuch, die
Mädchen das Röckchen; die meisten halten jedoch Kleidungsstücke
fair unnützen Ballast und ziehen im Hause und nach dem Bade Adams
Kostüm vor.
Die Hauptbeschäftigung der Knaben bilden Spiele im Freien und im
Wasser; Ringkampf, Wettlauf und Schwimmen sind am beliebtesten;
den Kampf in zwei Parteien üben sie nur in der Art, dass sie sich
gegenseitig mit Lanzen aus Grashalmen bewerfen. Dem Kreiselspiel,
Blasrohrschiessen und ähnlichen Vergnügungen widmen sich die Knaben,
im Gegensatz zu den erwachsenen Männern, auch ausserhalb der Zeit der
Ackerbaufeste. Ein beliebtes Spiel ist auch das Zielen mit platten
Flusssteinen nach Erdgruben.
Bei keinem dieser Spiele macht sich Ehrgeiz oder Neid geltend;
die Knaben spielen um zu spielen, nicht um als Sieger aus dem Spiel
hervorzugehen.
In den ersten Jahren spielen Knaben und Mädchen zusammen; später
unterhalten sich die Mädchen mehr innerhalb des Hauses, wo sie schon
früh der Mutter an die Hand gehen. Puppen scheinen nur zum Stillhalten
sehr kleiner Kinder benutzt zu werden.
Weder Knaben noch Mädchen erhalten einen systematischen Unterricht in
irgend einem Fache. Während diese allmählich den Haushalt besorgen
lernen, ziehen jene vom zehnten Lebensjahr an mit aufs Feld, helfen
beim Bau von Böten, beim Fischen und bei allen sonstigen Arbeiten,
mit denen sich die Männer beschäftigen.
Je nach ihrer eigenen Anlage und nach der Haupttätigkeit ihrer Eltern,
beginnen die Kinder in der einen oder anderen Richtung allmählich
eine gewisse Fertigkeit zu erlangen.
Da bei den Kajan keine erblichen Berufe bestehen, kann sich jeder
nach eigener Wahl ausbilden, wenn nicht besondere Umstände, wie
Krankheit, gezwungene Arbeit zum Unterhalt der Familie u.s.w., ein
Hindernis bilden.
Die Pubertät tritt bei den Mädchen ungefähr mit zwölf Jahren, bei den
Knaben etwas später ein und bringt in ihre Lebensverhältnisse wichtige
Veränderungen. Vor allem sind sie nun den Vorschriften, welche die
_adat_ den Erwachsenen auferlegt, hauptsächlich Verbotsbestimmungen
bezüglich des Essens verschiedener Speisen, unterworfen. Ferner
beginnen sie sich in diesem Lebensalter mit eigenartigen Verzierungen
und Verbildungen des Körpers zu schmücken.
Beide Geschlechter lassen sich die Schneidezähne vorn hohl ausfeilen;
einige treiben sich ausserdem, nach Sitte einiger Punan, goldene Stifte
durch die Zähne. Die meisten fangen jetzt auch mit dem Schwärzen der
Zähne und dem Betelkauen an.
Mit eintretender Geschlechtsreife wird an Knaben und Mädchen die
eigentliche Tätowierung vorgenommen; jene lassen sich anfangs nur
einen Stern auf der Schulter oder eine einfache Figur auf dem Arm
ausführen; die übrigen Verzierungen erhalten sie erst, wenn sie durch
weite Reisen oder durch Teilnahme an einer Kopfjagd Beweise ihrer
Tapferkeit geliefert haben.
Für die Frauen bildet die Tätowiersitte eine wahre Marter, der sie sich
aber mit staunenswerter Opferwilligkeit unterwerfen. Die Kajanfrauen
am Mendalam lassen sich den unteren Teil des Unterarms, die Hand,
den ganzen Schenkel bis unterhalb des Knies und den Fussrücken mit
prachtvollen Tätowiermustern bedecken. Die tätowierten Teile erscheinen
wie mit einem dichten, dunkel blauen Netz überzogen.
In der Entfernung verschwinden die Einzelheiten der oft künstlerisch
schönen Muster, man erhält dann den. Eindruck, als trügen die Frauen
blaue Trikots. Bei Frauen mit lichtgelber Hautfarbe treten die Figuren
auf den der Sonne weniger ausgesetzten und daher helleren Schenkeln
besonders schön hervor.
Die jungen Männer haben zwar durch die Tätowierung; weil sie bei
ihnen nur in beschränktem Masse ausgeführt wird, viel weniger als
die Frauen zu leiden, dafür müssen sie sich aber, um ihre volle
Männlichkeit zu erlangen, einer anderen Prüfung unterwerfen,
nämlich der Durchbohrung der glans penis. Bei dieser Operation
wird folgendermassen verfahren: Zuerst wird die glans durch Pressen
zwischen den beiden Armen eines umgeknickten Bambusstreifens blutleer
gemacht. An jedem dieser Arme befinden sich einander gegenüber an
den erforderlichen Stellen Öffnungen, durch welche man, nachdem
die glans weniger empfindlich geworden, einen spitzen kapfernen
Stift hindurchpresst; früher benutzte man hierfür ein zugespitztes
Bambushölzchen. Die Bambusklemme wird entfernt und der mittelst einer
Schnur befestigte Stift in der Öffnung gelassen, bis der Kanal verheilt
ist. Später wird der kupferne Stift (_utang_) durch einen anderen,
meist durch einen zinnernen, ersetzt, der ständig getragen wird,
nur in schwerer Arbeitszeit oder bei anstrengenden Unternehmungen
macht der metallene Stift einem hölzernen Platz.
Besonders tapfere Männer geniessen mit dem Häuptling das Vorrecht,
um den penis einen Ring tragen zu dürfen, der aus den Schuppen des
Schuppentieres geschnitten und mit stumpfen Zacken besetzt ist;
bisweilen lassen sie sich auch, gekreuzt mit dem ersten Kanal, einen
zweiten durch die glans bohren.
Ausser den Kajan selbst, üben auch viele Malaien vom oberen Kapuas
diese Kunst aus. Die Schmerzen bei der Operation scheinen keine sehr
heftigen zu sein, auch hat sie nur selten schlimme Folgen, obgleich
bis zur Genesung oft ein Monat vergeht.
Mit den Genitalien der Frauen werden keine Veränderungen vorgenommen.
Die jungen Männer lassen sich ferner, um ihre Unempfindlichkeit
gegen Schmerz zu beweisen, Stückchen Damaraharz auf der Haut
verbrennen. Diese Feuerproben hinterlassen eigentümliche runde Narben;
sie werden in der Regel in einer Reihe angebracht und betragen im
Durchmesser bis zu 1 cm.
Die jungen Leute beginnen zu dieser Zeit auch mehr Sorgfalt auf ihre
Kleidung und auf ihr sonstiges Äussere zu verwenden; die jungen Mädchen
ziehen sich bis auf das Kopfhaar alle Haare am Körper aus; die jungen
Männer entfernen Wimpern, Augenbrauen und Bart (Siehe Kap. VII).
Auch mit dem Erlernen der Künste fangen Männer und Frauen erst
nach der Pubertät an; diese legen sich auf das Flechten von Matten
und das Ausführen von Perlenarbeiten; jene erlernen die Holz- und
Knochenschnitzerei, das Entwerfen von Mustern für Verzierungen aller
Art u.s.w.
Gleichzeitig mit den körperlichen Veränderungen, welche mit beiden
heranwachsenden Geschlechtern vor sich gehen, wächst auch ihr
Streben, das gegenseitige Wohlgefallen zu erregen. Das Verfertigen von
Geschenken nimmt einen grossen Teil der freien Zeit der jungen Leuten
in Anspruch; die Mädchen arbeiten aus Perlen Halsketten, Schwertgürtel
und Zierate für die Schwertscheiden und führen auf Palmblättern
Stickereien für Hüte und kleine Gegenstände aus; die Männer erwidern
die Geschenke mit schön geschnitzten Bambusgefässen, Flöten, Rudern und
Messergriffen, oder sie schneiden den Mädchen aus Zeug hübsche Figuren
als Belege für Hüte und Kleider aus. So haben beide Teile Gelegenheit,
bei ihren Liebesbestrebungen in Kunstfertigkeit zu glänzen. Geld oder
Wertgegenstände schenken sie sich nur selten.
Die erwachsenen jungen Mädchen verlassen die elterliche Wohnung nur, um
aufs Reisfeld zu gehen oder Verwandte in benachbarten Niederlassungen
zu besuchen; weitere Reisen unternehmen sie nicht. Für die erwachsenen
jungen Männer dagegen beginnt jetzt die Zeit, wo sie ihre Eltern
verlassen, um lange Reisen zu Handelszwecken, zum Buschproduktesammeln
oder zum Besuch von Familiengliedern bei verwandten Stämmen zu
unternehmen.
Die Kajan sind im Gegensatz zu den Malaien und benachbarten Stämmen
von einem lebhaften Arbeitsdrang erfüllt. Ihre Arbeitsamkeit fiel nicht
nur mir, sondern auch _Akam Igau_ auf, denn er bemerkte mir gegenüber,
dass die Lebhaftigkeit und der Tatendrang der Kajan zum Unterschied
von den benachbarten Taman die Aufmerksamkeit der Geister zu sehr
auf sich zögen und dass sie deshalb von Krankheit mehr heimgesucht
würden als jene. Der Unterschied zwischen den beiden Stämmen ist
allerdings auffallend.
Für die Frauen bildet das Reisstampfen (_tepa_) die wichtigste der
häuslichen Arbeiten; Männer nehmen nur selten an ihr Teil. Gewöhnlich
stampfen zwei Frauen gleichzeitig in dieselbe Vertiefung des
Reisblockes (_lesong)_, welcher deren zwei bis sechs besitzt. Bei den
Mendalam Kajan stehen die Frauen beim Stampfen auf dem Block selbst und
schieben den bespelzten Reis mit den Füssen allmählich in das Loch; bei
anderen Stämmen, wie den Pnihing, stehen die Frauen neben dem Block und
gebrauchen die zweite Hand, um den Reis in das Loch zu schieben. Der
Reis wird öfters zweimal gestampft; die Körner bleiben dabei heil
und werden mittelst einer Art Schwinge von den Spelzen befreit.
Ausgenommen vor grösseren Unternehmungen, wird des Reis nur in
kleinen Mengen für einige Tage gestampft, damit er nicht verderbe. Am
beliebtesten sind die feinen Reisarten mit langem schmalem Korn;
die groben Arten werden an die Händler verkauft. Es werden viele
verschiedene Arten und Varietäten des Reises gebaut. Ichselbst
beobachtete 18 Arten des gewöhnlichen Reises, _parei_ (Oryza sativa)
und 12 Arten von Klebreis, _púlut_ (Oryza sativa var. glutinosa).
Die Zubereitung der Speisen ist ebenfalls ausschliesslich Arbeit der
Frauen, doch verstehen auf Reisen auch die Männer sehr gut mit dem
Kochtopf umzugehen.
_Kanen_, in Wasser ohne Salz gekochter Reis, bildet bei jeder Mahlzeit
das Hauptgericht und wird jedem gesondert auf einem Bananenblatt
gereicht.
Bei Festmahlzeiten geniessen die Kajan statt des gewöhnlichen
Reises Klebreis, den sie auf verschiedene Weise zubereiten. Entweder
wickeln sie ihn in bestimmte Bananen- oder Palmblätter und kochen
ihn in Wasser oder sie rösten ihn. Der geröstete und nachher zu
grobem Mehl gestampfte Klebreis wird _kertap_ genannt und bildet,
besonders in Verbindung mit rohem oder eingedampftem Zuckerrohrsaft,
einen geschätzten Leckerbissen. Am Mendalam, wo grosser Fischreichtum
herrscht, wird Fischfleisch stets als Zuspeise zum Reis genossen. Meist
werden die Fische in Wasser gekocht; die Suppe wird in besondere
Schälchen oder hölzerne Teller (_uwit_) gegossen und mit einem
gefalteten Bananenblatt als Löffel gegessen. Falls ein Kessel nicht
vorhanden ist, werden die Fische geröstet.
Alle Fleischarten werden auf die gleiche Weise wie der Fisch
zubereitet; der Bratprozess ist gänzlich unbekannt, obgleich das
hierfür geeignete Tengkawang Fett vielfach vorkommt und auch als
Zuspeise verwendet wird. Zahme Schweine und Hühner werden nur bei
religiösen Festmahlzeiten genossen, während Wild auch an gewöhnlichen
Tagen als Zuspeise gegessen wird. Salz wird niemals beim Kochen
hinzugefügt, sondern stets nur als Leckerbissen in kleinen Stückchen
nebenbei gereicht.
Als Würze für die Speisen dienen verschiedene essbare Blätter; am
beliebtesten sind die Blätter der Bataten (Ipomoea Batatas) und die
jungen Farnspitzen von Polypodium nigrescens Bl.
Für lange Reisen, oder wenn Zeit und Gelegenheit zum Kochen fehlen,
nimmt man in Bambusgefässen oder in Palmblättern gerösteten Klebreis,
unverändert oder in Form von grobem Mehl, mit; er kann wochenlang
aufbewahrt werden, ohne zu verderben.
Die Kajan essen in gewöhnlichen Zeiten zweimal täglich und zwar, je
nach Umständen, vor oder nach dem Gang zum Reisfeld und mittags nach
der Heimkehr um vier oder fünf Uhr. Bei Nahrungsmangel oder wenn sie
still zu Hause sitzen, begnügen sie sich bisweilen mit einer einzigen
Mahlzeit gegen zwölf Uhr; bei Überfluss an Reis oder schwerer Arbeit
dagegen wird ihr Magen anspruchsvoller und verlangt dreimal täglich
Zufuhr.
Bei den Mahlzeiten sitzen alle Familienglieder im Kreise neben
einander; eine Rangordnung wird nicht beobachtet.
Die Kajan sind, wie alle Bahau und Kenja, sehr mässig im Essen
und Trinken. Das tägliche Getränk besteht in Wasser und nur bei
grossen Versammlungen und Festen wird _tuwak_, gegohrener Reiswein,
getrunken. Die Stämme am Mendalam geniessen den Branntwein überhaupt
nur an einem Tage des Jahres, beim Neujahrsfest; sie stellen ihn aus
gekochtem Klebreis her, den sie zwei bis drei Tage in grossen Töpfen
gähren lassen.
Am oberen Mahakam machte ich kein Neujahrsfest mit und sah daher auch
keinen _tuwak_ trinken, ich vermute jedoch, dass auch diese Bahau
das Getränk kennen, da ich bei ihren Verwandten, den Kenja Uma-Tow,
zur Begrüssung bei öffentlichen Zusammenkünften öfters grosse Töpfe
_tuwak_ leeren sah.
Die Kenja bereiten auch aus Zuckerrohrsaft ein alkoholisches Getränk;
ausserdem trinken sie den Honig von wilden Bienen. Der häufigere oder
seltenere Gebrauch derartiger Getränke scheint mit dem grösseren oder
geringeren Überfluss an Lebensmitteln, dessen sich die verschiedenen
Stämme erfreuen, im Zusammenhang zu stehen. Jedenfalls aber
werden alkoholische Getränke weder bei den Bahau noch bei den Kenja
regelmässig genossen und Missbrauch wird mit ihnen nie getrieben, auch
scheinen ihnen die Alkoholika, nach den verzerrten Mienen zu urteilen,
die ich beim Trinken beobachtete, nicht einmal sonderlich zu munden.
Eigentümlicher Weise ist das Tabakrauchen der Bevölkerung von
Mittel-Borneo schon längst bekannt, während das Betelkauen erst vor
kurzem durch die Malaien bei einigen Bahaustämmen eingeführt worden
ist. Die Erscheinung ist um so auffallender, als das Betelkauen bei
der Küstenbevölkerung das grösste Genussmittel bildet.
Bei den Mendalam Kajan wird die Sitte des Tabakrauchens immer mehr
durch die des Betelkauens verdrängt. Der Tabak, den sie hierzu
gebrauchen, stammt aus Java; zwar pflanzt die Bevölkerung auch
eigenen Tabak, sie versteht ihn aber nur durch Trocknen und Schneiden
zuzubereiten und verwendet ihn nur zum Rauchen in Zigaretten.
Unter den Mahakamstämmen kaut bei den Long-Glat jung und alt Betel
und raucht Tabak; bei den Kajan rauchen alte Männer und Frauen noch
ausschliesslich, während die jüngeren auch Betel kauen; die Pnihing,
bei denen nur das Rauchen gebräuchlich ist, bauen den Tabak selbst und
lassen ihn, indem sie ihn feingeschnitten lange Zeit in Bambusgefässen
fest zusammengepresst aufbewahren, gähren. Auch bei den Kenja, die
nur das Rauchen kennen, legen sich Männer und Frauen von früher Jugend
an auf die feinere Zubereitung des selbst gebauten Tabaks.
Erwähnenswert ist wohl auch noch die Tatsache, dass es auch
die Eingeborenen Mittel-Borneos bisweilen nach einem besonderen
Genussmittel gelüstet; so beobachtete ich, dass Männer und Frauen,
hauptsächlich aber Schwangere, bisweilen im Uferboden nach einem
gelblichen oder rötlichen Lehm suchten, der aus verwittertem Schiefer
bestand; sie nannten ihn _batu keröp_ oder_ tana keröp_.
Die jungen Männer und Mädchen geniessen bei den Kajan im Verkehr
mit einander die grösste Freiheit. Bemerkenswerter Weise stellt
ihre gesellschaftliche Sitte an den männlichen Teil in moralischer
Hinsicht die gleichen Anforderungen, wie an den weiblichen; dieses
Verhalten stimmt mit der hohen Stellung, welche die Frau auch sonst
im Gemeinwesen der Kajan einnimmt, überein. Die jungen Leute haben
daher vor der Ehe alle Gelegenheit, einander kennen zu lernen und
sich selbst zu prüfen; sie tun dies um so mehr, als eine Heirat bei
ihnen als ernsthafte Verbindung aufgefasst wird, die von beiden Seiten
Treue heischt. Vor der Heirat dagegen haben beide Geschlechter volle
Freiheit, in ihrem Verkehr so weit zu gehen, als ihnen beliebt. Die
Eltern versuchen wohl ab und zu ihren Einfluss geltend zu machen,
aber meist mit schlechtem Erfolge.
Fassen zwei junge Leute eine Zuneigung zu einander, so bietet ihnen
die Sitte für ein ungestörtes Beisammensein zahlreiche Gelegenheiten.
Am beliebtesten sind gemeinsame Fischpartieen. Vor Anbruch der
milden Tropennacht, wenn das Mondlicht die Landschaft gerade genügend
erhellt, um ihr das Unheimliche der Dunkelheit zu nehmen, schmückt
sich der junge Mann mit seiner besten Kleidung, einem breiten blauen
Lendentuch und einem bunten, bisweilen seidenen Kopftuch; eine
besondere Zierde bilden schwarze Armbänder und Büschel Riechgras,
welche er am Kopf und an den Armen befestigt. Sein schönstes, oft
mit Geschenken seiner Angebeteten verziertes Schwert an der Seite,
mit Ruder und Wurfnetz bewaffnet, eilt der Jüngling zum Flusse,
wo er mit kräftigen Ruderschlägen den Kahn bald in die Nähe der
Harrenden bringt. Die gleichfalls schön gekleidete Geliebte steigt mit
wohlgefüllter Beteldose ins Fahrzeug und setzt sich an das Hinterende
des Bootes, um es mit ihrem Ruder zu steuern. Der junge Mann steht
mit dem Wurfnetz (_djala_) vorn im Kahn und schleudert es da, wo
er Fische vermutet, mit kräftigem Schwunge ins Wasser. Ein grosses
Netz misst im Durchschnitt 8 m und da es am Rande mit einer Zinn-
oder Eisenkette beschwert ist, bedarf es ausser grosser Kraft auch
grosser Gewandtheit, wenn das Netz gut ausgebreitet gleichmässig auf
die Wasserfläche niederfallen soll. Gar mancher Wurf wird unter den
aufmerksamen Blicken der Schönen mit besonderer Anspannung ausgeführt
und, beim Fischreichtum dieser Gewässer, selten ohne Erfolg. So
treibt das Pärchen den Fluss hinunter; liefert der Fang genügend
Fische für eine Mahlzeit, so wird gelandet. In der Regel bildet eine
leerstehende Hütte auf dem Reisfeld oder ein trautes Plätzchen unter
den hohen Uferbäumen das Endziel der Bootfahrt. Dort stört niemand die
Liebenden im Genuss aller Herrlichkeiten, welche die Kunstfertigkeit
des Mädchens auf kulinarischem und musikalischem Gebiet zu liefern
im stande ist. Die weichen Töne der Nasenflöte geben dem Ganzen
einen besonderen Reiz; denn in der Stille der Nacht erwecken diese
klagenden, aber lieblichen Laute Empfindungen, für die das sanfte
Gemüt der Kajan sehr empfänglich ist.
In Zeiten, wo es am Mendalam unsicher ist, wie z.B. bei meinem
Besuche im Jahre 1894, als die Bukat von der Serawakschen Grenze
um die Niederlassungen der Kajan herumschwärmten, halten Freunde
nachts in der Nähe des Pärchens Wacht. Die Freunde helfen auch
später beim Aufrichten eines treppenartig behauenen Pfahls, den der
glückliche Jüngling zur Erinnerung an die schöne Nacht beim Häuschen
zurücklässt. Einer meiner gewandtesten, aber leichtsinnigsten jungen
Leute zeigte mir einst seinen Schlupfwinkel für derartige Liebesfeste
mit grossem Selbstbewusstsein; denn er hatte vier solcher Gedenkpfähle
aufrichten können. Eine derartige Unbeständigkeit der Gefühle wird
aber bei den Kajan, trotz aller Freiheit, welche die jungen Leute
geniessen, von der öffentlichen Meinung streng gerügt.
Bisweilen vereinigen sich auch mehrere Pärchen, lassen sich fischend
und kosend den Fluss abwärts treiben und kehren nicht vor dem folgenden
Mittag zurück.
Auch die gemeinsame Arbeit auf dem Felde bietet den jungen Leuten
günstige Gelegenheit, sich kennen zu lernen, besonders wenn die
Eltern mit dem Verkehr ihrer Kinder einverstanden sind. Wenn dies
nicht der Fall ist, wird die Standhaftigkeit der Liebenden oft auf
harte Probe gestellt.
So erlebte ich einst, dass ein jungen Mädchen, mit ebenso schönem
Äusseren als kräftig entwickeltem Willen, ihren Eltern einen Verlobten
ins Haus brachte, der diesen nichts weniger als willkommen war, weil
er für schwere Feldarbeit und den Bau von Böten noch keine genügende
Leistungsfähigkeit besass. Auch nach der mit viel Aufwand von Energie
durchgesetzten Heirat, hatte der junge Ehemann alle Mühe, im Hause
der Schwiegereltern seinen Platz zu behaupten.
Bei allen Bahau herrscht nämlich die Sitte, dass der junge Gatte
zuerst in die Wohnung seiner Schwiegereltern zieht und erst nach drei
bis vier Jahren mit der Frau in sein eigenes Haus oder das seiner
Eltern übersiedelt. Ist die Frau jedoch im Hause ihrer Eltern einmal
entbunden worden, so darf sie dem Manne schon vor Ablauf dieses Termins
folgen. Eine Übertretung dieser Sitte gestattet die _adat_ dem jungen
Paar nur gegen Bezahlung einer recht bedeutenden Busse. Nur wenn der
einzige Sohn des Hauses ein Mädchen aus einer zahlreichen Familie
heiratet, kommen die Eltern oft überein, dass die Schwiegertochter
von Anfang = an in das Haus des jungen Mannes zieht.
Hie und da findet ein Pärchen in dem Zustand der jungen Frau,
bei der die Folgen des freien Verkehrs nicht ausgeblieben, eine
etwas unerwünschte Hilfe für die Erlangung der Heiratszustimmung der
Eltern. Unter solchen Umständen wird das Verhältnis der jungen Leute
baldmöglichst durch eine Heirat besiegelt; denn die Schwangerschaft
einer Unverheirateten wird allgemein verurteilt. Ein Mann, der ein
Mädchen sitzen lässt, wird sehr schief angesehen. So etwas kommt
daher nur höchst selten vor und wird, wenn besondere Umstände eine
Heirat unmöglich machen, mit einer ansehnlichen Busse an die Eltern
der Verlassenen und den Häuptling gestraft.
Einen derartigen Fall erlebte ich bei meinem zweiten Besuch
am Mendalam, als die beiden Häuptlinge in Tandjong Karang und
Tandjong Kuda aus persönlicher Feindschaft ihren jungen Untertanen
nicht gestatteten, sich mit einem Gliede des anderen Dorfes zu
vermählen. Eines der Opfer, ein junges Mädchen, das ich gern hatte
und das früher häufig zu mir kam, um sich in meiner Hütte auszuruhen,
zeigte sich zwei Monate lang nicht mehr bei mir und als sie zum
ersten Mal wieder erschien, wagte sie kaum die Augen aufzuschlagen,
obgleich ich mir alle Mühe gab, ihr aus der Verlegenheit zu helfen;
auch später besuchte sie mich nur noch einige Male.
Da die Frauen bei der Eheschliessung eine Hauptstimme haben, gehören
Verlobungen in kindlichem Alter zu den Seltenheiten.
Obwohl Unverheiratete die grösste Freiheit geniessen und Verheirateten
viele Beschränkungen und Pflichten auferlegt werden, nehmen die Kajan
auffallender Weise gern das Ehejoch auf sich. Daher sind junge Männer,
wenn sie nicht durch weite Reisen daran verhindert werden, mit 25
Jahren beinahe alle verheiratet; Mädchen verheiraten sich meist vor
dem zwanzigsten Jahr.
Bei jeder Eheschliessung finden zwischen den beiderseitigen Eltern über
die Mitgift und die Summe, welche der junge Mann seinen Schwiegereltern
bei der Heirat ausbezahlen muss, Unterhandlungen statt. Leben die
Eltern nicht mehr, so werden sie durch Angehörige oder den Häuptling
vertreten.
Der Betrag, den der junge Gatte bezahlen muss, ist meist nicht hoch,
mit einem Schwert oder einem Gong sind die Schwiegereltern gewöhnlich
zufrieden; reiche Häuptlinge dagegen haben bis zu 300 Dollar zu
bezahlen.
Polygamie ist am Mendalam nicht Sitte, sie kommt nur bei einigen
Häuptlingen am Mahakam vor, die sie kürzlich von den Malaien übernommen
haben.
Man sieht es gern, dass beide Teile, die eine Heirat mit einander
eingehen, dem gleichen Stande angehören. Häuptlinge verlieren viel
an Ansehen, wenn sie sich mit gewöhnlichen Kajan verheiraten und ihre
Kinder haben wenig Aussicht, ihre Nachfolger zu werden; dass sie sich
jemals mit Leibeigenen verheirateten, hörte ich nie.
Bei den Kajan sind nicht nur Ehen zwischen nahen Blutsverwandten,
sondern auch Ehen zwischen angeheirateten Verwandten, wie den
gegenseitigen Geschwistern von Eheleuten, verboten. Daher müssen
die wenigen Häuptlinge am Mendalam, die aus Standesrücksichten auf
Heiraten unter Verwandten angewiesen sind, bei der Eheschliessung
eine Busse für die Übertretung der _adat_ bezahlen.
Heiraten zwischen benachbarten, nicht verwandten Stämmen sind zwar
nicht verboten, kommen aber so selten vor, dass Taman und Kajan
z.B. länger als ein Jahrhundert neben einander leben, ohne sich zu
vermischen. Die meisten fremden Männer einer Niederlassung gehören
verwandten Stämmen an und halten sich ihrer Heirat wegen für längere
oder kürzere Zeit dort auf.
Für die Heirat, insbesondere für die Zeit von der Hochzeit bis zu dem
folgenden Neujahrsfeste, bestehen so zahlreiche Verbotsbestimmungen,
dass die Kajan, um diese lästige Periode abzukürzen, vorzugsweise
kurz vor diesem Feste heiraten.
Bei den gewöhnlichen Kajan verläuft eine Hochzeit sehr schlicht;
die Häuptlinge dagegen veranstalten bei der Heirat ihrer Kinder
grosse Feste, die zwei bis drei Tage dauern und an denen sich alle
angesehenen Dorfbewohner beteiligen.
Die Hochzeit wird im Hause der Braut gefeiert, in welches der Bräutigam
durch seine Freunde geleitet wird. Die Wohnung, aus der aller Hausrat
vorher entfernt wurde, ist mit Grün und bunten Tüchern festlich
geschmückt und die Wände sind mit allem, was die Eltern der Braut
dem Geleite des Schwiegersohnes schenken, behängt. Die Freunde haben
denn auch das Recht, alles Schöne, das ihnen durch die Freigebigkeit
des Häuptlings und die Beiträge der Dorfgenossen angeboten wird,
mit sich heim zu nehmen.
Unter den Geschenken, die Braut und Bräutigam einander geben und
auch unter denen der Familienglieder, spielen Perlen eine wichtige
Rolle. Von dem Bräutigam erhält die Braut zuerst einen _taksa hawa_
(Gürtel für die Ehefrau), bestehend aus einer Schnur mit vier alten
Perlen; beim Hochzeitsmahl findet sie zwei weitere Perlen im Reis;
ausserdem erhält sie noch eine besonders schöne Perle, die "_koho
guman" (kuman = essen)_.
Die Verwandten und Bekannten schenken eine Perlenschnur (_dje)_, die
so lang als die Braut sein muss und die, je nach der Wohlhabenheit
der Geber, einen höheren oder geringeren Wert besitzt.
Mann und Frau sind in der Ehe gleichberechtigt; die Leitung des
Hauses gelangt aber auch bei den Kajan in die Hände der stärkeren
Persönlichkeit. Wie bereits gesagt, wird von beiden Teilen vollkommene
Treue verlangt, auch für den Fall, dass der Mann langdauernde Reisen
unternimmt. Ein Treubruch wird schwer bestraft, scheint übrigens selten
vorzukommen. Der Mann hat eine höhere Busse zu bezahlen als die Frau.
Der schuldige Teil hat die Busse an die Familie des beleidigten
Teils zu entrichten; weigert er sich, der Strafe nachzukommen, so
ist die öffentliche Meinung stark genug, um seine Halzstarrigkeit
zu brechen. Ist er durchaus nicht im stande, die Busse aufzubringen,
so helfen ihm die Verwandten und Bekannten.
Wenn sich nach dem Tode von Mann oder Frau der überlebende Teil wieder
verheiraten will, muss er nach dem Gebot der _adat_ mindestens 1 1/2
Jahre warten; eine Übertretung erfordert Busse.
Daher hatte _Akam Igau_, als ihm die Trauerzeit nach denn Tode seiner
ersten Frau zu lang vorgekommen war und er sich vor Ablauf derselben
mit _Tipong_, der Schwester seines Schwiegersohnes _Sigau_, verheiratet
hatte, seinen Kindern eine bedeutende Entschädigung auszubezahlen. Die
Busse wurde teilweise von den verschiedenen Familien in Tandjong
Karang aufgebracht. Im Ganzen waren zur Sühnung der Schuld zwanzig
Gonge erforderlich gewesen; ausserdem empfing jedes Kind eine kostbare
alte Perle und ein Stück schwarzen Kattuns. Dieses sollten die Kinder,
wie man mir erklärte, abends als Binde vor den Augen gebrauchen,
bildlich, um die Schuld des eigenen Vaters nicht zu sehen.
In der Ehe herrscht Gütertrennung. Vater und Mutter sorgen
gemeinschaftlich für den Unterhalt der Kinder. Sind diese einmal
erwachsen, so bleiben sie zwar im Elternhause wohnen, bebauen aber
mit Hilfe von Freunden und Freundinnen ihre eigenen Reisfelder. Sie
leben von dem Ertrag des Ackerbaus und von den Nebenverdiensten, die
sie sich als Kunsthandwerker, Schmiede, Tätowierkünstler, Priester
u.s.w. erwerben. Müssen einige Artikel, wie Salz, Tabak und Kattun,
in grösseren Mengen von Händlern an Ort und Stelle gekauft oder von
der Küste herbeigeschafft werden, so wird die erforderliche Kaufsumme
von allen Familiengliedern gemeinsam zusammengebracht; von dem Vorrat
gebraucht jeder nach Bedürfnis. In allen derartigen Angelegenheiten
hat der Vater die Hauptstimme.
Kommen Eheleute überein, dass sie sich auf gutwillige Weise
trennen wollen, so behält bei der Scheidung jeder Teil sein
Heiratsgut. Widersetzt sich dagegen der eine Teil einer Scheidung, so
muss ihm der andere als Entschädigung sein Heiratsgut überlassen. Die
Kinder dürfen selbst entscheiden, mit welche Partei sie es halten
wollen; die kleinen folgen gewöhnlich der Mutter, meist stehen sie
aber mit beiden Eltern auf gutem Fuss.
So lange die Kinder im Elternhause leben, haben sie auf nichts
anderes als die Geschenke, die sie ab und zu erhalten, und ihren
eigenen Verdienst Anspruch. Auch nach dem Tode der Eltern wird, wenn
die Kinder noch beisammen bleiben, das Erbe nicht geteilt. Gehen
sie auseinander, so erben Söhne und Töchter gleich viel. Speziell
bei den Mendalam Kajan erben die Töchter mehr als die Söhne, mit der
Begründung, dass diese leichter ihren Unterhalt verdienen können.
Die Familienerbstücke (_dawan una_) fallen gewöhnlich dein ältesten
Kinde zu; die übrigen Kinder werden durch andere Wertgegenstände
schadlos gehalten.
Mann und Frau erben nicht von einander. Im Falle dass keine Kinder da
sind, geht der Besitz des verstorbenen Teils an dessen Familie zurück.
Ein Todesfall in der Familie veranlasst so viel Arbeit, dass die
Angehörigen kaum Zeit haben, sich der Trauer hinzugeben.
Wenn der Tod infolge von Krankheit eintrat, siedelt die Seele
des Verstorbenen nach dem Kajanhimmel, _Apu Kesio_, über und jeder
beeilt sich, ihr alles für die Reise Erforderliche zu beschaffen. Die
Vorbereitungen für das Begräbnis gewöhnlicher Kajan dauern zwei bis
drei Tage, für Häuptlinge bis zu acht Tagen.
Die Leiche wird zuerst gewaschen, dann mit Blumen eingerieben und
mit schönen Kleidern geschmückt.
Die Totenkleidung besteht aus weissem Kattun und wird mit schwarzen
Arabesken und Menschen- und Tiergestalten verziert. Als Kopfbedeckung
erhält der Tote eine altmodische Baumbastmütze. Den Schmuck,
den die Kajan im Jenseits tragen wollen, wählen sie sich schon bei
Lebzeiten aus; er ist in bezug auf Material und Arbeit von der besten
Qualität. (Näheres über Totenkleidung siehe Kap. VII).
Zur Besänftigung der bösen Geister, die sich der Leiche des
Verstorbenen bemächtigen könnten, versehen die Hinterbliebenen diese
in liebevoller Sorgfalt mit Perlen. Nur die Reichen geben dem Toten
alte Perlen mit, die Unbemittelteren begnügen sich mit neueren. Die
Perlen haben, je nach dem Körperteil auf dem sie angebracht werden,
verschiedene Namen:
_kali mata_, 2 × 4 an ungedrehte Pflanzenfasern gereihte Perlen,
werden auf jedes Auge gelegt.
_kali pro_, eine Perle, die in die Kehle gesteckt wird.
_kali djela_, eine Perle, die auf die Zunge gelegt wird.
_kali lo-ong_, eine grössere Perle, die mitten auf den Leib gebunden
wird.
_usut usu_, Perlen, die um die Finger gebunden werden.
_tewel buwa awong to_, eine Perle, die an jedem Daumen befestigt wird.
_usut tudak_, 2 × 4 Perlen, die an jedes Bein gebunden werden.
_aaset udjong halöbw_, Eisen, das auf die Kniee gelegt wird.
Einem Häuptling wird ausserdem als weiterer Schutz ein hölzerner
_rimau_ oder _ledjo_ (Tiger) mitgegeben.
Bei allen diesen Vorbereitungen helfen Freunde und Bekannte; sie sind
die Zeit über Gäste der Leidtragenden.
Nach Beendung der Ausstattung wird der aus zwei Hälften
ausgehöhlter Baumstämme bestehende Sarg ins Haus gebracht und die
Leiche hineingelegt; die Ritzen werden mit Guttapercha luftdicht
verschlossen. In den folgenden Tagen wird die Ausrüsting, die dem Toten
ausserhalb des Sarges mitgegeben wird, in Ordnung gebracht. Dann wird
der Sarg von Männern auf den Begräbnisplatz getragen und, je nach
dem Stande des Verstorbenen, einfach auf dem Boden niedergesetzt
oder auf ein hölzernes Gerüst gestellt, das oft mit einem schön
geschnitzen hölzernen Dache überdeckt wird. An die Bäume und Sträucher
ringsherum werden bunte Tücher und Wimpel gehängt und neben dem Sarge
werden die übrigen für den Aufenthalt in _Apu Kesio_ notwendigen
Gegenstände, die im Sarge selbst keinen Platz fanden, niedergelegt;
es sind dies: Waffen, Ruder, Gonge, Tempajang (grosse irdene Gefässe),
Kleidungsstücke, Hausgerät und dergleichen. Die kostbaren Gegenstände
werden oft zum Schutz gegen Diebstahl seitens der Malaien durch
Zerbrechen wertlos gemacht.
Wenn es sich um einen vornehmen Häuptling handelt, wird der Sarg in
einem _salong_, einem nach allen Seiten geschlossenen Häuschen aus
Eisenholz, beigesetzt. Der _salong_ ist oft mit künstlerisch schönen
Malereien und einem prachtvoll gearbeiteten Dache verziert. In dem
_salong_ werden noch so lange andere Leichen der Familie beigesetzt,
bis er gefüllt ist oder verfällt.
Leibeigene ohne Familie werden nach dem Tode einfach zum Begräbnisplatz
getragen, in eine Matte gewickelt und niedergelegt. Einst sahen wir,
wie die Leiche eines wenige Stunden vorher verstorbenen Sklaven von
einem anderen auf dem Rücken zum Flusse getragen und in einem Boote
weggeführt wurde; bereits nach einer Stunde kehrten die Männer wieder
zurück. Während die Bekannten beim Tode eines freien Kajan die Rolle
von Klageweibern übernehmen und das Weinen der Familie verstärken,
hatte für den Sklaven nur eine einzige Frau kurze Zeit ihr Jammern
ertönen lassen.
Alle, die auf andere Weise als durch Krankheit ums Leben kommen,
geniessen weder das Vorrecht eines ehrenvollen Begräbnisses noch ist
ihnen, nach der Überzeugung ihrer Hinterbliebenen, ein künftiges Leben
in _Apu Kesio_ beschieden. Die Seelen der Ermordeten, Selbstmörder,
Verunglückten, im Kampfe Gefallenen, bei der Entbindung Gestorbenen
und Totgeborenen gelangen auf zwei verschiedenen Wegen nach zwei
anderen Orten, wo sie mit ähnlichen Unglücklichen, wie sie selbst,
weiterleben müssen. Die Leichen dieser Armen flössen den Kajan Abscheu
ein, daher werden sie nur in eine Matte gerollt und verscharrt. Ein
besonderes Grauen erregen die Leichen von Wöchnerinnen; kein Mann und
keine jüngere Frau darf sie berühren; sie werden auch nicht durch die
Galerie vorn aus dem Hause hinausgetragen, sondern nach Entfernung
einiger Bretter aus der hinteren Wand der Wohnung hinausgeworfen, in
Matten gewickelt und an Rotangseilen zur letzten Ruhestätte geschleift.
Bei Begräbnissen von Personen, die eines ehrenvollen Todes gestorben
sind, geben sowohl Männer als Frauen das letzte Geleite, letztere
müssen der allgemeinen Trauer durch lautes Weinen Ausdruck verleihen.
Die eigentliche Trauer beginnt erst nach der Beisetzung des
Verschiedenen und dauert vierzehn bis fünfzig Tage.
Während der Trauerzeit ist es Besuchern von auswärts verboten,
die Wohnung oder die Reisfelder der Leidtragenden zu betreten. Beim
Tode eines Häuptlings wird der ganze Mendalam für verboten (_lali_)
erklärt. Das Verbot wird durch Spannen eines Rotangseiles über den
Fluss angezeigt; zerreisst jemand das Seil, so muss er Busse bezahlen,
aber das _lali_ ist damit zu Ende.
Während der Trauerzeit darf nur Baumbastkleidung ohne jeden Schmuck
getragen werden; die Frauen setzen sich ausserdem eine grosse
Trauermütze mit hängenden Zipfeln auf. (Siehe Kap. VII).
Kommt ein Todesfall in der Zeit vor, wo eine Familie der Feldarbeit
wegen auf dem Reisfeld wohnt, so darf sie vor Ablauf des Neujahrfestes
das grosse Haus nicht wieder betreten und baut sich daher in dessen
Nähe zwischen den Reisscheunen eine zeitweilige Hütte.
Am Ende der Trauerzeit feiert die Familie mit Hilfe einer Priesterin
eine _mela_ (siehe f. Kap.), bei der Schweine und Hühner geopfert
und von den Hausgenossen und Gästen bei einem Festmahl verspeist
werden. Nach der _mela_ muss sich die Familie noch einen, Tag still
verhalten, _melo_, dann darf sie ihr Alltagsleben wieder aufnehmen. Die
Priesterin erhält für ihre Dienste ein Schwert, zwei Mass Reis und
vier bis fünf mehr oder minder wertvolle Perlen.
In früheren Zeiten war zum Ablegen der Trauer ein frisch erbeuteter
Schädel oder irgend ein anderer menschlicher Körperteil erforderlich
gewesen, der, wenn es Häuptlinge galt, wahrscheinlich auf Kopfjagden
(_ajo_) erlangt wurde. Gegenwärtig werden zu diesem Zwecke am Kapuas
überhaupt keine Kopfjagden mehr unternommen; selbst alte Schädel werden
nur noch in besonders ernsten Fällen bei benachbarten Stämmen geliehen;
in der Regel begnügt man sich jetzt mit etwas Menschenhaar. Sehr
wahrscheinlich ist die Bedeutung dieser Sitte die, dass man dein
Verstorbenen einen Menschen opfert, damit er ihm als Diener ins
Jenseits folge. Da bei den Bahau nur Häuptlinge sich Diener halten,
wurden begreiflicherweise auch nur für diese Köpfe gejagt.
Dass bei anderen wichtigen Lebensereignissen, wie bei der Geburt eines
Kindes und bei Hochzeiten, die Erbeutung eines Kopfes augenblicklich
oder in früheren Zeiten jemals notwendig gewesen, habe ich während
meines Aufenthaltes unter den Bahau und Kenja nie ermitteln können. Ich
glaube mit Sicherheit erklären zu können, dass die _adat_ diese
Sitte nicht fordert. Auch herrschte bei ihnen nie der Gebrauch, das
Schlachtopfer auf dem Häuptlingsgrabe langsam zu Tode zu martern, wie
dies die Stämme am Barito und Kahájan und die Batang-Lupar noch jetzt
zu tun scheinen. Es war selbst verboten, einen Haussklaven zu opfern
und auch ein Kriegsgefangener oder eine gekaufte Person waren gerettet,
sobald sie das Haus erblickt hatten. Dies geschah, beispielsweise,
im Jahre 1893 am Mahakam, als _Bang Jok_, ein Häuptling in Long Deho,
beim Ablegen der Trauer nach dem Tode seines Vaters _Jok Bang_, einen
Menschen opfern wollte. Der Sklave hatte damals, wahrscheinlich durch
Zufall, das Haus bemerkt und durfte daher nicht getötet werden.
Wir sehen somit, dass die Religion bei den Kajan am Kapuas auch
früher nur beim Tode des Häuptlings die Opferung eines Menschen
erforderte und dass gegenwärtig eine Erinnerung an diesen Brauch
genügt. Dagegen besteht noch jetzt bei ihnen die Sitte, die Schädel
ihrer erschlagenen Feinde aufzubewahren; man findet daher in einigen
ihrer Häuser, besonders aus früheren Zeiten, derartige Trophäen
in grosser Zahl. Trotzdem bei den friedliebenden Bahau Tapferkeit
und Stärke nicht zu den geschätztesten Eigenschaften gehören (Siehe
f. Kap. Schöpfungsgeschichte: die Stärksten und Gewandtesten werden
zu Sklaven), ist es doch für Häuptlingssöhne wünschenswert, wenn
auch nicht unerlässlich, dass sie irgend welche Beweise ihres Mutes
liefern. Daher hat sich jetzt noch die Sitte bei ihnen erhalten,
dass erwachsene Häuptlingssöhne die Gelegenheit, die sich ihnen
bietet, eine gefahrvolle Reise zu unternehmen oder einen Menschen
zu töten, wahrnehmen. Selbst das Töten gekaufter alter Frauen wird
nicht verschmäht; denn das Vergiessen von Menschenblut an und für
sich sehen die Bahau schon als eine mutvolle Tat an, eine Auffassung,
die mit ihrem furchtsamen Charakter völlig übereinstimmt. Auch suchen
die jungen Häuptlinge stets auf eine für sie selbst ungefährliche
Weise ihr Opfer zu treffen. Besonders geeignet zur Erbeutung eines
Kopfes sind Handelszüge, hauptsächlich die zu den im Norden wohnenden
nichtverwandten Stämmen; hierauf beruht auch die alte Feindschaft
der Bahau mit den Batang-Luparstämmen am mittleren und unteren
Batang-Rèdjang.
In früheren Zeiten unternahmen die Bahau auch Züge zu dem alleinigen
Zwecke, Köpfe zu erbeuten; sie jagten hauptsächlich bei ihren Feinden
am oberen Kahájan und Miri oder Mengiri, die sie früher aus dein
Gebiet des oberen Mahakam vertrieben hatten.
Bei den Mendalam Kajan können Kopfjagden seit langer Zeit nicht mehr
stattgefunden haben; am oberen Mahakam haben die Kajan am Blu-u ihre
letzte Kopfjagd vor 13 Jahren am Kahájan unternommen. Obgleich sich
nur 15 Mann an dem Unternehmen beteiligten und keine Köpfe, sondern
nur ein Gefangener erbeutet wurden, betrachtete man diesen Zug doch
als einen richtigen Kriegszug. Der gefangene Kahájan Dajak lebte noch
bei meiner Ankunft am Blu-u, war mit einer der hübschesten Sklavinnen
verheiratet und besass vier Kinder. Ein anderer Sklave, _Sorong_, trug
auf seinen Waden eine Ot-Danom Tätowierung und war augenscheinlich in
beinahe erwachsenem Alter erbeutet worden; er was Vater von elf Knaben,
besass als Ratgeber des Häuptlings _Kwing Irang_ eine bevorrechtete
Stellung und war durch seinen Handel zu Wohlstand gelangt.
Da Kopfjagden unter grossen Anstrengungen und Entbehrungen mit viel
Vorsicht unternommen werden und viele Monate, bisweilen ein ganzes
Jahr, dauern, Arbeitskräfte in einem Dorfe in der Regel aber nicht
entbehrt werden können, ist es begreiflich, dass sie nur selten
stattfinden.
Bemerkenswerter Weise trifft man weder bei den Bahaustämmen am Kapuas
noch am Mahakam auf der Galerie ihrer Häuser die Schädeltrophäen,
die den Eintretenden an anderen Orten so unangenehm berühren. Auch
in den vier Niederlassungen der Bahau am Mendalam und in denen
der Kajan, Long-Glat, Ma-Suling und anderer Stämme unterhalb der
Mahakamfälle bemerkte ich keine Schädel. Nur in der Niederlassung des
Pnihinghäuptlings _Belarè_, der selbst halber Punan ist und dessen
Stamm wahrscheinlich nicht zu den Bahau gehört, fand ich Schädel
hängen. Indessen besitzen auch alle anderen Häuptlinge Schädel,
sie bewahren sie aber an einem Ort, wo sie nicht sogleich ins Auge
fallen. So bemerkte ich einen Teil eines Schädels in Batu Sala,
einer Long-Glat Niederlassung, an der Aussenwand des Hauses, er war
aber hinter einem Büschel Palmblätter kaum sichtbar.
Bahau und Kenja trocknen die Köpfe über dem Feuer, ohne die
Fleischteile von den Schädeln zu entfernen; auch werden diese nie
mit Figuren verziert.
Ich glaube die Tatsache, dass die Bahau keine Schädel auf die
Galerie hängen, dem Umstande zuschreiben zu können, dass ihnen die
Schädel selbst Abscheu und Angst einflössen. Sogar sehr alte Männer,
denen die _adat_ die geweihtesten Dinge zu berühren gestattet, fassen
einen Schädel nur sehr ungern an. Als Beweis für diese Auffassung mag
auch das folgende Begebnis dienen, das ich selbst am oberen Mahakam
erlebte. Dort war nämlich das alte Haus der Ma-Suling am Merasè
so baufällig geworden, dass der Stamm sich einen neuen Wohnplatz
suchen musste. Aller Besitz und die noch brauchbaren Materialien
wurden mitgenommen, nur die Schädel wagte man nicht aus dem alten
Hause zu entfernen. Man rief daher den Pnihinghäuptling _Belarè_ zu
Hilfe, der die Schädel vorläufig in einer Hütte vor dem alten Hause
unterbrachte und selbst als Belohnung für seine Mühe die Hälfte der
Schädel mitnahm, um seine Galerie mit ihnen zu verzieren, was ihm
sehr zu statten kam, da ihm bei der Brandschatzung seines Hauses im
Jahre 1885 seine eigenen Trophäen verloren gegangen waren. Dieses
geschah im Jahre 1897 und noch im Jahre 1900 standen die Schädel
auf dem inzwischen verwilderten Platze vor dem verfallenen Hause,
wo wilde Rinder, Hirsche und Schweine den ganzen Boden aufgewühlt
hatten. _Belarè_ sollte damals noch einmal kommen, um die Schädel in
dem inzwischen vollendeten Hause der Ma-Suling aufzuhängen.
Die Schädel, die man bei den Stämmen in Mittel-Borneo antrifft, sind
so verschiedenen und unsicheren Ursprungs, dass es keinen Wert hat,
sie aus anthropologischem Interesse anzukaufen. Wie aus Obenstehendem
hervorgeht, werden Schädel auf Kopfjagden erbeutet oder gekauft
oder als Belohnung oder aus weit entfernten Gebieten als Geschenk
erhalten. Der Sultan von Kutei schenkte z.B. dem Häuptling _Kwing
Irang_ zwei Köpfe, die im Gebiete des unteren Bulungan erbeutet worden
waren. Bedenkt man, dass die Kopfjäger in ihrer Eile und Erregung oft
nicht wissen, wessen Kopf sie eigentlich erbeutet haben, so nimmt es
nicht Wunder, dass die Besitzer der Schädel selbst nicht immer angeben
können, von wo oder von welchem Stamme diese herrühren; ausserdem
teilen die Bahau den Fremden, aus Furcht vor Rache, nicht gern mit,
auf welche Weise sie zu ihren Schädeln gelangt sind.
KAPITEL V.
Religiöse Vorstellungen der Bahau--Wichtigste Götter--Einteilung
des Weltalls--Gute und böse Geister--Seelen der Bahau--Charakter
und Schicksal der _bruwa_ und _ton luwa_--Seelen der Tiere,
Pflanzen und Gesteine--Vorzeichen--Erklärung der _pemali_--Priester
und Priesterinnen--Beseelung der _dajung_--Pflichten der
_dajung_--Erklärung der _mela_--Das Ei als Opfergabe.
Um die Höhe der geistigen Entwicklung und die Eigenart eines Volkes
beurteilen zu können, muss man vor allen Dingen die Vorstellungen
kennen lernen, die dieses sich von seiner Stellung gegenüber
der umgebenden Natur bildet. In höherem oder geringerem Masse
sind diese Vorstellungen, die wir als Religion bezeichnen, jedem
denkenden Wesen eigen. Je widerstandsfähiger ein Volk sich seiner
Umgebung gegenüber fühlt, desto verschiedener und erhabener wird es
sich ihr gegenüber vorkommen. Ein Volk gewinnt aber nur dann eine
gewisse Furchtlosigkeit und Unabhängigkeit gegenüber den auf sein
Dasein einwirkenden Naturkräften, wenn es bewusst oder unbewusst so
viel Kenntnis von der Natur erlangt, dass es sein Leben mit deren
Forderungen in Übereinstimmung zu bringen im stande ist.
Berücksichtigen wir, dass die Bahau und Kenja von Borneo
ackerbautreibende Stämme sind, deren Lebensunterhalt von der Witterung
und anderen sichtbaren Naturänderungen unmittelbar abhängig ist,
dass ausserdem die schädlichen Einflüsse des Klimas ihr körperliches
Befinden durch Krankheit so stark beeinträchtigen, dass sie an Zahl
wenig zunehmen, so kann es uns nicht wundern, in den religiösen
Überzeugungen dieser Stämme das Gefühl der Abhängigkeit von der
sie umgebenden Natur stark ausgeprägt zu finden. In der Tat ist die
Stellung, die sich die Bewohner von Mittel-Borneo im Reiche der Natur
anweisen, eine sehr bescheidene; denn sie kommen sich selbst von
den Pflanzen, Tieren und Gesteinen ihrer Umgebung nicht wesentlich,
sondern nur graduell, verschieden vor.
Charakteristischer Weise schreiben die Bahau nicht mir sich selbst,
sondern auch allen belebten und unbelebten Wesen den Besitz von
Seelen (_bruwa_) zu. Nach ihrer Auffassung reagieren die Seelen eines
Baumes, eines Hundes oder eines Felsens auf dieselbe Art wie die eines
Menschen, sie werden von denselben Empfindungen der Lust und Unlust
bewegt. Daher suchen die Bahau die erzürnten Seelen der Tiere, Pflanzen
und Steine, welche sie zu verletzen oder zu vernichten gezwungen sind,
durch Opfer zu besänftigen; im übrigen aber empfinden sie vor ihnen
keine besondere Angst. Die Wirkungen der Naturkräfte erscheinen ihnen
dagegen für das Wohl und Wehe des Menschen viel bedeutungsvoller und
auch gefährlicher.
Die wahren Ursachen von Donner, Blitz, Regen und Wind nicht kennend
stellen sich die Bahau diese als. Äusserungen von Wesen oder Geistern
(_to_) vor, die zwar mächtiger sind als sie selbst, sonst aber
Angenehmes und Unangenehmes auf die gleiche Weise wie die Menschen
empfinden. Die Geister können daher einerseits durch Geschenke und
Opfer von lebenden oder toten Wertgegenständen günstig gestimmt werden,
andererseits durch diejenigen Dinge, die auch den Menschen Abscheu
und Angst einflössen, in die Flucht geschlagen werden. Ich beobachtete
einige Male, dass der Sohn _Kwing Irangs_, des Häuptlings der Mahakam
Kajan, bei heftigem Sturme aus dem Hause stürzte und, um den Geistern
zu imponieren und sie gleichzeitig zu besänftigen, das erste beste
Tier, das ihm in den Weg kam, einmal ein Schwein, einmal ein Huhn,
mit Schwertschlägen tötete. Ein anderes Mal stürzte ein Mann, in der
einen Hand ein gezogenes Schwert in der andern einen Schädel haltend,
während eines Sturmes aus dem Hause, um den Sturmgeist in die Flucht
zu schlagen.
Auch durch Schreien suchen die Bahau die Wind- und Regengeister zu
vertreiben; hilft dieses Mittel nicht, so stellen sie zur Abschreckung
einen Schädel vor das Haus. Als wir auf einer Reise mit den Mendalam
Kajan von einem heftigen Gewitter überfallen wurden und sehr nahe
Donnerschläge uns erschreckten, zogen die Kajan sogleich ihre Schwerter
halb aus der Scheide, um die gewaltigen Geister zu verjagen.
Diese Naturgeister üben auch direkten Einfluss auf das Leben der
Menschen aus; so werden bestimmte Vergehen durch die _to belare_,
Donnergeister, bestraft. Das Lachen über Tiere z.B., das bei den Bahau
als Verbrechen gilt, wird durch die _to belare_ sogleich gestraft,
indem sie dem Schuldigen den Hals umdrehen. Es ist daher sehr
unvorsichtig, mit einem Huhn, Hund oder Schwein etwas vorzunehmen,
was die Leute zum Lachen bringen könnte. Als am Mahakam plötzlich
ein kleines Mädchen, wahrscheinlich an Vergiftung, starb, schrieben
die Dorfbewohner ihren Tod dein Umstand zu, dass sie über irgend ein
Tier gelacht haben sollte.
Ausser diesen Naturgeistern, die sich als Blitz, Donner, Wind und
Regen äussern, kennen die Bahau noch eine Schar anderer _to_,
die, je nachdem wie sie sich den Menschen gegenüber verhalten,
als gute und böse bezeichnet werden. An jene wendet man sich bei
Krankheit, Unglücksfällen und bösen Träumen um Hilfe, diese, als die
Unglücksträger, sucht man durch Gewaltmittel zu vertreiben oder durch
Opfer zu beschwichtigen.
Die _to_ werden, je nach der geistigen Entwicklungsstufe, welche die
einzelnen Bahau einnehmen, verschieden aufgefasst. Während man die
gewöhnlichen Leute nur von den _to_, als den Urhebern ihrer Freuden
und Leiden, sprechen hört, betrachten die höher Stehenden, wie die
Häuptlinge und Priester, die _to_ nur als die direkten oder indirekten
Werkzeuge eines obersten Gottes _Tamei Tingei_ (= unser hoher Vater).
Wenden wir uns, bevor wir näher auf die _to_ eingehen, im folgenden
den höheren geistigen Mächten der Bahau zu.
Ihr ganzes Weltall wird von dem eben genannten _Tamei Tingei_,
dem Allvater, beherrscht, der mit seiner Gemahlin _Uniang Tenangan_
über allen anderen von Geistern und Menschen bewohnten Regionen lebt.
Ausser dem Allvater erkennen die Bahau noch andere hohe Götter an,
die unter _Tamei Tingeis_ Oberherrschaft im Weltall bestimmte Rollen
zu erfüllen haben. Es sind dies:
_Djaja Hipui_ (= alter Häuptling), die Mutter der Kajanwelt und
Beherrscherin der guten Geister, jetzt mit _Howong Hwan_ vermählt
und _Amei Awi_ (= Vater Awi) und dessen Gemahlin _Buring Une_, welche
die Erde und ihre Erzeugnisse beherrschen.
Götter, Geister, Menschen und Seelen der Verstorbenen wohnen im Weltall
nicht durcheinander, sondern in bestimmten Schichten oder Regionen,
die zum Teil besondere Namen tragen; es existieren deren fünf, nämlich:
1. oberste Region, bewohnt von _Tamei Tingei_ und dessen Gemahlin
_Uniang Tenangan;_
2._ Abu Lagan_, bewohnt von _Djaja Hiwi_ und dessen Gemahl _Howong
Hwan;_
3. _Apu Kesio_, bewohnt von den Seelen der Verstorbenen;
4. die Erde, bewohnt von den Menschen;
5. unterirdische Region, bewohnt von _Amei Awi_ und dessen Gemahlin
_Buring Une_.
Für die gebildeteren Bahau ist _Tamei Tingei_ derjenige Gott,
welcher das Lebenslos der Menschen beherrscht, der bereits hier
auf Erden denjenigen straft, der sich Übertretungen der _adat_ und
andere Übeltaten zu Schulden kommen lässt, und denjenigen belohnt,
der sich durch gute Werke auszeichnet. Er ist allwissend und hat zur
Vollstreckung seines Willens eine Schar böser, die Erde bewohnender
Geister zur Verfügung. Man sollte vom Allvater, der nicht nur straft,
sondern auch belohnt, erwarten, dass ihm ausser den bösen Geistern
auch gute direkt zu Diensten stehen. Ich habe aber letztere nie
erwähnen hören; es ist daher wahrscheinlich, dass _Tamei Tingei_ sich
für seine Zwecke der im _Apu Lagan_ unter _Diaja Hiwis_ spezieller
Aufsicht stehenden guten _to_ bedient.
_Amei Awi_ und _Buring Une_ beherrschen die Erde und den Ackerbau. Da
das Gelingen der Ernte von ihnen abhängt, wird ihnen besonders bei
den Saatfesten und beim Beginn der Erntefeste geopfert. Sie leben in
aller Herrlichkeit auf einer Erde, die unter derjenigen der Menschen
liegt und so fruchtbar ist, dass sie nahrhaften Reis und Früchte
aller Art in Hülle und Fülle hervorbringt.
Während _Tamei Tingei, Amei Awi_ und ihre Gemahlinnen von Anbeginn
an Gottheiten gewesen sind, lebte _Djaja Hiwi_, die Beherrscherin
der guten Geisterwelt _Apu Lagan_, einst als menschliches Weib auf
Erden und zwar im Stammland aller Bahau, im Apu Kajan, als Ehefrau
von _Tamei Angoi_, einem Häuptling am Kajanufer. _Djaja Hipuis_
Vorgeschichte ist folgende:
Im Apu Kajan, wo für gewöhnlich ein Überfluss an Reis und herrlichen
Früchten herrschte, trat einst Hungersnot ein. Daher begab sich
_Tamei Angoi, Djaja Hipuis_ Gatte, mit seinem Sohne _Tekwan_, auch
wohl _Sunung Kule_ genannt, in das Land _Lagan Pau_, um dort für
Gonge, Schwerter und Perlen Reis einzukaufen. Aber auch dort herrschte
Reisnot, so dass sie sich unverrichteter Sache auf den Rückweg machen
mussten. Zum Übermass des Unglücks ertrank _Tekwan_ unterwegs in den
Wasserfällen des Flüsschens Lirong. Tief gebeugt kehrte der Vater in
sein langes Haus am Kajan zurück; sein Kummer wurde von _Djaja Hiwi_
und dem ganzen Volke geteilt.
Als _Tamei Angoi_ nach Ablauf der Trauerzeit zufällig auf eine Leiter
stiess, die nach oben in die Geisterwelt _Apu Lagan_ führte, beschloss
er in seiner Not, von dort mit Hilfe seiner Tauschartikel Reis für
seine hungernden Untertanen zu holen. So stieg er denn voller Hoffnung
die Leiter hinauf und gelangte vor _Buring Bango_, die Frau, die
damals den _Abu Lagan_ beherrschte. _Tamei Angoi_ wurde für seinen Mut
belohnt; denn er fand hier nicht nur einen Überfluss an Reis, sondern
feierte auch Wiedersehen mit seinem Sohne _Tekwan_. Leider durfte
ihm dieser aus der Geisterwelt nicht wieder auf die Erde folgen, was
die Freude des Vaters, der im übrigen sehr befriedigt von dem Erfolg
seiner Unternehmung in sein Land zurückkehrte, etwas beeinträchtigte.
Kaum hatte _Djaja Hipui_ erfahren, dass ihr ältester Sohn im _Apu
Lagan_ wohnte, als sie sich auf Erden nicht mehr halten liess; trotzdem
weder _Tamei Angoi_ noch ihr jüngerer Sohn _Imu Djoatut_ das Land,
in dem sie bis jetzt so glücklich gelebt hatten, verlassen wollten,
beschloss die Mutter dennoch, zu ihrem _Tekwan_ überzusiedeln. Ein
grosser Teil der Dorfbewohner schloss sich _Djaja Hipui_ an und so
stiegen sie gemeinsam auf der Leiter nach oben, worauf sie diese
zerbrachen. _Buring Bango_ jedoch wollte die Neuangekommenen in ihrem
Reiche nicht aufnehmen, daher entbrannte ein heftiger Kampf. _Buring
Bango_ wurde besiegt und gezwungen, nach _Pu-u Siu_ zu flüchten und
ihr Reich _Djaja Hipui_ zu überlassen.
Von_ Tamei Angoi_ und _Imu Djoatut_, den auf Erden Zurückgebliebenen,
stammen sämmtliche Bahau ab.
_Djaja Hipui_ lebt mit den Ihren im _Apu Lagan_ nach der Weise
der Bahau auf Erden, in langen Häusern, an einem Flussufer. Ober-
und unterhalb von _Djaja Hipuis_ Hause stehen je zwölf dieser langen
Häuser und zwar heissen die zwölf ersten, von oben gerechnet: _Ingan
I; Bua Kudja; Ulo Lawing; Paren Tingin; Paren Balui; Batang; Uniang
Awang; Utan; Ingan II; Bua Kaping; Tijung_ und _Apu Lagan_. Die Namen
der flussabwärts gelegenen Häuser sind mir nicht bekannt.
_Djaja Hipui_ greift auch in das Lebenslos der Menschen ein; wird
sie z.B. zu häufig oder zu ungelegener Zeit, besonders durch Fluchen,
angerufen, so straft sie.
Die guten Geister des _Apu Lagan_ sind den Bahau günstig gesinnt: sie
beseelen die Priester und helfen ihnen dadurch, die in Krankheitsfällen
entflohenen Seelen der Menschen zurückzurufen; sie beseelen auch die
Tätowierkünstler, Hirschhornschnitzer; Schmiede und ähnliche Leute;
auch sind sie es, die mit Hilfe von Tieren, Träumen und Begebnissen
aller Art die Bahau auf das, was sie tun und lassen müssen, aufmerksam
machen.
Über die Vorstellung, die sich die Bahau von dem Aussehen der guten
_to_ machen, habe ich nie etwas vernommen.
Dagegen schreiben sie den strafenden Geistern, die sie daher als die
"bösen (_dja-ak_)" bezeichnen, alle Körpereigenschaften zu, die sie
selbst an ihren Nebenmenschen unangenehm und hässlich finden. Die
bösen_ to_ sind menschenähnliche Wesen mit grossen, dicken Leibern,
riesigen Augen in grossen Köpfen, schweren Hauern, dichter langer
Behaarung und aussergewöhnlicher Stärke. Die den Donner und Blitz
verursachenden _to belare_ sind z.B. so stark, dass man glaubt,
vom Blitz getroffene Bäume seien von ihnen auseinander gerissen. Das
Blitzen erzeugen sie durch das Funkeln ihrer Augen, das Donnern durch
das Tönen ihrer Stimmen. Sie bewohnen gewöhnlich Höhlen an Bergabhängen
und bilden ähnliche Gemeinwesen wie die Bahau. Auch die übrigen bösen
Geister suchen sich als Wohnplätze die Orte aus, die auf das Gemüt
der Menschen einen beängstigenden Eindruck hervorbringen, wie stark
bewachsene Berge, dunkle Waldgebiete, Felshöhlen und eigentümlich
geformte Felsen und Steinklumpen.
Viele Berge werden von den Eingeborenen wegen der dort hausenden
Geister gemieden und auch mir gestatteten sie öfters nicht, in die
Nähe einer Berghöhle zu gehen. Bei der Besteigung des Batu Kasian
hörte ich den Häuptling _Kwing Irang_ unseren Pflanzensucher fragen,
ob er nicht die Höhle des dort lebenden _belare_ entdeckt habe. Während
der Reise warfen meine Träger mit Steinen und Holzstücken nach allen
Höhlen und Felsen, die für Wohnsitze von Geistern galten. Einst sah
ich einen Mann den Mond anspeien, ich weiss nicht aus welchem Grunde.
Als weitere Abschreckungsmittel für böse Geister dienen auch
menschliche Phantasiegestalten, deren Genitalien übertrieben gross
dargestellt werden. Derartige Figuren, mit Schild, Schwert und Speer
bewaffnet, werden, besonders wenn Krankheiten im Lande herrschen,
an den Pfaden längs des Flussufers aufgestellt. Auch Genitalien an
und für sich sind im stande, andringende Geister zu verscheuchen;
sie werden daher in roher Form aus Holz geschnitzt häufig auf Treppen
und Bretterstegen angebracht. Wie im Kapitel über Kunst gezeigt werden
wird, hat dieser Glaube den Bahau die eigenartigsten Motive für die
Verzierung ihrer Häuser, Waffen und Gerätschaften geliefert. Aus
der Schöpfungsgeschichte der Kajan geht hervor, dass ihre Götter
und Geister vor geschlechtlichen Beziehungen ein Grauen empfinden;
hieraus erklärt sich die abschreckende Wirkung, die der Anblick von
Genitalien auf die bösen Geister übt.
Dass auch das Pflanzenreich zur Abwehr böser Geister vielerlei Mittel
liefert, ist bereits im vorhergehenden Kapitel gezeigt worden,
ebenso dass die Zähne von Hunden, Wildkatzen, Bären und Panthern,
besonders geformte Steine u.s.w. als Schreckmittel benutzt werden.
Die bösen sowie die guten Geister besitzen einen viel weiteren Blick
als die Menschen und sind, wie wir gesehen haben, auch viel mächtiger
als diese; sie bilden für die meisten Bahau das religiöse Element,
mit dem sie sich bei ihrem Gottesdienst hauptsächlich befassen.
Da die guten Geister nicht nur an sich ungefährlich sind, sondern
den Menschen auch alles erdenkliche Gute anzutun bestrebt sind, die
bösen Geister dagegen den Menschen, als Strafe für ihre Missetaten,
alles Unglück übermitteln, haben diese für die Bahau begreiflicher
Weise mehr Interesse als jene. Man hört sie daher viel häufiger von
den gefürchteten bösen als von den harmlosen guten _to_ sprechen.
Obgleich die Bahau an eine wenn auch beschränkte Unsterblichkeit der
Seele glauben, sind sie doch der Überzeugung, dass _Tamei Tingei_
ihnen durch seine Diener schon hier auf Erden das Los zuerteilt, das
sie sich durch ihre Lebensweise selbst verdient haben. Diejenigen,
welche die menschliche oder göttliche _adat_ übertreten, erleiden
Missgeschick oder werden krank; sind die Geister sehr erzürnt, so
lassen sie die Schuldigen im Kampfe fallen, verunglücken, sich selbst
töten oder, wenn es Frauen betrifft, bei der Geburt sterben. Alle auf
diese Weise Umgekommenen sind _matei dja-ak_, d.h. eines schlechten
Todes gestorben. Es wird ihnen kein ehrenvolles Begräbnis zu Teil;
auch gelangen ihre Seelen nicht in den Himmel _Apu Kesio_, sondern
an einen anderen Ort; aber von einer weiteren Vergeltung ihrer auf
Erden begangenen Missetaten im künftigen Leben ist keine Rede.
Den guten Menschen sendet Allvater Glück und Wohlergehen; auch
lässt er sie durch Krankheit eines schönen Todes (_matei saju_)
sterben. Ihre Seelen gelangen nach _Apu Kesio_, wo sie in einem
Überfluss an Nahrungsmitteln schwelgen und nicht zu arbeiten brauchen.
Im Anfang dieses Kapitels ist bereits gesagt worden, dass die Bahau
nicht nur sich selbst, sondern auch allen belebten und unbelebten
Wesen auf Erden den Besitz von Seelen zuschreiben; sie glauben,
dass die Menschen und deren Haustiere: Schweine, Hunde und Hühner,
ferner die Hirsche, grauen Affen und Wildschweine von zwei Seelen,
die übrigen Tiere, Pflanzen und toten Gegenstände dagegen nur von
einer Seele bewohnt werden.
Betrachten wir zuerst die Seelen der Menschen, ihren Charakter und
ihr Schicksal.
Alle Leiden, von Angstgefühlen und quälenden Träumen an bis zu
Missgeschicken und Krankheiten, schreibt der Bahau dem Umstande zu,
dass ein Teil seiner Persönlichkeit zeitweise seinen Körper verlässt;
er nennt diesen nur locker mit seinem Körper verbundenen Teil:
_bruwa_ (malaiisch: _mata kanan_ = rechtes Auge). Einen zweiten Teil
seiner Persönlichkeit, der zeitlebens mit seinem Körper verbunden
bleibt, nennt der Bahau: _ton luwa_ (malaiisch: _mata kiba_ = linkes
Auge). Diese beiden geistigen Teile des Bahau, seine beiden Seelen,
spielen sowohl in seinem Leben als nach seinem Tode eine wichtige
Rolle.
Die stets unruhige _bruwa_ entflieht dem menschlichen Körper, nach
Aussagen der Priesterinnen, in Gestalt eines Tieres: eines Fisches,
Vogels oder einer Schlange. Die Fischform verspricht ein langes,
die Schlangenform ein kurzes Erdenleben. Der wichtigste Wohnsitz der
_bruwa_ liegt im Haupte des Menschen, sie verlässt den Leib durch den
Scheitel. Schlägt man ein Kind daher aufs Haupt, so entflieht seine
_bruwa_ leicht.
Eine der wichtigsten Aufgaben der Priesterinnen besteht darin, die
_bruwa_, die den Menschen schon bei geringen Anlässen, wie Schreck
und Verstimmung, besonders aber bei Krankheit, verlässt, wieder in den
Körper zurückzulocken. Sie tun dies mit Hilfe der Geister aus dem _Apu
Lagan_ und zwar auf sehr verschiedene Weise. Bisweilen lässt sich die
_bruwa_ schon dadurch besänftigen, dass ein schönes Stück Zeug auf
das Haupt des Patienten gelegt wird; sonst spaltet die Priesterin in
der Dunkelheit das Haupt zum Schein und lässt die entflohene Seele
wieder in ihren alten Wohnsitz zurückkehren.
Bei dem Tode des Menschen verlässt die _bruwa_ den Körper für immer
und zieht nach Aras Kesio. So viel ich habe erfahren können, verweilt
die Seele auch hier nicht ewig, sondern begiebt sich später an einen
anderen Ort, _Langit Mengun_, und wird erst dort zu einem wirklichen,
ewig fortlebenden Geiste.
Der Weg, den die _bruwa_ zum Apu Kesio zurückzulegen hat, ist äusserst
mühe- und gefahrvoll; daher giebt man dem Verstorbenen alles mit, was
seiner Seele auf der Reise und auch später beim Aufenthalt im Jenseits
von Nutzen sein könnte. Hierzu gehören: eine vollständige und prächtige
Kleiderausrüstung nach altem Muster; schöne Schmucksachen; Waffen;
Gerätschaften aller Art; Gonge, die neben dem Grabe aufgestellt oder
bei Häuptlingen in die Prachtgräber (_salong_) gelegt werden; ferner
eine winzige Leiter, um der Seele zu ermöglichen, Felsen zu erklimmen
und Abgründe zu überschreiten und ein Vorrat von Nahrungsmitteln. Um
die _bruwa_ gegen Anfälle böser Geister unterwegs zu schützen, giebt
man ihr in einem Tragkorbe (_briut_) seltsam geformte Steine und
Tierzähne mit, zur Anlockung der guten Geister dagegen ein Bambusgefäss
mit Zuckerrohrsaft.
Die _bruwa_ begiebt sich nicht sogleich nach dem Tode des Menschen
auf die Wanderung, sondern hält sich, solange die Angehörigen die
Trauer noch nicht abgelegt haben, in der Nähe des Leichnams auf. Die
Seelen der Kapuas Dajak wählen für diese Zeit den Berg Batu Tilung
am Mandai als Aufenthaltsort. Beim Ablegen der Trauer ist es daher
Aufgabe der Priesterin, durch Abhalten einer _mela_ dafür zu sorgen,
dass die Seele sicher nach _Apu Kesio_ befördert (_anter_) wird.
Die _bruwa_ beginnt ihre Reise unterhalb der Erde und Flüsse und hat
ausser den gewöhnlichen Terrainschwierigkeiten auch noch Brücken aus
heftig wippenden Baumstämmen und Wege von der Schärfe der Schwerter
zu überwinden. Kommt sie über diese Hindernisse nicht hinweg, so geht
sie zu Grunde; stürzt sie z.B. von der Brücke in den Fluss, so fressen
sie die Fische und sie ist vernichtet. Die Unsterblichkeit der _bruwa_
ist somit eine begrenzte.
Die Seelen der _matei saju_, eines schönen Todes Gestorbenen, und der
_matei dja-ak_, eines schlechten Todes Gestorbenen, wandern zuerst
auf gemeinschaftlichem Pfade, dann aber findet Dreiteilung des Weges
statt: rechts führt ein Weg zum _Apu Kesio_, links führen zwei Wege,
von denen der eine durch Schwerter, der andere durch Gonge bezeichnet
ist, zu anderen Anfenthaltsorten, die für die eines gewaltsamen
Todes Gestorbenen bestimmt sind. Die Verunglückten, Erschlagenen,
Selbstmörder u.s.w. schlagen den Weg der Schwerter, die Frauen und
Kinder, die während oder kurz nach der Geburt gestorben sind, dagegen
den der Gonge ein.
Was die zweite Seele der Bahau, die _ton luwa_, betrifft, so ist
sie zeitlebens mit seinem Körper fest verbunden. Erst wenn der Leib
gestorben ist, verlässt auch diese Seele die stoffliche Hülle. Die
_ton luwa_ bleibt jedoch auf dem Begräbnissplatz, wo sie solange
herumirrt, bis sie endlich zu einem bösen Geiste wird. Gehen die
Bahau daher an einem Begräbnisplatz vorüber, so werfen sie den _ton
luwa_, um sie zu beruhigen, Stückchen Esswaren, Tabak u. dergl. zu,
auch weisen sie nicht nach ihnen und sprechen nicht von ihnen.
Die _ton luwa_ haben die Fähigkeit, während ihres Aufenthaltes
auf der Totenstätte in Tiergestalt, als Hirsche und graue Affen,
zu erscheinen. Desshalb essen die Bahau diese Tiere nur dann, wenn
der Hunger sie dazu zwingt. Da die Malaien keine Schweine essen,
glauben die Bahau, dass deren Seelen nach dem Tode bisweilen in
Schweine übergehen.
Als Beweise für den gelegentlichen Aufenthalt der _ton luwa_ in Tieren
führten mir die Mendalam Kajan die folgenden Erzählungen an
Ein Mann zog aus um zu_ silem_, d.h. mit einem Blasrohr zu
jagen. Obgleich er den ganzen Tag umherlief, hatte er doch keinen
Erfolg, und so schlief er endlich müde und verstimmt auf einem
Begräbnisplatze ein. Da erschien ihm ein wunderschönes Mädchen, mit der
er den Rest der Nacht verbrachte. Beim Erwachen in der Frühe bemerkte
der Mann, dass ein Hirsch, der neben ihm lag, eiligst aufstand und
entfloh. Hieraus ersah er, dass die Seele des Mädchens sich tagsüber
in einem Hirsch aufhielt.
Ein anderer Jäger stiess an einer Stelle des Waldes, wo er lange Zeit
nicht gewesen war, auf ein Haus, das von grossen, dunklen Menschen
bewohnt wurde; etwas weiter stand ein zweites Haus, in dem schöne
Frauen lebten, und in einem dritten Hause fand er Menschen noch
anderer Art. Mit allen diesen Leuten plauderte der Jäger, ass mit
ihnen, kaute Betel und schlief endlich an der Seite einer der Frauen
ein. Als er in der Nacht vor Kälte erwachte und sich zur Erwärmung ein
Feuer anzündete, bemerkte er, dass sich ein Waffenhalter an der Wand in
einen Baumast und die Hausbewohner in graue Affen verwandelten. Darauf
ergriff er eiligst die Flucht. Im Vorüberlaufen sah er noch, dass sich
die Menschen in den beiden anderen Häusern in Hirsche verwandelten.
Wenden wir uns jetzt den Seelen der Tiere, Pflanzen und leblosen
Wesen zu.
Die Bahau bezeichnen diejenigen Tiere, die nur eine einzige Seele
besitzen, als _tular lan_ (wirkliche Tiere); die Haustiere, ferner
die Hirsche, grauen Affen und Wildschweine dagegen sind im Besitze
der gleichen Seelen wie die Menschen, einer _bruwa_ und einer _ton
luwa;_ sie können daher auch zeitweilig als Menschen leben und wie
diese Häuser bewohnen. Auch hierfür lieferten mir die Kajan durch
eine Erzählung den Beweis:
Ein Mann, der sich mit seinem Blasrohr auf die Jagd begeben hatte,
irrte lange im Walde umher, bis er an ein Haus gelangte, das von
schönen Frauen bewohnt wurde.
Mit einer dieser Frauen lebte er mehrere Monate zusammen; eines Morgens
erklärte sie ihm jedoch, dass sie eigentlich ein _bawui_ (Wildschwein)
sei und dass sie von nun an nicht länger in ihrer menschlichen Gestalt
weiterleben dürfe, sondern in den Wald zurückkehren müsse. Sie hatte
den Mann aber inzwischen sehr lieb gewonnen und legte ihm ans Herz,
stets dabei zu sein, wenn die Jäger seines Stammes Wildschweine
erlegten, da es leicht geschehen könne, dass auch sie sich unter
den Jagdopfern befinde. Darauf nahm sie Abschied und begab sich mit
vielen anderen Frauen an das Ufer eines Weihers, der vor dem Hause
lag; in diesen tauchten sie unter und kamen am gegenüberliegenden
Ufer in Gestalt von Wildschweinen wieder zum Vorschein. Die Tiere
liefen einen Hügel hinan und verschwanden im dichten Walde.
Bald nachdem der Mann in sein Dorf zurückgekehrt war, erlegten
seine Stammesgenossen wirklich ein Wildschwein. An einer Narbe an
der Seite des Tieres erkannte der Mann seine frühere Geliebte und
bemächtigte sich daher der Leiche. Gross war sein Erstaunen, als
er beim Aufschlitzen von Brust und Bauch das ganze Tier mit Gold
gefüllt fand. So wurde er zum reichsten Manne im ganzen Dorfe. Die
Bahau jagen daher nie mehr Wildschweine, ohne deren Seelen zuvor ein
Opfer gebracht zu haben.
Haben die Bahau einen _kule_, den gefürchteten borneoschen Panther
geschossen, so sind sie für ihr Seelenheil sehr besorgt; denn die
Pantherseele ist beinahe mächtiger als die ihre. Sie schreiten
daher acht Mal über das getötete Tier unter der Beschwörungsformel:
"_kule, bruwa ika hida bruwa akui_" = "Panther, Seele deine unter
Seele meine". Zu Hause angelangt werden Jäger, Hunde und Waffen mit
Hühnerblut eingerieben, um ihre Seelen zu beruhigen und am Entfliehen
zu verhindern. Die Bahau essen nämlich Hühnerfleisch so gern, dass sie
den gleichen Geschmack auch bei ihrer Seele voraussetzen, auch glauben
sie, dass ihr schon der Genuss des Blutes allein genüge. Ausserdem
müssen die Männer acht Tage lang sowohl tags als nachts baden. Nach
Verlauf dieser acht Tage müssen sie sich aufs neue auf die Jagd
begeben.
Haben die Jäger bei der Wildschweinjagd der Beute den Schwanz
abgehauen, so müssen sie vorschriftsgemäss ebenfalls nach acht Tagen
wieder jagen gehen; haben sie einen Bären erlegt, so gehen sie bereits
nach sechs Tagen wieder auf die Jagd.
Die Pflanzen besitzen nach Auffassung der Bahau zwar nur eine Seele,
diese ist aber oft sehr anspruchsvoll und rächt sich für jede
Verletzung oder Vernachlässigung an den Menschen. Daher tun die
Kajan nach dem Bau eines Hauses, wobei sie zahlreiche Bäume haben
misshandeln müssen, ein Jahr lang Busse, d.h. es folgt eine Zeit,
in der ihnen vieles verboten (_lali_) ist, unter anderem das Töten
von Bären, Tigerkatzen, Schlangen u.s.w.
Bei den Ulu-Ajar Dajak am Mandai, südlich vom oberen Kapuas, bestehen
ähnliche, aber noch strengere Vorschriften für den Häuserbau. Dort
hängt die Dauer der Busse von den hauptsächlich gebrauchten Baumarten
ab; für ein Haus aus wertvollem Eisenholz muss man sich drei Jahre
lang verschiedener Leckerbissen enthalten; die Seelen geringerer
Baumarten machen dagegen bescheidenere Ansprüche.
Eine derartige Verbotszeit wird durch eine Festlichkeit abgeschlossen
(_bet lali)_. Dabei spielt die Kopfjägerei, allerdings nur pro forma,
auch noch eine Rolle; man entlehnt nämlich einen alten Schädel bei
einem benachbarten Stamme.
Sehr verschieden geartet sind auch die Seelen der die Pfeilgifte
liefernden Bäumeder Täsembaum (Antiaris toxicaria Lesch.) scheint
schwer zu befriedigen zu sein; denn nur selten ist das Kernholz dieses
Baumes wohlriechend; dies ist nur dann der Fall, wenn derjenige,
der ihn fällt, die richtigen Opfer zu bringen versteht. Das Gleiche
gilt für den in Ost-Borneo vorkommenden Kampferbaum.
Auch der Reis ist beseelt und die gute Gesinnung seiner Seele ist für
den Ernteausfall von grosser Bedeutung, daher müssen die Priesterinnen,
wie wir in der Folge sehen werden, beim Reisbau ein sehr kompliziertes
Zeremoniell erfüllen.
Eigentümlicher Weise stellen sich die Bahau, wie schon gesagt, auch die
toten Wesen ihrer Umgebung beseelt und mit menschlichen Eigenschaften
begabt vor. Aus diesem Grunde wirft ein Kajan, der schwer dazu zu
bewegen ist, einen Gegenstand durch Verbrennen zu vernichten, ihn
anstandslos in den Fluss, in der Überzeugung, dass er sich im Wasser
doch noch durch Schwimmen retten könne.
Eine besonders rücksichtsvolle Behandlung erfahren bei den Mendalam
Kajan und allen Busang sprechenden Stämmen am Mahakam die Seelen
derjenigen Gegenstände, die im Leben des Menschen eine wichtige
Rolle gespielt haben; sie werden zu Lebzeiten gesammelt und auch
nach dem Tode ihres Eigentümers in einem grossen Packen, _legen_
genannt, aufbewahrt. Zwar kümmert sich keiner weiter um den Packen,
auch lässt man ihn beim Verlassen des Hauses unter dem Dache zurück;
niemand würde jedoch wagen, ihn zu vernichten. (Siehe folg. Kap.)
Im vorhergehenden haben wir die Vorstellungen kennen gelernt, die
sich die Bahau von sich selbst, ihrer irdischen Umgebung und den
über ihnen stehenden Mächten gebildet haben; betrachten wir jetzt
die Beziehungen, die zwischen der Geister- und Menschenwelt bestehen.
Das Bedürfnis, für ihren Lebenswandel eine Richtschnur und über
ihre Zukunft einige Gewissheit zu erlangen, hat in den Bahau die
Überzeugung entstehen lassen, dass ihnen die guten Geister des _Apu
Lagan_ durch die Vermittlung von Tieren und auffallenden Ereignissen
den Willen und die Pläne Allvaters mitteilen. Aus dieser Überzeugung
hat sich ein ausgebreitetes System von Vorzeichen entwickelt, das
nicht nur bei wichtigen Unternehmungen, sondern auch im täglichen
Leben, und zwar bei den verschiedenen Stämmen in verschiedenem Masse,
eine grosse Bedeutung erlangt hat.
Die Zahl dieser Vorzeichen ist eine sehr grosse und ihre Arten sind
sehr verschieden; die wichtigsten, welche unter allen Umständen bei den
Bahau Gültigkeit haben, werden dem Vogelkluge entnommen. Es handelt
sich hierbei hauptsächlich darum, ob gewisse Vögel rechts oder links
vom Beobachter auffliegen oder ihre Stimme hören lassen. Die beiden
massgebendsten der wahrsagenden Vögel der Bahau sind der _hisit_ oder
_sit_ (Anthreptes malaccensis) und der _telandjang_ (Platilophus
coronatus), beides auf Borneo sehr verbreitete Honigvögel. Die
Kenjastämme legen ausserdem viel Gewicht auf das Erscheinen einer roten
Trogonart (Trogon elegans) und eines verbreiteten braunen Falken mit
milchweissem Kopf (Habiastur intermedia).
Zu den wahrsagenden Tieren gehören ferner auch das Reh, _kidjang_
(Cervulus muntjac) und eine schwarze Schlange mit 4 weissen
Längsstreifen und einem lackroten Kopf, Bauch und Schwanz (Doliophis
bivirgatus Boie).
Da auch ein sorgfältiges Befragen und Befolgen der Vorzeichen den
Bahau nicht genügend erschien, um sich _Tamei Tingeis_ Wohlwollen und
somit ein glückliches Leben ohne Krankheit und Unglück zu verschaffen,
erfanden sie ein System von Verbotsbestimmungen, eine religiöse _adat_,
die ihnen zwar jede Freiheit des Handelns benimmt, ihren ängstlichen
Gemütern jedoch eine grosse Beruhigung gewährt.
Es würde zu weit führen, an dieser Stelle auf die zahlreichen Arten der
Verbotsbestimmungen näher einzugehen; sie durchziehen das ganze Leben
der Bahau derart, dass der Leser mit den Bewohnern von Mittel-Borneo
gleichzeitig auch diese religiöse _adat_ kennen lernen wird. Einige
Beispiele mögen aber erläutern, was die Bahau im allgemeinen mit
den ständig bei ihnen wiederkehrenden Worten "_pemali_" und "_lali_"
bezeichnen.
Unter _pemali_ (Hauptwort) und _lali_ (Eigenschaftswort) wird in
der Busangsprache alles, was sich auf religiöse Verbote bezieht,
verstanden. Das Wort _lali_ hat die gleiche Bedeutung wie das
polynesische _tabu_, wie das malaiische _pantang_ und das _buling_ im
Kapuas-Malaiisch. Die Dajak legen dein _lali_ einen doppelten Sinn bei:
das eine Mal bedeutet es "verboten" im allgemeinen, so wird z.B. beim
Tode eines Häuptlings die Niederlassung und der Flusslauf für _lali_
erklärt, d.h. sie dürfen von keinem Fremden betreten werden; ferner
ist es _lali_, zu bestimmten Zeiten etwas Bestimmtes zu essen, zu
tun, zu sagen. Das andere Mal wird _lali_ in dem Sinne von "geweiht"
gebraucht, z.B.: "_luma lali_" = "geweihtes Reisfeld", das nur für
religiöse Zwecke benutzt werden darf; "_haureg lali_" = "geweihter
Hut", der nur bei religiösen Zeremonien aufgesetzt werden darf
u.s.f. Wie dem Eigenschaftswort "_lali_" kommt auch dem zugehörigen
Hauptwort "_pemali_" eine doppelte Bedeutung zu. Mit "_pemali_"
werden sowohl alle durch die religiöse _adat_ vorgeschriebenen
Verbotsbestimmungen als auch geweihte Gegenstände bezeichnet. Alle
symbolischen Gegenstände, durch welche die Priesterinnen den
Geistern ihre Wünsche vortragen, heissen "_pemali_", desgleichen alle
Gegenstände, die überhaupt beim Gottesdienst gebraucht werden.
Obgleich die Bahau mit Hilfe der guten Geister und der Vorzeichen
selbständig mit Allvater in Verbindung treten können, halten sie
unter Umständen doch noch eine besondere Vermittlung durch berufene
Personen für notwendig. Durch die Erfahrung belehrt, dass auch eine
gewissenhafte Beobachtung der Vorzeichen und Verbotsbestimmungen nicht
im stande ist, sie vor Krankheit und Unglück zu schützen, wenden sie
sich in schwierigen Fällen lieber an Menschen, die ihrer Meinung nach
der Geisterwelt näher stehen als sie selbst, um Rat und Hilfe.
Eine eigentliche Priesterkaste existiert bei den Bahau nicht;
die Personen, die eine Vermittlung zwischen Volk und Geisterwelt
übernehmen, behalten ihre sonstigen Berufe als Ackerbauer, Hausfrauen
u.s.w. stets bei. Die Zahl der weiblichen Priester ist eine weit
grössere als die der männlichen; sie alle werden _dajung_ (singen _=
dajung_) genannt.
Die Pflichten der _dajung_ sind sehr mannigfaltig; ihre Hilfe wird
bei bösen Träumen, Krankheit, Tod und Unglücksfällen von ihren
Stammesgenossen beansprucht; eine wichtige Rolle spielen sie auch;
wie wir später sehen werden, bei den Ackerbaufesten. Die _dajung_ sind
zugleich auch die Gebildeten und Weisen des Stammes; denn sie sind
es hauptsächlich, welche die Überlieferungen des Stammes bewahren,
ausser der göttlichen auch die weltliche _adat_ kennen, sich stets
auf der Höhe der medizinischen Wissenschaft erhalten und diese auch
praktisch anwenden.
Die _dajung_ halten Versammlungen und Lehrstunden, in welchen die
Jüngeren zwei Jahre lang unterwiesen werden. Die jungen Priester haben
eine Probezeit zu überstehen, in welcher sie allerhand unangenehme
Dinge tun müssen, wie z.B. Erde essen. Während der Lehrzeit tragen
die Priesterinnen bei Festen Röckchen mit weissem Mittelfelde.
Trotzdem ich alle Ackerbaufeste bei den Mendalam Kajan mitmachte,
beobachtete ich exaltierte Zustände der _dajung_ nur in rudimentärer
Form. Es war beim Neujahrsfeste, als eine der Hauptpriesterinnen,
_Tipong Igau_, den Geistern die auf einem Opfergerüst (_lasa_)
ausgebreiteten Geschenke als Opfer anbot. Sie umkreiste in immer
schneller werdendem Tanze das Opfergerüst, bis sie zuletzt an ihm
emporkletterte und es schüttelte, als wollte sie die Opfer gen Himmel
steigen lassen. (Siehe Kap. VIII).
Um ihr priesterliches Amt antreten zu können muss die junge _dajung_
zuvor durch einen guten Geist beseelt werden. Der Vorgang der
Beseelung wurde mir erst bei den Mahakamstämmen klar; ich beobachtete
indessen bereits bei den Mendalam Kajan, dass einer jungen Priesterin
eine am Opfergerüst befestigte Schnur in die Hand gegeben wurde,
längs welcher der Geist sich auf sie herablassen sollte; eine ältere
Priesterin weihte sie unterdessen in die Geheimnisse der priesterlichen
Wissenschaft ein.
Bei den Bahau fehlt es zwar nicht an Frauen mit allerhand
Nervenkrankheiten wie Epilepsie, sie gehörten aber nie zu den _dajung_,
die alle als brave Hausmütter und -väter ihren Pflichten auf ruhige
Weise nachkamen.
Die _dajung_ geniessen seitens des Volkes grosse Achtung; selbst
wenn die Ungeschickteren unter ihnen bei den religiösen Tänzen
oft unverständliche und komische Sprünge und Bewegungen ausführen,
erregen sie doch nie die Heiterkeit der Zuschauer.
In sexueller Hinsicht spielen die _dajung_ auch durchaus nicht die
Rolle der _blian_ (Priesterin) und des _basir_ (Priester) am Barito,
ihr sittliches Leben ist untadelhaft.
Das Priesteramt verschafft an und für sich keine besonderen Vorrechte
und Vorteile. Die eifrigen und gewandten _dajung_ können allerdings,
trotzdem sie einen Teil ihrer Einnahmen den sie beseelenden Geistern
und höheren Göttern opfern müssen, sich durch ihr Amt eine reiche
Erwerbsquelle erschliessen.
Die Priesterinnen sind verpflichtet, den Verbotsbestimmungen strenger
als die Laien nachzukommen.
Äusserlich unterscheiden sich die _dajung_ von den Laien nur, wenn
sie ihres Amtes walten, durch ein bis mehrere besondere Armbänder
und bei festlichen Gelegenheiten durch schöne, auf besondere Weise
geschlungene Schale.
Jede Niederlassung am Mendalam besitzt ihre eigenen _dajung_, die
mit einander in keiner Verbindung stehen; auch sind die religiösen
Gebräuche selbst bei benachbarten, verwandten Stämmen von einander
etwas verschieden.
Die _dajung_ bedienen sich während ihrer Amtshandlungen einer
besonderen, älteren Sprache, die von der gegenwärtigen verschieden
ist und _dahaun to_ (Geistersprache) genannt wird.
Ausser durch die Sprache treten die _dajung_ mit den Geistern auch
durch Herstellung verschiedener Gegenstände in Verbindung, die
sie selbst teils als Ausdruck ihrer Wünsche, teils als Opfergaben
betrachten. Diese symbolischen Gegenstände sind alle aus sehr
einfachem, dem Pflanzenreiche entnommenem Material verfertigt und
werden, wie weiter oben bereits ausgeführt ist, mit allen Gegenständen,
Vorschriften und Verbotsbestimmungen, die auf den Gottesdienst Bezug
haben, als _pemali_ zusammengefasst.
Sobald die Priesterschaft mit der Geisterwelt in Verbindung treten
will, benachrichtigt sie diese durch Schläge auf alte, kupferne Becken
oder runde, kupferne Platten, die 3-4 dm Durchmesser haben und mit
einem 5 cm hohen Rande versehen sind. Die vibrierenden Töne dieses
Instrumentes begleiten jede religiöse Handlung, man hört sie aber
nie bei anderen Gelegenheiten.
In der Wirksamkeit der _dajung_ lassen sich zwei Hauptaufgaben
unterscheiden: die erste besteht darin, die _bruwa_ des Menschen
zu dessen Lebzeiten am Entfliehen zu hindern oder, wenn sie bereits
entflohen ist, sie zurückzuholen und sie nach dem Tode des Menschen
sicher nach _Apu Kesio_ zu geleiten (_anter);_ die zweite verlangt
eine Vermittelung zwischen der Menschen- und Geisterwelt in allen
Dingen, die den Ackerbau, die eigentliche Lebensquelle der Bahau,
betreffen. Betrachten wir zunächst, wie sich die Priester ihrer ersten
Aufgabe entledigen.
Unter einer _mela_ verstehen die Bahau eine religiöse Handlung,
die den Zweck hat, die beunruhigte Seele eines Menschen, die im
Entfliehen begriffen oder bereits entflohen ist, durch besänftigende
Mittel und mit Hilfe der guten Geister zum Bleiben bzw. zur Rückkehr
in den Menschen zu bewegen. Sobald ein Familienglied schlecht geträumt
hat, sich krank fühlt oder Unglück erlitten hat, wird eine _dajung_
zur Vornahme einer solchen _mela_ herbeigerufen. Auch mit gesunden
Menschen wird eine _mela_ vorgenommen, wenn es sich darum handelt,
ihre Seele für ein bevorstehendes, beunruhigendes Ereignis, wie
z.B. eine Reise, feierliche Handlungen u.s.w. vorzubereiten.
Soll ein körperlich oder geistig Kranker geheilt werden, so findet die
_mela_ stets in seiner Wohnung statt. Der gewichtige Tag wird morgens
gegen acht Uhr mit einer besonders guten Mahlzeit, an der sowohl die
Familie als auch die Priesterin teilnimmt, eingeleitet. Die Mahlzeit
besteht aus Huhn, Fisch, Reis, Ei und einer Gemüsesuppe. Von allen
diesen Herrlichkeiten wird für die Geister etwas auf die Seite gelegt
und später zu einer Geisterspeise verarbeitet, welche, je nachdem es
sich um Krankheit, böse Träume. oder einen Unglücksfall handelt, mit
besonderen Zutaten versehen zu einer _blaka_, dem materiellen Ausdruck
des von dem leidenden Teil Gewünschten, vereinigt wird. Einige dieser
Geisterspeisen werden an die Kindertragbretter und die Dachfenster,
durch welche die guten Geister eintreten sollen, gehängt.
Ausser durch Leckerbissen erfreuen die _dajung_ die guten Geister
auch durch Geschichtenerzählen; am Boden hockend berichten sie ihnen
stundenlang die Stammesgeschichte oder sie erzählen ihnen allerlei
Sagen, wie die von _Belawan Buring_, von denen sie annehmen, dass
auch die _to_ sie mit Interesse und Vergnügen anhören.
Mit allerhand derartigen Vorbereitungen verstreicht der Vormittag;
nachmittags schlachtet einer der männlichen Hausgenossen ein Ferkel,
dessen Blut auf Bananen- und _sawang_-Blättern (Cordyline javanica
Bl. [beta].) aufgefangen wird, um später bei der eigentlichen _mela_
als Geistertrank zu dienen. Unterdessen hat sich die Priesterin auf
einer schönen Rotangmatte vor dem offenen Dachfenster, durch welches
die Geister eintreten sollen, niedergelassen und zwar nach Kajanweise
mit gekreuzten Beinen hockend, das Haupt auf die rechte Hand gestützt.
Vor ihr stehen allerhand schöne Dinge: hübsche Zeugstücke,
Perlenketten, alte Schwerter und Gonge, ausserdem die _blaka_. Am
Dachfenster hängt die _alan bruwa_, der Seelenweg, eine Schnur mit
Lockmitteln, welche der entflohenen Seele bei der Rückkehr den Abstieg
durch das Fenster erleichtern soll. Die singende Priesterin sucht nun
mit Hilfe der Geister von _Apu Lagan_ die verirrte Seele des Patienten
längs des _alan bruwa_ zurückzuholen. Glaubt sie ihr Ziel erreicht zu
haben, so befördert sie die Seele in ein Körbchen mit Geisterspeise
und setzt dieses, nachdem es sorgfältig geschlossen worden, in einer
dunklen Ecke der Wohnung nieder. Hierauf geniesst die Familie wieder
ein kräftiges Mahl, bei dem das Ferkelchen das Hauptgericht ausmacht.
Der Einbruch der Dunkelheit giebt das Zeichen für den Beginn
der eigentlichen _mela_. Türe und Fenster werden geschlossen, ein
altes Schwert und eine Speerspitze werden mit der Geisterspeise und
den mit Ferkelblut besprengten Blättern versehen und der Patient
niedergesetzt. Er stützt den einen Fuss auf das Schwert, während
ihm die Priesterin den Arm von oben nach unten mit der Speerspitze
streicht. Die Handlung hat den Zweck, die verirrte Seele, welche
die Priesterin vorher aus dem Korbe genommen und in das Haupt des
Kranken geblasen, in dessen Körper fest zu halten. Nachdem der Patient
wieder in den Besitz seiner _bruwa_ gelangt ist, werden auch seine
Angehörigen auf die gleiche Weise behandelt, um für ihr Gesundbleiben
zu sorgen. Hiermit ist die _mela_ zu Ende und die Priesterin kehrt
beim, belohnt mit einem Schwert und vier bis fünf Perlen, deren Wert,
wenn die behandelte Familie reich ist, 7 1/2 fl das Stück betragen
kann.
Wie im folgenden Kapitel gezeigt werden wird, führen die _dajung_ die
_mela_, je nach dem Zweck, den sie erfüllen soll, auf verschiedene
Weise aus; das Prinzip ist aber stets das gleiche: eine Beruhigung
der Seele mittelst ihr angenehmer Dinge.
An dem Tage nach der _mela_ ist den Hausbewohnern jede Arbeit verboten,
auch dürfen sie mit den Dorfgenossen nicht verkehren, ihre Wohnung ist
_lali_. Als Zeichen hiervon legen sie sich ein besonderes Perlenarmband
(_leku mela_) um, in dessen Mitte sich acht rote Perlen, an den Seiten
je vier gelbe, vier blaue und vier schwarze, kleinere Perlen befinden;
abgeschlossen wird die Kette durch zwei braune Früchte einer Coïx-Art,
welche die bösen Geister zu vertreiben im stande ist. Dieses Armband
wird erst am Ende des zweiten Tages abgelegt.
Ungefähr auf die gleiche Weise wird die _mela_ vorgenommen, wenn
es sich um jemand handelt, der sich beunruhigt fühlt, der schlecht
geträumt oder Missgeschick erlebt hat.
Gilt es das Wohlsein eines Häuptlings oder das des ganzen langen
Hauses, so genügt eine Priesterin für die _mela_ nicht, sondern es
vereinigen sich drei bis vier der ältesten, um ihren Einfluss auf
die Geisterwelt geltend zu machen.
Sowohl bei der _mela_ als bei anderen Gelegenheiten spielt das Ei als
Opfer eine besondere Rolle. Augenscheinlich liegt der Grund darin,
dass ein Ei einen leicht zu beschaffenden und billigen Opfergegenstand
bildet; die Kajan jedoch leiten den Ursprung dieses Gebrauches von
folgendem Begebnis ab:
_Umwo_, das Kind eines Elternpaares_ Tedjulong Apong_ und _Buro Ling_,
fiel einst in den Fluss und kam nicht wieder zum Vorschein. Darüber
entstand so viel Jammer und Verzweiflung im Hause, dass selbst die
Geister oben aufmerksam wurden und untersuchten, was eigentlich
geschehen war. Zwei grosse Geister, _Belarè Kingan Tuman Tana_
und _Belarè Tuman Langit_, sandten mitleidsvoll aus ihrem Himmel
ein Ei herab, um mit dessen Hilfe die entflohene Seele des Kindes
zurückzurufen. Die Eltern wussten jedoch nicht, was mit dem Ei zu
beginnen sei, wickelten es in ein Tuch und legten es unter ihre
Schlafstätte. Nachts träumte ihnen, dass es gut sei, das Ei an den
Fluss zu bringen und ins Wasser zu werfen. Das taten sie denn auch
in aller Feierlichkeit und, als sie nach Hause zurückkehrten, fanden
sie zu ihrer Freude das Kind auf der Galerie sitzen.
Als die Eltern ihr Kind badeten, trat das Ei an die Oberfläche des
Wassers und trieb den Fluss hinab, sie erkannten es jedoch nicht und
stiessen es weg. Das Ei schwamm aber langsam den Fluss wieder hinauf;
da nahmen die Eltern es als Spielzeug für das Kind mit nach Hause und
bewahrten es in Tüchern. Nach Verlauf einiger Zeit, während welcher
das Kind immer gesunder wurde, krochen aus dem Ei ein Hahn und eine
Henne hervor. Da merkten die Eltern, dass das Ei ihnen von den Geistern
gesandt worden war und eine besondere Bedeutung hatte, und seit der
Zeit bringen die Kajan den _to_ Eier und Hühner als Opfer dar.
KAPITEL VI.
Opfergaben der Bahau: _kawit_--Die _pemáli:_ bei der _mela_,
beim Erntefest, in den Reisscheunen, auf dem Reisfelde, beim
Säen, beim Neujahrsfest, bei der _mela_ der Namengebung, bei der
_mela_ gegen Krankheit, bei der Rückkehr von grossen Reisen--Das
_legén_--Schwierigkeiten bei den Nachforschungen auf religiösem
Gebiet--_Usun_, die Oberpriesterin--Schöpfungsgeschichte der
Mendalam Kajan.
Ihre zweite wichtige Tätigkeit, die Vermittlung zwischen dem Volke
und der Geisterwelt, von welcher der Ausfall der Ernte abhängig ist,
entwickeln die Priesterinnen bei den Ackerbaufesten; diese liefern
daher die beste Gelegenheit, um in den Gottesdienst der Bahau einen
Einblick zu gewinnen. Betrachten wir im folgenden die Art und Weise, in
welcher die Priesterinnen ihre vermittelnde Rolle auszuführen suchen.
Als das wirksamste Mittel zur Anlockung der Geister betrachtet man das
Anbieten verschiedener Esswaren. Schweine, Hühner, Eier, Fische und
Reis werden als die wahren Götter- und Geisterspeisen angesehen. Bei
einer gewöhnlichen _mela_ werden nur Ferkel und Hühner geschlachtet,
während die grossen Schweine, und zwar nur die männlichen, für die
grossen Festlichkeiten aufbewahrt werden. Ungeteilt werden den Geistern
nur Ferkel, Küchlein und Eier angeboten, von den Schweinen und anderen
Speisen erhalten sie nur kleine Teile. Die Geister begnügen sich
nämlich mit dem geistigen Teil, der in dein Opfer steckt, das nach
Auffassung der Bahau auch beseelt ist, und überlassen den körperlichen
dem Genuss des Menschen.
Die Opfergaben werden in Form von _kawit_ gereicht, die bei keiner
religiösen Handlung fehlen dürfen. Es sind dies kleine Rollen aus
Bananenblättern, in welche Esswaren eingewickelt werden. Jede Rolle
enthält, der bei den Bahau heiligen Zahl acht entsprechend, acht
Lagen. Jede dieser Lagen wiederum besteht aus einem viereckigen,
handgrossen Blattstück, auf welches ein zweites, kleineres,
ausgefranstes Blatt und dann etwas Hühner- oder Schweinefleisch, Fisch,
Reis oder Mais gelegt wird; das Ganze wird mit einem fingerbreiten
Blattstreifen bedeckt. Liegen acht derartiger Schichten aufeinander, so
werden sie in Form einer Zigarre zusammengerollt und mit ungedrehten
Bastfasern, deren Enden nicht geknüpft, sondern nur verschlungen
werden dürfen, gebunden und die _kawit_ ist fertig.
Flüssige Opferspeisen werden den Geistern gewöhnlich in Bambusgefässen
gereicht.
Eine gleich wichtige Rolle wie die _kawit_ spielen bei religiösen
Handlungen die anderen _pemali_, mittelst derer die Priesterinnen
den Göttern und Geistern die Wünsche des Volkes auszudrücken suchen.
Die Herstellung dieser _pemali_ kostet den Priesterinnen viel Zeit;
denn sie sind, je nach der Gelegenheit, für welche sie verwendet
werden sollen, verschieden, ausserdem oft sehr kompliziert und
zahlreich. Befassen wir uns zunächst ausführlich mit den _pemali_
und deren Anwendung.
Bevor der Reis geerntet (_ngeluno_) wird, lässt jeder Bahau in
seinem Hause eine _mela_ stattfinden und sich und die Seinen für
die bevorstehende gewichtige Arbeit vorbereiten; tut er dies nicht,
so darf er an der gemeinsamen Festmahlzeit nicht teilnemen. Die Sorge
für die Vorbereitungen zum Erntefest überlässt er dem Häuptling.
Die Priesterin hat für diese _mela_, die abends stattfindet, tagsüber
drei _pemali_ zu verfertigen: das _kahe parei_, das _tuhe lali_
und das _ao lali_.
Das _kahe parei_ ist ein Stück einer Fruchtschale, an der zwei
_kawit_ und einige _usut_, jede aus zwei an eine Schnur gereihten
Perlen bestehend, befestigt sind. Die _usut_, fünf an Zahl, heissen:
_usut parei_ (Reis), _usut baha_ (entspelzter Reis), _usut kanen_
(gekochter Reis), _usut ata_ (Wasser) und _usut apui_ (Feuer); für
alle diese _usut_ verwendet man am liebsten alte Perlen. Unter _usut_
wird im allgemeinen ein Geschenk oder eine Busse zur Besänftigung
einer erzürnten Seele verstanden; man bringt z.B. ein _usut_ mit,
wenn man als Fremder zu einem kleinen Kinde kommt (Siehe pag. 74.).
_Tuhe lali_ heisst ein aus einem Kürbis verfertigter Löffel von
altmodischer Form, an den vier _kawit_ mit Mehl, Ei, Fisch und
gekochtem Reis gehängt werden.
_Ao lali_ ist ein hölzerner Spatel, wie man ihn beim Reiskochen stets
gebraucht; auch er wird mit einer _kawit_ versehen.
Mit dem _kahe parei_ werden bei der stattfindenden _mela_ alle
Familienglieder von der Priesterin berührt, erst ihr Gesicht, dann ihre
Brust. Der Vorgang wird mit _pelesat_ bezeichnet. Darauf ist jeder
mit dem _ao lali_ ein paar Reiskörner und trinkt mit dem _tuhe lali_
etwas Wasser. Dann beginnt die Festmahlzeit.
Wie alle Gegenstände, welche bei religiösen Handlungen gedient haben,
werden auch diese _pemali_ sorgfältig aufbewahrt.
Der eben erwähnte Reis ist der erste der neuen Ernte. Er muss,
nach alter Sitte, in einer auf Backsteinen ruhenden Pfanne gekocht
werden. Die Backsteine, drei an Zahl, zwei grosse (_angan banga_)
und ein kleiner (_angan tepa)_, werden für diese Gelegenheit besonders
hergestellt. Die zwei grossen Steine stehen, auf eine Kante gestützt,
auf dem Herde und tragen die Pfanne; der kleinere Stein wird an
einen der grösseren gelehnt und trägt eine _kawit_. Zur Abwehr böser
Geister dient ein mit Haken versehener Bambusstab (_udak awak)_,
der beim Gebrauch an den kleinen Stein gelehnt wird. Diese Backsteine
sind so ziemlich das einzige Überbleibsel der früheren Töpferkunst,
die bei den verwandten, aber von den malaiischen Händlern seltener
besuchten Stämmen jetzt noch im Schwange ist.
Bei der Festmahlzeit wird der neue Reis für alte tapfere Männer
auf besondere Weise zubereitet; man kocht ihn, in Bananenblätter
eingewickelt, in Form von länglichen Päckchen, welche aufgerollt
werden. Jeder der Tapferen erhält acht solcher an einer Schnur
befestigten Rollen.
Auch das erste Einbringen des Reises in die Scheune findet mit Hilfe
der _dajung_ statt, welche mit den Reisseelen unterhandeln muss,
um sie für ihren künftigen Aufenthalt in der Scheune günstig zu
stimmen. Die hierfür verwendeten _pemali_ sind bei den verschiedenen
Stämmen verschieden.
Die _dajung_ von Tandjong Karang gebrauchen das _barang bulit_, die
von Tandjong Kuda den _telu_ mit _hiköp bulit_ und die der Ma-Suling
den _san lali_. Alle diese _pemali_ dienen dem gleichen Zweck, dem
Anlocken; Auffangen und Aufbewahren der Reisseelen.
Zum _barang bulit_ gehört eine winzige Leiter, ein Spatel, beide
mit _kawit_ versehen, und ein geschlossenes Körbchen. In diesem
befinden sich, ausser einer _kawit_, Haken und Dornen von Pflanzen und
Schnüre aus Pflanzenfasern, um die Reisseele nötigenfalls gewaltsam
festzuhalten. Bei der Handlung streift die Priesterin die Reisseele
mit dem Spatel längs der Treppe in den Korb, soll heissen: sie bringt
die Seelein die auf Pfählen ruhende Reisscheune.
Das _telu_ mit dem _hiköp bulit_ ist eine mit einem weissen
Kattunstreifen gebundene Bambusdose, in der sich einige _kawit_,
eine Schnur und eine winzige Leiter befinden. Auf dieser Leiter wird
die Reisseele mit dem _hiköp bulit_ (Schöpfnetz) in das Bambusgefäss
befördert, hier von der _dajung_ mit der Schnur festgebunden und das
Ganze in der Scheune aufgehängt. Netz und Leiter sind ebenfalls mit
_kawit_ versehen. Neben dieser Form existiert in Tandjong Kuda noch
eine andere: zwei Bambusgefässe mit _kawit_, die neben einander an
einer Schnur in der Scheune hängen; man unterscheidet an diesen die:
_tawe_ (Schnur) _lepo_ (Scheune), _parei_ (Reis), welche als Seelenweg
dient, und das _teha hato toko hawo_, Gefäss für die Aufbewahrung
der eingefangenen Seele.
Die _san_ (Leiter) _lali_ der Ma-Suling besteht aus einer Leiter, einem
Bambusgefäss und einer Hühnerfeder, die zur Überführung der Seele in
das Gefäss dient. Das Bambusgefäss enthält die _kawit_ und wird, mit
weissen Kattunstreifen umwickelt, man nennt es: _njina bruwa parei_
wörtlich: Beruhigung der Reisseele.
Unter _njina_ wird das tägliche Anlocken, Liebkosen und Beruhigen der
Kinderseelen durch die Mütter verstanden. Eine genaue Wiedergabe des
Wortes ist unmöglich (Über den Vorgang siehe pag. 72).
Um sich auch für das folgende Jahr eine gute Ernte zu sichern,
halten es die Bahau für notwendig, nicht nur in den Besitz der
Seelen des augenblicklich vorhandenen Reises zu gelangen, sondern
auch der Seelen des auf den Boden gefallenen, von Hirschen, Affen und
Schweinen gefressenen Reises habhaft zu werden. Auch hierfür haben die
Priester ein Mittel erfunden: sie stellen ein _telu hina_ (Hauptwort
zu _njina =_ beruhigen) her, das ist ein Bambusgefäss (_telu_) mit
_kawit_, an welches vier Haken aus Fruchtbaumholz befestigt werden,
mit deren Hilfe die verlorenen Reisseelen, falls solche vorhanden,
aus der Ferne herbeigelockt werden können. Nachdem die Seelen im
Behälter geborgen worden, hängt man ihn in der Wohnung auf.
Die _Ma-Suling_ haben für den gleichen Zweck ein anderes _pemali_,
die _usu bruwa_ = Seelenhände. Es sind zwei aus Fruchtbaumholz
geschnitzte Hände, zwischen welche acht _kawit_ gesteckt werden;
man umwickelt sie mit Kattun und bindet sie mit einer Perlenschnur
fest. Die Hände haben die gleiche Bedeutung wie die Gefässe, sie
sollen die herbeigelockten Reisseelen festhalten. Auch dieses _pemali_
wird im Wohngemach aufgehängt.
Ein anderes _pemali_, das _barang usut_, wird erst dann in die Reis
scheune gebracht, wenn diese bereits gefüllt worden ist; es ist ein
Korb, dessen Inhalt die Reisseelen, falls diese erzürnt sind, beruhigen
soll. In dem Korbe befinden sich noch drei andere, kleinere Körbe, in
denen kleine und grosse rote Perlen als eigentliches _usut_ (Geschenk)
liegen; ausserdem enthält das Körbchen noch die Endtriebe eines Krautes
und als Symbol für das Festhalten der Seele einige gekrümmte Dornen.
Wenn eine Kajanhausfrau für den täglichen Gebrauch Reis aus der
Scheune holt, sorgt sie dafür, dass die Reisseelen hierüber nicht
in Zorn geraten. Zu diesem Zweck hat sie das _barang lali_ stets
in der Scheune hängen; seine wesentlichen Bestandteile sind ein
Bündel Spähne aus Fruchtbaumholz und ein viereckiges Körbchen aus
_tika_. Mitten zwischen die Spähne wird ein Ei gesteckt und unten am
Bündel ein kleines Bambusgefäss mit Zuckerrohrsaft (_telang tewo_)
als Opfergabe angehängt. Das Körbchen enthält eine geweihte Matte
für das Holen des Reises: _brat_ (Matte) _lali_ (geweiht) _ala_
(holen) _parei_ (Reis) und vier _kawit_, die besondere Namen tragen:
barang _bal ok; pakan lepo halam; pakan lepo parei; bal ok a desak;_
ausserdem einen Reishalm. Die Frau beginnt damit, als Opfer für die
_bruwa parei_, etwas Zuckerrohrsaft auf das Ei zwischen den Spähnen
zu giessen. Während sie den Deckel des Korbes abhebt, die kleine
Matte herausnimmt, auf den Boden breitet und einen Reishalm darauf
legt, erklärt sie den Reisseelen den Zweck ihres Kommens. Darauf
kniet sie, einige Sprüche murmelnd, vor der Matte nieder und isst
ein einziges Korn von dem Reishalm. Nachdem sie das _barang lali_
sorgfältig geborgen, geht die Frau mit der erforderlichen Menge Reis
ruhig nach Hause.
Matten spielen beim Trocknen und Stampfen des Reises eine wichtige
Rolle, es ist daher wahrscheinlich, dass das _barang lali_ und das
Verzehren des Reiskorns den Reisseelen die bevorstehende Behandlung
andeuten sollen.
Beim Beginn einer neuen Ernte werden die gebrauchten _pemali_
durch andere ersetzt, nur das _bararg lali_ und _kahe parei_ werden
sorgfältig mit einer mit Reis gefüllten Eierschale bewahrt und
bei jeder neuen Jahreszeit wieder zum Vorschein geholt. Wenn diese
_pemali_ verloren gehen, ist eine _mela_ der _dajung_ erforderlich,
um die Reisseelen wieder anzulocken.
Beim Beginn des Reisschnitts stimmt man die Geister dadurch günstig,
dass man ihnen Esswaren und Wasser, vielleicht einen Aufguss auf
Gemüseblätter, darbietet. Das Opfer, _tawe lali luno_ genannt, wird
von Kindern auf das Reisfeld getragen. Die Esswaren: gekochter Reis,
Fisch und Huhn, befinden sich in drei von den _dajung_ mit einfacher
Schnitzerei verzierten Bambusbehältern, das Wasser in einem vierten,
niedrigeren Behälter; an alle Gefässe werden _kawit_ gehängt. Abends
werden die Reishalme des ersten Schnittes in einem geweihten Korbe
(_ingan lali_) unter Beckenschlag feierlich ins Haus getragen. Aus
der Wohnung sind Hunde und Katzen vorher entfernt worden, auch hat
man die _amin_ gereinigt und den Eingang mittelst einer Tür aus
Rotanggeflecht verschlossen. Die Tür (_bilet_) besteht aus zwei
durch eine Rotangschlinge verbundenen Hälften und einem hölzernen
Handgriff. Soll der Korb in die Wohnung getragen werden, so streift
man die Schlinge mit dem Handgriff ab, die beiden Flügel des Pförtchens
springen auf und der Reis kann seinen Einzug halten.
Die mit dem Saat- und Neujahrsfest verbundenen Festlichkeiten haben auf
die Verehrung der Götter _Tamei Tingei_ und _Djaja Hipui_ Bezug, daher
besitzen die bei dieser Gelegenheit gebrauchten _pemali_ teilweise
eine allgemeinere und wichtigere Bedeutung als die vorhin angeführten;
denn nun gilt es nicht allein, die betreffenden Geister zufrieden
zu stellen, sondern man verlangt von ihnen auch eine gute Ernte,
Gesundheit und Wohlfahrt. Die _dajung_ verfertigen für das Neujahrsfest
ein besonderes _pemali_, das sie auf dem geweihten Reisfeld (_luma
lali_), das als Ort der heiligen Handlung dient, aufrichten. Mit
geringen gelegentlichen Abweichungen besteht dieses _pemali_ aus
Stücken von Fruchtbaumholz, die durch ihre Form den Geistern die Bitten
des Kajanvolkes übermitteln sollen. Die Konstruktion ist die folgende:
Mitten im Reisfeld werden, mit ihren zugespitzten Enden in die Erde
gebohrt, vier etwa 20 cm lange runde Pfähle dicht neben einander
in einer Reihe aufgestellt. Die beiden mittelsten tragen oben je
einen Kranz von acht kleinen, in das Holz eingesenkten Häkchen,
während zu den seitlichen Pfählen je eine Treppe führt. Die Pfähle
sind oben mit zwei schmalen Brettern gedeckt; vor und hinter ihnen
stecken etwas längere Hölzer mit ihren hakenförmigen Enden schräg
im Boden. Die Bedeutung des Ganzen ist diese: die vier aufrechten
Pfähle bitten die Götter um langes Leben, die beiden Hakenkränze um
ein Ansammeln von Reichtümern, die beiden Treppen um ein Übersteigen
aller Schwierigkeiten, die schief im Boden steckenden Hölzchen um
einen Boden, aus dem sich Reichtümer heben lassen. Dieses _pemali_, als
_pelale_ bezeichnet, wird beim Saatfest und später beim Neujahrsfest
am Fuss des _dangei_ aufgerichtet, nachdem man die Erde vorher mit dem
Blut eines Küchleins als Opferspeise befeuchtet hat (Siehe Kap. VIII).
Das _pemali bliang_ unterscheidet sich vom _pelale_ hauptsächlich
dadurch, dass die Hakenkränze durch acht längere Haken, die man rings
um die vier Pfähle steckt, ersetzt werden. Zwischen die Haken werden
als Opfergaben kleine Fische gelegt. Die Pfähle und Haken des _pemali_
bliang stecken nicht, wie beim _pelale_, in der Erde, sondern in einem
Körbchen mit Klebreis, das mit einem Deckel verschlossen wird. Nachdem
das Körbchen mit einem Streifen weissen Kattuns umwickelt worden,
befestigt man an ihm ein winziges _tekok_, zwei Bambusstäbe und eine
Matte, mit denen beim Neujahrsfest die Geister angerufen werden;
augenscheinlich ein Mittel, um die Aufmerksamkeit der Geister des
_Apu Lagan_ zu erregen. Jede _dajung_ verfertigt am dritten Tage des
Neujahrsfestes ihr eigenes _pemali bliang_ und stellt es am folgenden
Tage mit denen der anderen Priesterinnen gemeinschaftlich an den Fuss
des Opfergerüstes (_lasa_); nach dem Feste bewahrt jede ihr _pemali_.
Für das grosse Neujahrsfest werden ausserdem auch noch andere _pemali_
verfertigt.
Das eben erwähnte _tekok_ wird dann täglich an Stelle eines Gongs
zum Anrufen der Geister gebraucht. Es besteht aus einer geweihten
Matte (_brat lali_) aus _tika_ und zwei Bambusstäben von 3 dm Länge,
welche am unteren Ende durch einen Halmknoten geschlossen sind. Beim
_dangei_-Feste ruft die Priesterin morgens und abends die Geister an,
indem sie in bestimmtem Rhythmus mit den Bambusstäben abwechselnd
auf die Matte schlägt und den Geistern halb singend, halb rezitierend
die Leiden und Wünsche des Stammes zu kennen giebt.
An das Gestell (_lasa_), an welches die Opfergaben gehängt werden,
wird stets eine Rotangschnur und an diese wiederum eine _tawe nangan_
(Leitbahn) befestigt, welche als _alan to_ (Weg der Geister) dienen
soll. Der _alan to_ hängt an einem kupfernen Haken und besteht aus
einem weissen Kattunstreifen, der in einige rote und blaue Streifen
ausläuft, an welche jede der anwesenden _dajung_ ein Bambusgefäss mit
Zuckerrohrsaft, eine Art Halskette aus Perlen und verschiedene _usut_
(Geschenke) und Schleifen, von mir unbekannter Bedeutung, bindet. Neben
dem weissen Kattunstreifen hängt eine Perlenschnur mit kawit, die mit
einer Schlinge endet. Bei der Beseelung kommt der gute Geist längs
dieser Schnur auf die darunter stehende _dajung_ herab.
Die Art und Weise, in welcher die Bahau ihren Dorfgenossen ihre
Neujahrswünsche ausdrücken, ist sehr eigentümlich. Die _dajung_
verfertigen nämlich vor Beginn des Festes für die ganze Bevölkerung
das _hato kawit bruwa_, ein Bündel von acht Haken aus Fruchtbaumholz
und drei _kawit_, die zusammengebunden in einem Säckchen aus weissem
Kattun stecken. In eine Schlinge aus ungedrehten Pflanzenfasern,
welche aus dem Säckchen hervorragt, muss der Nachbar bei der Begrüssung
seinen Finger stecken, der dann hin- und herbewegt wird; bisweilen
wird auch der gute Einfluss, der von der Schlinge ausgeht, auf das
Haupt des Betreffenden geblasen. Indem man die Seele des Freundes
mittelst der Schlinge mit dem wohlschmeckenden Inhalte des Sackes in
Berührung bringt, erweist man ihr etwas Angenehmes, ausserdem wünschen
die hölzernen Haken ein Sammeln von Reichtümern für das folgende Jahr.
Beim _marong uting_ (Schweinefleischessen, siehe Kap. VIII) verfertigen
die _dajung_ in der Wohnung des Häuptlings das _bowo nangan_, ein
Gestell, auf welchem den Geistern das Schweinefleisch in kawit
angeboten wird. Das _bowo nangan_ ist ein mit Schnitzwerk etwas
verziertes Bambusrohr, das horizontal an einer Perlenschnur hängt,
innen und aussen mit _kawit_ versehen ist und in der Mitte acht
_usut_ trägt, deren Bedeutung mir nicht klar ist. Zu beiden Seiten
des Bambusrohres hängen gekreuzte Stöckchen mit kleinen Schnüren,
an welche die _kawit_ mit Schweine- und Hühnerfleisch gebunden
werden. Tagsüber hängt das _bowo nangan_ in der _dangei_-Hütte, abends
wird es aber stets in die _amin_ des Häuptlings zurückgebracht. Statt
der Speerspitze und des Schwertes, welche die _dajung_ bei einer
gewöhnlichen _mela_ gebraucht, verwendet sie bei der gelegentlich
des marong uting stattfindenden _mela_ die _telingan uting_, eine
geschliffene Muschelschale (_hulo)_, an der eine alte Perlenschnur und
eine _kawit_ hängen. Diese von Nautilus-Arten stammenden Schalen und
die alten Perlen werden bei den Bahau sehr geschätzt und sind daher,
gleich wie alte Waffen, sehr geeignet, die Seele in gute Stimmung zu
versetzen, besonders in Verbindung mit dem geliebten Schweinefleisch.
Nach der Sitte aller Stämme von Mittel-Borneo wechseln auch die Kajan
am Mendalam ihren Wohnsitz, sobald für den Reisbau kein geeigneter
Boden in der Nähe mehr vorhanden ist. Bein Einzug in das neue Haus
erbittet die Oberpriesterin den Segen _Tamei Tingeis_ und zwar drückt
sie ihre Bitte durch das _betungul_, ein für den Häuptling bestimmtes
_pemali_ aus. Dieses befindet sich, wie das _pemali bliang_, in
einem Körbchen aus _tika_ und besteht aus einem selbst gebrannten
irdenen Töpfchen (_taring ladang_) mit unregelmässigen Vertiefungen
am Böden, in welche 2 × 8 Haken aus Fruchtbaumholz gesteckt werden;
auch diese bitten um eine Anhäufung von Schätzen. Zwischen den Haken
werden in geknickte Bambushölzer kleine Fische als Opfer geklemmt. Das
Töpfchen bittet _Tamei Tingei_ wahrscheinlich um Nahrungsmittel. Mit
den Backsteinen, die beim Kochen des ersten Reises verwendet
werden (pag. 118), bildet es das einzige Überbleibsel der alten
Töpferkunst. Beim Umzug bleibt das _betungul_, wie auch das _legen_
der Verstorbenen, im verlassenen Hause zurück.
Ein wichtiges _pemali_, das speziell für die _dajung_ bestimmt
ist, heisst _hlen lali_ und ist ein längliches Kissen aus weissem
Kattun. Das Kissen wird von den Frauen bei ihrer Aufnahme unter die
_dajung_ hergestellt und bei jedem Saatfest zum Vorschein geholt und
mit einer _kawit_ versehen. Neben den _kawit_, welche die Zahl der
Amtsjahre der Priesterin angeben, sind verschiedene Perlenschnüre
angebracht. Ein Armband (_kamang tukan_ oder _laku dajung_) wird nur
auf dem Kissen der ältesten Priesterin befestigt und darf nie entfernt
werden. Auf jedem Kissen findet man drei _usut:_ eine rote, eine gelbe
Perle und einen Knopf (_hulo_). Die Besitzerin trägt diese usut, sobald
sie ihres Amtes waltet. Die gelbe Perle dient zugleich für die _mela_
der Priesterin selbst; fühlt diese sich nämlich krank oder fürchtet
sie ein Entfliehen ihrer Seele, so sucht sie ihre _bruwa_ zu beruhigen,
indem sie die gelbe Perle fest in die Hand drückt. Neben den erwähnten
drei _usut_ wird das _usut lali_ angebracht, das aus kleinen Perlen
besteht und während des Saatfestes täglich angefasst werden muss. Bei
dieser Gelegenheit werden auch die Hausgenossen gesegnet, indem die
_dajung_ ihr Haupt mit dem Kissen, das für gewöhnlich sorgfältig in
einer Kiste bewahrt wird, in Berührung bringt.
Je nach der Gelegenheit, bei welcher eine _mela_ vorgenommen
wird, benützt die _dajung_ zur Beruhigung der Seele verschiedene
Gegenstände. Bei der _mela_, welche während des Saatfestes bei der
zweiten Namengebung des Kindes stattfindet, streicht die Priesterin
dieses in Tandjong Kuda mit einem durch _kawit_ und Perlen geweihten
Kürbis. Gleich wie auch in Tandjong Karang, werden die Füsse des
Kindes in Wasser gebadet, das in zwei hierfür bestimmten Bambusgefässen
mit _kawit_ mitgebracht worden ist. Kürbis und Bambusgefässe heissen
zusammen: _tawe anak ok =_ Seelenbefriediger eines kleinen Kindes.
Wenn die Kajan durch Vermittlung der Priesterinnen die Hilfe der
Geister anrufen, stellen die Priesterinnen für die _mela_ folgende
Gegenstände her: _pemali kaja, kawit mela_ und _malat kadja_.
Der _pemali kaja_ ist eine besondere Art von Seelenweg, welchen die
_dajung_ benützt, wenn es eine verirrte Seele mit Hilfe der guten
Geister zurückzurufen gilt. Dieser Seelenweg, welcher an dem offenen
Dachfenster angebracht wird, besteht in einer kostbaren Perlenschnur
mit zwei gelben Perlen als _usut_. Auf die Schnur folgt ein aus acht
Schlingen zusammengesetzter Knoten, der mit einem Päckchen von acht
Haken aus Fruchtbaumholz vier Perlen, vier kleinen _kawit_, einer
Hühnerfeder und einem Stück _daun hugul_ (Dracaena-Blatt) verbunden
ist. Die Perlen, die _kawit_ und das in Schweineblut getauchte
Blattstück dienen als Beruhigungsmittel für die herankommende Seele;
die Haken bitten um Reichtum; die Hühnerfeder wird bei der eigentlichen
_mela_ verwandt.
Die Priesterin streift bei der _mela_ die zurückkehrende Seele längs
des Seelenweges auf den Knoten, den sie in einem Säckchen und dieses
wieder in einem Körbchen bis zum Abend aufbewahrt. Mit der Hühnerfeder
bestreicht die Priesterin den Patienten, nachdem sie ihm vorher im
Dunkeln die Seele in das Haupt geblasen hat.
_Kawit mela_ wird das alte Speereisen genannt, mit dem die _dajung_
den Aren des Patienten streicht; vier _kawit_ und zwei mit Schweineblut
bestrichene Blätter von _hugul_ werden an ihm befestigt.
_Malat kadja_ ist der Name des alten Schwertes, auf welches der
Patient während der _mela_ seinen Fuss setzen muss; auch dieses ist
mit _kawit_ versehen.
Die _blaka_, die, wie die anderen pemali, morgens vor der eigentlichen
_mela_ hergestellt wird, bittet die aufgerufenen Geister um alles,
was dem Menschen not tut; sie besteht im wesentlichen aus einem dünnen
Flechtwerk in Form einer 1 1/2 quad. dm grossen Matte, welche um
folgenden Inhalt geschlagen wird: acht sorgfältig hergestellte _kawit_,
ein Päckchen von vier Hühnerfedern (_ukur manok)_, ein gewundenes Stück
Rotang (_ukur uting_) und zwei Bambusstäbe (_tawe)_. Die drei letzten
Gegenstände haben folgende Bedeutung: _ukur manok_ = Mass für Hühner,
bittet die Geister um viele Hühner und giebt zugleich die gewünschte
Grösse derselben an; _ukur uting_ = Mass für Schweine, bittet um viele
Schweine, ebenfalls mit Grössenangabe; _tawe_ bittet um langes Leben.
Kehren die Bahaumänner von einer langen Reise zurück, so müssen sie,
bevor sie das Haus betregen dürfen, vier Tage lang in einer für
diesen Zweck besonders hergerichteten Hütte abgesondert leben. Der
Anführer der Gesellschaft lässt für diese Zeit durch die _dajung_
eine _blaka ajo_ herstellen; sie besteht aus einer 2 quad. dm
grossen Rotangmatte, auf welcher mittelst eines Rotangstückes 2 ×
8 Blätter von _daue Jong_ befestigt werden; diese dienen zur Abwehr
böser Geister. Zwischen die Blätter wird Reis gestreut. Die _blaka
ajo_ wird später in der Galerie (_awa_) afgehängt. Einen wichtigen
Gegenstand für die Zeit dieser Absonderung bildet ferner ein alter
Feuermacher der Bahau, der im täglichen Leben schon längst durch Stähl
und Feuerstein ersetzt worden ist. Zwischen den Zähnen einer Gabel
aus leichtem trockenem Holz wird ein halbiertes Stück Rotang hin-
und herbewegt. Durch die bei der Reibung entstehende Wärme werden die
abgeriebenen Holzteilchen zum Glühen gebracht und entzünden die feinen
Baumbastteile, welche unter der geriebenen Stelle auf eine Matte aus
_tika_ gelegt werden. Die Gabel wird mit den Füssen festgehalten.
Mit dem bereits mehrmals erwähnten _legen_ möge die Reihe der _pemali_
abgeschlossen werden.
Das _legen_, ein aus _tika_ geflochtenes Körbchen, enthält alle
Gegenstände, die im Leben des Kajan eine Rolle gespielt haben und
nicht vernichtet werden dürfen, weil ihre Seelen sich sonst an dem
Menschen rächen könnten.
Man findet im Körbchen folgende Gegenstände:
1. Einen Bambusbehälter mit dem abgefallenen Nabelstrang (_obut_)
und einen zweiten mit einem _habung awut_, einem _pemali_, das
verhindern soll, dass das Kind zu viel isst und dadurch eine zu
schnelle Verdauung erhält.
2. Ein Messerchen aus Bambus (_haling obut_) und eine hölzerne
Unterlage, die für das Abschneiden des Nabelstranges benützt wurden.
3. Die _tewesing_, eine Halskette der Mutter, welche aus Perlen und
2 × 4 Früchten zur Abwehr böser Geister besteht und an welcher die
_hina ana_, die Schlinge vom Kindertragbrett, hängt. Ferner sind an
der Halskette befestigt: das _laku krawa_, das Armband, das gegen
Krämpfe schützen soll und das _leku pela_, das Armband, welches das
Kind zwischen der ersten und zweiten Namengebung trägt.
4. Das _tol_, ein Stöckchen, mit dem das Kind zum ersten Mal für die
Reissaat Löcher in die Erde bohrte.
5. Ein Kreisel (_asing_), mit dem das Kind zum ersten Mal beim
Saatfest spielte.
6. Die Eierschalen (_telo lali_), mit welchen das Kind gelegentlich
der ersten Namengebung bei der _mela_ gestrichen worden ist.
7. Das Röckchen (_ta-a_) und
8. Das Jäckchen (_basong)_, welche bei der ersten Namengebung zum
ersten Mal angelegt wurden.
9. _hapin hawat_, ein Zeugstück, das als Unterlage in dem Tragbrett
benützt wurde.
10. Ein Tellerchen aus Kürbisschale (_uwit lali_), auf welchem
dem Kinde bei der Mahlzeit von Vater und Mutter einige Reiskörner
gegeben wurden.
11. Ein Instrument zum Durchbohren der Ohrläppen (_natap telinga)_.
12. Ein Stückchen Baumbast mit den ersten Exkrementen des Kindes.
13. Das _lawong tika akar_, das Kopfband, welches die Mutter während
des ersten Lebensjahres des Kindes trug.
14. Das Bambusgefäss, in welchem das erste Badewasser für das Kind
geholt wurde.
Aus allem, was im vorhergehenden über die religiösen Vorstellungen
der Bahau gesagt worden ist, ersieht der Leser, dass die Besorgnis um
die Ruhe ihrer Seelen ihr Tun und Lassen während ihres ganzen Lebens
beherrscht. Da die _bruwa_ durch alles, was dem Menschen selbst
fremd, unbegreiflich und gefahrvoll erscheint, erschreckt und zum
Fliehen gebracht werden kann, was Krankheit oder Tod zur Folge hat,
stösst derjenige, der mit Hilfe der Bewohner von Mittel-Borneo in
unerforschten Gegenden wissenschaftliche Untersuchungen vornehmen
will, auf bisweilen unüberwindliche Hindernisse. Das Betreten eines
unbekannten Gebietes, das Besteigen eines gefürchteten Berges, die
Photographie, die anthropologischen Messungen u.s.w. erschienen meinem
Geleite als gefährliche Experimente, die Wohlsein und Gesundheit aufs
ernsteste bedrohten.
Eine besondere Seelenunruhe veranlassten meine Nachforschungen
nach ihren Überlieferungen und ihrem Gottesdienst; die Hindernisse,
die man mir auf diesen Gebieten daher in den Weg legte, waren sehr
grosse. Zum Glück liessen sich die beängstigten Seelen der Baliau meist
mit allem, was diese selbst schön fanden, wie hübsches Zeug, Perlen
und Geld, beschwichtigen. In bezug auf Mitteilsamkeit in religiösen
Angelegenheiten machte sich übrigens, je nach Veranlagung und Höhe der
geistigen Entwicklung bei den einzelnen Personen, Verschiedenheiten
geltend. Während die einen sich völlig unzugänglich zeigten, konnte
ich von den anderen doch mit Hilfe von allerhand Mitteln einiges
erfahren. Indessen wären mir die religiösen Vorstellungen der Kajan am
Mendalam auch nach elfmonatlichem Aufenthalt in ihrer Mitte ein Buch
mit sieben Siegeln geblieben, wenn nicht gerade die Oberpriesterin
von Tandjong Karang, _Usun_, eine rühmliche Ausnahme gemacht und sich
in allem, was ihre heilige Wissenschaft betraf, zugänglicher gezeigt
hätte. Trotz mancher unangenehmen Eigenschaften meiner alten Freundin
kann ich nicht umhin, gerade an dieser Stelle mit Dankbarkeit ihrer
zu gedenken.
_Usun_ gehörte zu den wenigen Bewohnern des langen Hauses, die
den ganzen Schatz der Überlieferungen von der Geisterwelt und
der Stammesgeschichte kannten. Nach der Überzeugung der Kajan
war ihr Tun und Lassen daher für die Gesinnung der Geister,
somit für das Wohlergehen und den Gesundheitszustand des ganzes
Stammes, massgebend. Durch aussergewöhnliche Handlungen, wie es ihre
Unterhaltungen mit meiner profanen Person über Religionsangelegenheiten
waren, schadete Usus also nicht nur sich selbst, sondern ihrer
ganzen Umgebung; begreiflicher Weise sah man unseren Verkehr daher
nur sehr ungern. _Usun_ selbst stand ihren Stammesgenossen durchaus
nicht furchtlos gegenüber, auch spielte die Besorgnis um das Wohl
und Wehe ihrer eigenen Seele bei ihr eine grosse Rolle; ich musste
daher jedesmal, wenn sie mir etwas Besonderes erzählt oder gebracht
hatte, ihre _bruwa_ mit etwas Geld, Kattun oder Perlen besänftigen,
um bösen Träumen oder gar Krankheiten zuvorzukommen. Den Geldstücken
schien dabei eine besonders beruhigende Wirkung eigen zu sein, auch
wurden sie, um in innige Berührung mit ihrer Seele gebracht zu werden
von der Alten beim Abschied gebissen. Auch ihr Enkel, ein ungezogener
zwölfjähriger Knabe, beängstigte ihr Gemüt; denn er wollte, wie die
übrigen Kajan, nichts von ihrem gefährlichen Umgang mit mir wissen.
Gegen alle diese Schwierigkeiten kämpften in _Usuns_ Seele eine sehr
entwickelte Habgier und Eitelkeit auf ihre Wissenschaft und Stellung
und, wenn ich mir schmeicheln darf, eine grosse Eingenommenheit für
meine Person.
Unter diesen Verhältnissen entwickelte sich unser Verkehr derart,
dass _Usun_, um ihre Umgebung irre zu führen, abends, wenn alle
Hausbewohner schliefen, zu mir schlich. Dann packte sie ihre _pemali_,
die heiligen Gerätschaften, die sie für mich verfertigt hatte, aus
und steckte die erhaltene Belohnung ein. Wenn sie sich im Dunkeln hie
und da fürchtete, nahm sie den Enkel mit, der für die ausgestandene
Seelenangst stets auch etwas bekam.
In der Stille meiner Hütte, nur unterbrochen von einzelnen Lauten,
die von dem schlummernden Kajanhause herüberdrangen und von dem
Gezirp der ewig munteren Grillen, vernahm ich in einem entsetzlichen
Gemengsel von Kapuas-Malaiisch und Busang die Geschichte von _Usuns_
Geisterwelt. Das energische Gesicht der alten Dajakfrau gab dem Bilde
noch ein besonderes Gepräge. Wurden wir durch Neugierige gestört, so
hatte die Alte sogleich ein harmloses Thema bei der Hand und fand sie
bei ihrem Kommen meine Hütte besetzt, so schob sie das Mitgebrachte
von aussen durch die Mattenwand der Hütte auf meinen Schlafplatz--die
Rechnung blieb später nicht aus.
Tagsüber liess _Usun_ ihren Gefühlen freieren Lauf, sprach öfters
beim Doktor vor und liess sich zum Gaudium der ringsherum stehenden
Jugend bald hier bald da auf allerhand Leiden untersuchen.
Der pekuniäre Vorteil, den _Usun_ aus ihrem Handel mit ihrer
priesterlichen Wissenschaft zog, weckte den Neid und die Konkurrenz
ihrer Kolleginnen und diesem Umstande habe ich es zu verdanken, dass
mir auch von anderer Seite religiöse Gegenstände geliefert wurden,
von deren Existenz ich sonst nie etwas erfahren hätte.
Die Schöpfungsgeschichte der Mendalam Kajan, wie ich sie aus dein
Munde der alten _Usun_ vernommen, möge dieses Kapitel abschliessen.
_Die Schöpfung der Erde, Geister und Menschen_.
Eine Spinne liess sich einst vom Himmel an einem Faden herab. Diese
Spinne wob ein Netz, in welches ein Steinchen von der Grösse einer sehr
kleinen Perle fiel. Das Steinchen wurde grösser und grösser, erst wie
eine _ower ane_ (besondere Perlenart), dann wie eine _ketobong apo
parei_ (besondere Perlenart), dann wie eine kleine Muschel, wie ein
Nagel (_hulo_), wie eine aus einer Muschelschale geschnittene Scheibe
(_barang hulo_), wie ein Fussrücken, wie ein runder Teller (uwit),
wie eine Sitzmatte, wie ein Sieb, dann wie eine grosse Matte u.s.f.,
bis es den ganzen Raum unter dem Himmel einnahm.
Auf diesen Stein fiel eine Flechte (_oro napon_) vom Himmel, die
auf ihm kleben blieb; dann fiel ein Wurm (_halang_) hernieder, aus
dessen Exkrementen die ersten Erdteilchen entstanden. Auch diese Erde
nahm immer mehr zu, bis sie den ganzen Stein bedeckte. Da fiel der
grosse Baum, _kajo aja_ auch wohl _kajo nangei_ (beim Neujahrsfest
verwendet) genannt, vom Himmel; der Baum war anfangs nicht höher
als ein Messerchen (_nju_) dick ist, dann wurde er so gross, als
ein Beil (_ase_) dick ist, schliesslich erreichte er die Höhe eines
Bananenstammes u.s.f.
Darauf fiel eine Krabbe vom Himmel und begann mit ihren vielen
Gliedmassen in der Erde zu graben, wodurch Berge, Täler und Flussbetten
entstanden, unter anderen der Kajan, Pengian, Danum Pè (Flüsse im Apu
Kajan Gebiet beim Batu Tibang) und schliesslich alle übrigen Flüsse
von Borneo.
Aus dem Boden wuchsen jetzt allerhand Pflanzen hervor, zuerst die
verschiedenen Bambusarten: _bulu buring; bulu pusa; bula tengun_
und _bulu tan_; dann die Bäume, die das rote zähe Holz für Schilde
liefern und die Fruchtbäume. (Alle diese Baumarten werden beim
Neujahrsfest zum Bau der _dangei_-Hütte verwendet). Schliesslich
erschienen die Rotangarten: _uwe nga; uwe haring; -bohong; -hawon;
-kudjo; -ngelawáto; -peselilit; -selat; -seputan_ und _uwe maling_,
die alle im Haushalt ihre verschiedene Verwendung finden.
Der Rotang wand sich an dem grossen Baum _kajo aja_ hinauf und der
Wind trieb ihn derart, dass er in die vulva des Baumes gelangte,
wodurch dieser sehr gross wurde.
Zwei Geister, ein Mann, _Belare Adje Awe_, und eine Frau_, Ketot Era
Pode_, kamen jetzt vom Himmel herab und liessen sich auf dem grossen
Baum nieder; sie konnten sich aber als Geister nicht begatten. Als der
Mann einst einen Schwertgriff schnitzte und die Frau am Webstuhl sass,
fielen der Schwertgriff und das Weberschiffchen neben einander auf die
Erde und paarten sich. Aus ihrer Vereinigung ging ein menschenähnliches
Wesen, _Kelower Ga-aï_ (= schiebend sich vorwärts bewegen) hervor,
dem aber Arme und Beine fehlten.
Die Paarung und ihr Resultat erschreckten die beiden Geister jedoch
derart, dass sie eiligst in den Himmel zurückflogen.
Das gliederlose Monstrum bekam zwei Kinder verschiedenen Geschlechtes:
_Huwar Ane_ und _Uti_; deren beide Kinder: _Klobe Ange_ und _Klobe_
konnten sich auch noch kaum bewegen, sie hatten aber ebenfalls
zwei Nachkommen: _Ngujer Bawe_ und _Lahnde_, die beide nur sitzen
(_ngujer_) konnten. Diese jedoch zeugten richtige Menschen: einen
Mann _Paren Keliter Pulut Luwe_ und eine Frau _Udjung Malen Leke_.
Die Tochter dieser ersten Menschen, _Lahei Lalau_, hatte so lange
Arme und Beine, dass sie den Himmel berühren konnte. Sie bekam zwei
Kinder: _Amei Awi_ und _Buring Une_, die hauptsächlich die Erde und
ihre Erzeugnisse beherrschen und daher als die wichtigsten Götter
des Ackerbaus verehrt werden. Sie besitzen 2 × 8 Kinder, nämlich:
Frauen: Männer:
_Usun Keten Apui_ _Bang Alang Tui_
_Usun Keten Apui Lawan_ _Bang Alweg Lawar_
_Hanja Ata Tere_ _Bang A lang Nje_
_Hanja Ata Tujan_ ...
_Husun Djulu Djele_ _Jok Une_
... _Hang Pidang Le_
ferner noch vier Kinder, die als die wichtigsten Mondphasen am Himmel
stehen: _Kerebso_ = aufgehender Mond; _Kelo-ong Pajang_ = Halbmond;
_Kamat_ = Vollmond und _Penjeröm Döm_ = dunkler Mond.
_Amei Awi_ und _Buring Une_ liessen ihre Kinder, um darüber zu
entscheiden, wer von ihnen Häuptling, wer Freier und wer Sklave
werden sollte, einen Berg hinauflaufen. Die Stärksten, die die Spitze
zuerst erreichten, machten sie zu Sklaven, die minder Starken, welche
sich halbwegs befanden, machten sie zu Freien und einen Mann mit
einem kranken Bein und eine schwangere Frau, die am Fuss des Berges
zurückgeblieben waren, machten sie als die Schwächsten zu Häuptlingen.
Sämmtliche Kinder waren jedoch mit der Entscheidung ihrer Eltern
unzufrieden und gingen daher nach den verschiedensten Orten im
Weltall auseinander, wo sie jetzt als Monde und ähnliche Gebilde ein
glückliches Dasein geniessen.
Die Eltern dagegen, die einsam zurückblieben, nahmen ein weisses Tuch
und eine Matte und begaben sich zu dem grossen Baum _kajo aja. Amei
Awi_ kratzte von dein Baum eine grosse Menge Rinde ab und holte
aus dem Walde ein langes Stück Rotang. Nachdem er die beiden Enden
über dem Boden befestigt hatte, baute er darauf ein Haus und streute
mit seiner Gattin die Baumrinde auf den Fussboden, worauf Schweine,
Hühner, Hunde und Menschen aus den Rindenteilchen entstanden. Die
Menschen blieben jedoch stumm, obgleich sie ihnen Ohrringe (_isang)_,
Ruder (_bese)_, und andere Dinge gaben. Daher begab sich _Amei Awi_
auf den Fischfang, kochte die Fische und ass einen Teil mit _Buring
Une_. Als sie darauf auch den Menschen von den Fischen zu essen gaben,
begannen diese zu sprechen.
Von diesen echten Menschen stammen die Bahau ab, die krank werden
und sterben können, da sie, wie auch ihre Haustiere, eigentlich aus
vergänglicher Rinde (_kul kajo_) bestehen.
KAPITEL VII.
Auffassung der Kleidung seitens der Eingeborenen--Zweck
der Kleidung--Einfluss der Malaien auf die
Kleidung--Alltags-, Fest- und Kriegskostüm der Männer am
Mendalam--Kopfbedeckungen--Schmuck--Tätowierung--Ausrecken
der Ohrläppchen--Umformung der Zähne--Haartracht--Alltags- und
Festkleidung der Frauen--Schmuck--Trauerkleidung--Ausrüstung der
Toten--Waffen der Kajan: Schwerter, Speere, Blasrohre--Herstellung
der Blasrohre--Pfeile und Pfeilgifte--Schilde.
Stämme, welche stets nackt gehen, kommen auf Borneo nicht mehr vor;
dagegen findet man sehr nahe verwandte Stämme, welche, je nachdem
sie viel oder wenig mit Fremden in Berührung gekommen sind, über ein
zeitweiliges Nacktgehen sehr verschieden denken. Es scheint übrigens,
dass die Fremden bei den ursprünglichen Bewohnern Borneos nicht nur
auf die Entwicklung der Kleidung, sondern auch auf die Auffassung
der Eingeborenen, ob und wann diese überhaupt erforderlich ist,
einen starken Einfluss geübt haben. In Sambas, im Sultanat an
der Westküste, beobachtete ich, dass bei den mehr landeinwärts und
gesondert lebenden Siding Dajak beim gemeinsamen Baden sowohl Männer
als Frauen ihre Kleidung gänzlich ablegten, während ihre Verwandten,
die in malaiischer Umgebung an der Küste leben, beim Baden stets alte
Kleidungsstücke anlegten.
Ähnliche Unterschiede zeigen sich im Innern der Insel bei den
grossen Stammgruppen der Bahau und Kenja, von denen diese nur wenig,
jene dagegen mehr von Malaien beeinflusst werden. Obgleich nämlich
sowohl die Bahau als die Kenja stets völlig nackt baden, kleiden
sich erstere doch unmittelbar nach dem Bad gleich vollständig an,
während letztere unbekleidet in ihr Haus zurückkehren und sich erst
dort anziehen. Auch um Wasser zu holen und ihre Kinder zu baden,
begeben sich die Kenjafrauen vorzugsweise nackt zum Flusse. In
Stromschnellen und Wasserfällen nehmen die Kenjamänner ihr Lendentuch
ab, die Bahaumänner dagegen tun das nie. Dass das Schamgefühl und
die Begriffe von Anstand sich bei diesen beiden Stammgruppen unter
malaiischem Einfluss verändert haben und noch verändern, ersah ich
daraus, dass sich die Kenja in Gegenwart von uns Fremden in dieser
Hinsicht bald wie die Bahau betrugen. So begaben sich die Mädchen
und Frauen der Kenja nur nachts, wenn wir schliefen, nackt aus ihrer
Wohnung zum Flusse.
Als _Demmeni_ einmal spät abends seine Platten entwickelte, bemerkte er
sechs unbekleidete junge Mädchen, die zum Flusse gingen; kaum hatten
sie aber den roten Schein der photographischen Laterne bemerkt,
als sie erschreckt und lachend ins Haus zurückeilten. Auch die
Kenjamänner schämten sich vor uns Europäern, ihre Kleidung in den
Wasserfällen gänzlich abzulegen. Ihr Betragen war nur eine Folge
davon, dass unser Geleite von Malaien und Bahau den Kenja erzählt
hatte, wir Weissen nehmen an dem nackten Erscheinen der Eingeborenen
Anstoss, was übrigens gar nicht mit unserer europäischen Auffassung
übereinstimmte. Man sieht hieraus, welch eine grosse Rolle angelerntes
Schamgefühl bei der Entwicklung der Kleidung spielt.
Da Stämme, die stets völlig nackt gehen, in Borneo nicht mehr
vorkommen, ist es jetzt schwer festzustellen, ob der Gebrauch einer
Körperbedeckung überhaupt fremdem Einfluss zugeschrieben werden muss.
Augenblicklich dient die Kleidung der Dajak nachweisbar folgen
den Zwecken: als Schutz gegen Sonnenwärme bei sämmtlichen Stämmen,
als Schutz gegen Kälte nur bei den im rauhen Gebirgsklima lebenden
Kenjastämmen, als Schutz gegen Einbrennen und Dunkelwerden der Haut,
als Schmuck und als Schreckmittel gegen Feinde. Um sich gegen die
Sonnenwärme zu schützen, bedecken sich Männer und Frauen bei der
Feldarbeit und bei ihren Reisen auf offenen, der Sonne ausgesetzten
Flüssen auch den Oberkörper.
Die Frauen, bei denen eine helle Hautfarbe für besonders schön
gilt, suchen mehr als die Männer durch Kleidung ein Einbrennen
und Dunkelwerden zu verhindern; ihre flachen konischen Sonnenhüte
(_haung_) sind daher viel grösser als die der Männer. (Siehe Taf. Hüte
der Bahau).
Eigentliche Kleidungsstücke werden als Schmuck nur selten, bei
festlichen Gelegenheiten, getragen. Die Kajan am Mendalam z.B. legen
ihre schönsten Kostüme nur einmal im Jahr, zum Neujahrsfest, an;
dann tragen die Männer schöne Jacken und die Frauen schlingen sich
Schale um die Schultern; Lendentücher und Röckchen bestehen dann auch
aus den schönsten Stoffen.
Rechnet man zur Kleidung, wozu man nach der Auffassung der Dajak
berechtigt ist, auch Tätowierungen, Umbildungen von Zähnen und
Ohren, Hals und Armbänder u.s.w., so findet die Kleidung als Schmuck
allerdings eine viel ausgedehntere Verwendung.
Wenn die Bahau ihre Festkleider auch nur selten anlegen, verwenden
sie doch auf ihre tägliche Toilette sehr viel Sorgfalt. Besonders
ist dies bei unverheirateten jungen Männern und Mädchen und bei
Jungverheirateten der Fall. Sind Männer und Frauen erst einige Jahre
verheiratet, so tritt die praktische Seite der Kleidung mehr in den
Vordergrund. Eine besondere Tracht für Verheiratete und Unverheiratete
giebt es nicht.
Die Bahau bekleiden ihre Kinder, sobald sie gehen können. Die Kleinen
zeigen aber für die Notwendigkeit und Schönheit von Kleidungsstücken
meist gar kein Verständnis und einzelne leisten daher beim ersten
Anlegen des Lendentuchs oder Röckchens heftigen, oft Jahre dauernden
Widerstand. Die Eltern schreiben diesen Widerstand, wie alles
Aussergewöhnliche, dem Einfluss böser Geister zu; daher baten mich
die Mütter öfters, ihr eigensinniges Kind zu "belesen," d.h. durch
Lesen in einem Buche den bösen Geist aus ihm zu vertreiben.
Durch den ständigen Verkehr mit den Malaien, die auswärtige Stoffe,
hauptsächlich billigen europäischen Kattun, bei ihnen einführen,
ist die ursprüngliche Kleidung der Bahau am Mendalam viel stärker
beeinflusst worden als die der Stämme am oberen Mahakam und Bulungan.
In früheren Zeiten verfertigten, wie es die Kenja und Bahau am
Mahakam jetzt noch tun, auch die Mendalam Kajan die Stoffe für ihre
Kleidungsstücke selbst; sie webten sie aus Baumwolle oder Lianenfasern
oder stellten sie aus geklopftem Baumbast her. Die gewebten Stoffe
wurden bei Festlichkeiten oder von den Reicheren getragen, während
der Baumbast für die gewöhnliche Arbeitskleidung diente.
Auf die Herstellung dieser Kleidungsstücke verwandten besonders die
Frauen viel Sorgfalt und Kunstfertigkeit. Sie webten sowohl prächtige
Stoffe als auch einfachere, die dann, wie auch der Baumbast, durch
schöne farbige Stickereien verziert wurden. Die Stickereien wurden in
hübschen, farbigen Mustern, hauptsächlich im Kettenstich, ausgeführt
und legen noch heute von dem Geschmack und Fleiss der damaligen
Frauen ein gutes Zeugnis ab. Den Männern fiel die Bearbeitung der
verschiedenen Arten von Baumbast zu, auch schnitten sie aus Zeug
Figuren aus, welche von den Frauen als Verzierung auf die Kleider
genäht wurden.
Während die eben erwähnten Verzierungen und die schön bestickten
Baumbastkleider am oberen Mahakam jetzt noch gebräuchlich sind, findet
man am Mendalam Figurenverzierungen nur noch an der Totenkleidung
und Baumbast, einfach bearbeitet, wird nur noch bei der Feldarbeit
oder als Zeichen von Trauer getragen. An Stelle des Baumbasts wird
bei der Trauerkleidung jetzt auch weisser Kattun angewandt, den man
vor dem Gebrauch in den Morast legt und dann auswäscht, um ihm den
braunen Ton zu geben, der dem Baumbast gewöhnlich eigen ist.
Seitdem der weniger dauerhafte aber billige Kattun am Mendalam
eingeführt worden ist, webt man dort überhaupt nicht mehr. Merkwürdiger
Weise ist mit der Qualität der Stoffe auch die ihrer Bearbeitung
gesunken; denn statt des früheren sorgfältigen Nähens ist jetzt nur
noch das Heften gebräuchlich und das Sticken hat ganz aufgehört.
Bei sämmtlichen Stämmen von Mittel-Borneo bekleiden sich die Männer
mit einem Lendentuch, die Frauen mit einem Röckchen. Während dieses
bei den verwandten Bahau- und Kenjastämmen hinsichtlich der Form völlig
übereinstimmt, trägt es bei den übrigen Dajak, z.B. den Batang-Lupar,
Taman und Ot-Danum, einen ganz anderen Charakter.
Beschäftigen wir uns im folgendem speziell mit der Kleidung der
Mendalam Kajan.
Das wichtigste und einfachste Kleidungsstück der Männer bildet
das Lendentuch (_ba_). Bei schwerer Arbeit und auf Expeditionen
durch Urwald und über Wasserfälle gebraucht man ein kurzes (huch,
das nur einmal um die Hüften geschlungen wird; im Hause und bei
Festlichkeiten dagegen tragen besonders die Reicheren bis zu 12
m lange Lendentücher. Ein derartiges Tuch wird stets nur einmal
zwischen den Beinen durchgezogen und der Rest dann um die Hüften
geschlungen. Gegenwärtig ist weisser, roter und blauer Kattun hierfür
am beliebtesten, falls aber die Feldarbeit einen dauerhafteren Stoff
erfordert, wählt man Baumbast. Die grosse Haltbarkeit des Baumbasts
ist wohl die Ursache, dass er noch nicht gänzlich durch den beim
Tragen viel angenehmeren Kattun verdrängt worden ist.
In der Regel wird das Lendentuch nicht verziert; seine Schönheit hängt
von seiner Länge und vom angewandten Stoff ab. Zur Alltags kleidung
der Männer gehört ferner eine Sitzmatte (_tabin_) in Form eines 3 ×
4 1/2 dm grossen Rechtecks, das oben, an einer der schmalen Seiten,
in ein 1 1/2 dm hohes Dreieck verläuft. An der Dreieckspitze sind zwei
Schnüre angebracht, mittelst deren die Sitzmatte über den Hüften an
den Körper gebunden wird und zwar so, dass die Matte hinten an der
Verlängerung des Rückens zu hängen kommt. Die Matte hat den Zweck,
die blosse Haut beim Sitzen auf schmutzigem oder nassem Boden vor
Verunreinigung zu schützen; sie wird daher beinahe ständig getragen
und häufig auch auf Reisen nicht abgelegt. In der Regel werden die
Matten aus Rotang geflochten und oft mit roten oder schwarzen Figuren
oder mit Knöpfen und Zeugstreifen verziert.
In neuerer Zeit tragen die Männer an Festtagen gern eine lange, bunte,
malaiische Hose, falls sie einer solchen habhaft werden können.
Auf Jacken (_basong_) aus Kattun sind die Kajanmänner sehr erpicht;
ihre Frauen stellen aber für die Feldarbeit auch sehr gute Jacken
aus Baumbast her. Um eine Trennung der Fasern zu verhindern, wird
der Bast mit festem Zwirn oder dünner Schnur durchzogen. Bisweilen
fassen die Frauen die Bastkleider mit rotem Kattun ein; die Arbeit
lässt aber an Schönheit viel zu wünschen übrig. Weiter unterscheidet
sich die Festkleidung der Männer von der Alltagskleidung hauptsächlich
durch die bessere Qualität des angewandten Materials. Hinzu kommt nur
noch ein _sarong_ aus _batik_ [5] oder ein anderes schönes Stück Zeug,
das quer über der linken Schulter getragen wird. Am Mahakam gebrauchen
die jungen Leute diesen Schal, falls sie nicht arbeiten, täglich.
Zum Kriegskostüm der Männer gehört hauptsächlich eine dicke ärmellose
Jacke (_basong kapai_), die aus zwei mit Kapok gefüllten Lagen Kattun
besteht, welche in rechtwinklig sich schneidenden Linien durchsteppt
ist; sie schützt den Oberkörper vor Speerstichen und Schwerthieben.
Als eine Ergänzung dieses ärmellosen Waffenrockes müssen wahrscheinlich
zwei Ärmel betrachtet werden, die nur durch den obersten, nicht mehr
als 2 dm betragenden Teil eines Jäckchens mit einander verbunden
sind. Dieses eigenartige Kleidungsstück ist aus gewöhnlichem Stoff
verfertigt und dient als Armbedeckung.
Die Kajan und alle übrigen Stämme auf Borneo tragen über den
eben erwähnten Kleidungsstücken einen Kriegsmantel (_sunung_) aus
Tierfellen. Ein Pantherfell (_sunung kule_) gilt als das schönste;
aber wegen seiner Kostbarkeit und Seltenheit begnügt man sich auch
mit einem langhaarigen Ziegenfell (_sunung kading)_. In früheren
Zeiten scheinen mit Tierfiguren bestickte Baumbastmäntel in Form
einer Tierhaut gebräuchlich gewesen zu sein, wenigstens wurde mir
ein solcher, mit einer Reihe von 8 Schwanzfedern des Nashornvogels
verziert, zum Kauf angeboten. Man nannte ihn _sunung kapuwa_.
Ein Kopftuch (_lawong_) wird von den gewöhnlichen Männern nur
gelegentlich, von den Häuptlingen jedoch, um ihre Würde anzuzeigen,
täglich getragen. Der Kajan schlingt das Tuch in Form eines Wulstes um
den Kopf und zieht seine für gewöhnlich offen hängenden Haare derart
hindurch, dass sie unter dem Wulst eine auf die Schultern herabhängende
Schlinge bilden und über demselben mit ihren Enden aufliegen. Ausser
Baumbast wird besonders bunter Kattun und europäischer _batik_ für
Kopftücher gebraucht.
Hüte (_haung_) benützen die Männer nur gegen Sonnenbrand und heftigen
Regen; sie werden aus Pandanusblättern verfertigt und haben die gleiche
Form wie die der Frauen, ihr Durchmesser beträgt aber selten mehr als
50 cm (Fig. 5 u. 6 auf Tafel: Hüte der Bahau). Die Frauen, welche die
Hüte herstellen, legen bisweilen viel Formen- und Farbensinn an den
Tag, indem sie bei besonders schönen Exemplaren in der Mitte einen
Beleg, bestehend aus einer Stickerei oder Perlenarbeit, anbringen und
das Feld mit hübschen Figuren aus schwarzem Kattun verzieren. Derartige
Hüte dürfen indessen nur von hochgestellten Personen getragen und Toten
ins Jenseits mitgegeben werden (Fig. 6). Auch ist nur alten Männern
gestattet, die Schwanzfedern des Nashornvogels (_Buceros rhinoceros_)
auf ihre Hüte zu heften; häufig werden diese Federn an Perlenschnüren
befestigt (Fig. 5).
Eine weitere Kopfbedeckung der Männer bildet die Kriegsmütze. Sie
wird in Form eines runden Körbchens aus festem Rotang geflochten und
von den Frauen mit besonderer Sorgfalt verziert. Mitten auf dem Boden
werden Perlenstickereien und am Rande eigenartige Verzierungen--vorn
meist glänzende Metallplatten oder Tiermasken--angebracht. Oben auf
die Mütze werden lange Federn gesteckt; die beliebtesten sind die des
Nashornvogels, des Argusfasans (_Argusianus Grayi_) und des Hahns. Für
die Mützen gilt, wie für die Hüte, dass die mit breiten schwarzen
Streifen gezeichneten weissen Schwanzfedern des Nashornvogels nur von
angesehenen Personen oder bewährten Kriegern getragen werden dürfen
und dass nur wenigen Auserwählten gestattet ist, deren acht in der
Mitte der Mütze von vorn nach hinten anzubringen.
Zu den wichtigsten Schmucksachen der Männer gehören: Bein-
(am Mah. _sekhad_) und Armringe (_leku_), Halsketten (_tewesing,
tewe-ang_) und Ohrringe (_isang)_.
Die Armringe werden oberhalb der Ellenbogen, die Beinringe unterhalb
der Knie getragen und von den Punan oder auch den Kajan selbst
aus Rotang oder _kebalan_, dem dunkelbraunen oder schwarzen,
sehr biegsamen Kernholz einer farnartigen Gebirgsliane, sehr fein
geflochten. Bisweilen wird die Farbenwirkung dieser Ringe, die, je nach
dem Material, aus dem sie bestehen, _leku kebalan_ oder _leku uwe_
(Rotang) genannt werden, durch Einflechten goldgelber Pflanzenfasern
erhöht. Häufig trägt eine Person bis zu 200 solcher Ringe gleichzeitig.
Diejenigen jungen Leute, welche mit den Batang-Lupar im Serawakschen
Gebiet zusammengekommen sind, bringen von diesen Holz- oder
Elfenbeinringe mit, die sie dann selbst mit schönen Schnitzereien
verzieren.
Auch die jungen Mädchen stellen für die Jünglinge Armverzierungen her
und zwar aus Glasperlen, welche sie mit viel Geschmack zu zierlichen,
farbenprächtigen Mustern in Form schmaler Bänder aneinanderreihen
(Fig. 1 auf Tafel: Schmucksachen der Bahau).
Die Halsketten der Männer bestehen alle aus neuen oder alten und dann
bisweilen sehr wertvollen Glasperlen.
Die schmalen, fest am Halse anliegenden Ketten (_tewesing_, Fig. 6)
sind in der Regel aus bunten kleinen Perlen zusammengesetzt und enden
vorn in einer Rosette.
Die frei auf die Brust herabhängenden Ketten (_teweang_, Fig. 11 u. 8)
dagegen bestehen aus mehreren Reihen grösserer--bis erbsengrosser
Perlen. Bei der Zusammenstellung dieser Perlen wird auf eine gewisse
Regelmässigkeit geachtet; sind es jedoch alte Perlen, welche selten
in genügender Anzahl und gleicher Form vorhanden sind, so kann eine
bestimmte Regel nicht eingehalten werden. Aus gleichartigen alten
Perlen bestehende Ketten haben daher einen hohen Wert. Die Kapuasstämme
unternehmen monatelange Reisen zum Mahakam, um diese Perlen, die dort
noch in grösserer Anzahl vorhanden sind, zu kaufen.
Ausser der Tätowierung fällt bei den Männern am meisten die Umformung,
welche die Ohren erlitten haben, auf; im Ausrecken der Ohrläppchen
wetteifern sie nämlich mit den Frauen.
Mit der Durchbohrung der Ohrläppchen wird daher, wie im Kapitel
IV berichtet worden ist, schon gleich nach der Geburt des Kindes
begonnen. Die Zinnringe (_isang temha)_, welche das Kind anfangs
ausschliesslich trägt, werden später häufig durch dicke Kupferringe
(_hisang tembaga_) ersetzt, deren Zahl so weit vermehrt wird, als,
ohne Schmerzen und Entzündung zu verursachen, möglich ist. Um die
Dehnbarkeit der Ohren zu erhöhen, wird bei Kindern ausserdem öfters
innen an der Oberseite der Öffnung ein Einschnitt gemacht.
Die Eltern achten sorfältig darauf, dass bei diesen Operationen keine
Entzündungen entstehen, da die dünnen Ohrläppchen sonst Gefahr laufen,
durchgescheuert zu werden, was bei sehr kleinen Kindern bisweilen
auch vorkommt. Die Ringe erreichen oft ein so hohes Gewicht,
dass die Kleinen sie bei jeder lebhaften Bewegung mit der Hand
stützen müssen. Durchgerissene Ohrläppchen werden als ernsthafter
Schönheitsfehler aufgefasst. Obwohl die Kajan es in der Chirurgie nicht
weit gebracht haben, verstehen es einige ihrer Männer doch, die beiden
zerrissenen Enden wieder aneinanderwachsen zu lassen; sie erzeugen mit
ihrem gewöhnlichen Messer an jedem der Enden eine wunde Oberfläche,
legen sie übereinander, wickeln einen weichen Blattstreifen herum
und befestigen das Ganze mit einem Faden. Ich sah verschiedene auf
diese Weise geheilte Ohren, die vom aesthetischen Standpunkt zwar
viel zu wünschen übrig liessen, deren 6-8 mm übereinander gelegte
Enden jedoch wieder kleine Ringe zu tragen vermochten.
Wenn die Ohrläppchen durch Verwundung oder Hautkrankheit öfters
entzündet werden, entstehen Verdickungen des Bindegewebes (Keloide),
welche die Schönheit sehr beeinträchtigen. Ein übrigens hübsches
Mädchen sah ich einst ihre derart verunzierten Ohren ängstlich
verbergen.
Während die Frauen sich mit diesen Umformungen begnügen, lassen sich
die Männer in späterem Alter ausserdem noch oben in der Ohrmuschel eine
Öffnung von der Grösse eines Pfennigstückes und häufig auch noch eine
zweite über dem Hinterende des ausgereckten Ohrläppchens, anbringen. In
diesen Öffnungen dürfen alte, tapfere Männer die Eckzähne (_ipen_)
des seltenen borneoschen Panthers (_kule_) tragen; häufig begnügt man
sich auch mit geschliffenen oder ungeschliffenen Bärenzähnen. Diese
Zähne werden oft, wahrscheinlich um ein Verlieren zu verhindern,
mit einer um Hinterhaupt und Hals geschlungenen Perlenschnur verbunden.
In den grossen Ohrlöchern tragen die Mendalam Kajan gewöhnlich Ringe
(_isang_) aus eingeführtem Zinn oder Kupfer (Fig. 2); in letzter
Zeit schinücken sie sich auch, nach der Sitte der Mahakamstämme,
mit einer grossen Anzahl dünner silberner Ringe.
Statt dieser Ringe werden bei festlichen Gelegenheiten auch noch
hölzerne oder metallene Ohranhängsel angebracht; sie sind birnförmig
und greifen mit einem grossen Haken um das Ohrläppchen herum
(Fig. 3). Während die Ringe beinahe ausnahmslos unverziert sind,
werden diese eigentlichen Ohrgehänge, sowohl was ihre Form als was
ihre Bearbeitung betrifft, mit viel Sorgfalt und Kunstsinn hergestellt.
Weniger auffallend als die Umformung der Ohren ist die der
Zähne. Die Schneidezähne werden am Ober- und Unterkiefer von vorn
hohl ausgeschliffen; einige lassen sich auch nach Sitte der Punan
goldene Stifte durch einen oder mehrere Zähne treiben.
Über den menschlichen Haarwuchs haben sowohl Bahau als Kenja sehr
eigenartige Anschauungen, die sich zum Teil aus der Tatsache erklären
lassen, dass sie selbst gewöhnlich sehr schwach behaart sind. Es flösst
ihnen nämlich, da sie selbst an den Anblick stark behaarter Wesen
nicht gewöhnt sind, eine Person mit starkem Voll- oder Knebelbart
fast Abscheu und Schreck ein. Aus Rücksicht für unsere Gastherren
rasierten wir Europäer und einer der Javaner uns daher, so lange der
Besitz von Seife es gestattete, regelmässig.
Da die Kajan nur das Haupthaar schön finden, herrscht bei ihnen die
Sitte, dass sich sowohl Männer als Frauen alle Haare im Gesicht, in den
Achselhöhlen und an der pubis ausziehen. Die jungen Frauen der Mahakam-
und Kenjastämme halten sich besonders streng an diese Vorschrift; die
am Mendalam lassen einen schmalen Streifen an den Augenbrauen stehen.
Alte Männer lassen sich bisweilen, um auf ihre Umgebung Eindruck zu
machen, ihren Bart nach Belieben wachsen; junge Leute dagegen sorgen
dafür, dass von ihren Barthaaren möglichst wenig sichtbar wird.
Die Männer rasieren sich ohne Seife mit dem gewöhnlichen Messer
(_nju_); die Achsel- und Pubishaare entfernen sie weniger sorgfältig
als die Frauen.
Zum Ausziehen der Wimpern dienen kleine, kupferne oder silberne Zangen
(_tsöp_), die stets zu einer vollständigen Toilettenausstattung von
Mann oder Frau gehören.
In vorgerücktem Alter oder während der strengen Arbeitszeit verfährt
man häufig weniger sorgfältig mit der Entfernung der Haare. Das
Haupthaar, das Männer und Frauen sich lang wachsen lassen, wird
schlicht zurückgestrichen; zum Kämmen dient ein geschnitzter
Bambuskamm.
Bei Frauen gilt langes Haar für sehr schön und, wenn sie sich etwas
Kokosnussöl--am Mendalam eine grosse Seltenheit--verschaffen können,
versäumen sie nie, ihre Frisur damit einzureiben. Ebenso nehmen
sie, sobald sie eines Stückchens Seife habhaft werden, sogleich
eine Extrareinigung des Haares vor; gewöhnlich gebrauchen sie dafür
Citronensaft. Die Männer lassen das Haar am Hinterhaupt lang wachsen;
vorn schneiden sie es gerade und kurz ab und kämmen es glatt auf die
Stirn, während sie an den Schläfenstellen über den Ohren einen 5 cm
hohen Streifen rasieren.
Betrachten wir jetzt die Kleidung der Frauen.
Das wichtigste Kleidungsstück der Frauen besteht aus einem rechteckigen
Stück Zeug, an dessen oberen Ecken Bänder befestigt sind. Dieses
Tuch (_ta-a_) wird in der Beckengegend um den Körper geschlungen und
derart festgebunden, dass es unterhalb der Darmbeinkämme zu liegen
kommt. Bei den Frauen am Mendalam schlagen die seitlichen Kanten der
_ta-a_ rechts am Körper, bei denen am Mahakam dagegen hinten über
einander. Dieses Röckchen reicht bei den Kajanfrauen bis zu den Füssen
herab, bei den Frauen der anderen Kapuasstämme bedeckt das Röckchen,
das sie geschlossen tragen, kaum noch die Kniee. Beim Laufen oder
wenn sie am Boden hocken, kommen die Beine der Frauen und zugleich
die schönen Tätowierungen ihrer Schenkel zum Vorschein.
Die _ta-a_ ist, je nach dem Vermögen ihrer Besitzerin und nach
der Gelegenheit, bei welcher sie gebraucht wird, mehr oder minder
hübsch-. sie besteht jedoch immer aus einem Mittelfeld mit 4 ungefähr
1 dm breiten Rändern.
Für Feströckchen wählt man als Mittelstück einfarbigen Kattun oder
Seide und für die Ränder meist roter. Flanell oder, falls diese zu
kostbar ist, roten oder geblümten Kattun.
Der obere Rand des Röckchens (_kohong ta-a_) ist meist etwas breiter
als die übrigen und wird in Fällen besonderer Eleganz durch eine
Silberborte von dem Mittelstück abgegrenzt.
Einfache Jacken (_basong_) aus Baumbast oder Kattun werden von den
Frauen als Schutz gegen Sonnenbrand bei der Feldarbeit oder auch sonst
getragen. Es giebt Jacken mit und auch ohne Ärmel; diese enden hinten
in einem ungefähr 1 dm langen Zipfel. Besonders hübsche Jacken werden
in den Neujahrstagen getragen; bei häuslichen Festen dagegen werden
sie selten angezogen.
Statt der Jacken werden an Festtagen auch Schale gebraucht. Die,
Frauen, die keine Priesterinnen sind, bedecken sich dann den Oberkörper
derart mit einem langen Stück Zeug von ungefähr 1/2 m Breite, dass
die beiden Enden vorn und hinten bis zur Mitte der Schenkel gerade
herunterhängen und der mittlere Teil rechts unter der Achsel liegt,
während zwei Falten der linken Tuchhälfte oberhalb der linken Schulter
aneinander genäht werden. In Tandjong Karang waren hauptsächlich
Schale aus rotbrauner, golddurchwirkter Seide beliebt.
Ähnliche Schale tragen auch die Priesterinnen, wenn sie an Festtagen
ihres Amtes walten; sie schlingen sie jedoch nur einmal um den Körper
und zwar so, dass die Mitte des Tuches über der Brust zu liegen
kommt und die unter den Armen hindurchgezogenen Enden auf dem Rücken
festgebunden werden. Nur die Oberpriesterin _Usun_ bedeckte sich den
Oberkörper nicht.
Frauen, welche die Würde einer Priesterin noch nicht völlig erreicht
haben, unterscheiden sich von diesen durch die weissen Felder ihrer
_ta-a_.
Alle Frauen der Bahau tragen, sobald ihre Schwangerschaft äusserlich
sichtbar wird, ein Tuch (_djad butit_), das sie auf gleiche Weise wie
die Priesterinnen um Brust und Leib schlingen. Durch straffes Anziehen
dieses Tuches erhält der Leib, besonders in den letzten Monaten, eine
gute Stütze. Nach der Entbindung wird das _djad butit_ bald abgelegt
und durch ein schmäleres Tuch (_djad usok_) ersetzt, welches nur die
Brüste bedeckt und noch während mehrerer Monate getragen wird.
Die Frauen schmücken sich mit den gleichen Ohrgehängen wie die Männer,
nur lassen sie sich in der eigentlichen Ohrmuschel keine Löcher bohren.
In noch höherem Masse als die Männer, lieben sich die Frauen mit
Perlenschnüren, Armbändern und Fingerringen zu zieren. Sie sind es
auch, die für den Wert alter Perlen am meisten Verständnis haben,
die jede Art beim Namen kennen; für den Besitz mancher dieser Perlen
sind sie im stande, sehr viel aufzuopfern. Die neuen Glasperlen,
Nachahmungen der alten Formen, werden in Europa verfertigt und über
Singapore eingeführt.
Sogar über dem Alltagsröckchen trägt die Kajanfrau einen Gürtel,
(_taksa_), bestehend aus einer doppelten Reihe oft sehr kostbarer
alter Perlen (Fig. 12 u. 13) und dazu zahlreiche Halsketten aus
kleineren Perlen (Fig. 11 u. 8).
Zu den Kostbarkeiten der Frau gehört auch ein Satz elfenbeinerner
Armbänder (_leku tulang_). Es sind 16-60 glatte Elfenbeinringe, die,
in der Grösse aufeinanderfolgend, zusammen einen stumpfen Kegel bilden,
der den Unterarm vom Puls bis 1 dm unterhalb des Ellen bogens bedeckt.
Sowohl diese Armbänder als auch die beliebtesten Seidenstoffe werden
in China verfertigt und von dort bezogen, vielleicht im Zusammenhang
mit den früheren chinesischen Niederlassungen an Borneos Nordküste.
Fingerringe. werden von den Kajan nie selbst hergestellt; besonders
beliebt sind die europäischen Ringe aus unechtem Golde mit glänzenden
bunten Steinen; sie haben die von den Taman Dajak stammenden kupfernen
Ringe fast gänzlich verdrängt.
Sobald in einer Kajanfamilie ein Trauerfall stattfindet, müssen alle
Schmuckgegenstände abgelegt werden; auch bunte Kleidungsstücke dürfen
dann nicht mehr getragen werden. Die veraltete Baumbastkleidung
(_kapua_) wird wieder hervorgeholt und, falls man diese nicht mehr
besitzt, muss alles aus- weissem Kattun hergestellt werden.
Nach Ablauf der Trauerzeit (_bet lali_) steht es jedem frei, seine
frühere Kleidung wieder anzulegen; es kommt jedoch häufig vor,
dass die nächsten Angehörigen durch das Tragen dieser Trauerkleidung
ihrem Schmerz über den erlittenen Verlust noch Monate und Jahre lang
Ausdruck geben. Wittwen zeigen dadurch an; dass sie sich nicht wieder
verheiraten wollen.
Zu der eigentlichen Trauerkleidung der Frauen gehört eine besondere
Baumbastmütze, bestehend aus einem langen breiten Streifen, der wie
ein Tuch von hinten nach vorn um das Haupt geschlungen wird, wo die
Enden über einander geschlagen und dann frei von vorn über den Kopf
nach hinten bis zum halben Rücken herab hängen gelassen werden;
Männer tragen nichts dergleichen.
Als Zeichen der Trauer das Haupthaar abzuschneiden, scheint bei
den Mendalam Kajan nicht üblich zu sein; ich weiss auch nicht, ob
die Sklaven nach dem Tode des Häuptlings hierzu verpflichtet sind,
wie dies am Mahakam der Fall ist.
Die Liebe zu ihren Verstorbenen äussern die Kajan dadurch, dass sie
diese für die Reise in den Himmel und. den dortigen Aufenthalt so gut
als möglich auszurüsten suchen. In erster Linie handelt es sich hierbei
um eine Aussteuer von schönen Kleidungsstücken. Interessanter Weise
giebt man sich alle Mühe, diese Kleider nach der Mode der Vorfahren
zu verzieren, eine Mode, die sich bis heute noch bei den Stämmen am
oberen Mahakam erhalten hat (Tafel: Totenausrüstung).
Das Charakteristische dieser Totenkleidung besteht in einer Applikation
von Figuren, die aus schwarzem Kattun geschnitten sind, auf weiss
kattunenen Röcken und Jacken. Von der schwarzen Farbe glauben die
Kajan, dass sie auf die bösen Geister, die die Seele des Verstorbenen
unterwegs bedrohen könnten, schreckenerregend wirkt. Die Figuren
werden von den Männern entworfen und ausgeschnitten und von den
Frauen auf die von ihnen verfertigten Kleider geheftet. Gleichfalls
von Männern entworfen und von den Frauen angebracht werden auch die
mit schwarzer Farbe auf Pandanusblätter gemalten oder aus schwarzem
Kattun geschnittenen Figuren für die Hüte und Tragkörbe der Toten. Den
Verzierungen der Totenkleidung liegen bei den Kajan als beliebte
Kunstmotive der Hund (_aso_, Fig. 3 b), der Mensch (_kelunan_, Fig. 3
a) und Stilisierungen beider zu Grunde. Beim Hunde tritt dabei der
Kopf stets am deutlichsten hervor; die übrigen Körperteile verlaufen
in so zierlich gebogenen Linien, dass man deren Bedeutung im ersten
Augenblick meist nicht erkennen kann.
Die Hüte der Toten (Fig. 6 auf Tafel: Hüte der Bahau) werden viel
schöner verziert als die der Lebenden; so dürfen, wie bereits gesagt,
mit schwarzen Figuren belegte Kopfbedeckungen bei Lebzeiten nur
Abkömmlinge der vornehmsten Häuptlingsgeschlechter tragen, nach dem
Tode jedoch werden sie neben dem Grabe viel niedrigerer Personen
niedergelegt.
Der Leiche selbst wird im Sarge eine eigenartige Mütze aus Baumbast,
die nicht mit Zwirn, sondern mit den früher gebräuchlichen umgedrehten
Pflanzenfasern genäht werden muss, aufgesetzt. Die Form dieser Mütze
ist für Männer und Frauen verschieden; jenen ist eine Zipfelmütze,
diesen eine anschliessende, nach hinten etwas verlängerte Mütze
vorgeschrieben.
Einen wichtigen Gegenstand der Totenausrüstung bildet ein Tragkorb
(_adjat_, Fig. 1), in dem sich ausser Armbändern (Fig. 1 d) und
einem Palmblattsack (_samit_, Fig. 1 e) mit Handarbeiten auch
noch Gegenstände befinden, die zur Überwindung aller Gefahren auf
dem Wege zum _Apu Kesio_ dienen. Der Korb enthält eine _kawit_
(Fig. 1 c) und zwei kleine Bambusgefässe (Fig. 1 b) mit Speise für
die guten Geister, für die auch das Barnbusgefäss (Fig. 1 g) mit
Zuckerrohrsaft, das am Tragkorb hängt, bestimmt ist. Drei Säckchen
(Fig. 1 h) enthalten eigentümlich geformte Steinchen, die zur Abwehr
böser Geister dienen. Zum gleichen Zweck werden auch Tierzähne am
Tragkorbe befestigt. Um auf wilden Flüssen das Wasser aus dem Boot
schöpfen zu können, wird dem Toten eine halbe Kalabasse (Fig. 1 a)
mitgegeben. Schliesslich hängt am Tragkorbe noch eine Leiter (Fig. 1
f), um über Felsen und Abgründe klimmen zu können (Siehe pag. 104).
Den Toten werden auch die schönsten und kostbarsten Armbänder,
Halsketten und Ringe für den Aufenthalt im Jenseits in den Sarg
gelegt. Daher übt das Grab eines Vornehmen eine so grosse Anziehung
auf die raubgierigen Malaien, dass selbst die am Kapuas errichteten
Prunkgräber aus Eisenholz nicht fest genug sind, um ihren kostbaren
Inhalt vor diesem Gesindel zu schützen. So wurde das Grab von _Akam
Igaus_ erster Frau bereits kurz nach deren Begräbnis von Malaien
erbrochen und geplündert. Auch in Serawak ist Grabschänderei nichts
Unbekanntes.
Die Hauptwaffen der Kajan sind Schwert (_malat_) und Speer (_bakir_);
das Blasrohr (_seput_) spielt als Waffe nur eine nebensächliche
Rolle; nur wenige verstehen überhaupt mit ihm umzugehen und kein
eigentlicher Kajan ist im stande, das Pfeilgift zu sammeln und zu
bereiten. Hauptsächlich sind es Abkömmlinge der Punan unter ihnen,
die sich mit Vorliebe des Blasrohrs, der ursprünglichen Waffe der
Nomadenstämme, bedienen. Das Schwert dagegen ist für den Kajan nicht
nur im Kriege. die wichtigste Waffe, sondern auch im täglichen Leben
der wichtigste Gebrauchsgegenstand und wetteifert hierin nur mit dem
kleinen Messer (_nju_, Fig. h, Taf.: Schwerter der Mendalam Kajan),
das an der Innenseite der Schwertscheide in einem besonderen Behälter
stets mitgetragen wird. Alle Arbeit, die mit Messer oder Beil nicht
ausgeführt werden kann, verrichtet der Kajan mit seinem Schwert, das
ihn daher nie verlässt. Bei der Feldarbeit verwendet er zum Abhacken
von Zweigen und Gestrüpp allerdings ein für diesen Zweck hergestelltes
einfaches Schwert; befindet er sich aber auf weiten Reisen, so benützt
er sein Kriegsschwert sowohl gegen den andringenden Feind als auch zum
Behauen von Brettern und zum Hacken von Brennholz. Kein Kajan nimmt
auf Expeditionen zweierlei Schwerter mit, aber jeder sorgt dafür,
dass sein Exemplar alle Zwecke erfüllen kann. Daher werden sowohl
am Kapuas als am Mahakam für ernsthafte Kriegszüge meist einfache,
aber gut gearbeitete Klingen vorgezogen, während die schönen, mit
eingelegtem Kupfer und Silber verzierten Exemplare nur als sehr
geschätzte Prunkgegenstände dienen. Nur ein kriegerischer Häuptling,
wie der Pnihinghäuptling _Belarè_, nahm auch auf Expeditionen schön
gearbeitete Kriegsschwerter mit, aber gelegentlich wird er mit ihnen
wohl auch Bäumchen gefällt haben.
Ebenso unzertrennlich wie von seinem Schwerte ist der Kajan von
seinem Speer; in den Wohnungen findet man selbst ganze Reihen von
Speeren aufgestellt.
In früherer Zeit wurden die Speerspitzen (_tite bakir_) sehr sorgfältig
bearbeitet, gegenwärtig aber begnügt man sich mit sehr schlichten
Speeren und auf gute Herstellung der Schäfte wird in der Regel gar
nicht geachtet. Einen mit Schnitzwerk verzierten Speerschaft sah ich
niemals bei den Bahau, höchstens hatte man ihn rund und glatt poliert.
Die Spitzen der Speere, die täglich aufs Feld mitgenommen werden,
gleichen einem länglichen, scharf zugespitzten, zweischneidigen,
eisernen Blatte; dagegen haben die wirklichen Kriegsspeere die Form
eines ausgehöhlten Meissels; sie sind besonders zum Durchbohren der
Schilde sehr geeignet, werden aber nie auf die Jagd mitgenommen.
Zum Werfen dient ein kurzer Speer mit kurzer Spitze.
Das Schwert wird, nach der grösseren Sorgfalt, die auf seine
Herstellung verwandt wird, zu urteilen, dem Speere bei weitem
vorgezogen.
Beim Verzieren der Schwerter nebst Zubehör entwickeln die Kajan viel
Geschmack und Kunstfertigkeit; die Männer beim Schnitzen der Griffe
(_haupt_, Fig. b) und Scheiden (_bukar_, Fig. c), die Frauen beim
Verfertigen von Gürtelquasten (Fig. d) und Belegen (_tap_) aus Wolle
oder Perlen. (Siehe Tafel: Schwerter der Mendalam Kajan. u.s.w.).
Die Bestandteile eines Kajanschwertes sind genügend bekannt,
weniger ist dies vielleicht mit den Anhängseln der Fall, welche ein
gut ausgerüsteter Krieger stets am Schwertgürtel hängen hat. Die
wichtigsten sind zwei Bambusdöschen mit Feuerstein (_batu tekik_) und
Rauchmaterial: Tabak und Bananenblättern; ferner einige Fläschchen mit
Arzneien, meist malaiischen Ursprungs, und endlich allerhand Amulette
zur Abwehr böser Geister: Flusssteinchen von besonders auffälliger
Form, z.B. länglich und stark gebogen oder mit einem auf natürliche
Weise entstandenen Loch in der Mitte; Eckzähne von Hunden und Bären,
die an alten Perlenschnüren in einem Bündel beieinander hängen;
auch Glöckchen (_anhing)_, besonders solche aus altem Eisen, üben
eine schutz bringende Wirkung. Unter all diesen Merkwürdigkeiten
fiel mir noch etwas Besonderes auf: ein sogenanntes Hahnenei, ein
kleines Exemplar des letzten unfruchtbaren Eies einer Henne. Kein
Najan beginnt einen Kriegszug ohne ein solches Ei, das bisweilen
Jahrzehnte alt ist und in ein Tüchlein eingewickelt in einem besonderen
Bambusdöschen (Fig. e) mitgenommen wird. Sonderbarer Weise glauben
auch die Bahau, dass ein derartiges Ei von einem Hahn gelegt wird;
am Mahakam verteidigte ein Kajanjüngling mir gegenüber mit grossem
Ernst diese Überzeugung.
Alle diese Anhängsel sind an der rechten Seite, wo der Gürtel (Fig. f )
mit einer scheibenförmigen Schnalle (_hulo bukar_, Fig. g) geschlossen
wird, befestigt. Das Schwert hängt für gewöhnlich an der linken Seite,
ist sein Träger jedoch linkhändig, was ziemlich häufig vorkommt,
so hängt es rechts und auch die Klinge (_tite_, Fig. a) ist dann
rechts und nicht, wie sonst, links ausgeschweift geschmiedet. Auch
gewöhnliche Arbeitsschwerter werden für Linkhändige angefertigt.
Hauptsächlich der eigentümlichen Art ihrer Herstellung wegen von
Interesse sind die Blasrohre (_seput_): 2 m lange hölzerne Rohre
mit gleichmässig weitem Kanal; ist dieser bisweilen nach einer Seite
etwas gekrümmt, so wird die Unregelmässigkeit durch Beschweren mit
einer Speerspitze (_tite seput_) ausgeglichen. Oft sind die Rohre
auch tadellos gerade; unregelmässig gekrümmte sah ich nie.
Die meisten Stämme von Mittel-Borneo verfertigen die Blasrohre
selbst aus einem harten Stück Holz, das sie zuerst mit einem 2 m
langen Eisen bearbeiten, dessen eines, meisselförmiges Ende schart
geschliffen ist. Das Holzstück wird zu diesem Zweck in horizontaler
Lage gut befestigt und das Eisen, das stets dünner sein muss als der
gewünschte Kanal, wird in dessen Richtung gelegt und durch etliche
gekreuzte Bambusstücke gegen den Block gestützt. Durch fortwährendes
Stossen mit diesem Meissel wird langsam ein Weg durch den Block
gebohrt. Bei ununterbrochener Arbeit kann ein Mann einen solchen Kanal
innerhalb eines Tages herstellen, bevor das Blasrohr aber fertig
ist, hat es noch manche Prozedur zu erleiden. Zuerst schneidet man
das überschüssige Holz an der Aussenseite fort und giebt dann der
Wand eine gleichmässige Dicke. Das Glätten des Kanals wird durch
Schaben bewirkt. Man benützt hierzu ein Reibeisen (_tossok seput_,
Fig. a, Taf.: Pfeilköcher), bestehend aus einem doppelt gefalteten
Eisenstab, in den man mit einem Schwert oder Meissel Einschnitte
gehackt hat. Mittelst eines langen, dünnen Stieles aus festem Holz
oder Rotang wird dieses Reibeisen so lange im Kanal herumgedreht und
hin- und hergezogen, bis keine Splitter mehr zum Vorschein kommen.
Zur feineren Bearbeitung verwendet man die harten, scharfen Ränder
zweier ungefähr 2 dm langer Bambusstücke, die, an den gleichen
Stab zusammengebunden, gerade in die Öffnung passen; durch Hin-
und Herdrehen dieser Stäbe erhält der Kanal beinahe die gewünschte
Glätte. Den letzten Schliff giebt man ihm durch an einen Stab gebundene
Blätter, die unter der Epidermis soviel Kieselsäurekristalle angehäuft
enthalten, dass sie sich wie feines Reibpapier anfühlen. Auf ähnliche
Weise wird die Aussenfläche des Blasrohrs behandelt: wenn das Messer
nichts mehr verbessern kann, kommt eine Art _Bambusreibe (kasa
seput_, Fig. b) an die Reihe, bestehend aus dünnen Bambusspähnen,
die an 2 Schnüren so nah aneinander gereiht sind, dass sie in gleichen
Entfernungen den scharfen, kieselhaltigen Rand nach innen kehren. Diese
scharfen Ränder umschliessen das Blasrohr und scheuern, wenn man sie
einen Tag lang um die Oberfläche bewegt, alle Unebenheiten ab. Zum
Schluss poliert man die Aussenseite mit den gleichen Blättern wie
die Innenseite.
Der Kanal hat bei allen Blasrohren ungefähr den gleichen Durchmesser,
nur seine Länge variiert innerhalb bestimmter Grenzen. Gute Exemplare
besitzen ein Mundstück aus Horn, Zinn oder Kupfer und ein aufrechtes
Eisenstäbchen am andern Ende dient dazu, dem Schützen das Zielen
zu erleichtern.
Die Pfeile (Fig. c und d), welche mit dem Blasrohr abgeschossen
werden, besitzen, je nach dem Zweck, für den sie bestimmt sind,
eine verschiedene Form und sind ausnahmslos vergiftet. Ihr Schaft
wird aus Palmblattstielen, in der Regel aus denen der Sagopalme
(Eugeisonia tristis), verfertigt.
Die Pfeile tragen, damit sie im Kanal dicht anschliessen, an ihrem
Ende ein kegelförmiges, sehr leichtes Holzstückchen. Ihre Spitze wird,
zum Töten kleiner Tiere, durch Einschrumpfenlassen am Feuer gehärtet
und dann mit einer Lage schwarzen Giftes bestrichen (Fig. c.) Sollen
mit den Pfeilen Menschen, Hirsche oder Wildschweine getötet werden,
so fügt man in einen Einschnitt der Schaftspitze eine feine, dünne
Spitze aus Bambus oder am liebsten aus Blech und bestreicht diese mit
einer dickeren Lage Gift, die sie zugleich auch im Schaft befestigt,
jedoch nur so weit, dass sie, wenn sie einmal durch die Haut gedrungen
ist, mit ihren Widerhaken in der Wunde stecken bleibt und sich vom
Schafte leicht lösen kann (Fig. d). Bisweilen bewirkt man auch das
Abbrechen eines Teiles des Schaftes selbst, indem man ihn mit einem
ringförmigen Einschnitt versieht.
Die Pfeile werden in grösserer Anzahl in einem besonderen Bambusköcher
(_telanga_, Fig. e und f) von ungefähr 9 cm Durchmesser aufbewahrt.
Der Bambus ist 30 cm oberhalb des Halmknotens, der den Boden des
Köchers bildet, abgeschnitten und am oberen Teil rings um die Öffnung
etwas beschnitten, um bequem mit einem Bambusstöpsel (am Kapuas,
Fig. e) oder mit einem runden, kegelförmigen, hölzernen Stöpsel (am
Mahakam, Fig. f) geschlossen werden zu können. Am Köcher wird ein oft
hübsch geschnitzter hölzerner Haken (Fig. g) befestigt, den die Jäger,
wenn sie sich auf die Jagd oder in den Krieg begeben, an der rechten
Seite in ihr Lendentuch stecken.
In einem Köcher befinden sich ungefähr 24 Pfeile von verschiedener Form
und zwar sitzt jeder gesondert in einem dünnen Bambusbehälter (Fig. h),
damit sie einander auf langdauernden Reisen nicht beschädigen. Da die
Pfeile und ihre Behälter viel kürzer als der _telanga_ selbst sind,
werden sie noch gesondert in Stückchen Fell (Fig. k) des grossen
Eichhörnchens oder des kleinen Hirsches gehüllt, an welchen sie
bequem hervorgeholt werden können. Durch verschiedene Farben oder
an das Ende aufgeschobene kleine Perlen unterscheidet man die Pfeile
für grössere und kleinere Tiere.
Neben diesen fertigen Pfeilen stecken im Köcher noch mehrere Päckchen
(Fig. i und l) unvollendeter Pfeilschäfte, deren noch stumpfe Spitzen
meistens bereits im Feuer gehärtet worden sind (Fig. m). Jedes
dieser Päckchen wiederum befindet sich in einer besonderen ledernen
Hülle. Der Köcher enthält ausserdem noch ein Stöckchen mit scharfer
Spitze (Fig. n), auf die man beim Schneiden die konischen Hölzchen
steckt, welche hinten an die Pfeilschäfte befestigt werden. Die
Bahau und Punan nehmen stets einen Vorrat dieser Hölzchen in einer
flaschenförmigen Kalabasse (Fig. o) mit hölzernem Stöpsel mit, die
sie an den Köcher hängen; da sie überdies auf dem Grunde des Köchers
immer ein bis mehrere Stücke Pfeilgift mitnehmen, können sie auch im
Walde stets neue Pfeile herstellen. Neben der Kalabasse hängt noch
ein Bambusbehälter mit Zunder und Feuerstein (Fig. p), die auf Reisen
stets mitgeführt werden.
Die Gifte, welche die Stämme von Mittel-Borneo für ihre Pfeile benützen
und durch welche unbedeutende Wunden oft tötlich wirken, sind sehr
verschiedenen Ursprungs. Die Bahau unterscheiden 6 verschiedene Arten
von Pfeilgiften, die sich von ebenso vielen verschiedenen Bäumen
und Lianen herleiten; sie heissen: _tasem; tasem telang; ipu kajo;
ipu aka; ipu tana_ und_ ipu seluwang_.
Die zwei _tasem_-Arten werden aus den Giften verschiedener Pflanzen,
welche in ganz Mittel-Borneo, sowohl am oberen Kapuri, oberen Barito
und oberen Mahakam als am oberen Kajan vorkommen, zusammengesetzt;
daher können die _tasem_-Gifte von allen Stämmen, die diese
Flussgebiete bewohnen, hergestellt werden.
Dagegen wachsen die die _ipu_-Gifte liefernden Pflanzen nur am oberen
Kapuas und oberen Barito, so dass sie nur von den in diesen Gebieten
umherschwärmenden Punan und Bukat gesammelt und den anderen Stämmen
verkauft werden. können. Die _ipu_-Gifte werden nämlich, als die
wirksameren, den _tasem_-Giften vorgezogen. Da die _ipu_ liefernden
Pflanzen auch am Kapuri nur an bestimmten Stellen vorkommen, müssen
die Sammler oft weite Züge unternehmen, um die Gifte zu finden. Eine
gute Fundstelle für die betreffenden Pflanzen bilden die Wälder am
Fuss des Bukit Tilung im Mandaigebiet.
Die Herstellung der Pfeilgifte und die sie liefernden Pflanzen sind
in Mittel-Borneo nur den Jägerstämmen der Bukat und Punan oder deren
Abkömmlingen unter den ackerbautreibenden Dajakstämmen bekannt; daher
ist es nur unter besonders günstigen Umständen möglich, sich Pfeilgifte
von bekannter Herkunft und die dazu gehörigen Pflanzen zu verschaffen.
Auf meinen drei Reisen in Borneo glückte es mir nur im Jahre 1894, in
den Besitz einer einigermassen vollständigen Sammlung der _ipu_-Gifte
und des dazugehörigen Herbariums zu gelangen. Bei meiner zweiten Reise
1896 waren die Bukatsöhne, die früher bei den Mendalam Kajan wohnten
und mir zu der Sammlung verholfen hatten, fortgezogen und ich konnte in
vier Monaten keine zweite zuverlässige Sammlung zu Stande bringen. Im
Jahre 1898 erhielt ich zwar die verschiedenen Gifte und das Holz und
die Blätter der _ipu_-Pflanzen, aber man führte mich mit den Blüten
und Früchten, für die die richtige Zeit augenscheinlich noch nicht
gekommen war, irre. Diese letzte Sammlung wurde von Dr. _Boorsma_
im botanischen Institut zu Buitenzorg untersucht; die erlangten
Resultate sind in "Mededeeling uit 's Lands Plantentuin" (deel 52)
veröffentlicht worden; ihnen entnehme ich auch die weiter unten
angeführten Bestandteile der Pfeilgifte. Die beiden Gifte: _tasem
und tasem telang_, werden gewonnen, indem man die gleichnamigen Bäume
anzapft und den ausfliessenden Milchsaft auffängt. Der _tasem_-Baum
erreicht eine bedeutende Grösse, der _tasem telang_ dagegen wird
nicht über 1 dm dick.
Der Milchsaft wird mit dem wässerigen Auszug aus dem geriebenen Bast
einer Liane, _aka kia_, vermengt. Die Mischung wird in einem alten
eisernen Topf, der für andere Zwecke nicht mehr gebraucht wird, bis
zu Sirupdicke eingedampft; die Masse erhärtet beim Abkühlen. Das Gift
wird vor dem Gebrauch fein gerieben und mit den Blättern von _gambir
utan_ (Euphorbiacee) gemengt, ein Verfahren, für welches besondere,
oft schön verzierte Brettchen (Fig. q) und Reib stöcke (_ligan_,
Fig. r) verwendet werden.
Die _tasem_-Gifte werden auf weite Expeditionen in viereckigen
Körbchen aus Palmblattscheiden (_takong_, Fig. s) mitgeführt und vor
dem Gebrauch in der Nähe des Feuers aufgehängt, um sie zäh-flüssig
werden zu lassen.
Eine Analyse des Pfeilgiftes, das einen zähen, schwarzen Extrakt mit
intensiv bitterem Geschmack liefert, stellte folgende Bestandteile
fest: Antiarin, das giftige Glycosid, das im Saft von Antiaris
toxicaria Lesch. enthalten ist; die zwei Alkaloide: Strychnin
und Brucin; Upaïn, das durch _Wefers Bettink_ aus dem Milchsaft
von Antiaris gewonnen wurde, und Antiaretin, das von _Mulder_ und
_Lewin_ als Bestandteil des _antjar_-Milchsaftes angegeben wurde;
ferner eine schwach giftige pflanzliche Säure, die ein Aufschäumen
verursacht. Derrid, das hauptsächlich in den aus Malakka stammenden
Pfeilgiften enthalten ist, fehlte.
Die giftige Wirkung der _tasem_-Gifte muss somit den in Antiaris
vorkommenden Stoffen und den Strychnos-Alkaloiden zugeschrieben werden;
der hohe Antiaringehalt spielt hierbei zweifellos die Hauptrolle.
Auf Grund der in den _tasem_ anwesenden aufschäumenden Säure nimmt
Dr. _Boorsma_ an, dass nicht nur der Milchsaft, sondern wahrscheinlich
auch ein Auszug aus dem Bast des _tasem_-Baumes (höchst wahrscheinlich
Antiaris toxicaria) bei der Zubereitung verwendet werden. Das in
viel geringerer Menge vorkommende Strychnin und Brucin liess sich
in kleinen Quantitäten auch in den Holz- und Bastteilen der Liane
_aka kia_ nachweisen; diese gehört, wie auch eine mikroskopische
Untersuchung feststellte, zu den Strychnosarten.
Was die _ipu_-Gifte betrifft, so bildet:
_ipu tana_ eine teils zähe, teils brüchige, dunkelbraune Masse;
_ipu kajo_ einen weichen, schwarzen Extrakt;
_ipu aka_ eine zähe, braune, von aussen schwarze und bröckelnde,
teilweise auch steinharte Masse;
_ipu seluwang_ einen zähen, schwarzen Extrakt.
Alle diese _ipu_-Arten haben einen intensiv bitteren Geschmack. Sie
enthalten sämmtlich Strychnin und _ipu tana_ ausserdem auch
Brucin. Derrid fehlte auch bei diesen Giften.
Augenscheinlich stammen alle _ipu_-Gifte von Strychnosarten ab. Die
Holz- und Bastteile der diese Gifte liefernden Pflanzen ergaben
bei der Untersuchung alle als giftige Bestandteile Alkaloide. Nicht
nur der Bast, sondern hauptsächlich auch das Holz erwiesen sich als
strychninreich, während das Holz von _ipu seluwang_ ausserdem auch
noch Brucin enthielt. Es ist daher wahrscheinlich, dass _ipu tana_
und _ipu seluwang_ oder die dazu gehörigen Holzproben aus Versehen
verwechselt worden sind.
Da bei _ipu kajo_ hauptsächlich in den Holzteilen viel Strychnin
gefunden wurde, ist es wahrscheinlich, dass bei der Herstellung
dieses Giftes nicht nur geschabter Bast, sondern auch geschabtes Holz
verwendet wird.
Man bereitet sämmtliche _ipu_-Pfeilgifte, indem man den Bast,
vermutlich auch das Holz der betreffenden Pflanzen, fein zerreibt,
mit Wasser auszieht und die Lösung vorsichtig eindampft, bis sie eine
dicke, zähe, schwarzbraune Masse bildet. Diese wird in kleinen Mengen
in den Palmblättern einer Licula-Art aufbewahrt. Beim Gebrauch erweicht
man das Ende eines Stückchens _ipu_ über Wasserdampf und bestreicht
damit die Pfeilspitzen, welche sodann in einiger Entfernung vom Feuer
getrocknet werden. Den Wasserdampf lässt man durch die Öffnung eines
trichterförmig gewundenen Bananenblattes, das über ein Bambusgefäss
mit kochendem Wasser gestülpt worden, hindurchstreichen.
Dass die Wirkung des _ipu_ mit derjenigen des Strychnins übereinstimmt,
davon überzeugte ich mich einst, als ein Hund von einem Pfeile nicht
sogleich tötlich getroffen wurde. Das Tier lag mit Bewusstsein auf der
Seite, die Zunge aus dem Maule hängend und litt, wie die schnellen,
kurzen Atemzüge andeuteten, an Atemnot. Ab und zu stellten sich
spontan Konvulsionen ein, bei denen sich der ganze Körper streckte;
sie wechselten mit tonischen Krämpfen. Erschütterte man das eine Ende
des freiliegenden Fussbodenbrettes, auf dem das Tier lag, so wurden
die Zuckungen so heftig, dass der Hund bis auf 1/2 m Höhe aufsprang;
er gab dabei keinen Laut von sich.
Das Schiessen mit dem Blasrohr hat auf der Jagd und im Kriege den
grossen Vorteil, dass man auf das Opfer, ohne es zu verscheuchen, so
lange Pfeile abschiessen kann, bis einer trifft. Übrigens sind auch
viele Nachteile damit verbunden, besonders bei der Jagd auf grosse
Tiere, für die die Wunde niemals sofort tötlich ist und die auch
durch die Giftwirkung nicht sogleich bewegungslos werden. Sie behalten
daher immer noch genug Kraft, um bedeutende Abstände zurückzulegen,
was den Jägern viel Schwierigkeiten bereitet, da bereits ganz in
der Nähe gefallenes Wild in dem dichten Walde, auf dem mit Blättern,
Ästen und Gestrüpp bedeckten Boden, schwer zu finden ist.
Die Pfeile erfahren ferner, ihres geringen Gewichtes wegen, leicht
eine Ablenkung, hauptsächlich auf freier Fläche bei Wind.
Unter den sesshaften Dajak begegnete ich nie einem, der im Schiessen
mit dem Blasrohr eine besondere Geschicklichkeit an den Tag legte;
die Punan verstanden sich hierauf viel besser. In den Proben,
die sie vor mir ablegten, schossen sie zwar auf 40-50 m Abstand,
aber die Treffsicherheit liess viel zu wünschen übrig und war mit
derjenigen eines Gewehrschusses mit Kugel nicht zu vergleichen. Für
die Jägerstämme jedoch, die in den fast windstillen Wäldern leben,
bildet das Blasrohr, weil es mehrere Pfeile auf das gleiche Tier
abzuschiessen gestattet, eine praktische Waffe, der sie sich auch
Menschen gegenüber gut zu bedienen verstehen.
Die Schilde (_klebit_) der Bahau haben die bekannte länglich
viereckige Form mit dreieckiger Verlängerung nach oben und unten. Die
mit Menschen- und Tierfiguren und Masken stark verzierten Exemplare,
die bisweilen nach Europa ausgeführt werden, traf ich bei den Stämmen
von Mittel-Borneo nur selten; sie bedienen sich auf ihren Zügen stets
einfacher, glatter Schilde aus leichtem, festem, braunem Holze, die
in der Mitte und an den Seiten, der Breite nach, mit Rotangschnüren
verstärkt werden. Ich fand bei den Kajan noch eine alte, viereckige,
eiserne Platte mit zwei Spitzen, die, als Schutz für die an der
Rückseite befindliche Hand, vorn in der Mitte der Aussenfläche
befestigt wurde.
Die einfachen Schilde werden nie mit Haar verziert; dies geschieht
nur mit den bemalten Schilden, die daher _klebit bok_ (Haarschild)
genannt werden. Gegenwärtig wird am Kapuas nicht mehr das Haar
erschlagener Feinde als Zierat gebraucht, auch ist es verboten, als
Waffenverzierung Menschenhaar aus dem eigenen Stamm zu verwenden. Das
Haar für die Schilde wird jetzt hauptsächlich von den Taman Dajak
gekauft, die mit ihrem eigenen Haar Handel treiben. Für die Schwerter
benützt man vielfach eingeführte, gefärbte Tierhaare.
Nur die Punan und Bukat gebrauchten ursprünglich und zum Teil auch
noch jetzt keine Schilde.
KAPITEL VIII.
Rolle des Ackerbaus bei den Bahau und Kenja--Religiöse
Vorstellungen beim Ackerbau Legende von der Entstehung der
Ackerbauprodukte--Art der Feldbewirtschaftung--Vorzeichensuchen
bei der Wahl der Felder--Bestimmung der Saatzeit-Perioden
des Reisbaus--Bedeutung der Ackerbaufeste--Saatfest:
religiöse Zeremonien; Masken- und Kreiselspiel--Neujahrsfest
Festgebräuche--Zweite Namengebung der Kinder--Darbietung der
Opfer--Tänze der Priesterinnen--Ringkampf--_aron uting_ =
Festtag des Schweinefleischessens--_aron kertap_ = Festtag des
Klebreisessens--_nangeian_ = Rundtanz der Priesterinnen und
Laien--Schlusszeremonien beim Neujahrsfest.
Die Bahau und Kenja sind Ackerbauer; sie widmen sich hauptsächlich
dem Bau ihres wichtigsten Nahrungsmittels, des Reises; alle übrigen
Bodenerzeugnisse spielen daneben eine untergeordnete Rolle. Der
Ackerbau beherrscht im Grunde das ganze Leben dieser Stämme: ihr Jahr
ist das Jahr des Reisbaues, das sie in die verschiedenen Perioden
einteilen, welche die Bearbeitung des Reisfeldes und die Behandlung
des Reises selbst bedingen.
Die Herstellung von Wohnung, Kleidung und sonstigen Artikeln nehmen
die Kajan in der Zeit vor, die der Reisbau ihnen gerade übrig lässt,
vor allem nach dem Jäten der neuangelegten Felder und in der letzten
Ernteperiode. Dinge, die sie jetzt nicht mehr selbst verfertigen
oder gewinnen, wie Salz und einige Arten Zeug, werden den malaiischen
Händlern mit Bodenprodukten bezahlt.
Bei Stämmen, deren Denken so stark vom Ackerbau in Anspruch genommen
wird, nimmt es nicht Wunder, dass sie ihre Vorstellungen von den ihr
Wohl und Wehe beherrschenden Mächten mit diesem in engen Zusammenhang
bringen. Die Geisterwelt steht mit dem Ackerbau der Bahau in inniger
Verbindung, ohne ihre Zustimmung kann eine Feldarbeit überhaupt
nicht vorgenommen werden. Auch fallen alle grossen Volksfeste mit den
verschiedenen Perioden des Reisbaus zusammen. Da nach der Ernte ein
besonderer Wohlstand herrscht, werden, schon aus praktischen Gründen,
auch alle Familienfeste, die einen grossen Aufwand erfordern, auf
das Neujahrsfest am Schluss der Ernte verlegt.
Die beiden mächtigen Geister, _Amei Awi_, und dessen Gattin, _Buring
Une_, die nach der Überzeugung der Kajan in einer Welt leben,
die unter dem Erdboden liegt, beherrschen den ganzen Ackerbau
und lassen den. Ausfall der Ernte grösstenteils vom Benehmen des
Feldeigentümers abhängen, und zwar nicht nur von dessen sittlichem
Betragen, sondern vor allem davon, ob er alle ihnen zukommenden Opfer
und ihre Warnzeichen genügend beachtet hat.
Dem Häuptling fällt eine wichtige Rolle beim Ackerbau zu: er muss
bei den Festen im Namen des ganzen Stammes die vorgeschriebenen
Beschwörungen durch die Priesterinnen ausführen lassen.
Alle religiösen Zeremonien, die der Ackerbau erfordert, finden
auf einem kleinen, besonders zu diesem Zweck angelegten Reisfeld
(_luma lali_) statt; hier leitet auch die Häuptlingsfamilie jedes
neue Verfahren des Reisbaus, wie das Säen, Jäten, Ernten ein;
die feierlichen Handlungen, die dabei vorgenommen werden, haben
symbolische Bedeutung.
Die Geister walten nicht nur über dem Gelingen oder Misslingen der
ganzen Ernte, sondern sie haben auch die angebauten Produkte: Reis,
Mais, süsse Erdäpfel, Tabak u.s.w. besonders für die Bahau auf Erden
entstehen lassen.
Nach der Überlieferung der Mendalam Kajan lebte nämlich in alten
Zeiten, als sie noch das Stammland Apu Kajan bewohnten, ein Ehepaar:
_Batang Timong Nangei_ und seine Frau _Uniang Bulan Batang Ngaui
Ingan_ (ihre Namen stehen mit dem Ackerbau in Verbindung, denn
_nangei_ bedeutet das Feiern des neuen Jahres am Ende der Reisernte,
_ingan_ ist ein Reiskorb u.s.f.). Das Ehepaar hatte zu seinem Kummer
keine Kinder und, um sie zu erlangen, ging der Mann, auf Anraten
der Geister, darauf aus, eine bestimmte Art Rotang zu suchen. Nach
mehr als einem Jahr kehrte der Mann ohne Erfolg und völlig erschöpft
heim. Seine Gattin _Uniang_ war aber inzwischen gestorben, weil sie
während einer Verbotszeit des Säens genäht und hierdurch den Zorn der
Geister erregt hatte. Ihr Tod hatte sich folgendermassen zugetragen:
Als _Uniang_ einmal wieder zu verbotener Zeit bei der Arbeit sass,
fiel durch das Dach eine Nadel vom Himmel gerade auf ihren kleinen
Finger, der zu bluten begann. Die Blutung war nicht zu stillen und
so musste die Frau allmählich verbluten; aus ihrem hervorquellenden
Blute entstand aber Reis (_parei_) und nach ihrem Tode aus dem Rumpf
Bananen (_pute_), aus ihren Haaren Zuckerrohr (_tewo_), aus ihren
Oberarmen _kladi_, aus ihren übrigen Körperteilen andere mit dem
Reis zugleich gebaute Gewächse wie: Gurken, süsse Erdäpfel (_obe_)
u.s.w., aus den Schamteilen ging Tabak (_bako_) hervor, daher geben
die Frauen ihren Liebhabern Zigarren zu rauchen.
Sowoht Bahau als Kenja legen trockene Reisfelder (_luma_ im Busang
_ladang_ im Malaiischen) an. Ein Stück Wald, jung (_talon_) oder alt
(_tuwan)_, wird einige Meter oberhalb des Erdbodens gefällt, das
Holz liegen gelassen, bis die Sonne es etwas getrocknet hat und das
Ganze dann in Brand gesteckt. Ohne den Boden weiter zu bearbeiten,
werden mit einem hierfür bestimmten Stocke (_tol_) Löcher in die Erde
bzw. die Asche gebohrt, in welche man dann den Reis (_parei_) sät.
Jede Familie besitzt ein eigenes Reisfeld; sobald erwachsene Kinder da
sind, erhalten sowohl Söhne als Töchter ein eigenes Feld. Hier bauen
sie neben Reis auch Mais, Bataten, Tabak, Zuckerrohr und _kladi_
(Colocasia antiquorum); ein besonderes Feld wird nur für die das
Fischgift (_tuba_) liefernden Schlingpflanzen angelegt. Da man das
Reisfeld jedes Jahr oder spätestens nach zwei Jahren wieder verlässt,
werden nur selten Fruchtbäume ausser Bananen und Papaya (Carica Papaya)
darauf gepflanzt; diese werden vielmehr von jeder Familie dicht vor
oder hinter dem langen Hause mit Betel und Ähnlichem in kleinen Gärten
gezogen, die, zum Schutz gegen die frei umherlaufenden Schweine,
mit festen Hecken umgeben werden.
Unter den Fruchtbäumen sind die wichtigsten: _duku_ (Lansium
domesticum), _durian_ (Durio zibethinus), verschiedene Citrusarten,
Papaya (Carica Papaya), _djambu_ (Jambosa) und _blimbing_ (Capura
Zollingeriana T. et B.).
Die Kokospalme kommt selten vor, trägt wenig Früchte und ist nur,
insofern sie Leckerbissen liefert, von Bedeutung.
Obgleich die Frauen sowohl bei der Feldarbeit als bei den zugehörigen
religiösen Handlungen eine wichtige Rolle spielen, wird der Boden
für ein neu anzulegendes Feld doch ausschliesslich von Männern
ausgesucht. Das männliche Haupt des Dorfes trachtet zuerst von den
Vögeln und anderen wahrsagenden Tieren zu vernehmen, ob das von ihm
gewählte Grundstück auch einen guten Ertrag verspricht. Handelt es
sich darum, Urwald (_tuwan_) oder jungen Wald (_talon_) zu fällen, so
benützen die Bahau am Mendalam den _telandjang_ (Platylophus coronatus)
als wahrsagenden Vogel; wegen des Urwaldes wird auch noch das Reh
(Cervulus muntjac) befragt. Der Häuptling begiebt sich zu diesem
Zwecke in das gewählte Waldstück und klopft an den Bäumen, bis er
den _telandjang_ hört oder sieht. Zeigt sich der Vogel rechts von
ihm, so ist das Grundstück gut gewählt, zeigt er sich jedoch links,
so muss ein anderes Stück Wald gesucht werden. Hat der Häuptling das
gewünschte Vorzeichen gefunden, was oft 2-3 Tage dauert, so beginnen
die übrigen Männer ebenfalls die Tiere zu befragen. Ist dies geglückt,
so muss das ganze Dorf 4 Nächte "_melo njaho_" d.h. "stillsitzen wegen
der Vorzeichen". Es darf dann kein Dorfbewohner mit der Aussenwelt
in Berührung kommen oder mit einem Vorübergehenden sprechen; es darf
auch kein Fremder das Dorf betreten. Dann verwendet man 3 Tage darauf,
das Unterholz mit dem Schwerte wegzuräumen, _meda_, worauf wiederum
ein _melo njaho_ von 4 Nächten folgt. Die Bahau rechnen nämlich nach
Nächten statt nach Tagen.
Auch der Schrei des _kidjang_ (Reh), rechts oder links vom Beobachter,
zeigt an, ob ein Stück Urwald gefällt werden darf oder nicht. Hat
das Reh die Wahl gebilligt, so muss das ganze Dorf 8 Nächte _melo
njaho_. Man darf dann das Haus wohl verlassen, aber keinen Reis als
Proviant mitnehmen und keine Nacht ausserhalb des Hauses verbringen
(_san)_.
Obgleich im Innern von Borneo nur eine geringe Anzahl Menschen wohnt,
ist doch alles Land so unter den verschiedenen Stämmen verteilt,
dass jeder nur in einem bestimmten Gebiete seine Reisfelder anlegen
darf. Wenn ein Stamm aus einer Gegend fortzieht, hat ein anderer das
Recht, sie zu bebauen; auf die herangewachsenen Fruchtbäume jedoch
machen die früheren Besitzer noch viele Jahre Anspruch.
Auf noch nie bebaut gewesene Grundstücke haben alle Glieder eines
Stammes gleiche Rechte und dürfen sich daher ihren Teil nach Belieben
wählen. Ein einst bebaut gewesener Boden bleibt aber, auch wenn er
seit Jahren verlassen ist, stets das Eigentum desjenigen, der ihn
zuerst bearbeitete. Am Mahakam werden derartige Grundstücke nicht
verkauft, wohl aber verpachtet oder gegen andere eingetauscht. Als
Grenzzeichen benützt man Bäume, grosse Steine oder Bäche.
In Anbetracht, dass für das Trocknen und Verbrennen des gefällten
Waldes die trockenste Jahreszeit erforderlich ist, sucht man, unter
normalen Verhältnissen, diese Arbeiten während des Juli und August,
wo die grösste Aussicht auf Trockenheit vorhanden ist, zu Ende zu
führen. Dass die Ernte dann auf die Regenzeit zwischen Dezember
und März fällt, ist für die Stämme von Mittel-Borneo von geringerer
Bedeutung.
Den Beginn der verschiedenen Perioden des Reisbaus lässt man von
den Umständen abhängen, nur für das Säen sucht man bestimmte Tage
einzuhalten. Wenn irgend möglich, beginnt man mit der Saat an dem Tage,
wo die Sonne an einem bestimmten Punkte des Horizontes untergeht.
Bei den Kajan am Mahakam richtete der Oberpriester neben dem neuen
Hause am _Blu-u_ zwei längliche Steine von verschiedener Höhe auf
und stellte sie so, dass das Zeichen für die Saat gegeben war, wenn
die Sonne in der Verlängerung ihrer Verbindungslinie unterging.
Man erzählte mir, dass die Höhlungen in einem Felsblock bei Batu Sala,
im Flussbett des oberen Mahakam, dadurch entstanden seien, dass die
Priesterinnen der umliegenden Stämme von alters her jedes Jahr auf dem
Stein gesessen hätten, um zu beobachten, wann die Sonne hinter einem
bestimmten Gipfel des gegenüberliegenden Gebirges untergehen würde;
dieser Zeitpunkt war dann für den Beginn der Saat massgebend.
Ausser bei zu grosser Nässe wird mit dem Reisbau auch dann noch mit
einer Verspätung angefangen, wenn die letzte Ernte besonders günstig
ausgefallen war. In solchen reichen Zeiten begeben sich die Männer
auf Handelsreisen, bauen Böte, bessern das Haus aus, oder verrichten
sonstige Arbeiten, die sie während der Zeit drückender Feldarbeit
nicht vornehmen können. Herrscht dagegen Reismangel im Stamme, so
beginnt man baldmöglichst mit der Saat.
Jede umfangreichere Arbeit, so auch die Bearbeitung der Reisfelder,
wird bei den Bahau stets durch die gemeinsame Arbeit verschiedener
Gesellschaften von 4-6 Personen besorgt. Es sind nicht immer
Familienglieder, sondern, vor allem bei jungen Männern, häufig Freunde,
die einander Hilfe leisten und diese später mit einer gleichen Anzahl
von Arbeitstagen heimzahlen. Nur Söhne und Töchter sind ausdrücklich
verpflichtet, ihre Eltern bei der Arbeit zu unterstützen. Dieses
gemeinschaftliche Verrichten einer Arbeit nennen die Bahau: _pala dow_,
wörtlich: tagweise.
Derjenige, bei dem gearbeitet wird, muss seinen Gehilfen am
betreffenden Tage das Essen liefern; am Mendalam wird aber, besonders
in Zeiten von Reismangel, nicht immer während der Arbeit eine Mahlzeit
gehalten.
In der drückendsten Arbeitszeit geht jeder, der arbeiten kann, aufs
Feld; im Hause bleiben nur Kinder unter 8-10 Jahren, Frauen, die
Kinder unter zwei Jahren zu versorgen haben, Greise und Kranke zurück.
Der Auszug aufs Feld findet am Mendalam bei Sonnenaufgang, um 6 Uhr,
statt. Ausgerüstet mit den augenblicklich gerade erforderlichen
Ackergerätschaften, z.B. Schwertern und Beilen zur Zeit des
Waldfällens, Schaufeln zur Zeit des Jätens, dazu stets mit einem
Speer bewaffnet, begeben sich die Trüppchen zum _paladow_ in einem
Boot oder längs einem Waldpfad auf das Arbeitsfeld. Hat man zu Hause
noch nicht gefrühstückt, so macht sich einer von der Gesellschaft,
meist eine Frau, an die Zubereitung des Morgenimbisses.
Nicht immer erreicht die Gesellschaft ihr Arbeitsfeld; begegnet
sie unterwegs einem links auffliegenden Vogel, der gerade zu den
wahrsagenden gehört, oder bemerkt sie eine rotköpfige Schlange
(Doliophis bivirgatus Boie), die den Kopf in die Richtung des Hauses
dreht, oder hört sie den Schrei eines Rehs, so kehren sämmtliche
Teilnehmer unverrichteter Sache wieder nach Hause zurück. Auch wenn
die Gesellschaft in dem Häuschen, das oft auf dem Felde errichtet
wird, eine beliebige Schlange erblickt, macht sie sich schleunigst
auf den Heimweg.
Bei den verschiedenen Stämmen sind auch die Warnzeichen, welche einen
Aufschub der Feldarbeit verlangen, einigermassen verschieden.
Die Bahau beschäftigen sich an den Tagen, an denen die Tiere ihnen
die Arbeit auf dem Reisfelde verbieten, zu Hause mit Flechtarbeit,
Nähen und dergl.
Das Wahrnehmen schlechter Vorzeichen ist am ersten Tage der beginnenden
Feldarbeit besonders verhängnisvoll; begegnet man nämlich morgens
beim ersten Auszug einem ungünstigen Zeichen, so darf man ein ganzes
Jahr lang überhaupt keinen Reis bauen, nur Bataten, Mais u.a. dürfen
dann gepflanzt werden. Um derartigen Zuständen vorzubeugen, geht man
das erste Mal, kluger Weise, nachts aufs Feld.
Sieht man in der Zeit der Vorarbeiten ein Reh übers Feld laufen,
so darf dieses ebenfalls nicht im gleichen Jahre bearbeitet werden,
sondern man beschränkt sich auch in diesem Falle auf den Anbau anderer
Bodenprodukte.
Die Jahreseinteilung richtet sich bei den Bahau, wie bereits erwähnt,
nach den verschiedenen Arbeiten, die auf dem Reisfelde vorgenommen
werden. Das Jahr zerfällt demnach in 8 Perioden:
_nebas = meda_ = Fällen des Unterholzes.
_newang_ = Fällen der Bäume.
_nutung_ =Verbrennen des gefällten Holzes.
_nugal_ = Säen;_ tugal_ = Saatfest; _nugal_ = Feiern von _tugal_.
_nawo_ = Jäten.
_ngeluno_ = Ernten.
_newuko_ = Beenden der Ernte.
_nangei_ = Feiern des neuen Reisjahres; _dangei_ = Neujahr.
Will ein Kajan an einer Stelle, wo im Laufe von 15 Jahren ein ungefähr
100 Fuss hoher Wald gewachsen ist, sein Feld anlegen, so beginnt
er damit, die kleineren Pflanzen und Gebüsche mit einem eigens für
diesen Zweck hergestellten Schwerte umzuhauen. Wenn alles Unterholz
am Boden liegt, kommt das Fällen der Bäume an die Reihe, die einzige
ausschliesslich von Männern verrichtete Arbeit; sie wird mit kleinen,
selbst hergestellten oder auch eingeführten Beilen aus hartem Stahl
bewerkstelligt.
Die Bäume werden 1-4 m über dem Boden gefällt, worauf auch die Zweige
abgehackt werden, so dass die Stämme flach auf dem Boden zu liegen
kommen. Auch nach einmonatlicher Dürre lassen sich die Stämme und
dicksten Äste nur teilweise verbrennen; man räumt sie jedoch nicht
fort, sondern sät den Reis einfach zwischen und neben dem Holz
hin. Mit einem Teil dieses Holzes wird übrigens, um Hirschen und
wilden Rindern den Eintritt zu wehren, das Reisfeld eingezäunt. In
wildärmeren Gegenden unterlässt man die Herstellung dieser Hecke,
weil sie viel Arbeit erfordert und opfert lieber einen Teil der
Ernte. Auch den Vögeln, von denen bei beginnender Reife drei Arten
Reisdiebe (Padda oryzivora; Munia fuscans; Munia bruneiceps) in
grossen Schwärmen das Feld heimsuchen, und den Affen muss ein Teil des,
Bodenertrages abgetreten werden. Bisweilen verursachen auch Insekten
und deren Larven einen so grossen Schaden, dass von der ganzen Ernte
beinahe nichts übrig bleibt. Allen diesen Schädlingen gegenüber sind
die Bahau viel wehrloser als die Malaien; nur durch Schreien und
Schlagen auf Bambusgefässe gelingt es ihnen mit viel Anstrengung,
einige der Räuber zu vertreiben.
Befindet sich ein Reisfeld in der Nähe des Hauses, so wird es von
diesem aus bewirtschaftet, hat man es aber in grösserer Entfernung
anlegen müssen, so wird das tägliche Hin- und Herziehen zu mühsam;
man baut daher auf dem Felde selbst ein Häuschen (_lepo luma_) auf
Pfählen, in welches die ganze Familie einzieht. In sicheren Gegenden
wohnen die Familien oft weit auf den Feldern zerstreut, wodurch der
Stammverband oft gelockert wird.
Die den Reisbau begleitenden religiösen Feste sind bei allen Stämmen
etwas verschieden, nur die ihnen zu Grunde liegenden Vorstellungen
sind überall die gleichen. Im wesentlichen handelt es sich stets
darum, die Geister und die Seelen des Reises durch Opfer aller Art
zu versöhnen und günstig zu stimmen.
Die Mendalam Kajan erfreuen sich eines ziemlich regelmässigen
Ernteertrages; ihre Ackerbaufeste finden daher auch jedes Jahr statt;
die Mahakam Kajan dagegen können wegen häufiger Missernten nur alle
2-3 Jahre ein Neujahrsfest (_dangei_) feiern.
Trotzdem diese Festlichkeiten am Mendalam regelmässiger gefeiert
werden, folgt man ihnen am Mahakam doch mit lebhafterem Interesse und
die Bedeutung aller Zeremonien und Spiele lässt sich hier auch viel
besser verfolgen. Am Mendalam kam ich zu der falschen Vorstellung, dass
die Volksspiele, die bei den Festen stattfinden, rein willkürlich zur
Saat- oder Erntezeit vorgenommen werden; am Mahakam dagegen merkte ich,
dass selbst dem Maskenspiel beim Saatfest eine gleich tiefe Bedeutung
wie irgend einer durch die Priesterinnen verrichteten Handlung zukommt.
Für die Denkweise der Kajan ist die Tatsache charakteristisch, dass bei
den Erntefesten nicht nur die Menschen im Überfluss schwelgen dürfen,
sondern dass auch ihre Haustiere: Schweine, Hunde und Hühner, die
für gewöhnlich vom Abfall leben, in der Festzeit sich gut gekochten
Reises erfreuen dürfen. Als ich einst _Akam Igau_ fragte, warum sich
die Kajan aller geistigen Getränke enthielten, gab er mir als einen
der Gründe an, dass sie sonst nicht genügend Reis hätten, um auch
die Tiere an den Festmahlzeiten teilnehmen zu lassen. Ausserdem wies
er auf die traurigen Folgen hin, die der Genuss von Reisbranntwein
(_tuwak_) für seine Nachbarn, die Taman Dajak, hatte.
Bei allen religiösen Handlungen fürchten die Kajan die Anwesenheit
Fremder, weil diese die angerufenen Geister erschrecken und verstimmen
könnten; daher dürfen die malaiischen Händler in Tandjong Karang auch
nie Festlichkeiten beiwohnen.
Obgleich ich mich nun stets davor hütete, meinen Gastherren meine
Gegenwart, falls sie nicht gewünscht wurde, aufzudrängen, erschien mir
das Saatfest doch so interessant, dass ich es mitzumachen beschloss,
auch auf die Gefahr hin, den Unwillen der Dorfbewohner zu erregen.
Ich hatte daher auf die schüchternen Fragen, ob ich bei den
Festlichkeiten zugegen sein wolle, bejahend geantwortet. Am Morgen
des Festtages war aber ein guter Teil der Häuptlingsfamilie mit der
Priesterschaft bereits aufs geweihte Feld (_luma lali_) gezogen,
als _Akam Igau_ mich noch mit dem Versprechen hinhielt, mir später
das Boot seines ältesten Sohnes zur Verfügung stellen zu wollen,
das mich an das jenseitige Ufer zum Schauplatz der Festlichkeit
bringen sollte. Nachdem ich vergeblich auf dieses Boot gewartet
hatte, bestieg ich dasjenige, in dem _Akam Igaus_ älteste Tochter,
_Tipong Igau_, zum Festplatz fahren sollte. _Tipong_ besass im
grossen Hause von Tandjong Karang die einflussreichste Stellung;
auch gehörte sie zu den obersten Priesterinnen und legte als solche
meinen Nachforschungen nach den Lebensverhältnissen und religiösen
Überzeugungen der Kajan die grössten Hindernisse in den Weg. Aber
obwohl fanatisch, war _Tipong Igau_ doch nicht boshaft und wies daher
auch meine Begleitung nicht ab, trotzdem sie diese durchaus nicht
zu schätzen schien. Sie hatte übrigens gleich einen Grund gefunden,
um ihr religiöses Gewissen zu beschwichtigen; denn als ihr mitten
auf dem Flusse ein vorüberfahrender Malaie zurief, dass ich, als
Fremder, nicht zur Feier gehöre, gab sie ihm sofort zur Antwort,
dass ich Kajanisch spreche und folglich auch zu den Kajan gehöre.
Dass meine Anwesenheit als etwas Aussergewöhnliches betrachtet wurde,
merkte ich auch später, bei der Rückkehr von dem Feste. Ein zum Islam
übergetretener Kajan fragte mich nämlich, ob ich bei der Feier zugegen
gewesen sei. Auf meine bestätigende Antwort ergriff er schweigend
meine Hand, lächelte mich von der Seite an und ging weiter--ein
Ausdruck seiner Bewunderung, dass ich es in der Volksgunst bereits
so weit gebracht hatte.
Durch _Tipong Igaus_ Auffassung beruhigt, bestieg ich mit ihr
das hohe Ufer und befand mich sogleich auf dem _luma lali_, das
unmittelbar hinter den Trümmern eines früheren Kajanhauses angelegt
worden war. Neben dem _luma lali_ der Häuptlingsfamilie lagen die
geweihten Felder der übrigen Familien, die das Fest am folgenden Tage
begehen sollten. Diese kleinen Felder werden niemals des Ertrages
wegen bebaut, sie dienen nur als Schauplatz religiöser Handlungen,
auch werden auf ihnen symbolisch alle Arbeiten eingeleitet, die später
auf den wirklichen Reisfeldern vorgenommen werden müssen.
Bei meiner Ankunft bemerkte ich zuerst, unter einem auf vier Pfählen
ruhenden Baldachin aus Palmblättern, zwei weibliche und zwei männliche
Priester, die sich mit der Zubereitung der Opfer beschäftigten; die
Frauen stellten _kawit_ her, während die Männer aus Fruchtbaumholz
die erforderlichen Stücke für das Opfergerüst (_pelale_) schnitzten.
Inzwischen befasste sich der profanere Teil der Familie und Sklaven mit
deren irdischen Interessen, indem er in einigen grünen Bambusgefässen
Klebreis und in anderen Hühner- und Schweinefleisch kochte. Die Kinder
umringten alle diese Herrlichkeiten, während Jünglinge und Jungfrauen,
im Schatten abgelegenerer Gebüsche sitzend, bei süssem Minnespiel
die Welt um sie her zu vergessen schienen.
Um die Stelle, wo das Opfergerüst aufgestellt werden sollte,
bauten zwei Männer aus dickem Holze eine feste, ungefähr 1 m hohe
pyramidenförmige Hülle mit seitlicher Öffnung, worauf die älteste
_dajung_ um die Hülle etwas Reis säte und dann die jungen Leute
herbeirief, um das ganze Feld weiter zu besäen. Während die jungen
Männer mit ihrem Pflanzstock (_tol_) Löcher in den Boden bohrten,
streuten die jungen Mädchen, hinter ihnen hergehend, den Reis in
die Gruben; die gegenseitigen Sympathieen der Pärchen blieben dabei
nicht verborgen.
Unterdessen waren die Bambusgefässe teilweise schon verkohlt,
ein Zeichen, dass ihr Inhalt bereits gar geworden war und dass das
Festmahl beginnen konnte. Höflicher Weise bot man mir zuerst meinen
Anteil an der Mahlzeit an, den ich, mit Rücksicht auf die in Ungeduld
harrende Jugend, so schnell als möglich zu bewältigen trachtete. Der
Anblick der Gesellschaft, die jetzt in festem Klebreis und dem so
seltenen Schweine- und Hühnerfleisch förmlich schwelgte, erheiterte
mich nicht wenig.
Nach beendetem Mahl fragte mich _Tipong_, ob ich nun, da alles vorüber
sei, nicht nach Hause fahren wollte; da aber niemand sonst sich zum
Aufbruch rüstete, glaubte ich ihre Langmut noch weiter auf die Probe
stellen zu müssen und erklärte, noch etwas warten zu wollen.
Da holte _Tipong_ mit den anderen Priesterinnen einen grossen Behälter
mit _kawit_ herbei, erwärmte sie zum Schein, steckte sie in kleine
Bambusgefässe und stellte diese zerstreut auf dem Felde auf. An
jeder Stelle, wo ein solches Opferpäckchen niedergelegt wurde, blieb
_Tipong_ mit zwei Oberpriesterinnen stehen und redete halblaut mit
den Geistern. Leider konnte ich wegen der lauten Schläge der Gonge
nichts von ihrem Gemurmel verstehen.
Darauf folgte die Aufrichtung des Opfergerüstes unter der
pyramidenförmigen Hülle: fünf _dajung_ knieten vor der Öffnung; die
älteste nahm aus einem Behälter die von den Männern geschnitzten
Hölzer und stellte sie so zu einem _pelale_ auf, wie es in dem
Kapitel über Gottesdienst beschrieben worden ist. Über das Ganze
setzte sie ein Dach, das gleichzeitig dazu diente, zwischen den vier,
oben herausragenden, kleinen Stützbalken eine grosse Anzahl _kawit_
zu tragen. Rings um das Gestell wurde etwas Hühnerblut gegossen und
einige Reiskörner gesät, worauf die Öffnung der Hülle mit ein paar
Holzstücken geschlossen wurde. Auch hierbei musste die Priesterin den
Geistern eine lange Rede halten, die erst beendigt wurde, nachdem
ein paar Bambushalme und Fruchtbaumzweige rings herum in den Boden
gepflanzt worden waren. Einige geschlachtete Küchlein, einige Eier
und kleine Bambusgefässe mit Schweineblut wurden als weitere Opfer
für die Geister an die Zweige gehängt.
Hiermit war die eigentliche Zeremonie beendigt; die Teilnehmer waren
aber noch nicht befriedigt; besonders trachteten die Mütter kleiner
Kinder von dem aussergewöhnlichen Einflusse, der von dem Opfergestell
ausströmen musste, für ihre Kleinen Nutzen zu ziehen. Zuerst wurde
uns der Behälter mit den übriggebliebenen _kawit_ gereicht, um unsere
Hand hineinzustecken und darauf eine Schüssel mit Wasser. Durch beide
Handlungen sollte unseren Seelen etwas Angenehmes erwiesen werden.
Hierauf verteilte man _kawit_ unter die Frauen, die sich mit den
Kindern auf den Tragbrettern oder mit diesen allein zum Opfergerüst
begaben; unter Hersagen einiger Worte liessen sie den guten Einfluss
des _pelale_ auf die am Tragbrett hängende Schlinge übergehen und
legten dann eine _kawit_ neben ihm auf den Boden nieder. Mit dem
Befestigen einer _kawit_ am Tragbrett erreichte die Zeremonie ihr Ende.
Erst im letzten Augenblick traf _Ju_, der älteste Sohn des Häuptlings
(_Akam Igau_ hatte ihn seltsamer Weise, wie er angab, um ihm ein
glücklicheres Dasein zu verschaffen, in Bunut Malaie, d.h. Mohammedaner
werden lassen), mit seiner Frau ein, so dass ich, sehr befriedigt
über meine Beharrlichkeit, mit der Gesellschaft heimkehrte.
Am ersten Tage des Saatfestes darf die ganze Bevölkerung, die sehr
jugendliche und sehr alte abgerechnet, von 8 Uhr morgens bis 6
Uhr abends nicht baden (_pongan);_ hierauf folgt eine 8 nächtliche
Ruhezeit (_melo)_, in der man weder arbeiten noch mit seiner Umgebung
verkehren darf. Am 10ten Tage, dem ersten einer zweiten Periode von
einem Tage und acht Nächten, folgt, wie am ersten, das _pongan_, das
Badeverbot. In der folgenden, achtnächtlichen Periode wird das grosse,
eigentliche Reisfeld besät. Am roten Tage gilt wieder das _pongan_,
diesmal ohne folgendes _lali_, und mit einem weiteren _pongan_ am
loten Tage ist die Zeit der Reissaat abgelaufen.
Ausser dem grossen Festmahl am ersten Tage des Saatfestes und dem
zweiten für die geringeren Leute am folgenden Tage haben die Kajan
in der ersten Periode der Abgeschlossenheit noch allerlei andere
Gelegenheit, um sich zu unterhalten. Sie lassen sich durch das
erzwungene Niederlegen von Hammer und Beil, durch das Verbot, abends
oder nachts ausser dem Hause zu verweilen, und durch die Abwesenheit
von Fremden die Laune nicht verderben. Die Männer finden auch zu Hause
in ihren Schnitz- und Flechtarbeiten, die Frauen in ihren geliebten
Perlenarbeiten angenehme Beschäftigung. Ausserdem haben die jüngeren
Leute mit den Vorbereitungen zu der am Ende der ersten Verbotszeit
stattfindenden Maskerade viel zu tun.
Die Masken der Männer und die der Frauen sind ganz verschieden,
stellen aber alle die bösen Geister dar. Die entsetzlichen Köpfe
und lang behaarten Leiber, welche sie den Dämonen zuschreiben,
veranschaulichen die Männer durch hölzerne Gesichtsmasken (_hudo
kajo_) und fein zerschlitzte Bananenblätter, die sie sich um den
Leib wickeln. Die Frauen verfertigen sich Masken aus Tragkörben
(_hudo adjat)_, indem sie diese cylinderförmigen, aus feinem Rotang
geflochtenen Körbe mit weissem Kattun, auf den mit grossen Stichen
ein menschliches Antlitz genäht ist, überziehen; zu beiden Seiten
des Korbes befestigen sie die grossen Ohrgehänge der Kajan. Der Korb
wird mit der Öffnung nach unter auf den Kopf der Trägerin gestülpt
und diese bis zur Unkenntlichkeit mit Zeug umwickelt.
Während des Saatfestes unterhalten sich die Männer auch öfters mit dem
Kreiselspiel (_pasing_). Die Kreisel sind oval, abgeplattet, glatt und
2 bis 3 kg schwer. Das Spiel besteht darin, dass einer den Kreisel
(_asing_) seines Vorgängers mit dem seinigen aus dem Wege zu räumen
versucht und zwar so, dass der eigene Kreisel sich dabei stets weiter
fortdreht, bis auch er das Opfer des folgenden wird. Die älteren Männer
benützen bisweilen mehrere Kilo schwere Kreisel aus Eisenholz; meist
werden für die Festlichkeit neue Kreisel geschnitzt. Stets fand sich
abends auf dem Platze vor der Häuptlingswohnung eine Gesellschaft
junger, bis 30 Jahre alter Männer ein, die vor den weiblichen
Zuschauern auf der Galerie in Kraftentfaltung und Geschicklichkeit
mit einander wetteiferten.
Der achte Tag bot den Kajanmägen wieder etwas Besonderes, nämlich
ein Festmahl mit dem beliebten Klebreis als Hauptgericht.
Am folgenden Tage sammelten die Frauen allerhand essbare Blätter
in ihren Gärtchen und auf den Feldern. Wie bei allen religiösen
Festen, dienten zum Kochen auch dieser Blätter frische grüne
Bambusgefässe. Gegen Abend fuhren die Frauen ans jenseitige Ufer
und besprengten die Erde des geweihten Reisfeldes mit dem Wasser, in
welchem die Blätter gekocht worden waren. Nachdem sie die geleerten
Bambusgefässe zerschlagen und die Trümmer neben dem Opfergestell
niedergelegt hatten, kehrten sie befriedigt nach Hause zurück.
Der Tag des zweiten _pongan_ war der Maskerade gewidmet. Gegen
Abend begannen sich die Hausbewohner auf der Galerie vor der
Häuptlingswohnung zu versammeln und sich ein Plätzchen, von dem aus
sie die kommenden Dinge gut beobachten konnten, auszusuchen.
Zuerst erschienen einige in grüne Massen zerschlitzter Bananenblätter
verwandelte Männergestalten mit Holzmasken und Kriegsmützen und
begannen schweigend, nach dem Rhythmus der Gonge, in der Weise der
Javaner beim "_tandak_", einen Tanz auszuführen. Es folgten noch
mehr solcher Gestalten, von denen einige auch Kriegstänze nachahmten;
infolge des grossen Gewichtes der Blättermassen ermüdeten sie jedoch
bald, auch begleiteten sie ihre hohen Sprünge nicht mit Kreischen,
wie bei den eigentlichen Kriegstänzen.
Bei Einbruch der Dunkelheit wurden diese Tänze von der aufregenden
Vorstellung einer Wildschweinjagd abgelöst. Das Schwein stellte
ein Mann dar, der sich einen aus Holz geschnitzten Schweinekopf
aufgesetzt und einige Tücher umgebunden hatte; mit seinen gut
nachgeahmten Bewegungen und Lauten machte er auch wirklich einen sehr
schweineähnlichen Eindruck. Einige junge Leute funktionierten als
Hunde, die den alten Eber zum Stehen gebracht hatten, und verursachten
durch Anfallen, Zurückweichen und Kläffen einen entsetzlichen Lärm
auf dem kleinen Platze. Die für gewöhnlich so ruhigen Kajan nahmen an
dem Geschick des _bawui_ (Wildschwein) lebhaften Anteil; es herrschte
ein buntes Durcheinander, das sich bei gelegentlichen Seitensprüngen
des Schweines mitten unter die weibliche Jugend noch erheblich
steigerte. Trotz der Wildheit des seltenen Schauspiels war auch bei
den jüngsten bis einjährigen Zuschauern von Angst und Schrecken nichts
zu merken; aus aller Mund klang mir lautes, herzliches Lachen entgegen.
Dem Auftreten der jungen Mädchen mit ihrem _hudo adjat_ ging eine
obszöne Vorstellung eines Mannes voraus.
Mittags hatten mir bereits _Paja_, die zweite Tochter _Akam Igaus_,
und deren Freundin mit viel Grazie vorgetanzt, um mich bei Tageslicht
alles gut sehen zu lassen. Jetzt erschienen aber acht auf gleiche Weise
verkleidete junge Mädchen. Beim trüben Schein der wenigen Harzfackeln
und unter den sanften Tönen einer Art Mundharmonika, welche einer der
Zuschauer spielte, gingen die Mädchen im Tanzschritt mit begleitenden
Armbewegungen langsam hinter einander her. Nur zwei oder drei der
Mädchen zeigten wirkliche Begabung zum Tanz und führten, für einen
Kenner indischer Tänze, gefällige Bewegungen aus; die übrigen liefen
mit eckigen, unverständlichen Gebärden nur so mit.
Mit einem letzten _pongan_ wurde die Zeit der Reissaat abgeschlossen
und zugleich die des Jätens eingeleitet. Wir liessen uns nochmals, von
der Wohnung des Häuptlings aus, mit einigen Priestern zum geweihten
Reisfeld übersetzen. Dort wurden wiederum _kawit_ verfertigt und
unter dröhnendem Geläut der Gonge und Gemurmel in altem Kajanisch
auf dem Opfergerüst zu den alten, bereits vertrockneten, hinzugefügt.
Inzwischen hatte die älteste Priesterin _Usun_ mit einer Schaufel,
an welche eine _kawit_ gebunden worden war, auf dem Platze rings um
den _pelale_ gejätet, und nun begann auch die übrige Gesellschaft auf
dem anderen Teil des Feldes zu jäten. Hierauf wurde das Feld nochmals
mit einem Dekokt essbarer Blätter, in das wir vorher unsere Finger
hatten tauchen müssen, besprengt und die Bambusgefässe zertrümmert
zu den anderen gefügt. Nachdem die Kindertragbretter wieder mit
_kawit_ versehen worden waren, konnten wir befriedigt das andere
Ufer aufsuchen, Opfer und Feld den Sorgen der aufgerufenen Geister
überlassend. Gleichwie diese an den Herrlichkeiten auf dem _pelale_,
konnten wir uns zu Hause an einer Extramahlzeit von Klebreis, den
die Frauen der Häuptlinge selbst gestampft hatten, erquicken.
So wurde jede weitere Behandlung des Reisfeldes mit religiösen und
kulinarischen Zeremonien eingeleitet, während welcher der Gemeinde
stets einige Nächte Verbotszeit und bestimmte Spiele vorgeschrieben
waren. Wie wir gesehen haben, wurde während des Saatfestes Kreisel-
und Maskenspiel vorgenommen; beim ersten Einbringen des Reises
(_lali parei_) beschoss man einander mit Lehmpfropfen aus kleinen
Blasrohren--früher fanden dabei auch noch Scheingefechte mit
hölzernen Schwertern statt--; während des Neujahrsfestes sind bei den
Männern Wettkämpfe im Ringen, Hoch- und Fernspringen und Laufen im
Schwange. Auch mit den Frauen wird unter grosser Fröhlichkeit gekämpft,
wobei mit Wasser gefüllte Bambusgefässe die Hauptwaffen darstellen.
Den Glanzpunkt des Jahres bildet bei den Kajan das _dangei_, das
Neujahrsfest; die Ernte ist dann völlig eingebracht und in allen
Familien herrscht Überfluss. Die schönsten Kleider, die während des
ganzen Jahres sorgfältig aufbewahrt liegen, werden hervorgeholt und die
ganze Bevölkerung lebt 8 Tage lang nur ihrem Vergnügen. Beim _nangei_
herrscht auch keine Verbotszeit, fremde Gäste sind im Gegenteil bei
den Festen sehr willkommen. Alle wichtigen Familienereignisse, welche
das Herrichten einer Festmahlzeit erfordern, werden in dieser Zeit
des Wohllebens gefeiert: alle im Laufe des Jahres geborenen Kinder
erhalten nun ihren endgültigen Namen; die bis dahin verschobenen
Hochzeiten finden nun statt.
Die _adat_ hat Jungverheirateten übrigens für die ganze Zeit vor dem
gemeinsamen Neujahrsfeste so viel Verbotsbestimmungen vorgeschrieben,
dass junge Leute, schon um allen diesen Unbequemlichkeiten in den
Flitterwochen zu entgehen, erst kurz vor dem Neujahrsfest heiraten.
Begreiflicher Weise wurde im langen Kajanhause bereits lange vor
dem Feste von nichts anderem als von den kommenden Tagen gesprochen,
und mancher opferte viele Mass Reis, um von den Malaien noch etwas
besonders Schönes zur Ergänzung seiner Festkleidung zu erhandeln.
In grossen Mengen wurde alles, was für die Mahlzeiten und religiösen
Handlungen erforderlich war, aus Wald und Feld zusammengebracht;
die Männer holten in Böten Brennholz und frischen Bambus herbei, die
Frauen gingen gebückt unter der Last grosser Körbe mit Bananenblättern,
welche als Unterlage für den zu stapelnden Reis und als Material für
die _pemali_ dienen sollten.
Am 2. Juni wurde es Ernst: aus der Wohnung des Häuptlings, der die
ganze Leitung und die Hauptkosten des Festes auf sich zu nehmen hatte,
zogen 4 Mann aus, um einen Fruchtbaum zu fällen und 4 Planken daraus
zu hacken, welche den Priestern bei den heiligen Handlungen als Diele
(_tasu nangei_) dienen sollten.
Diese 2,5 m langen Bretter tragen an den beiden zugespitzten Enden
roh geschnitzte Menschenfiguren und werden von dem Häuptling bis
zum folgenden _dangei_-Fest, wo sie durch andere ersetzt werden,
aufbewahrt.
Die _dajung_, welche über die ganze Dauer des Festes Gäste der
Häuptlingsfamilie sind, zogen, zehn an Zahl, bereits am Vorabend des
_nangei_ in die Wohnung _Akam Igaus_ und verkündeten den Geistern
aus _Apu Lagan_, dass das Neujahrsfest angebrochen sei.
Als Willkommgruss und zur Anlockung der Geister hatte man vor dem
noch geschlossenen Dachfenster (_huwabw_) in der Häuptlingswohnung
ein Bambusgefäss mit Esswaren befestigt und darunter alte Schwerter
und Speerspitzen aus dem sehr geschätzten Eisen vom Balui oder Batang
Rèdjang, von wo die Kajan es in früheren Zeiten mitgebracht hatten,
aufgehängt. Aber nicht nur der Häuptling bereitete den Geistern einen
festlichen Empfang, sondern aus allen Wohnungen der Wohlhabenderen
wurden Tragkörbe mit kostbaren Gegenständen geholt und neben einander
vor dem Fenster niedergesetzt, wo sie während der ganzen Festdauer
verblieben.
Meine alte Freundin _Usun_ gab jedesmal an, bei welcher Familie
ein solcher Korb geholt werden musste; sie schien aber trotz ihrer
priesterlichen Würde profane Empfindungen nicht ablegen zu können. Sie
lebte nämlich mit einer ihrer Nachbarinnen, _Anjè Do_, in Unfrieden,
weil diese ihr im Handel mit religiösen Gegenständen mir gegenüber
stark Konkurrenz machte, und suchte sich jetzt dadurch an ihrer
Feindin zu rächen, dass sie deren Korb nicht holen liess. _Tipong
Igau_ jedoch durchschaute den Gemütszustand der Alten und kam ihrem
Gedächtnis zu Hilfe, so dass auch _Anja Do_s Korb zu seinem Rechte
gelangte und wie die übrigen von den Frauen bei Fackellicht und unter
Beckenschlag in die _amin_ des Häuptlings getragen wurde.
Nachdem alle Körbe mit ihren Herrlichkeiten beisammen waren,
bedeckten sich die Priesterinnen die Brust mit einem Tuche, öffneten
das Dachfenster und hielten alle gleichzeitig an die Geister von
_Apu Lagan_ eine lange Ansprache, bei der _Usun_ immer den Anfang
machte. Das Gleiche geschah aussen auf der Galerie unter dem zweiten,
ebenfalls geöffneten Dachfenster. Die Bedeutung dieser Rede war die,
dass die guten Geister von _Apu Lagan_, angelockt durch alles Schöne,
das man ihnen in den Körben zum Opfer brachte (natürlich nur zum
Schein), den Bitten der _dajung_ Gehör geben und durch das geöffnete
Fenster in die Wohnung des Häuptlings eintreten und während der ganzen
Festzeit im Stamme verweilen sollten.
Hierauf begannen die Priesterinnen um eine Kriegsmütze und
einen Kriegsmäntel, die sie mitten auf eine Matte gelegt hatten,
herumzulaufen; leider konnte ich wegen des ständigen Schlagens auf
kupferne Becken nichts von ihrem Gemurmel verstehen.
Am 3. Juni fand das eigentliche Fest statt. Die Frauen begannen
beizeiten für eine genügende Menge Klebreis zu sorgen, der
in gedörrter Form als _kertap_, mit oder ohne Palmzucker, mit
geräuchertem _tapa_ als Zuspeise, eines der beliebtesten Gerichte
bildet. Die Männer beschäftigten sich inzwischen mit dem Aufrichten
des _djehe nangei_ (Neujahrspfahl), den sie aus einem Fruchtbaum
hergestellt hatten. Hierbei verfuhren sie folgendermassen: sie gruben
auf dem Platze vor der Häuptlingswohnung ein Loch, in welches die
Priesterinnen Reis, Fisch und Hühnerfleisch legten. Um diese Grube
legten sie die vier _tasu nangei_ als Diele für die Priesterinnen,
die während der heiligen Handlungen den Erdboden nicht berühren
durften. Nachdem die Oberpriesterin acht Mal (der heiligen Zahl
entsprechend) um die anderen, die zusammengedrängt ebenfalls auf den
Brettern standen, herumgelaufen war, fing sie durch eine Bewegung
mit einem Stück weissen Kattuns eine Seele, wahrscheinlich die des
Fruchtbaumes, warf sie schleunigst in die Grube und schloss diese
mittelst eines mit Bananenblättern überzogenen Rotangringes von der
Grösse der Grubenöffnung; das Blatt hatte sie zuvor mit einem alten
Schwerte durchstossen.
Unterdessen liess eine zur Seite kauernde _dajung_, um die Geister
auf die wichtige Handlung aufmerksam zu machen, zwei Bambusstäbe
rhythmisch auf eine Matte niederfallen. Bei den Tönen dieses _tekok_
berichtete die Priesterin den Geistern von den Festplänen ihres
Stammes, von seinen Nöten und Wünschen. Die zwei männlichen Priester
hoben hierauf das Bäumchen, stellten es mit dem Gipfel voran in die
Grube und pflanzten es fest, so dass seine etwas bekappten Wurzeln
3-4 m über dem Boden zu stehen kamen. Zu diesem Bäumchen fügten
andere Männer, in gleicher Reihe und in gleichen Abständen, noch
7 andere Bäumchen hinzu und pflanzten dann eine zweite Reihe von
8 Bäumchen dieser gegenüber, in ungefähr 1 1/2 m Entfernung. Beide
Reihen wurden auf halber Höhe durch kleine Querbalken mit einander
verbunden. An allen Bäumchen hatte man, etwas unterhalb der Wurzeln,
eine Fläche mit 8 Einschnitten, deren Bedeutung mir unbekannt geblieben
ist, angebracht. Auf die Querbalken wurden vier weitere Balken und
auf diese die vier Bretter (_tasu nangei)_, die vorher den Boden
bedeckten, gelegt; so entstand oben, zwischen den zwei Reihen Pfählen,
ein gedielter Raum. Das ganze Gerüst war so gestellt worden, dass man
mittelst einer Treppe bequem aus der Häuptlingswohnung in diese kleine
Kammer gelangen konnte. Die Wände der Kammer wurden mit meterlangen,
kunstvoll hergestellten Spähnen aus besonderem Fruchtbaumholze gefüllt
und der Raum schliesslich mit Bambuszweigen leicht beschattet. Zum
Schluss wurde das Opfergerüst, _dangei_ genannt, noch an den vier
Seiten durch gekreuzte Balken gestützt und stand jetzt fix und fertig
da. So bleibt das Gerüst nicht nur während der ganzen Festzeit,
sondern auch während des ganzen folgenden Jahres stehen, bis Wind
und Wetter es zum grössten Teil zerstören und sein Nachfolger es
beim nächsten _nangei_ völlig verdrängt.
Nachmittags wurde unter dem _dangei_, bei dem zuerst errichteten
Pfahl, ein gleicher _pelale_ (Opfergestell), wie der auf dem
geweihten Reisfelde beim Saatfest, aufgestellt, diesmal mit weniger
_kawit_. Statt dessen opferte man gegen 4 Uhr ein Ferkel, befestigte
es an einem Querbalken und liess es dort hängen, bis es verweste.
Auch jetzt brachten die Mütter ihre Kleinen zum _pelale;_ zuerst
erschienen die zwei ältesten Enkelkinder des Häuptlings, der
jüngste auf seinem Tragbrett, schön geputzt mit einem Kopftuch aus
chinesischer Seide; ebenso schön gekleidet war das junge Mädchen,
das die _hawat_ auf dem Rücken trug. Der andere Enkel wurde, als
zu gross, nur durch seine _hawat_ vergegenwärtigt, deren heilsamen
Einfluss man später auf die übliche Weise auf ihn übertrug, indem
man seinen Zeigefinger in einer am Tragbrett hängenden Schlinge
hin- und herbewegte (_njina)_. Die beiden Trägerinnen der _hawat_
hatten, wie beim Saatfest, den von den vielen Opfergaben am _pelale_
ausströmenden guten Einfluss in den Schlingen aufgefangen, um den
_bruwa_ der Knaben etwas Angenehmes zu erweisen.
Nach Sonnenuntergang fand für alle, die augenblicklich in der _amin_
des Häuptlings wohnten, also für Familienglieder im engeren Sinne,
Leibeigene und Priesterinnen, eine gemeinsame _mela_ statt. Hinter
ein ander begaben sich erst Männer, dann Frauen, dann Leibeigene
und zuletzt die _dajung_ von der Galerie des Hauses auf die kleine
Plattform des _dangei_, auf der eine Priesterin mit einem alten
Schwerte stand. Die betreffende Person, mit der die _mela_ vorgenommen
wurde, stellte einen Fuss auf einen alten Gong und die Priesterin
bestrich ihren Arm von oben nach unten mit dem Schwerte. Je älter und
vornehmer die Person war, desto länger wurde sie gestrichen. Alle
hatten sich für diese Gelegenheit besonders schön gekleidet; die
_dajung_ trugen ihre hübschen Brusttücher umgeschlungen. Als die _mela_
mit ihnen selbst vorgenommen wurde, setzten sie sich eine Kriegsmütze
aufs Haupt, die vorn mit dem Kopfe des Rhinozerosvogels und hinten
mit dessen Schwanzfedern geschmückt war. Den Priesterinnen wurden
hauptsächlich Handflächen und Fusssohlen gestrichen. Zuletzt nahm
auch die diensttuende _dajung_ auf dem Gong Platz und liess sich von
einer anderen streichen.
Am Morgen des 4. Juni erklangen vom _dangei_ herab wiederum die
Töne des _tekok_, unter denen eine _dajung_ den Geistern ungefähr
3/4 Stunden lang erzählte, wer die Kajan eigentlich seien, von wem
die Häuptlingsfamilie abstamme, was der Stamm in dem betreffenden
Augenblick vornehme und was er sich wünsche. Auch mit der Züchtigung
der Batang-Lupar, der Erzfeinde der Kajan, wurden die Geister
beauftragt. Die ganze Erzählung wurde in Reimform in singendem
Tone vorgetragen, wobei das Reimwort lange Zeit die gleiche Endsilbe
behielt. An den folgenden Festtagen wiederholte die Priesterin morgens
und abends das _tekok_.
Unterdessen herrschte auf der Galerie reges Leben; die jungen Mädchen
stampften Klebreis und fanden während des Entspelzens und Beutelns
der Reiskörner immer noch Zeit, auf die in der Nähe zuschauenden
Jünglinge Geschosse aus Mehl und Wasser abzufeuern. Natürlich wurden
diese Angriffe seitens der jungen Männer mit fröhlichen Racheakten
beantwortet. Einige sehr ausgelassene junge Mädchen hatten sogar ein
kleines Boot auf die Galerie heraufgetragen, um es als Wasserfass zu
benützen, und machten den Vorübergehenden, besonders uns bekleideten
Europäern, den Weg sehr unsicher.
Das Mehl wurde in der Galerie vor der Häuptlingswohnung auf einen
Haufen geschüttet und ein Teil desselben von Knaben mittelst breiter
Pandanusblätter in dreieckige Päckchen gebunden und ebenfalls in
Dreieckform auf dem Boden aufgestapelt. Nachdem der Vorrat für genügend
erachtet worden war, traten die Priesterinnen nach ihrer Altersfolge
aus der Häuptlingswohnung auf die Galerie, fassten einander bei der
Hand und bildeten einen Kreis um den Mehlhaufen. _Usun_ stand dabei
vor den Mehlpäckchen, über welche hin sie wiederum eine _mela_ vornahm:
die Glieder der Häuptlingsfamilie reichten ihr der Reihe nach über dem
Haufen Mehlpäckchen hin die Hand, die sie mit ihrem alten Schwerte
berührte. Dann kamen die Leibeigenen und kleinen Kinder, voran die
beiden Enkel des Häuptlings, wiederum von jungen Mädchen getragen, an
die Reihe. Schliesslich traten auch die Mütter der übrigen Familien mit
ihren Kleinen heran; diejenigen, deren Kinder bereits zu gross waren,
um getragen zu werden, brachten deren alte Tragbretter in die Nähe
des Mehlhaufens, um dessen segensreichen Einfluss aufzufangen. Auch
die Priesterinnen selbst liessen zum Schluss die _mela_ mit sich
vornehmen. Alle Anwesenden bekamen einige Mehlpäckchen mit nach Hause,
der Rest wurde unter der Häuptlingsfamilie und den _dajung_ verteilt.
Bei dieser Gelegenheit wurden auch die im Laufe des Jahres geborenen
Kinder zum ersten Mal öffentlich gezeigt; sie wurden, wie die
Häuptlingskinder, von jungen Mädchen auf dem Rücken getragen. Abends
gaben die Mütter den Kleinen zu Ehren ein Familienmahl.
Der Vormittag des 5. Juni verlief nach dem _tekok_ des Morgens sehr
still. Erst gegen 2 Uhr mittags ertönte der Gong der Priesterinnen,
als Zeichen, dass wieder etwas Besonderes vor sich gehen sollte;
ich eilte daher aus meiner Hütte in die Wohnung des Häuptlings, wo
die _dajung_ mit dem Verfertigen ihrer _pemali_ beschäftigt waren,
was stundenlang dauerte.
Nachdem die grösste Hitze vorüber war, wurde den grösseren Kindern
ein Fest gegeben; die kleinen, ungefähr 6 Jahre alten Mädchen trugen
jetzt zum ersten Mal einen kleinen, leeren, mit _kawit_ versehenen
Reiskorb (_ingan);_ sie zeigten sich hie und da auf der Galerie,
schienen aber beim Eintritt in die neue Lebens- und Arbeitsperiode
recht verlegen zu sein.
Abends ging es in der Galerie besonders feierlich zu: Priester
und Laien fassten sich an der Hand und schritten langsam um
eine Bambusmatte, auf der wiederum die priesterliche Kriegsmütze
(_haung lali_) und ein Stück Zeug lagen, herum. Die alte _Usun_
marschierte mit unbedecktem Oberkörper, aber schönem Röckchen, voran,
die anderen Priesterinnen folgten mit bedeckter Brust, ausser den
beiden jüngsten, die ihre zweijährige Lehrzeit noch nicht hinter
sich hatten; diese trugen ein langes, rotes Gewand, das vorn und
hinten gerade herunterhing und in der Mitte eine Öffnung für den
Kopf frei liess; ihre Röckchen hatten, zur Unterscheidung von den
anderen, ein weisses Feld. Die _dajung_ leiteten den Rundgang ein,
bis allmählich immer mehr junge Männer und Frauen herbeikamen und,
erst mit Zeugstreifen zwischen einander, später ohne diese, sich in
den Kreis fügten. Die schliesslich ermüdeten Priesterinnen liessen
sich jetzt abwechselnd auf der Matte nieder.
Sowohl Priester als Laien stimmten während des Rundganges (_nangeian_)
halb rezitierend, halb singend, ein geistliches Lied an; _Usun_
sagte die Verse, die übrigen wiederholten den Refrain. Nach einigen
Stunden stellten sich die Laien längs den Wänden der Galerie auf, um
die Beseelung der jüngsten _dajung_ zu beobachten. Die Betreffende
stand zu diesem Zwecke vor der Matte und hielt eine Art Kette fest
(_alan to_ = Geisterweg), längs welcher der Geist zu ihr herabkommen
sollte. Neben ihr stand eine der ältesten Priesterinnen, um sie in
die Geheimnisse ihrer Wissenschaft einzuweihen, während _Usun_,
die Kriegsmütze auf dem Kopfe, deklamierend und tanzend um sie
herumlief; zu beiden Seiten führten männliche _dajung_ Kriegstänze
auf. Wahrscheinlich hatten diese letzten Vorstellungen den Zweck,
böse Geister abzuwehren. Die Szene dauerte nur eine Viertelstunde,
worauf die Laien ihren Marsch bis nach 1 Uhr nachts fortsetzten. In
den Familien mit Täuflingen herrschte bis in den Morgen fröhliches
Beisammensein.
Der 6. Juni war für Priester und Priesterinnen ein Tag der Erquickung;
denn bis jetzt hatten sie unter allerhand Verbotsbestimmungen, von
denen nicht baden und kein Wasser trinken zu dürfen die schlimmsten
waren, geschmachtet. An diesem Tage war es den Priestern endlich
erlaubt, ihren auswendigen Menschen durch ein Bad zu erquicken; den
inwendigen erfrischte ich ihnen bereits seit mehreren Tagen, indem
ich in ihre Wasserflaschen einige Tropfen Salzsäure goss, wodurch,
nach Auffassung der _dajung_, das Wasser so verändert wurde, dass
sie es mit reinem Gewissen trinken konnten. Nach den grossen Mengen
so präparierten Wassers, die von mir verlangt wurden, liess sich die
Grösse des priesterlichen Durstes bemessen.
Nach dem _tekok_ des Morgens folgte der Glanzpunkt des Festes--die
Opferung der Schweine. Zuerst begann unter dem Hause eine Jagd nach
den frei herumlaufenden Tieren- der Häuptling lieferte deren fünf;
jede Familie, in der ein kleines Kind bei diesem Neujahrsfest einen
Namen erhielt, lieferte eines.
Als ich mich bald nach dem Ertönen des priesterlichen Gongs auf die
Galerie begab, fand ich die Schweine des Häuptlings gebunden neben
einander niedergelegt und die Priesterinnen vor den Tieren knieend,
die sie in Geistersprache den Bewohnern von _Apu Lagan_ als Opfer
anboten. Hinter den Opfertieren, schräg unter dem Galeriefenster
und dem als Geisterweg dienenden Rotangseil vom vorigen Tage, hatte
man aus 4 senkrechten und 4 horizontalen Hölzern ein Gerüst (_lasa_)
aufgestellt und dieses mit schönen Stoffen, einem Kriegsmantel und
einigen Gürteln aus alten Perlen, alles Opfergaben des Häuptlings,
behängt; ebenfalls Opfergaben waren die schönen kupfernen Gonge am
Fusse des Gerüstes. Durch symbolische Gegenstände (_pemali_) in einem
danebenstehenden Korbe suchten die Priesterinnen den Geistern die
Wünsche des Stammes zu erkennen zu geben.
Die Priesterinnen begannen nun, um das Opfergerüst langdauernde Tänze
auszuführen, die, besonders da sie bei Tageslicht stattfanden, viel
Interessantes boten.
Sämmtliche Priesterinnen beteiligten sich an dem Tanze; jede deutete
durch ihre Bewegungen den Geistern droben das Darbringen der Opfer
auf dem Gerüst und der fünf Schweine an. Erst schmückte sich die
oberste Priesterin, dann jede der übrigen mit dem Kriegsmantel aus
Pantherfell und der Kriegsmütze, während zu beiden Seiten zwei
mit Schwertern bewaffnete Priester, zur Abwehr böser Geister,
Kriegstänze aufführten. Hie und da veränderten die Priesterinnen
den Charakter ihrer Bewegungen; sie zeigten viel Individualität
beim Tanze und nach der Art seiner Ausführung liess sich die Höhe
der erreichten priesterlichen Entwicklung bemessen. Nur den drei
obersten Priesterinnen: _Usun, Tipong Igau_ und einer gewissen
_Uniang_ gelang es, durch Pantomimen das Anbieten der Opfer an die
Himmelsbewohner wirklich verständlich auszudrücken. _Usun_, mit einer
Speerspitze tanzend, erweckte den Eindruck, als wolle sie mit ihr
das ganze Opfergerüst den Geistern droben entgegenreichen. _Tipong_
dagegen führte einen ruhigen Tanz aus, mit gefälligen Bewegungen die
Seelen der Opfer auffordernd, himmelwärts zu steigen. Ihre korpulente
Gestalt bewegte sich dabei mit bewundernswerter Weichheit, welche
die anderen; günstiger Gebildeten, bei weitem nicht erreichten. Diese
sprangen und hüpften unbeholfen um die Opfer herum und verstanden nur
selten Ausdruck in ihre Bewegungen zu bringen. Einige Priesterinnen
liessen sich sogar, um recht deutlich zu sein, zu den absonderlichsten
Vorstellungen verleiten. Während z.B. _Tipong_ sich zu den nahebei
liegenden Opfertieren beugte, scheinbar einen Teil von ihnen ergriff
und mit einigen Bewegungen in die Höhe schwang, gingen andere,
in der Meinung, dass eine bloss symbolische Bewegung nicht genüge,
hüpfend, mit der Kriegsmütze auf dem Kopfe, auf die Schweine zu,
packten das kleinste an den Hinterbeinen und trugen das quiekende
Tier, mit Anspannung aller Kräfte, im Tanzschritt zum Opfergestell
und wieder zurück. Zum Schluss wurde auch _Tipong_ zu grösserer
Lebhaftigkeit hingerissen, schüttelte einige Male das Gestell,
bestieg es sogar und bewegte es hin und her, um die Seelen der Opfer
hinaufsteigen zu lassen. Im allgemeinen waren die Bewegungen bei
diesen Tänzen viel lebhafter als bei denen der Javaner und erforderten
grosse Kraftanspannung; die alte _Usun_ leistete in dieser Beziehung
Bewundernswertes.
Die Priesterinnen wurden jetzt von jungen Männern und Frauen abgelöst,
welche mit dem gleichen Gesang wie am vorhergehenden Tage den Tanz
um das Opfergerüst in ruhigerer Weise bis zum Abend fortsetzten. Man
hatte sich für diesen Tanz besonders schön geschmückt; die Männer mit
prächtigem Kopf- und Lendentuch und einer Art _selendang_ (langer,
schmaler, malaiischer Schal) als Bandelier um die Schultern. Auch die
Frauen trugen derartige Schale und zwar in der Weise, wie es im vorigen
Kapitel beschrieben worden ist. Beinahe alle hatten Elfenbeinarmbänder
und Fingerringe angelegt; ausserdem hatten sie sich für diese festliche
Gelegenheit Augenbrauen und Wimpern besonders sorgfältig ausgezogen.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit schlachteten die Männer die Schweine
und zwar auf der Galerie vor der Tür der verschiedenen Wohnungen; sie
schnitten ihnen jedoch nicht, wie die Ulu-Ajar Dajak, den Hals durch,
sondern schächteten sie. Da man das Schreien der Tiere nicht gern
hörte, hatte man ihnen nicht nur die Schnauze zugebunden, sondern hielt
diese ausserdem noch fest. Der älteste, ungefähr zehnjährige Enkel des
Häuptlings machte den Anfang beim Schlachten; man gab ihm ein Messer
in die Hand, welche von einem älteren Manne geführt wurde. Auch in den
Wohnungen der Familien mit Täuflingen wurden die Opfer geschlachtet,
worauf man ihnen den Bauch durch einen Querschnitt öffnete, um zu
sehen, ob die Unterseite der Leber hell oder dunkel war, d.h. ob sie
eine günstige oder ungünstige Farbe zeigte und ob die Gallblase und
andere Teile durch ihr normales gegenseitiges Verhalten dem Kinde
eine gute Zukunft versprachen.
Ebenfalls auf der Galerie versengte man den Tieren in hochflammendem
Feuer die Borsten, weidete sie aus und zerstückelte sie, was bei der
inzwischen hereingebrochenen Dunkelheit einen sehr phantastischen
Anblick bot. In der darauf folgenden Nacht durften sich weder
Männer noch Frauen zur Ruhe begeben, obgleich der Tag für alle sehr
anstrengend gewesen war.
Nicht minder anspannend war der folgende Tag, genannt "_aron uting_" =
"Festtag des Schweinefleischessens", an dem der Häuptling bereits früh
morgens im Freien in grossen, eisernen Kesseln das Schweinefleisch
kochen liess.
Das _tekok_ datierte diesmal besonders lange. Die Mütter fingen
an diesem Morgen mit ihren Täuflingen einen Rundgang durch alle
Wohnungen an, um sie bei allen Hausbewohnern als neue Stammesglieder
vorzustellen. Die Kinder wurden dabei wieder von schön geputzten und
mit dem geweihten Hut geschmückten jungen Mädchen in ihren _hawat_
auf dem Rücken getragen, begleitet von den ebenso schön gekleideten
Müttern, welche zwei geweihte Bambusgefässe mit Wasser und eine
Klapper für eine _mela_ in die Wohnung des Häuptlings trugen; von
dort aus begaben sie sich zu allen übrigen Hausbewohnern.
Auch aus der Wohnung des Häuptlings begann jetzt ein Kinderauszug:
voran gingen die beiden Enkel, gleich hinter ihnen wurden die in
der _amin_ im verflossenen Jahre geborenen Kinder der Leibeigenen
von ihren Müttern geträgen. Zwar waren die Häuptlingskinder bereits
viel zu alt für den Umzug, aber als Söhne des Häuptlings mussten
sie ihn noch etliche Jahre mitmachen. Dem ältesten, _Tingè_, wurde
von einem Mädchen ein winziger Schild und ein hölzernes Schwert
nachgetragen. Eine Sklavin begleitete den Zug mit einem Gong.
Mittags wurde, nachdem man aus gekochtem Schweinefleisch und Klebreis
gesonderte Päckchen gebunden und diese in Dreieckform auf der
Galerie aufgestapelt hatte, in gleicher Weise wie früher, mit allen
Familiengliedern des Häuptlings und den Müttern, welche ihrer Täuflinge
wegen den Geistern geopfert hatten, eine _mela_ vorgenommen, genannt
"_mela uting_" = "Seelenberuhigung durch Schweinefleisch". Nach der
heiligen Handlung erhielt jeder wiederum seinen Anteil an den Päckchen
mit nach Hause. Der grosse Festtag verlief, wahrscheinlich wegen des
tags zuvor erfolgten Todes eines kleinen Kindes, sehr ruhig. Die Kajan
behaupteten zwar, Arak getrunken zu haben, ihr stilles, besonnenes
Betragen und die nur zwei Tage lang dauernde Bereitung des Trankes
sprachen aber mehr dafür, dass sie Zuckerwasser genossen hatten.
Vor der "_mela uting_" hatte ich noch einem interessanten Ringkampfe
(_pajow_) der jungen Männer beigewohnt. Bereits einige Tage zuvor
hatten sich die Jünglinge hie und da mit einander gemessen, jetzt waren
alle auf der Galerie versammelt und ein Paar nach dem anderen betrat
den Ringplatz. Die Kämpfer waren nur mit dem Lendentuch bekleidet,
das sie straff anzogen, um dem Gegner einen festen Angriffspunkt zu
bieten. Die Partner umfassten einander, packten sich gegenseitig hinten
am Gürtel fest und suchten einander emporzuheben und rücklings auf den
Boden zu werfen. In Anbetracht, dass ein Fall auf die Eisenholzbretter
nicht ungefährlich war, suchten einige Mütter ihre Söhne von dem
gefährlichen Spiele abzuhalten. In Gegenwart der Kameraden blieben
diese mütterlichen Mahnungen leider erfolglos, und so mancher hatte
bereits mit heftigem Anprall den Boden berührt, als ein stämmiger
Sklave als Sieger des Tages hervorzugehen schien. Dem jungen Manne
waren die vielen Siege so zu Kopfe gestiegen, dass er nach seinem
letzten Triumph mit herausfordernden Gebärden einen lauten Juchzer
erschallen liess. Auch bei den Kajan kommt Hochmut vor dem Fall:
einer der bis dahin unbeteiligt gewesenen Zuschauer betrat jetzt den
Kampfplatz. Überlegen durch seine frischen Kräfte und durch seinen
ansehnlicheren Wuchs, gelang es ihm bald, seinen Partner vom Boden zu
erheben und ihn, den rechten Arm gestützt auf das rechte Knie, in die
Höhe zu halten. Auf dem gleichen Bein hatte der zappelnde Gegner aber
einen Stützpunkt für seine Füsse gefunden und so wurde das Umdrehen
nicht leicht. Mit Anspannung aller Kräfte gelang es dem Neuen endlich,
den hochmütigen Helden mit hartem Aufschlag zu Boden zu werfen. Die
gebräuchliche Revanche brachte dem Besiegten keinen besseren Erfolg.
Am 8. Juni wurde der "_aron kertap_" = "Festtag des Klebreisessens"
gefeiert; er begann wieder mit einer _mela_, nach welcher diesmal
Päckchen mit Reis und Klebreis ohne Schweinefleisch verteilt wurden.
Abends war es, wegen des Todes des kleinen Kindes, sehr still im
Hause; man begrub es, um das Fest nicht durch Trauerfeierlichkeiten zu
unterbrechen, erst nach beendetem Fest. Die eigene Mutter hatte den
Heimgang des kleinen Kranken nach _Apu Kesio_ dadurch beschleunigt,
dass sie ihn morgens beim Rundgang zur _mela_ mitgenommen hatte.
Der 9. Juni bildete den letzten Festtag. Acht _dajung_ begaben sich
morgens auf die kleine Plattform des _dangei_, bildeten einen Kreis,
reichten einander die Hände und begannen gemeinsam im Tonfall des
_tekok_ eine Ansprache an die Geister; der Rhythmus wurde dabei durch
Bewegen der Hände angegeben. Nachdem sie sich über eine Stunde lang
von der warmen Sonne hatten bescheinen lassen, brachte man ihnen einen
geschlossenen Korb (_ingan)_, in dem sich verschiedene _kawit_, acht
aneinander gereihte Eierschalen und einige Küchlein befanden. _Usun_
öffnete den Korb und begab sich mit ihm nach einer Ecke des _dangei_,
in welcher täglich auf einem trichterförmig gespaltenen Pflanzenstengel
Esswaren für die Geister niedergelegt wurden, und forderte diese auf,
in den Korb überzugehen. Der Korb wurde darauf geschlossen und von
den Priesterinnen in die _amin_ des Häuptlings getragen.
Nach einer kleinen Erholung und einem kräftigen Trunk von dem von mir
präparierten Wasser versammelten sich die _dajung_ auf der Galerie,
legten acht unverletzte Bananenblätter auf und neben einander auf
den Boden und stapelten darauf die Esswaren, welche sie aus dem
erwähnten Korbe hervorgeholt hatten. Durch Auseinanderschieben der
Schindeln hatte man zuvor eine Öffnung im Dache hergestellt. Wiederum
murmelten die Priesterinnen eine Zeitlang über dem Haufen, bildeten
ihren phantastischen Kreis und begannen, wie früher, zuerst mit den
Gliedern der Häuptlingsfamilie, dann mit den Müttern und kleinsten
Kindern eine _mela_ vorzunehmen Darauf verteilten sie einen kleinen
Teil der _kawit_, Eierschalen und Küchlein an die Teilnehmer.
Es folgte jetzt eine Szene, die mich aufs lebhafteste interessierte
aus der _amin_ des Häuptlings wurde eine Sammlung alter _hawat_ und
geweihter Hüte herausgetragen. Die Tragbretter und dann auch die Hüte
wurden ehrfurchtsvoll über dem Haufen Opferspeisen hin- und herbewegt
und dann ins Haus zurückgetragen. Jetzt durften auch die gewöhnlichen
Kajanfrauen mit ihren alten _hawat_ und Hüten herantreten und den
wohltätigen Einfluss der Opfergaben auffangen. Diese Zeremonie bot
mir die seltene Gelegenheit, die alten, ehrwürdigen Familienstücke
zu sehen, die mir einen Begriff von der früheren Kunstfertigkeit der
Kajan gaben. Es lagen auf den _hawat_ noch Zeugstücke, die früher
von den Kajan mit ähnlichen Figuren bemalt worden waren, wie man sie
jetzt in den Webearbeiten der Batang-Luparstämme findet; derartige
Arbeiten werden längst nicht mehr von den Kajan ausgeführt. Diejenigen,
die diese Tragbretter und Hüte einst benützt hatten, waren entweder
längst gestorben oder bereits betagte Leute; so wurde z.B. auch _Akam
Igaus_ Kindertragbrett hervor geholt. Augenscheinlich sollte die neue
Weihe, die die _hawat_ empfingen, rückwirkend noch auf die Seelen
der Verstorbenen und Betagten einen guten Einfluss üben. Kaum hatten
sich die Priesterinnen entfernt, so suchte jeder noch etwas von dem
Rest der Opferspeisen zu erwischen.
Die offizielle Schlussfeier des ganzen Festes erfolgte vor dem Hause
beim _dangei_, wo man den Erdboden, den die Priesterschaft auch jetzt
nicht berühren durfte, mit den Brettern des _tasu nangei_ belegt
hatte. Wiederum waren alle aufs schönste gekleidet. Mit Kriegsmütze
und Kriegsmantel geschmückt umkreiste _Usun_ etliche Male tanzend den
Fuss des _dangei_ und führte mit ihrem alten Schwerte Bewegungen aus,
als wollte sie den ganzen _dangei_ gen Himmel heben. Die übrigen
Priesterinnen, von denen die ältesten gleich wie die männlichen
Priester mit Speeren bewaffnet waren, unterstützten _Usun_s Bemühungen
und wehrten, indem sie in die Luft schlugen und stachen, ausserdem die
bösen Geister ab, die ihre Handlungen stören konnten. Die Priesterinnen
setzten ihren Tanz bis gegen Mittag fort, dann aber verschwand,
von der jüngsten beginnend, die eine nach der anderen. Schliesslich
waltete nur noch die alte _Usun_ ihres heiligen Amtes und verliess den
Tanzplatz erst, nachdem die Sonne ihren Höhepunkt bereits erreicht
hatte. Nach drei anstrengenden Tagen durften die _dajung_ nun zum
ersten Mal wieder ihr wohlverdientes und heissersehntes Bad nehmen.
Abends sollte wiederum ein _nangeian_ um das Opfergerüst, das
in gleicher Weise wie früher (pag. 177) aufgestellt worden war,
stattfinden. Die Häuptlingsfamilie begann sich gegen 6 Uhr abends
auf den Rundgang, der nach alter Sitte bis zum Anbruch des folgenden
Tages dauern musste, vorzubereiten, indem sie auf der Plattform des
_dangei_ ein symbolisches Bad nahm. Die Familienglieder und darauf
auch die _dajung_ wurden der Reihe nach, den Fuss auf einen alten Gong
gestützt, mit Weihwasser aus einem Bambusgefäss übergossen. Unter den
Tönen eines Gongs wurden gleichzeitig alle Speiseabfälle, welche von
der Herstellung der _pemali_ übrig geblieben und bis jetzt sorgfältig
bewahrt worden waren, in grossen Körben von der Höhe des _dangei_
herabgeworfen.
Gegen 9 Uhr abends erklängen die Gonge von neuem, als Zeichen,
dass die Priesterinnen den _nangeian_ mit Singen und Tanzen begonnen
hatten; sie setzten den Rundgang fort, bis der Zustrom der Laien so
gross geworden war, dass sie von diesen abgelöst werden konnten. Die
Beteiligung am _nangeian_ war jetzt eine viel regere als früher;
selbst bejahrtere Personen scharten sich in den Kreis der Jungen und
stimmten in den eintönigen aber melodischen Gesang ein. Alle hatten
ihre schönsten Festkleider angetan; die Frauen trugen ausserdem
ihre prächtigen Schale und die Männer ihre Schwerter. Unterdessen
hockten die Priesterinnen auf einer Matte und unterhielten sich mit
Betelkauen und Singen, bis die Reihe an sie kam, unter verstärkter
Begleitung der Gonge wieder in den Kreis einzutreten. Auf uns Fremde
machte die ganze Zeremonie, des schlichten Ernstes wegen, mit dem
sie vorgenommen wurde, einen feierlicheren Eindruck, als wir ihn in
dieser seltsamen und ungewohnten Umgebung erwartet hätten.
Bis zur Dämmerung setzten alle unermüdlich den Rundgang fort. Nachdem
ich mich zur Ruhe begeben hatte, wurde ich stets wieder durch ein
besonders starkes Einsetzen der Gonge geweckt.
Bei Tagesanbruch erschallte aus der Häuptlingswohnung lauter
Gesang. Auf den Schluss des Festes begierig eilte ich nach oben und
fand alle Festteilnehmer in der noch dunklen _amin aja_ versammelt;
sie standen unter dem noch geschlossenen Dachfenster um die _dajung_
herum und stimmten unter deren Vorgang einen Gesang an, der an Ernst
und Feierlichkeit nichts zu wünchen übrig liess. Nach beendigtem
Gesang zogen sich alle still in ihre Wohnungen zurück.
Der 10. Juni begann für alle mit dem, nach den Anstrengungen der
letzten Tage, so nötigen Schlaf. Die Priesterinnen sollten erst nach
genossener Ruhe in ihre eigenen Wohnungen zurückkehren, wo sie noch 8
Tage lang nach Vorschrift leben mussten. Die aussergewöhnliche Stille
auf der Galerie benützten wir sogleich, um einige photographische
Aufnahmen zu machen.
Die Tür der Häuptlingswohnung wurde zuerst photographiert. Da ich auch
gern eine Aufnahme von dem noch danebenstehenden _lasa_ gemacht hätte,
fragte ich, allerdings mit wenig Hoffnung auf Erfolg, _Akam Igau_, ob
dies gestattet sei. Obgleich sehr aufgebracht, wagte er doch nicht,
nein zu sagen, und so machte ich denn von dieser halben Zustimmung
und dem Schlaf der noch abergläubischeren Frauen Gebrauch, um auch
von dem _lasa_ ein Cliché anzufertigen.
Was ich jedoch gefürchtet, traf ein, denn bereits abends kam _Akam
Igau_ mit verstörtem Gesicht zu mir und erzählte, dass unsere Aufnahmen
einen Sturm der Entrüstung seitens der erwachten Priesterinnen auf sein
armes Haupt beschworen hatten. Da eine günstige Stimmung der Kajan kurz
vor unserem Zuge zum Mahakam von der grössten Bedeutung wir, glaubte
ich den Häuptling mit ein paar Dollar entschädigen zu müssen. Ob nun
die photographischen Aufnahmen oder dies Geldgeschenk beunruhigend
gewirkt hatte, weiss ich nicht, aber am folgenden Morgen erschienen
_Usun_ und _Tipong Igau_, setzten sich mit ernster Miene zu mir auf
den Boden und erklärten, dass böse Träume ihnen in der vergangenen
Nacht die Entrüstung der Geister verkündet hätten. _Tipong_ hatte
geträumt, dass man sie nach dem Ritus der Kajan in ihren Sarg gelegt
hatte; _Usun_, dass ihr Boot aufs Land gezogen war: beide Träume
deuteten auf ihren bevorstehenden Tod. Ich fürchtete anfangs, dass
man die Vernichtung der Clichés verlangen würde, aber ihr dajakisches
Gewissen zeigte sich zum Glück mit dem Bezahlen einer Busse zufrieden
gestellt. Mir gegenüber wollte _Tipong_ jedoch noch Nachsicht üben
und verlangte daher eine Seelenberuhigung von nur 3 Dollar. So waren
die Schwierigkeiten beiderseits fortgeräumt, aber ich rechnete in
Zukunft doch auf weniger kostspielige Aufnahmen.
Die Priesterinnen waren nach dem Fest, wie gesagt, noch nicht frei:
den ersten Tag mussten sie _melo bruwa_, (= ruhen für die Seele); den
zweiten Tag begaben sie sich alle in grosser Gala mit Kriegsmütze und
Schwert aufs geweihte Reisfeld ans jenseitige Ufer, um die Verbotszeit
abzuwerfen (_bet lali_); am dritten Tage mussten sie wieder ruhen; am
vierten Tage versammelten sie sich wieder alle in der _amin aja_, wo
morgens und abends bei geschlossener Tür eine grosse _mela_ stattfand;
am fünften und sechsten Tage wurde wieder geruht.
Auch für die übrigen Bewohner war alles Aussergewöhnliche in dieser
Zeit verboten. Als in diesen Tagen ein von der Regierung mit der
Impfung der Kajan betrauter Malaie aus Putus Sibau ankam, um hier
seines Amtes zu walten, liess sich keiner von ihm impfen, obgleich
man ihn selbst herbeigewünscht hatte. Erst einige Tage später kamen
die Kajan, dann aber in Haufen heran.
Am siebenten Tage mussten die _dajung_ in Gruppen von vieren in der
eigenen Wohnung eine _mela_ abhalten, worauf am achten wieder ein
_melo_ folgte, nach welchem sie endlich ihr Armband der Verbotszeit
(_leku lali_) endgültig ablegen durften. Diese Armbänder bestanden
aus vier Reihen grosser, wertvoller Perlen, welche sie von der
Häuptlingsfamilie als wichtigste Belohnung erhalten hatten.
KAPITEL IX.
Fischreichtum des Kapuasgebietes--Fischereigerätschaften--Fang des
_tapa_--Fang mit _tuba_-Gift--Jagd--Hunde der Bahau--Erträgnisse
der Jagd--Vogelfang--Haustiere.
Die Bahau am Mendalam erfreuen sich, wie auch die anderen Stämme am
oberen Kapuas, eines grossen Fischreichtums ihrer Gewässer. Fische
bilden daher auch nach Reis ihr Hauptnahrungsmittel. Nicht nur der
Kapuas und seine Nebenflüsse, sondern auch alle Seeen, die ihm ihr
Dasein verdanken, sind reich an Fischen. Der Fluss schlängelt sich
nämlich in zahlreichen Windungen durch das flache Land, verlegt bei
Hochwasser öfters sein Bett, hier seinen eigenen Bogen abschneidend,
dort wiederum einen neuen bildend, und lässt als Folge hiervon zu
beiden Uferseiten zahlreiche Seeen von länglicher Form zurück. Bei
Hochwasser, wenn ihnen die Flüsse schwerer zugänglich sind, fischen
die Kajan vorzugsweise in diesen Flussseeen.
Die Kajan gebrauchen für den Fischfang folgende Gerätschaften die
Angel (_pese);_ das Schöpfnetz (_hiköp);_ das Wurfnetz (_djala);_
den Speer mit einer Spitze (_bakir);_ den Speer mit mehreren Spitzen
(_serapang_) und verschiedene Arten von Reusen; ausserdem fischen
sie mit Fischgift (_tuba_).
Die Angel und das runde Wurfnetz werden täglich gebraucht; jene
hauptsächlich von Kindern und alten Männern, dieses von erwachsenen,
kräftigen Männern.
Je nachdem, ob es sich um den Fang grosser oder kleiner Fische handelt,
gebrauchen die Bahau verschiedene Angelhaken. Die kleinsten stellen sie
mit einem Widerhaken aus Kupferdraht her. Als ich ihnen Stecknadeln
mitbrachte, die sie bis dahin noch nicht kannten, verwandelten die
Kinder diese, indem sie sie umbogen, bald in Angelhaken. Auf meinen
folgenden Reisen bildeten Fischangeln verschiedener Grösse für alt
und jung sehr geschätzte Geschenke.
Die grossen bis sehr langen Angelhaken werden geschmiedet; man
benützt sie hauptsächlich für Setzangeln, die man, mit Köder und
Schwimmer versehen, den Fluss abwärts treiben lässt, während man
selbst, beispielsweise, eine weiter unten gelegene Niederlassung
besucht. Als Schwimmer dient ein trockener, hohler Kürbis.
An Wurfnetzen gebraucht man, nach der Grösse der zu fangenden Fische,
drei verschiedene Arten. Sie bestehen aus einem runden Netz, das rings
herum eine Kette aus Zinn oder Eisen (_awit tite_ = Eisenkette) trägt;
letztere wird am liebsten aus grossen Nägeln, die man durch Klopfen
in Kettenglieder verwandelt, hergestellt.
Die Netze für kleine Fische (_djala seluwang_) haben 2 1/2-4 qcm grosse
Maschen und einen Durchmesser von 3-4 m; sie werden gegenwärtig meist
aus eingeführtem, grobem Strickgarn verfertigt.
Für grössere Fische gebraucht man Netze mit 4-9 qcm grossen Maschen
und einem Durchmesser von 5-6 m. Die Netze werden aus den zu einer
Schnur gedrehten Fasern der Liane _aka tengang_ hergestellt. Die
grossen Wurfnetze, deren Durchmesser bis zu 8 m beträgt, haben bis
zu 16 qcm grosse Maschen; sie bestehen aus den gleichen Lianenfasern
wie die kleineren Arten, nur verwendet man für sie dickere Schnüre.
Die Bahau imprägnieren ihre Netze nicht und verstehen sie nach dem
Gebrauch vor Fäulnis nur durch Trocknen an der Sonne zu schützen.
Beim Auswerfen nimmt der Fischer das Netz über beide Arme und
sucht es, durch drehende Bewegung, so ausgebreitet als möglich
auf die Wasserfläche zu schleudern; die schwere, in zentrifugaler
Richtung auseinander getriebene Kette bewirkt, dass das Netz flach
niederfällt. Zum Herausziehen des Netzes dient eine im Mittelpunkt
befestigte Schnur, während die Fische durch die am Boden schleifende
Kette gefangen gehalten und mit heraufgezogen werden. Ist der Boden
jedoch durch Gestein, Baumwurzeln und Zweige sehr uneben, so lässt der
Fischer das Netz liegen, taucht unter und holt die Fische, aus Furcht,
dass sie sonst entfliehen könnten, mit der Hand hervor. Bisweilen
werden die Fische auch, bevor man das Netz über sie wirft, mit
gekochtem Reis an eine bestimmte Stelle gelockt.
Das Auswerfen der Netze erfordert viel Kraft und Gewandtheit; um die
grossen Netze gleichmässig niederfallen zu lassen, nimmt der Fischer
den mittleren Teil oft in den Mund.
Ausser diesen sind auch lange Netze den Dahau bekannt; sie gebrauchen
sie, um ein Flüsschen abzusperren, besonders beim Fischen mit
Gift. Zugnetze jedoch sind ihnen unbekannt.
Beim Fischen mit dem _serapang_ ist, um die Fische anzulocken und
sichtbar zu machen, Licht erforderlich. Der Fischer lässt sich
nachts in aller Stille flussabwärts treiben und hält vorn im Boot
das _tapong hirui_, das Brettchen, unter dem die Harzfackel (_damat
hirui_) brennt, die ihm auf diese Weise nicht hinderlich wird. Am
Brettchen ist, um es bequemer zu handhaben, ein Griff (_tagin_)
angebracht. Sobald sich, vom Fackelschein angelockt, Fische zeigen,
sucht sie der Fischer zu spiessen.
Reusen werden besonders bei Hochwasser ausgesetzt und zwar an
Stellen, wohin sich die Fische vor der heftigen Strömung geflüchtet
haben. Diese Reusen haben meist die gewöhnliche malaiische Form;
nur eine Art ähnelt einem runden Vogelbauer mit rundlicher Öffnung,
in welcher ein am Aussenende geschlossenes Bambusrohr mit ebenfalls
runder Öffnung oben steckt. Kleine Fische, durch den im Bambus
befindlichen Reis angelockt, lassen sich dazu verleiten, in den Bauer
zu schwimmen. Der Rückzug wird ihnen durch zusammeneigende Ästchen
an der inneren Bambusöffnung abgeschnitten.
Auch der _hiköp_, ein kreisförmiges Stück Rotang von 1/2 m
Durchmesser mit eingespanntem Garnnetz, wird hauptsächlich bei
Hochwasser angewendet, um zwischen das Ufergras geflüchtete Fische
zu fangen. _hiköp_ und Reusen werden vorzugsweise von Frauen und
Kindern benützt.
Die Kajan ziehen zwar grosse Fische vor, verschmähen aber auch die
kleinsten nicht; diese werden auch vielfach zu Opferzwecken verwendet.
Da Salz auch am Mendalam sehr teuer ist, werden grössere Mengen Fische
durch Trocknen und Räuchern über dem Feuer für längeres Aufbewahren
präpariert.
Während bei allen vorhin besprochenen Arten von Fischfang nur wenige
Personen beteiligt sind, vereinigen sich zum Fischen des _tapa_
die Bewohner eines oder mehrerer Häuser.
Der _tapa_ ist ein grosser, bis 1 m langer, dunkelbrauner Fisch mit
sehr breitem, plattem Kopf und weit klaffendem Maul, bewaffnet mit
mehreren Reihen scharfer Zähne.
Gegen August zieht der Fisch aus dem Hauptstrom in kleine Nebenflüsse,
um dort zu laichen; die Kajan benützen diesen Augenblick, um hinter
den bisweilen grossen Schwärmen das Flüsschen mittelst eines Heckwerks
oder Netzes abzuschliessen.
Einem derartigen _tapa_-Fang wohnte ich während meines ersten
Aufenthaltes in Tandjong Karang bei, wo es einem Manne aus Tandjong
Kuda glückte, einen Fischschwarm im Samus, einem rechten Nebenfluss
des Mendalam, einzuschliessen. Am ersten Tage hatten die Hausgenossen
des glücklichen Finders, unsere Nachbarn oben am Fluss, das Recht,
so viel Fische zu fangen als sie gelüstete; den folgenden Tag sollten
wir uns zum Feste aufmachen.
Man hatte auch mich zur Teilnahme aufgefordert, und, wie immer mit
Stock und Revolver bewaffnet, nahm ich anderen Morgens früh in einem
schmalen Nachen Platz, dessen Wände nur wenige Centimeter über das
Wasser herausragten; ich musste mich daher sehr ruhig verhalten,
wenn ich das Boot nicht zum Umkippen bringen wollte. Zwei junge Kajan
ruderten, und so ging es schnell den Mendalam hinauf. Die Samusmündung
lag weiter unten, aber das eigentliche Jagdgebiet befand sich am
Oberlauf des Flüsschens, so dass wir, um zeitig das Ziel zu erreichen,
erst ein anderes Nebenflüsschen hinauffahren und dann eine Strecke über
Land gehen mussten. Der Weg führte, nach dajakischer Weise, mehr über
liegende Bäume als über mit Gras und Gestrüpp bedeckten Boden. Bald
bildeten die Bäume den einzigen passierbaren Weg; zu meinem Erstaunen
lagen sie aber nicht, wie gewöhnlich, der Äste beraubt am Boden,
sondern teilweise über einander und zwar so, dass der nur wenig
abgekappte Gipfel des einen Baumes auf dem Fussende des folgenden
ruhte und der so entstandene Baumpfad bis zu 4 m hoch über dem Erdboden
lag. Er führte nämlich zu früheren Reisfeldern durch einen Wald, der so
nass und morastig war, dass man mit bewundernswerter Geschicklichkeit
den einen Baum über den anderen hatte fallen lassen und, nachdem die
hinderlichsten Äste entfernt waren, einen Pfad geschaffen hatte,
auf dem man niemals den Boden berührte. Es lagen hier Baumriesen
von mehreren Metern Durchmesser, auf denen man mühelos 40 m weit
gehen konnte; dann trat man aber auf andere, deren glatte, hellgraue
Stämme zwar sehr schön anzusehen waren, in dieser beträchtlichen
Höhe von einem beschuhten Europäer jedoch nur mit einer gewissen
Kaltblütigkeit begangen werden konnten. Besonders kritisch wurde
die Situation beim Überschreiten der oberen, dünnsten Stammenden,
an denen Äste gesessen hatten; da die hinter mir gehenden Kajan ihren
Schritt dann etwas mässigen mussten, wurden die Schwingungen unseres
Pfades unregelmässiger und wir liefen Gefahr, das Gleichgewicht zu
verlieren. Letzteres war jedoch nicht wünschenswert, denn unter uns
lagen zwischen dornigem Gesträuch die abgehackten Äste übereinander,
so dass ein Fall bedenkliche Folgen gehabt hätte. Glücklicher Weise
betrat ich hier nicht zum ersten Mal einen Baumpfad im Morastwalde,
aber 1 1/2 Stunden hintereinander, wie hier, war ich noch nicht auf
solchem Wege marschiert und so hielt ich mich vor Ermüdung kaum noch
auf den Füssen, als wir endlich wieder den Boden betraten. An meinen
Begleitern bemerkte ich jedoch keine Ermattung, sie wären auch zu sehr
von der freudigen Erwartung des bevorstehenden Fischfangs erfüllt,
um sich in die Schwierigkeiten hineinzudenken, die ein solcher Gang
über glatte Baumstämme ohne stützendes Geländer dem schuhbedeckten
Fusse eines Europäers bereiten musste.
Der Marsch durch ein verlassenes, dicht bewachsenes Reisfeld zählte
für gewöhnlich schon zu den Prüfungen, jetzt jedoch erschien er mir
wie eine Erholung.
Zeitig genug langten wir am Ufer des Samus an; die hier versammelte
Gesellschaft hatte ihre Reismahlzeit noch nicht begonnen.
An den sandigen, weissen Ufern des Samus, mitten im hohen Urwald,
boten die geschäftigen Männer, Frauen und Kinder eine Reihe anmutig
wechselnder Bilder. Auch die Ma-Suling hatten diesen Tag zum Fischen
gewählt und ich bemerkte unter ihnen fremde Gestalten, die ihre Scheu
jedoch bald ablegten, als sie die anderen sich so frei in meiner
Gegenwart bewegen sahen.
Während des Essens kam die Nachricht, dass sich die Fische,
diesmal in geringerer Zahl als sonst, weiter oberhalb im Bache
befanden. Sogleich machten sich die Männer auf, durchwateten das
Flüsschen und verschwanden im Walde. Nur mit Mühe konnte ich einige
Knaben bestimmen, bei mir zu bleiben und mir den Weg zu weisen. Dieser
führte gleich anfangs quer durch den Fluss, den meine braunen Führer
einfach durchschwammen, während ich ihn, um nicht gleich durch und
durch nass zu werden, watend zu passieren versuchte. Diese Vorsicht
erwies sich aber als unnütz, da ich doch bis an die Brust ins Wasser
musste; die Erfrischung war übrigens angenehm und bei der ständigen
Bewegung nicht schädlich. Nachdem wir ein Stück Wald und mehrmals
den gleichen Bach durchquert hatten, erreichten wir den Schauplatz
des grossen Ereignisses: einige Meter unter uns zwischen steilen
Uferwänden standen die Kajanmänner im Wasser, bewaffnet mit grossen
Fischhaken, die so lose an langen Stöcken befestigt waren, dass
sie beim Zurückziehen im Fischkörper haften blieben. Da der Haken
ausserdem an eine Schnur gebunden war, konnte der Fischer die erfasste
Beute bequem heranholen. Bei meiner Ankunft hatten die Leute bereits
viele Fische gefangen; zwar waren die Tiere diesmal nicht, wie es
früher vorgekommen sein soll, in solch gedrängter Masse erschienen,
dass ihre Rücken an der Wasseroberfläche sichtbar wurden, vielmehr
musste man sie aus Uferhöhlen und unter Baumstämmen, die im Bache
umherlagen, hervorstöbern, doch gelang es, eine grosse Anzahl aus
diesen Schlupfwinkeln aufzuscheuchen.
Es ging sehr lebhaft beim Fischen her. Der Fang eines besonders schönen
Exemplars erfüllte jeden mit Genugtuung und, wenn ein aufgejagter
Fisch mit kräftigen Schlägen zwischen den Fischern hindurchschoss,
stürzten alle voll Eifer auf ihn zu, da jeder den ersten Speerwurf tun
wollte, selbst auf die Gefahr hin, einen Menschen statt des Fisches
zu spiessen.
Die Männer beeilten sich, sobald ein Fisch am Haken zappelte, das
wütende Tier mit dem schrecklichen Gebiss durch einen kräftigen
Schwertschlag hinter dem Kopfe unschädlich zu machen; auf dem
Trocknen wurde der Kopf gänzlich vom Rumpf geschieden und dieser
ausgeweidet. Wenn die Fische sehr zahlreich erschienen, wagte man sich,
aus Furcht gebissen zu werden, nicht ins Wasser. Dass diese Furcht
nicht unbegründet war, bewiesen einige grosse Narben an den Beinen der
Kajan. Diesmal schienen nur grosse Fische den Samus hinaufgeschwommen
zu sein; denn die gefangenen Exemplare waren mindestens 10 kg schwer.
Nach einigen Stunden besassen alle einen genügenden Vorrat an Fischen
und, da der Weg noch weit war, begann man an den Rückzug zu denken. Die
Knaben hatten bereits die Fische an den Platz vor ausgetragen, wo
die Frauen schon seit dem Morgen mit den Vorbereitungen zur Mahlzeit
beschäftigt waren; geröstete _tapa_ bildeten nun das Hauptgericht und
es schmeckte so gut, dass keiner Lust zum Aufbruch verspürte, was mir,
in der Voraussicht auf eine Wiederholung der Expedition vom Morgen,
sehr angenehm war.
Unter einem hohen Uferbaum hielten einige mir wohl bekannte Frauen
der Ma-Suling Siesta, und ich nahm mir die Freiheit, mich in ihrer
Nähe im Schatten des gleichen Baumes niederzulegen; ihr Schlaf schien
aber durch meine Anwesenheit gestört zu werden; denn sie begannen
zu schwatzen. Eine von ihnen war ihres Gesanges wegen berühmt und
liess sich zum Glück nicht lange nötigen, einige Proben ihrer Kunst
zum besten zu geben.
Auf dein Rücken liegend, die Hände unter dem Haupte gekreuzt, trug
sie, teils rezitierend, teils wirklich singend, einige Stücke vor;
in dieser Umgebung klang es sehr lieblich und, wenn es auch kein
europäischer Gesang war, machte er doch einen viel besseren Eindruck
als der der Javaner oder Malaien. Die Melodieen glichen am meisten den
unsrigen. Leider konnte ich die Worte nicht verstehen; sie erweckten
die Heiterkeit der Zuhörer und, da ich einige Mal meinen Namen
unterscheiden konnte, improvisierte die Sängerin augenscheinlich. Auch
diese Idylle nahm ein Ende; das Mahl war eingenommen, die Fische in
Körbe gepackt, und so zogen Männer, Frauen und Kinder beutebeladen in
langer Reihe auf dem gleichen halsbrecherischen Wege heimwärts. Auch
jetzt wieder beschützten reich die Urwaldgeister der Kajan und ich
kam mit heilen Gliedmassen, aber mit etwas labilem Gleichgewichte
nach Hause.
Was die Fischerei mit der _tuba_, dem Fischgift, betrifft, so nimmt
auch an ihr die ganze Bevölkerung Anteil. Am oberen Kapuas wird nur in
den kleineren Nebenflüssen mittelst Gift gefischt, am oberen Mahakam
auch im Hauptfluss.
"_tuba_" ist ein Sammelname für verschiedene Wurzeln und
Baumrindenarten, deren narkotisch wirkende Milchsäfte zum Betäuben
der Fische benützt werden. Die für die _tuba_-Fischerei erforderlichen
Pflanzen werden teils gebaut, teils aus dem Walde geholt.
Haben die Bewohner eines Kajandorfes beschlossen, einen Fluss mit
_tuba_ abzufischen, so wird alles lebendig; denn um eine für alle
genügende Menge Fische zu fangen, muss auch jede Familie ihren Teil
_tuba_ liefern. Man zieht daher in grossen Scharen zur _ladang_ und
sammelt dort die schwarzen, fingerdicken Wurzeln, die man zu Bündeln
von 1 Fuss Länge und 2 dm Dicke vereinigt. Binnen weniger Tage, wenn
ungefähr 200 Bündel zusammengebracht worden sind, kann der Fischzug
in einem Flüsschen beginnen.
So fuhren eines Tages bei Sonnenaufgang viele Männer mit der _tuba_
in Böten an den Platz voraus, wo der Fang stattfinden sollte. Etwas
später begaben sich auch die Frauen, Mädchen und Knaben zum Fluss und
auch ich nahm in einem der schwankenden Fahrzeuge Platz, in welchem
mich einige Männer flussaufwärts ruderten.
Der Schauplatz der Jagd war ein kleines Flüsschen, in dem unser Nachen
bald hier bald dort über eine Geröllbank geschoben werden musste.
Das nur 20 m breite Gewässer schlängelte sich, von den Uferbäumen
völlig überdacht, zwischen urwaldbedeckten Hügeln hindurch. Nach
einstündiger Fahrt, als das Boot nicht weiter konnte, führte uns
ein Waldpfad längs dem Ufer weiter hinauf. An einer buchtartig
verbreiterten Stelle des Flusses stiessen wir zu den Männern,
die damit beschäftigt waren, die _tuba_ durch Klopfen in eine
weissliche, faserige Masse mit scharfem, betäubenden Geruch zu
verwandeln. Inzwischen hatten sich die übrigen Teilnehmer in
malerischen Gruppen auf den Uferfelsen gelagert. Die erfreuliche
Aussicht, die Fische auf bequeme Weise überlisten und verspeisen
zu können, schien vor allem die Frauen und Mädchen fröhlich zu
stimmen. Sie hatten alle Schöpfnetze (_hiköp_) mitgenommen, während
die Männer, ausser mit ihren gewöhnlichen Waffen, auch mit den gleichen
Harpunen wie bei der _tapa_-Fischerei ausgerüstet waren. Jedem hing ein
Rotangkorb über der Schulter; im übrigen waren sie in ihren Bewegungen
nicht durch übermässig viele Kleider gehindert: die Männer trugen
nur ein kleines Lendentuch, die Frauen nur ein Röckchen.
Nachdem das Klopfen beendet war, begaben sich die Männer mit den
gefüllten Körben reihenweise in den Fluss und spülten, den Bach
durchquerend, die geklopften _tuba_-Wurzeln im Wasser aus. Das
milchweiss aus der faserigen Masse strömende Wasser färbte den Fluss in
seiner ganzen Breite, während der betäubende Geruch des _tuba_-Giftes
sich doppelt stark in der Umgebung fühlbar machte. In dem breiteren
und zugleich sehr tiefen Teil des Flussbettes strömte das Wasser nur
langsam und das Gift hatte Zeit, sich bis auf den Grund mit der ganzen
Wassermasse zu vermengen.
Die Wirkung zeigte sich schon nach wenigen Minuten bei den kleinen
Fischen, die nach oben kamen, aus dem Wasser zu springen suchten
und gleich darauf ihren weissen Bauch statt ihres oft prächtig
metallglänzenden Rückens sehen liessen. Dies war für alle ein
Zeichen, sich mit Schöpfnetzen und Harpunen in Bewegung zu setzen;
man verteilte sich im Fluss, die Jugend längs dem Ufer, die Älteren
in der Mitte. Doch nach kurzer Zeit war von der anfänglichen Ordnung
nichts mehr zu merken. Die allerdings etwas betäubten, aber durchaus
nicht bewegungslosen Fische konnten nur mit viel Gewandtheit gefangen
werden und so musste man sich bald ihnen vorsichtig nähern, bald
ihnen nachtauchen oder über Flussgeschiebe nachsetzen.
Alles lief, fiel und tauchte durcheinander; hier holte einer ein
schönes Exemplar mühelos zwischen Flussgestein hervor, dort sahen
drei andere etwas Weisses sich im Wasser bewegen und warfen sich
von allen Seiten auf die erschreckte Beute, die gerade noch Zeit
hatte, unterzutauchen und durch eine rasche Wendung den dreien zu
entschlüpfen, um etwas weiter unten in das Netz eines ruhigeren
Fischers zu geraten, der sich das Tier bedächtig zutreiben liess.
Anfangs kamen nur wenig grössere Fische nach oben; entweder waren
sie nur in geringer Zahl vorhanden oder sie widerstanden besser der
Wirkung des Giftes und entschlüpften den zahlreichen Verfolgern.
Langsam zog das vergiftete Wasser abwärts und gleichzeitig mit ihm die
fröhliche Schar, der auch ich mich angeschlossen hatte. Ans Fischen
konnte ich jedoch nicht denken; denn bekleidet und beschuht durch
einen Bergstrom zu waten ist ohnehin schon eine schwierige Aufgabe;
zudem wurde der Fluss hie und da so tief, dass ich bis zur Brust
einsank und mich auf dem schlüpfrigen Geröll nur mit Mühe aufrecht
hielt. Zum Glück strömte das vergiftete Wasser, aufgehalten durch
die vielen Steinblöcke, nur langsam weiter und man hatte Zeit, ihm
zu folgen. 1 1/2 Stunden lang gingen wir so weiter, geleitet vom
_tuba_-Geruch, den wir bis zuletzt wahrnahmen. Ober- und unterhalb
des vergifteten Wasserstreifens verschwand der lästige Reiz in der
Nase, der übrigens keinem gefährlich zu sein schien. Endlich wurde
das Wasser zu tief, um darin waten zu können, und ich schwang mich
in ein am Ufer liegendes Boot und liess mich abwärts treiben.
Das Schauspiel gewann immer mehr an Lebhaftigkeit, denn jetzt
kamen die grossen Fische zum Vorschein, deren Fang bisweilen viele
Schwierigkeiten bereitete. Mit erstaunlicher Schnelligkeit und
Sicherheit tauchten die Männer den Tieren nach, trafen sie im klaren
Wasser mit dein Speer und brachten die Beute im Triumph nach oben.
Die Frauen und Mädchen gaben übrigens dem stärkeren Geschlechte an
Geschicklichkeit nichts nach und tauchten mit dem gleichen Erfolge
auch unter den Böten durch, um ihre Schlachtopfer zu erjagen.
Nicht leicht werde ich das liebliche Bild vergessen, das mir ein
Kajanmädchen bot, als es plötzlich neben meinem Nachen aus dem Wasser
auftauchte. Ich hatte die Kleine nicht verschwinden sehen und erblickte
nun unversehens ihr liebes Gesichtchen mit den freudestrahlenden
Augen, umgeben vom lang herabhängenden, schwarzen Haar, das ihr wie
ein triefender Mantel über dem Rücken hing und das helle Braun der
wohlgeformten Schultern und des Busens um so schöner hervortreten
liess. Nicht ohne Koketterie erhob sich das Mädchen halb aus dem
Wasser und eilte darauf mit dem erbeuteten Fisch dem Ufer zu.
An der Einmündung in den Hauptfluss schien sich das langsam
herbeiströmende Wasser zu stauen; wenigstens kamen eine Menge
grosser Fische betäubt an die Oberfläche und gaben den Männern mit
ihren Harpunen genug zu tun. Auf einer verhältnismässig kleinen
Fläche mehrere Meter tiefen Wassers schwammen und tauchten alle
durcheinander und warfen in ihrer Verfolgungswut die Harpunen mit
solcher Schnelligkeit, dass nur wie durch ein Wunder keine Verwundungen
vorkamen. An diesem letzten gefährlichen und anstrengenden Spiel
beteiligten sich die Frauen nicht mehr, sie suchten befriedigt vom
Erfolg des Tages die Böte auf und legten sich triefend und ermüdet,
aber doch fröhlicher Stimmung, neben ihren Fischen nieder.
Während des ganzen Fischzugs hatte ich mich an der allgemeinen
Heiterkeit und Einigkeit erfreut; durch keinen einzigen Misston war die
Harmonie unterbrochen worden. In dieser günstigen Gemütsverfassung
zeigten sie mir auf Wunsch des Häuptlings ihre Schätze, so dass
ich bald 30 verschiedene Fischarten für die zoologische Sammlung
beieinander hatte. Die Exemplare waren zwar meist klein, aber bei
keiner Gelegenheit so bequem zu erlangen als bei dieser.
Dass ein Flüsschen durch eine derartige _tuba_-Fischerei gänzlich
ausgefischt wird, kann man sich vorstellen; die jüngsten Fischchen
leiden am meisten unter dem Gift und es dauert daher lange, bis sich
der Fischstand wieder erholt. Darum bekümmerten sich die Dajak jedoch
nicht, sondern fuhren allgemein befriedigt den Fluss hinab. Zu Hause
angekommen kleidete ich mich schnell um und vergass bald, dass ich
einen halben Tag in triefenden Kleidern gesteckt hatte.
Sind die abzufischenden Flüsse grösser und tiefer, so schliesst man
ihre Mündung mit einem hohen Bambusgitter, dessen Stäbe eng beieinander
stehen, ab, um die grossen, nur halb betäubten Fische aufzuhalten. Dann
spielt sich die Jagd wegen der Gefahr, durch Fische oder zufällig
aufgejagte Krokodile verwundet zu werden, in Böten ab. Zum Schluss
sammeln sich alle Fischer vor dem Gitter, das hinten mit Bambuskörben
und Netzen versehen ist, um die Fische, welche hinüberzuspringen
versuchen, aufzufangen. Bei dieser Gelegenheit sah ich einzelne Fische
unglaublich hoch springen. Exemplare von etwa 1 Fuss Länge und auch
einige grosse Arten schnellten plötzlich zwischen den Böten empor und
verschwanden hinter der mehr als 2 m hohen Bambuswand. Die weniger
guten Springer fielen in die Körbe und Netze.
Die Jagd spielt bei den Bahau am Mendalam nur eine nebensächliche
Rolle: begeben sich die Männer aufs Reisfeld oder in den Wald,
so werden die Hunde stets mitgenommen und zeigt sich Wild, so wird
darauf Jagd gemacht.
Aus dem Begriff "Wild" schliessen die Bahau alle Tiere aus,
die sie nicht essen dürfen, wie Horntiere, graue Affen und
Schlangen. Als Wildpret kommen daher hauptsächlich Wildschweine,
verschiedene Wildkatzen, kleinere Säugetiere und hühnerartige Vögel
in Betracht. Besonders erstere sind als Wild sehr beliebt, auf meiner
ersten Reise waren sie aber noch selten; eine heftige Epidemie in
den Jahren 1888 und 1889 hatte nicht nur die wilden, sondern auch
die zahmen Schweine in Mittel-Borneo fast ausgerottet.
Eine wichtige Rolle spielen bei der Jagd die Hunde, die sich trefflich
zum Aufspüren und Stellen des Wildes eignen. Sie wagen sich aber
nur an kleinere Tiere heran, da sie nicht über 1 Fuss hoch werden;
grössere Schweine bellen sie nur aus einiger Entfernung an oder sie
bemächtigen sich ihrer Jungen.
In allen Gegenden, die ich besuchte, fand ich bei den Dajak die
gleiche Hunderasse: kurzhaarige, schlank aber kräftig gebaute Tiere
mit aufrecht stehenden Ohren und langem, spitzen Kopf. Die männlichen
Tiere, besonders die guten Jagdhunde, werden häufig kastriert, um
sie anhänglicher an den Herrn und gleichgültiger gegen die Weibchen
werden zu lassen. Die Bahau bilden sich ein, dass die Kastration dem
Fortpflanzungsvermögen nicht schade, doch ist die Hunderasse bei ihnen
durch dieselbe stark zurückgegangen. Von den Punan, die ihre Jagdhunde
nicht kastrieren, beziehen die Häuptlinge der sesshaften Stämme ihre
guten Exemplare. Eigentümlicher Weise bestimmen die Bahau auch bei
den männlichen Tieren hauptsächlich nach der Zahl und Entwicklung der
Zitzen, ob es gute Jagdhunde sind oder nicht. Vor allem wird ihr Mut
hiernach beurteilt.
Bei Stämmen, wie die Pnihing, die sich für die Jagd interessieren
und daher nicht, wie es meist geschieht, die Hunde selbst für ihren
Unterhalt sorgen lassen, besitzen die Häuptlinge schöne, kräftige
Hunde.
Überall im Innern haben die Hunde die Eigenschaft, wenig, Fremden
gegenüber überhaupt nicht, zu bellen. Begegnen sie letzteren, so
ergreifen sie entweder mit eingezogenem Schwanz die Flucht oder sie
beachten sie gar nicht. Auf der Jagd stossen sie ein kurzes Kläffen
aus, für gewöhnlich aber machen sie sich durch ein höchst unangenehmes
Heulen bemerklich, in welches, wenn einer den Anfang gemacht hat,
alle übrigen im grossen Dajakhause einstimmen. Aus der Ferne erinnert
ein derartiges Konzert an das Lärmen einer Menschenmenge. Auf die
gleiche Weise heulten die einheimischen Hunde auf der Insel Lombok,
was in der ersten Nacht auf dem Kriegsschauplatze einen unheimlichen
Eindruck machte. Bei den Dajak wurde man durch das Heulen nur im
Schlaf gestört und zwar hauptsächlich in mondhellen Nächten, die auf
das Hundegemüt eine besondere Wirkung auszuüben schienen.
Nur wenige Häuptlinge, besonders eifrige Jäger, behandeln ihre Hunde
gut, füttern sie reichlich und halten sie nicht, wie die übrigen
Bahau, für gänzlich gefühllos. Für gewöhnlich sind die Hunde infolge
schlechter Behandlung mager, sehr scheu und für Freundlichkeiten
unempfindlich. Doch hängen auch bei den Dajak Herr und Hund auf ihre
Weise aneinander und sobald ein Hund auf einem Zug mit darf, giebt
er seine Zufriedenheit durch Springen und Heulen deutlich zu erkennen.
Die Kajan bedienen sich bei der Jagd keiner besonderen Waffen; sie
gebrauchen Schwert und Speer, die sie stets bei sich tragen; nur gegen
Vögel und kleine Säugetiere verwenden sie das Blasrohr mit vergifteten
Pfeilen. Mit diesen schienen die Jäger, so viel ich beobachtete, nur
schlecht umgehen zu können; sie trafen selbst in kleinen Abständen
nur selten. Wie an einem anderen Ort bereits gesagt ist (pag. 154),
handhaben nur wenige Leute das Blasrohr wirklich gewandt; es sind dies
mit Kajanfrauen verheiratete Punan und Bukat, die ihrer Gewohnheit, in
Wäldern herumzuschwärmen, getreu bleiben. Diese verbringen die meiste
Zeit auf der Jagd statt auf dem Reisfeld und unterhalten auch ihre
Familien mit dem, was die Jagd ihnen liefert. Besonders geschätzt sind
die Hörner der Hirsche, die als Material zu Schnitzarbeiten dienen;
die Gallenblase (_ömpedu_) und Klauen der Bären, welche die Chinesen
zur Bereitung von Arzneimitteln verwenden, die Zähne des borneoschen
Panthers, aus denen Ohrschmuck für Männer und sein Fell, aus dem
Kriegsmäntel hergestellt werden; einen wichtigen Artikel bilden auch
die Bezoare, die runden oder ovalen Steine aus dem Darm oder der Leber
der genannten Tiere, sowie der Affen, Stachelschweine und Schlangen,
die unter dem Namen _gliga_ oder _guliga_ einen hohen Wert besitzen
und vor allem an chinesische Apotheken verkauft werden.
Zum Erlegen der Tiere wird meistens der Speer gebraucht; nur
selten findet man bei den Mendalam Kajan Gewehre und noch seltener
das notwendige Pulver. Da die Gewehre in der Regel von schlechter
Beschaffenheit sind und recht häufig Unglück mit ihnen angestiftet
wird, schiessen die Dajak meist mit abgewandtem Gesicht, was nicht
gerade zur Erhöhung der Treffsicherheit dient.
Im Fangen der Vögel mittelst Schlingen zeigen sich die Kajan auffallend
ungeschickt und das Stellen von Fallen, mit denen andere Stämme
grössere Tiere erbeuten, scheint ihnen gänzlich unbekannt zu sein.
Während meines ersten Besuches am Mendalam wünschte ich, in den Besitz
einiger Argusfasanen zu gelangen, deren schöner Ruf mir öfters aus
dem Walde entgegenklang, die ihrer Scheuheit wegen jedoch beinahe
nur mit Schlingen zu fangen sind. Nur wenige Kajan waren zu dieser
Jagd geneigt und in den ersten Wochen hatte keiner Erfolg. Erst als
ich sehr hohe Preise aussetzte, 10 Dollar für ein Männchen, 5 für
ein Weibchen, begab sich der Schwiegersohn des Häuptlings mit zwei
Leibeigenen, Söhnen von Punan, für einige Tage in den Wald. Mit dem
Blut schienen diese auch die Geschicklichkeit ihrer Väter geerbt zu
haben, denn nach 3 Tagen brachten sie mir einige prachtvolle Exemplare
zurück; nur sie waren auch im stande, mir die verschiedenen Sorten von
Pfeilgift mit den verschiedenen Pflanzenarten, aus denen es gewonnen
wird, aus dem Walde zu holen.
Bei meinem zweiten Besuch 1896 waren diese beiden Jäger auf
weiten Reisen und von einer ferneren Sammlung von Pfeilgiften oder
Argusfasanen war keine Rede mehr.
Zu den gewöhnlichen Haustieren der Bahau und Kenja gehören Schweine,
Hühner, Hunde und Katzen; Pferde, Kühe, Ziegen und Schafe besitzen
sie nicht. Nur seit kurzer Zeit kommen bei einigen Stämmen einzelne
eingeführte Ziegen und Schafe vor, sie werden aber von den Bahau,
wie alle anderen wilden und zahmen Horntiere, noch nicht gegessen. Bei
den Kenjastämmen essen nur die Priester keine Horntiere.
Die Schweine bilden in Mittel-Borneo eine einheitliche Rasse und
stammen wahrscheinlich von den einheimischen wilden Schweinen ab
oder sind doch wenigstens stark mit diesen vermischt; da die Schweine
ständig frei um das Haus herumlaufen und bisweilen tief in den Wald
eindringen, ist eine Vermischung mit wilden Schweinen durchaus nicht
ausgeschlossen. Die Bahau behaupten auch, dass eine Vermischung
wirklich stattfindet. Die jungen Schweine sind braun und schwarz
gestreift wie die wilden Schweine; die älteren Tiere sind meist weiss,
bisweilen auch schwarz.
Die Bahau füttern ihre Schweine so lange gut, als ihre eigenen
Nahrungsmittel es zulassen. Sie werden des Morgens früh, hauptsächlich
aber gegen 4 Uhr nachmittags, nach dem Reisstampfen, gefüttert, da
die Reisspelzen mit Wasser vermengt das Hauptnahrungsmittel für die
Tiere bilden. Ausserdem werden auch unreife Früchte, besonders Papaya,
in Wasser gekocht, als Futter verwendet. Einige wohlhabende Familien
halten sich bisweilen ein Schwein, das stets frei auf der Galerie
des Hauses umherläuft und ausschliesslich mit Reis-, Früchte- und
Gemüseabfällen genährt wird. Diese Tiere werden oft sehr dick, einige
Exemplare wogen sicher 150 kg. Die unter dem Hause frei herumlaufenden
Schweine erreichen niemals diese Grösse und dieses Gewicht.
Die Hühner Mittel-Borneos gehören zu einer Rasse, die sich in nichts
von denjenigen der Malaien unterscheidet. Auch die Kampfhähne gehören
dieser Hühnerrasse an. Tagsüber laufen die Tiere in und unter dem Hause
frei umher und einzelne werden im Walde ein Opfer der Raubtiere. Um
die Küchlein zu beschützen, werden sie jeden Abend eingefangen und mit
der Henne in einem Korbe oben an die Galerie des Hauses gehängt. Die
älteren Hühner schlafen auf dem Dache, auf den Fruchtbäumen oder an
anderen hohen, sicheren Stellen. Die Eier werden als gelegentliche
Opfergaben oft monatelang bewahrt. Nur ab und zu werden frische Eier
von Erwachsenen gegessen; man giebt sie vor allem Kindern.
KAPITEL X.
Von Putus Sibau nach Siut--Besuch bei den Taman Dajak--Verlust
eines Hundes durch ein Krokodil--Nachtlager auf der Geröllbank
Liu Tangkilu--Kampf gegen die Strömung--Aufenthalt wegen des
_telandjang_--Umschlagen eines malaiischen Handelsbootes--Ausflug
auf einen Berg--Eigentümliche Lianen--Fortsetzung der Fahrt bis zur
Gung-Mündung--Aufenthalt wegen schlechter Vorzeichen--Passieren
der "Gurung Delapan"--Nachtlager an der Bungan Mündung--_Bier_
und _Obet Lata_ fallen in den Fluss--Begegnung mit unserer
ersten Gesandtschaft--Ankunft an der Bulit-Mündung--Aufschlagen
der Lagers--Nächtlicher Überfall durch Hochwasser--_Akam Igaus_
Reiseplan--Begegnung mit Bungan Dajak--Aufbruch zum _pangkalan_
Howong--Kalkberge am Bulit.
Hat man die Mendalambewohner nach langdauernden Unterhandlungen
endlich dazu gebracht, sich an einer Expedition zu beteiligen, so
fassen sie ihre Verpflichtungen dafür wirklich ernst auf. Auch jetzt
wieder hatten sie, sorgsamer Weise, die Bootsränder durch zwei Reihen
übereinander gelegter Planken erhöht und die Ritzen mit geklopftem
Baumbast verstopft; diesen auch noch, nach malaiischer Art, mit Harz
zu durchtränken (_dumpul_) halten die Kajan aber für überflüssig;
daher dringt stets etwas Wasser ins Boot und muss von Zeit zu Zeit
ausgeschöpft werden. Um uns 4 Europäer, den Jäger _Doris_ und unser
Hab und Gut vor Sonne und Regen zu schützen, hatten sie mitten im
Boot ein Palmblattdach von 1 m Höhe errichtet, das wenige Tage später,
als wir unter dem dichten Ufergebüsch nicht hindurch fahren konnten,
leider wieder fortgenommen werden musste.
Die Böte waren, je nach ihrer Länge, mit 4-6 Mann besetzt; unser
grösstes Boot hatte eine Länge von 14 m und eine Breite von 80 cm, die
übrigen waren, um besser zwischen den Geröllbänken lenken zu können,
kleiner. Vorn und hinten im Boot sass ein Steuermann, die anderen
nahmen als Ruderer Platz. Malaien und Bahau benützen im Oberlauf
der Flüsse stets 1.60-1.70 m lange Ruder (_bese_), welche bis auf
1/3 der Länge aus einem breiten Brett von hartem Holz bestehen. Alle
hatten ihre eigenen, neuen Ruder mitgebracht und waren auch sonst mit
allem versehen, was sie auf einer Reise über Wasser und durch Urwald
nötig haben konnten. Vor allem hatten sie für ihre Waffenrüstung,
bestehend in Schwert, Blasrohr, Schild, Kriegsjacke und Kriegsmütze
gesorgt; als Unterlage zum Schlafen und als Dachbedeckung hatten sie
einen genügenden Vorrat Palmblattmatten (_samit_) mitgenommen. Die
Reisegarderobe war bei allen sehr schlicht und bestand nur aus 2 oder
3 einfachen Lendentüchern und einem besonders schönen Lendentuch
und Jäckchen, die für die Ankunft bei ihren Freunden am Mahakam
bestimmt waren. Zu meiner grossen Zufriedenheit hatten sie genügend
viel Gerätschaften, wie Beile, Hobel und Meissel mit sich genommen,
um die Böte ausbessern, nötigenfalls im Wald gänzlich neue herstellen
zu können. Alle diese Dinge waren in einem aus gespaltenem Rotang
geflochtenen Tragsacke (_bruit_) verpackt und von jedem Manne in die
Mitte des Bootes zu seinem übrigen Gepäck gelegt worden. Hierdurch
war aber der kleine Raum in der Mitte so angefüllt, dass für unsere
eigenen Güter und Personen nicht viel Platz übrig blieb und die 25
Böte kaum alles bergen konnten.
Der Platzmangel hatte noch eine andere Ursache: wie gewöhnlich
hatten die Ruderer auch diesmal vor der Abreise einen grossen
Vorschuss von ihrem Lohn (1/2 Dollar pro Tag) empfangen und ihn
teilweise dazu verwendet, ihren zurückbleibenden Familien allerhand
notwendige Dinge zu kaufen; grösstenteils hatten sie aber für das Geld
Tauschartikel eingehandelt, um sich für diese am Mahakam Schwerter,
Matten und alte Perlen, die dort besser als am Kapuas zu erhalten
waren, anzuschaffen. In Anbetracht, dass ich das schwere Silbergeld
dann nicht mitzuführen brauchte, um es erst am Mahakam auszubezahlen,
hatte ich den Leuten gern den Vorschuss bewilligt; malaiische und
chinesische Händler in Putus Sibau erzählten mir jedoch bald, dass der
Lohn in der viel umfangreicheren Form von Kattun, Glasperlen und selbst
Salz mitgeführt werden sollte. Wohl wissend, dass hieran nichts zu
ändern war, weil mein Geleite hierüber seine eigene Auffassung besass,
dass es ferner durch Handeln am Mahakam noch einen besonderen Vorteil
aus unserer Reise ziehen konnte, widersetzte ich mich nicht gegen
das Einladen der bisweilen verräterisch dickbäuchigen Tragsäcke. Ich
wusste aus Erfahrung, wie sehr das eigene Interesse am Gelingen der
Expedition meine Kajan allen Schwierigkeiten gegenüber stählte.
Ich war froh, endlich unterwegs zu sein; denn das trockene Wetter
hatte mit einer für Borneo seltenen Standhaftigkeit bereits 3 Monate
angehalten; die Regenzeit nahte, in den letzten Tagen war bereits eine
starke atmosphärische Veränderung eingetreten. Die bis dahin klare,
blaue Luft, in der sich nur oberhalb des fernen Gebirges eine weisse
Wolkenschicht abhob, wurde täglich grauer und bewölkter, so dass die
Regenperiode jeden Augenblick eintreten konnte.
So blickte ich denn bei unserer Abreise voll guter Hoffnung und
Selbstbefriedigung auf die mit vieler Mühe zu Stande gebrachte Flotte
zurück. In langer Reihe fuhren die Böte dicht am Ufer entlang, um so
wenig als möglich durch die Strömung aufgehalten zu werden; aus dem
gleichen Grunde suchten wir auch stets die Innenseite der Buchten auf
und mussten daher während einer Tagreise den Fluss öfters durchqueren.
Der erste Tag bot keine Schwierigkeiten, weil das Wasser besonders
niedrig war; wir konnten sogar Siut erreichen, was uns 1894 und 1896
nicht geglückt war.
Oberhalb Putus Sibau ist der Kapuas nur für Fahrzeuge der Dajak,
_harok_ oder _bung_ genannt, und leichte malaiische Handelsböte
schiffbar. Zwar ist stets genügend Wasser im Fluss vorhanden, aber
sein in der Mitte oder an den Ufern befindliches Geschiebe verengt
ihn bisweilen so stark, dass er bereits bei niedrigem Wasserstande
Stromschnellen bildet und bei Hochwasser selbst für Fahrzeuge der
Eingeborenen schwer passierbar ist. Vor dem verlassenen Nanga Era
trifft man jedoch noch keine Felsen im Fluss oder bergige Ufer; diese
bestehen hier noch aus den alluvialen Ablagerungen des Flusses selbst,
in die er sich stets von neuem sein Bett gräbt.
Wegen des tiefen Wasserstandes, den wir jetzt hatten, fuhren wir 4-5
m unterhalb des Uferniveaus. Zu beiden Seiten erhoben sich steile,
vom Flusse ständig unterspülte Wände. Der Anschnitt zeigte eine
Humusschicht von wechselnder Mächtigkeit und darunter eine 3 m dicke
Schicht von gelbbraunem Sande, vermengt mit pflanzlichen Überresten,
bestehend aus grossen Mengen angehäufter Blätter und Zweige oder aus
übereinander geworfenen Baumstämmen. Unter der Sandschicht kam altes
Flussgeschiebe zum Vorschein, welches ebenfalls, aber in geringerem
Masse, Pflanzenreste enthielt; diese sahen bisweilen der Braunkohle
ähnlich. Die oberste Humuslage war nur einige Dezimeter dick, was
sich wohl daraus erklären liess, dass die Ufer des Kapuas in dieser
Gegend längst des Urwaldes beraubt waren und bereits öfters als
trockene Reisfelder gedient hatten. Daher findet man einen dichten
Waldbestand auch nur da, wo ihn die Taman Dajak als Begräbnisstätte
benützen. Auch an Orten, die durch die Überlieferung geheiligt sind,
wird der Wald geschont.
Die Begräbnisplätze der Taman machen auf den Vorüberfahrenden
eher einen heiteren als einen finsteren Eindruck: die auf Pfählen
stehenden, mit schönen, bunten Zeichnungen verzierten Grabmäler mit
ihren zahlreichen Wimpeln aus rotem und weissem Kattun beleben den
dunkelgrünen Waldesrand. In der Nähe betrachtet wirken die älteren,
verfallenen Grabmäler mit dem wegen der Raubsucht der Malaien halb
vernichteten Hausrat: irdenen Töpfen, Gongen, Rudern, Kleidungsstücken
u.s.w., welche den Toten ins Jenseits mitgegeben werden, allerdings
unheimlich düster.
Die Häuser der Taman werden nicht, wie die vieler anderer Stämme,
alle paar Jahre von ihren Bewohnern verlassen; sie sind daher auch von
zahlreichen alten Fruchtbäumen: Kokospalmen, Duku, Durian, Rambutan
und Blimbing umgeben, die als dunkelgrüne Wäldchen aus Reisfeldern
und Gestrüpp hervorragen. In einiger Entfernung vom Hause bepflanzen
die Taman ganze Felder mit Bananen; die anderen Fruchtbäume würden
dort zu viel von Affen, Eichhörnchen und Vögeln zu leiden haben.
Da unser Zug zum Mahakam bereits monatelang am oberen Kapuas besprochen
worden war, strömte bei unserer Ankunft die ganze Bevölkerung von
Siut herbei und forderte uns auf, in ihren Häusern zu übernachten.
Der Kontrolleur _Barth_ und ich zogen es vor, unser Nachtquartier
im neueren Hause am rechten Ufer aufzuschlagen, während _Demmeni_
und _Bier_ in ihren Böten übernachten wollten. Sie liessen diese mit
dem Vorderteil auf eine Geröllbank ziehen und zwar mit dem Resultat,
dass, als das Wasser nachts noch weiter fiel, der hintere Teil des
Bootes unter Wasser geriet und _Bier_, bei Tagesanbruch, halb im Wasser
liegend erwachte. Das Kajangeleite schlief in den Häusern der Taman,
hatte aber in jedem Boot einen Wächter zurückgelassen.
Die Taman waren erfreut über unsere Ankunft und sahen es, wie
immer, als Ehre an, uns für eine Nacht als ihre Gäste aufnehmen zu
können. Wie auf der vorigen Reise, wurde ich auch jetzt von Leuten,
die um Arzneien baten, überlaufen; hie und da kam auch jemand, in der
Hoffnung auf besseren Erfolg, mit etwas Reis oder Früchten an. Zu
meiner Freude bemerkte ich auch einen meiner früheren Patienten,
den ich bereits 1894 behandelt hatte. Man hatte ihn mir damals
nach Tandjong Narang gebracht, weil er sich durch einen Fall eine
scharfe, hölzerne Pfahlspitze in die Seite, 20 cm weit unter die Haut,
getrieben hatte. Mit Hilfe einiger Schnitte und einer Zange gelang
es mir, das Holzstück zu entfernen. Die Blutung war nicht heftig,
grosse Gefässe waren also nicht verletzt und die Pleurahöhle nicht
erreicht; bei der grossen Widerstandsfähigkeit der Dajak sah der
Fall also nicht so schlimm aus. Obgleich auch das Fieber abnahm,
entwickelte sich doch, einige Tage vor meiner Abreise, eine schwere
Pleuritis. Von einer gründlichen Behandlung konnte keine Rede mehr sein
und so überliess ich den Kranken, nach Erteilung einiger Vorschriften
wegen der Behandlung der Wunde und sonstigen Verpflegung, den Seinen
und der Natur. Glücklicher Weise gelang es beiden, die Krankheit
zu überwinden. Als ich den Patienten jedoch 1896 wiedersah, litt
er so hochgradig unter ständigen Malariaanfällen, dass seine Milz
durch die Bauchwand hindurch als dicke Geschwulst fühlbar war. Ich
hinterliess ihm daher eine grosse Dosis Chinin mit ausführlicher
Gebrauchsanweisung. Mit grossem Eifer musste er den Vorschriften
gefolgt sein, denn er kam mir jetzt als kräftiger Mann entgegen
und brachte mir als Zeichen seiner Dankbarkeit einige Früchte,
allerdings mit der Bitte um eine weitere Dosis Chinin. Bei einer
Untersuchung ergab es sich, dass die pleurae an der verwundeten Seite
noch verwachsen waren, von einer Hypertrophie der Milz oder Leber
war aber nicht mehr viel zu merken.
Allmählich strömten so viele Männer und Frauen herbei, die alle um
Heilmittel baten, dass mein Junge mich durch die Ankündigung, dass das
Essen bereit sei, aus grosser Verlegenheit rettete. Der Beginn einer
Mahlzeit macht nämlich auf alle Dajak grossen Eindruck, sie wagen es
daher nur sehr selten, einen beim Essen zu stören, dagegen kommen sie
nie auf den Gedanken, dass einem auch beim Ankleiden und Zubettegehn
ein allzu grosses Interesse der Umgebung unliebsam sein könnte.
Nach dem Essen stellte es sich heraus, dass der Tag nicht ganz ohne
Unfall verlaufen war; denn der Jäger _Doris_ kam mit der Meldung, dass
einer unserer Hunde während der Fahrt von einem Krokodil aufgefressen
worden war. _Doris_, der mit einigen anderen Halbblutfreunden in
Batavia für die Wildschweinjagd eine grosse Koppel Hunde hielt, hatte
zwei der besten Exemplare mitgenommen; es waren kleine, kurzhaarige
Tiere mit spitzem Kopf und spitzen, aufrechtstehenden Ohren, die
für Treibjagden sehr geeignet zu, sein schienen. _Doris_ hatte die
Hunde, weil sie an das Fahren in Böten nicht gewöhnt waren, längs
dem Ufer laufen lassen. Da wir aber der Strömungen wegen öfters die
Ufer wechseln mussten und _Doris_ den Dajak ausserdem zeigen wollte,
dass seine Hunde ebensogut schwimmen konnten als die ihrigen, hatte
er sie mehrmals den Fluss durchqueren lassen. Bei dieser Gelegenheit
kam neben einem der Hunde plötzlich der Kopf eines Krokodils zum
Vorschein, der sich dem erschreckten und bellenden Tiere bedächtig
näherte und es unter Wasser zog, bevor man den frechen Räuber durch
einen Gewehrschuss verjagen konnte.
Um meinen Vorrat an Arzneien, der tatsächlich für die Mahakambewohner
bestimmt war, nicht zu sehr anzugreifen und um den niederen Wasserstand
noch auszunützen, fuhren wir gleich nach Sonnenaufgang weiter; wir
frühstückten auf einer Geröllbank in der Nähe von Lunsa, machten
jedoch weder bei dieser Niederlassung noch bei Lunsa Ra, einem
kleinen Pnihinghause, dem letzten am oberen Kapuas, Halt. Auch diese
Dörfer waren bereits aus der Ferne an ihren Bananenanpflanzungen
erkennbar. Auf unserem Zuge 1894 hatte ich in einem Punanhause an
der Mündung des Era übernachtet, jetzt war von dem ganzen Gebäude
nichts als ein einziger aufrechtstehender Pfahl bemerkbar. Bis auf
50 m Abstand vom Ufer hatten Bäume und Sträucher den ganzen Platz,
auf dem das Haus gestanden, eingenommen und waren dabei so von Lianen
überwuchert worden, dass man sich nur mit Hilfe eines Beiles einen
Durchgang hätte verschaffen können.
Im Laufe des Tages fuhren wir an einer Reihe kleiner Inseln,
waldbedeckten Geröllbänken, vorüber, die hie und da das Flussbett
sehr verengten, bei diesem niedrigen Wasserstande jedoch keine
Schwierigkeiten verursachten. Wir erreichten noch am selben Tage Liu
(= Insel) Tangkilu, eine am linken Ufer des Kapuas in einer Bucht
gelegene Geröllbank, die unseren zahlreichen Böten einen vorzüglichen
Schlupfwinkel für die Nacht lieferte. Hier fanden wir noch Spuren
der kleinen Reisfelder der Punan aus dem verlassenen Hause von
Nanga Era und befanden uns somit an der Grenze des sogenannten
Punangebietes, wo feste Niederlassungen nicht mehr vorkommen und
wo nur die nomadisierenden Stämme der Punan und Bukat die ständigen
Bewohner der Urwälder bilden.
Der ganze Charakter der Gegend verkündete den Anfang eines neuen
Gebietes. Mächtige Waldriesen zu beiden Uferseiten breiteten ihre
Äste so weit über den 50-60 m breiten Fluss aus, dass sie einander
berühren zu wollen schienen.
Hart am Uferrand wuchsen Bäume, die in ihren hohen, breiten
Bretterwurzeln genügende Stütze fanden, um ihre meterdicken Stämme
und schweren Kronen in horizontaler Richtung über den Fluss beugen
zu können. Bei Hochwasser sind die Stämme oft auf eine Länge von
ungefähr zehn Metern überschwemmt und auch jetzt konnten wir nur
mit Mühe unter ihnen hindurch fahren. Auffallender Weise kommt in
den Urwäldern von Mittel-Borneo längs den Flussufern stets nur diese
eine Art von Bäumen vor, während man in einiger Entfernung vom Ufer
überhaupt mir selten zwei oder drei Exemplare der gleichen Spezies
beieinander stehend findet. Die Früchte dieser Bäume sind essbar,
werden aber nie gross, so dass nur Kinder sich bemühen, den Fischen
die Ernte streitig zu machen. Infolge ihres eigentümlichen Wuchses
und der Steilheit der Ufer des Kapuas, zog sich das grüne Dach dieser
Urwaldbäume vom Wasserspiegel an in breiten, welligen Falten bis
Hunderte von Metern an den Wänden der Kluft hinauf.
Ergriffen von dem grossartigen und geheimnisvollen Charakter unserer
Umgebung nahmen wir in feierlicherer Stimmung als gewöhnlich unser
Mahl ein und begaben uns früh zur Ruhe. Wir hatten hoch oben auf
der Bank Zelte und in diesen unsere Klambu aufschlagen lassen, nur
_Bier_ bestand, trotz seines Unfalles in der vergangenen Nacht,
darauf, wieder in seinem Boot zu schlafen. Nachts fiel aber ein
kurzer, heftiger Regen, der seine Lagerstätte, diesmal von oben,
vollständig durchnässte. Als aber morgens die Sonne wieder schien und
der Wasserstand sich noch als günstig erwies, zogen wir in heiterer
Stimmung in das unbewohnte Gebiet hinein. Weiter oberhalb musste aber
doch viel Regen gefallen sein, denn im Laufe des Morgens stieg das
Wasser, was uns das Passieren verengter Stellen und überhängender
Bäume sehr erschwerte. Als an einer Stelle ein quer im Fluss halb
unter Wasser liegender Baumstamm umfahren werden musste, schien das
grosse Boot von _Tigang Aging_, in dem sich der Kontrolleur befand,
der Mannschaft zu schwer zu werden; denn die besonders bei steigendem
Wasserstande heftige Strömung drohte das Boot, sobald sich sein
vorderer Teil um das Ende des Baumes dem Ufer zuwandte, der Länge
nach an den Stamm zu drücken, wodurch das von unten reissende Wasser
das Boot zweifellos erst in schiefe Stellung und dann zum Umschlagen
gebracht hätte. In der Mitte des Flusses wiederum konnte gegen
die starke Strömung überhaupt nicht gefahren werden. Zwei Männern,
die erst auf den Baumstamm und dann in das Wasser gesprungen waren,
gelang es endlich, die Spitze des Bootes so lange gegen die Strömung
zu halten, bis die übrigen Leute mit ihren Stangen am Ufer eine Stütze
gefunden hatten.
Wir kamen aber doch noch ein gutes Stück vorwärts, wohl mit Hilfe des
_telandjang_, des wahrsagenden Vogels, der sich günstiger Weise am
rechten Ufer hören liess. Es war für die Kajan eine grosse Beruhigung,
dass nun auch der _telandjang_ seine Zustimmung zum Unternehmen
gab; sie hatten ja vor unserer Abreise an der Mündung des Mendalam
vergeblich auf ihn gewartet. Uns kostete diese Seelenberuhigung unseres
Gefolges jedoch zwei Nächte Aufenthalt (_melo njaho)_, da die Religion
den Kajan vorschreibt, an der Stelle, wo sich der Vogel gezeigt hat,
das Lager aufzuschlagen. Allein die Überzeugung, dass unsere Leute nur
auf diese Weise mit Vertrauen unseren weiteren Zug mitmachen würden,
brachte mich dazu, ihrem Aberglauben wiederum zwei kostbare Reisetage
zum Opfer zu bringen.
Abends sassen wir still in unserem Waldlager, die einen mit Lektüre,
die anderen mit allerhand Kleinigkeiten beschäftigt, als 6 Malaien
in einem kleinen Boote flussabwärts gefahren kamen und uns um Hilfe
baten. Sie hatten nämlich etwas oberhalb unseres Lagers mit einem
grossen Boot voll Handelswaren an einem Felsen, den sie umfahren
mussten, Schiffbruch gelitten; die reissende Strömung hatte das
Boot gegen einen halb unter Wasser liegenden Stein geworfen und zum
Umschlagen gebracht. Die unglücklichen Leute hatten nichts übrig
behalten und baten um ein Unterkommen.
In unserer Ruheperiode war es jedoch _lali_, mit irgend welchen
anderen Menschen in Berührung zu kommen, und die armen Tröpfe
kannten das unerbittliche Festhalten der Kajan an ihrer _adat_ zu
gut, um überhaupt noch einen Schritt bei mir zu wagen, und zogen mit
hungrigem Magen weiter nach Lunsa.
Für die Meinen bildete das Missgeschick der Malaien einen
Glücksfall. Da die _adat_ ihnen bei Tageslicht einen kleinen Ausflug
gestattete, fuhr _Tigang_ in Gesellschaft einiger Stammesgenossen
in einem leeren Boote den Kapuas hinauf, um die Unglücksstätte zu
untersuchen, und kam abends mit einem Gong zurück, den sie durch
Tauchen aufgefischt hatten.
Nachts fiel das Wasser, daher machten sich am zweiten Tage des _melo_
beinahe alle Kajan auf, um ebenfalls etwas von den verunglückten
Habseligkeiten aufzufischen. Vor Einbruch der Dunkelheit mussten
alle wieder zurück sein, aber sie hatten ihre Zeit augenscheinlich
gut angewandt, denn beinahe jeder brachte ein Beutestück mit. Von
den aufgefischten Leckerbissen, die eigentlich für die malaiischen
Buschproduktensucher am oberen Kréhau bestimmt waren, genossen die
Kajan leider nicht viel, da sie ihnen unbekannt waren.
Der eine verzehrte auf ein Mal eine ganze Büchse Sardinen, so dass ihm
übel wurde, der andere leerte eine grosse Flasche mit konzentriertem
Himbeerensirup und bekam Magenbeschwerden und selbst der glückliche
Besitzer des erbeuteten Gongs beunruhigte sich seines zweifelhaften
Eigentumsrechtes wegen.
Wir übrigen hatten inzwischen, um eine Aussicht über unsere Umgebung
zu erlangen, einen, nach den Aussagen der Leute günstig gelegenen Hügel
bestiegen. Auf dem Gipfel des Berges angelangt standen wir jedoch, wie
es uns häufig bei noch viel höheren Bergen passierte, in einem ebenso
dichten Urwald als an seinem Fuss und einen Ausblick zu erlangen war
also unmöglich. Um uns für unsere Enttäuschung etwas zu entschädigen,
machten uns unsere Begleiter auf einige botanische Merkwürdigkeiten
aufmerksam, von denen zwei Lianen allerdings interessant genug
waren. Sie hiessen "_aka kahir_" und "_aka hiling_" und bildeten
wahre Milch- und Wasserquellen, wenn man ihre Stämme durchschnitt und
vertikal hielt. Im übrigen brachten wir von diesem Ausflug nicht viel
mehr heim als ermüdete Gliedmassen.
Die im Lager zurückgebliebenen Kajan hatten uns unterdessen eine
Überraschung bereitet und das dichte Ufergebüsch vor unserer Hütte
umgehackt, so dass wir jetzt eine freie Aussicht genossen. Das
gegenüberliegende Ufer lag nun in seiner ganzen Grossartigkeit vor
uns. Die in allen Schattierungen von Grün prangenden Abhänge stiegen
300 m an und wurden von einer hohen, beinahe senkrechten, nackten Wand
abgeschlossen. Die Wand trug eine schwere Decke von hohen Stämmen,
deren zum Flusse hin frei entwickelte Kronen auch in dieser bedeutenden
Entfernung ihren verschiedenen Charakter erkennen liessen.
Der Eindruck dieser Umgebung wurde nicht wenig durch die scheinbar
völlige Abwesenheit tierischen Lebens erhöht. Die kleinen Vögel
in den weit entfernten Baumkronen fielen nicht auf und nur selten
bemerkte man einige Rhinozerosvögel, die in grosser Höhe über den
grünen Wellen vorüberschwebten. Nur der Argusfasan liess seinen
hellen, vollen Ruf von nah und fern ertönen und zeugte von der reich
entwickelten Tierwelt des tropischen Urwaldes, von der der Mensch
trotz aller Anstrengung nur einen sehr kleinen Teil wahrnehmen kann.
Am anderen Morgen, den 24. August, begannen die Kajan, vergnügt über
den günstigen Wasserstand, bereits bei Sonnenaufgang unsere Kisten
und den Reis in die Böte zu verteilen, verpackten unsere Klambu und
brachen das Zelt ab, so dass wir, als das ganze Kapuastal noch in
Morgennebel gehüllt war, bereits in unseren Böten sassen und unter
den besten Auspizien flussaufwärts fuhren. Nach Übereinkunft sollten
wir unsere erste Mahlzeit an der Stelle halten, wo das malaiische
Handelsboot gesunken war, denn meine Ruderer wollten während der
Vorbereitungen zum Mahl noch einige Habseligkeiten herausfischen.
Nach einer Stunde erreichten wir die Unglücksstätte, ein Becken
unterhalb Pulau Balang, in welchem hervorragende Felsblöcke in der
Mitte und zu beiden Seiten so heftige Strudel verursachten, dass wir
auch jetzt, bei niedrigerem Wasserstande, nur dank der Geschicklichkeit
und Anstrengung der ganzen Bemannung vorwärts kamen. Die Verunglückten
hatten versucht, ihr Boot längs eines Felsvorsprunges des linken
Ufers über eine kleine Stromschnelle hinaufzuschaffen, und ihre Ladung
war beim Umschlagen in das durch Felsblöcke vom Flusse abgeschiedene
Becken gesunken.
Auch musste eine grosse Menge Reis gesunken sein, denn noch jetzt
liessen sich auf dem Grunde des Wassers dicke, weisse Schichten
erkennen. Gleich nach unserer Ankunft entledigte sich ein Teil der
jungen Männer seiner ohnehin spärlichen Kleidung und verschwand im
Becken, während andere überlegten, wohin die Strömung noch weitere
Gegenstände weggeführt haben könnte. Ausser einigen Flaschen und
Konservenbüchsen wurde noch ein Gong zum Vorschein gebracht, aber
die leichteren Sachen, wie Packen Kattun, mussten vom Wasser bereits
fortgetragen worden sein. Die Taucher blieben in ihrem Eifer bisweilen
so lange unter Wasser, dass ich besorgt wurde. Sie berichteten,
dass noch viele Säcke Reis am Grunde lagen, aber dass das Wasser zu
tief sei, um sie hervorholen zu können; übrigens war der Reis durch
das lange Liegen im Wasser sicher auch schon verdorben. So konnten
denn die Kajan nach dem Essen mit ruhigem Gemüt von diesem kostbaren
Fleckchen Abschied nehmen und ihre Aufmerksamkeit darauf richten,
uns selbst wohlbehalten über alle Strudel hinwegzubringen.
An der Mündung des Kréhau trafen wir einige zwanzig malaiische
Händler mit ihren Warenböten, die unseren neugierigen Kuli die
neuesten Nachrichten über die Buschproduktensucher am Kréhau und die
Einzelheiten des Schiffbruchs berichteten.
Teils mit Rudern, teils mit Stangen kämpfte die Bemannung immer
weiter gegen das wilde Wasser des Kapuas an. Durch das ständige
Schaukeln des Bootes und die warme Mittagssonne in einen leichten
Halbschlummer eingewiegt vernahm ich das Krächzen einiger Krähen in
den Uferbäumen und wurde so im Traume über Meere und Weltteile nach
einem kleinen Fleckchen Europas geführt, wo kühle Winde auf frischen
Wiesen Mühlen treiben.
Bald aber verlangte eine besonders schwierige Stelle wieder die ganze
Kraftanspannung meiner braunen Ruderer, deren Stimmbänder, während
sie einander mit lauten Zurufen anfeuerten, in gleicher Weise wie
ihre Muskeln angestrengt wurden. Meine Gedanken wurden dadurch bald
in die Wirklichkeit; zum Kapuas, zurückgeführt und ich erfreute mich
an der Geschicklichkeit und dem Eifer meiner Kajan, die mit ruhiger
Sicherheit alle Schwierigkeiten zu überwinden wussten.
Wir kamen diesmal auch viel weiter als auf der vorigen Reise und
fuhren auch an Long Mensikai vorbei, dessen üppige Vegetation jetzt
nicht mehr erraten lässt, dass der Ort einst bebaut und von Menschen
bewohnt gewesen ist.
Das kleine Stück Himmel, das zwischen den Uferbäumen sichtbar war,
kündigte uns Unwetter und Regen an; wir waren daher froh, dass wir
unseren Zug noch bis zur Mündung des Gung forsetzen und auf einer
Geröllbank (_neha Barau_) unser Lager aufschlagen konnten.
Sehr unangenehm berührte mich am anderen Morgen _Akam Igaus_ Vorschlag,
dass wir an diesem Tage nicht weiter fahren sollten, weil er schlecht
geträumt und ein anderer nachts den _bilang_, einen Baumgecko, gehört
hatte. Im Hinblick auf die herandrohende Regenzeit musste ich das
Äusserste wagen, um _Akam Igau_ von seinem Aberglauben abzubringen und
rief daher _Tigang Aging_ und noch einige der wichtigsten Häuptlinge zu
einer Beratung zusammen. Es war mir bereits früher aufgefallen, dass
_Akam Igau_ auf dieser Reise ganz besonders an den Vorzeichen hing,
weil seine beiden jungen Söhne, _Adjang_ und _Djawè_, zum ersten Mal an
einem grossen Zuge teilnahmen. Ich hatte also nicht viel Nachgiebigkeit
seinerseits zu erwarten und spielte daher die Missgunst des _Tigang
Aging_, der nicht geträumt hatte und zur Weiterreise geneigter war,
gegen ihn aus. Ich gab zu erkennen, dass ich, nachdem beim Beginn der
Reise alle Vorzeichen als günstig befunden worden waren, eine weitere
ernsthafte Unterbrechung unseres Zuges wegen der Vorzeichen nicht mehr
wünschte, dass ich es auch so mit _Kwing Irang_, dem grossen Häuptling
am Mahakam, gehalten hatte, der sich, wenn er den _bilang_ hörte, mit
einer Scheinexpedition begnügt hatte, und dass ich überzeugt war, dass
_Tigang Aging_ ebenso gehandelt hätte. Letztere Bemerkung reizte _Akam
Igau_ am meisten, wenigstens zeigte er sich zur Weiterreise bereit,
nur wollte auch er vorher mit allen Kajan bis zu der Stelle hinziehen,
wo der _bilang_ sein "tjok, tjok" hatte ertönen lassen. Der Sinn einer
solchen Expedition scheint darin zu bestehen, dass man dem wahrsagenden
Tier, das eine Weiterreise verbietet, durch einen Spaziergang im
Walde weismacht, man setze die Reise in der Tat nicht fort.
Um die Gemüter in gute Stimmung zu versetzen, versprach ich für
diesen Tag einen Extralohn von 1/2 Dollar, falls es uns gelänge, die
kommenden 8 Wasserfälle "Gurung Delapan" zu passieren und den Bungan
zu erreichen. Diese "Acht Wasserfälle" bilden nämlich für die Fahrt
auf dem oberen Kapuas das Haupthindernis. Der Fluss drängt sich hier
zwischen zwei Bergrücken hindurch in einem Bette, das die grossen
Wassermassen oft nicht fassen kann; ausserdem werden die zum Teil
haushohen Felsblöcke am Ufer bei Hochwasser durch die Strömung rund
und glatt geschliffen. Diese Felswüstenei erstreckt sich 600 m längs
des Flusses, der brausend und schäumend durch das unregelmässige Bett,
das er sich selbst im Laufe der Zeit gegraben hat, hindurchschiesst.
Bei dem niedrigen Wasserstande, den wir jetzt glücklicher Weise hatten,
legten wir die Strecke bis zu den Wasserfällen in kurzer Zeit zurück
und landeten guten Mutes unterhalb eines haushohen Sandsteinblockes
am linken Ufer. Der Block benahm uns zwar die Aussicht auf den
"Gurung Delapan", beschützte aber unsere Böte vor den seitlich
vorbeischiessenden Wassermassen. Während wir beschuhten Europäer nach
einiger Übung beim Gehen auf Baumstämmen oder über Flussgeröll noch
eine erträgliche Figur bilden, ist es auf einem Terrain wie dem vor
uns liegenden um unsere Haltung bald geschehen. Bereits das Verlassen
des kiellosen Bootes, das schaukelnd und ächzend zwischen den anderen
auf dem bewegten Wasser lag, erforderte Überlegung und Balancierkunst,
und gleich der erste Tritt auf dem nassen, runden, glatten Felsblock am
Ufer war ein Wagstück. Trotz unserer gut beschlagenen Sohlen wurde uns
das Vorwärtskommen über und zwischen diesen glatten Steinmassen sehr
schwierig, während die barfüssigen Kajan, schwer belastet, den langen
Weg nach oben mit viel Würde und Bedachtsamkeit zurücklegten. Auch
die kleinsten Päckchen mussten aus den Böten genommen und über
die Felsen bis oberhalb der Wasserfälle getragen werden, so dass
es Stunden dauerte, bevor man an den Transport der Böte denken
konnte. Mit Rudern und Stangen war in diesem Wasserchaos nichts
anzufangen; daher holten die Kajan aus dem Walde lange Stücke Rotang,
von der Stärke dicker Taue, und befestigten sie vorn und hinten an den
beiden Bootsenden. Die gewandtesten Männer erfassten die Rotangenden,
kletterten auf den Felsen, zogen die Böte erst um den schützenden
Block herum und dann längs dessen Fusses hin die Fälle hinauf. Sind
die Umstände günstig, so riskiert es ein Mann, im Boote zu bleiben,
um dessen Anprall an die Felswände zu verhindern. Auf diese Weise
wurde ein Boot nach dem anderen um die verschiedenen vorspringenden
Felsblöcke bugsiert, ein mühevolles und zeitraubendes Werk.
Der Zug der Gepäckträger über die Felsen bot ein lebendiges
und belustigendes Schauspiel; denn der Transport so vieler Güter
stellte auch an die hoch entwickelte Kletterkunst der Kajan grosse
Anforderungen und, sobald Form und Gewicht des Packens ein Tragen
auf dem Rücken nicht zuliessen, schwankte der Träger ununterbrochen,
und so manches Ausgleiten hatte einen Fall zur Folge.
Noch lebhafter und aufregender ging es auf der Wasserseite zu; hier
entfalteten die Dajak eine solche Kraft, Umsicht und Fertigkeit, dass
auch ein an dergleichen wilde Schauspiele Gewohnter von Bewunderung
erfüllt werden musste. Da jeder, durch die Anspannung erregt, dein
anderen' über das Gedonner des Wassers hin etwas zuzuschreien versucht,
herrscht überall ein scheinbares Durcheinander; in Wirklichkeit
weiss aber jeder genau, was er zu tun hat. Das Boot wird durch die
beiden Rotangseile in der richtigen Stellung gehalten und prallt nur
selten an die Felswände an. Während die erste Gruppe bereits einen
neuen Felsblock erklimmt, steht die zweite oft bis über die Mitte im
Wasser und hält das hintere Seil straff, um das Boot nicht anstossen
zu lassen; dann wird auch dieses Seil nach oben geholt und so geht
es langsam weiter. Ein Europäer tut unter solchen Verhältnissen am
besten, sich jeder Einmischung zu enthalten und ganz dem Rat der
sorgsamen Häuptlinge zu folgen.
Bei dem vorhandenen günstigen Wasserstande liess man mich,
als die gefährlichsten Stellen überstanden waren, im Boote Platz
nehmen. Nachdem wir mit einigen Böten bereits ein gut Stück vorwärts
gekommen waren, stand ich einen Augenblick allein in dem meinigen,
um die Ankunft der übrigen zu erwarten. Da fing das Wasser plötzlich
mit solcher Geschwindigkeit an zu steigen, dass ich allein nicht im
stunde war, den einen Rand meines Bootes; der eben noch frei unter
einem vorspringenden Felsrand geschaukelt hatte und jetzt unter diesem
eingeklemmt war, zu befreien. Das Boot neigte sich sogleich stark,
aber einige Dajak sprangen in den Fluss und ich auf den Felsblock
und so glückte es diesmal, mein Boot vor dem Umschlagen und einige
meiner Güter vor einem unwillkommenen Bad zu behüten.
Mit dem immer schneller ansteigenden Wasser vermehrten sich alle
Schwierigkeiten derart, dass an ein Überschreiten der Wasserfälle
nicht zu denken gewesen wäre, wenn wir nicht bereits den halben
Weg zurückgelegt gehabt hätten und nicht der Rückzug ebenso viel
Hindernisse wie das Vorwärtsgehen verursacht hätte.
Unsere weitere Fahrt bestand in einem heftigen Kampfe mit den tobenden
Wellen. Bald im Boote schaukelnd, bald im dornigen Uferwalde allein
einen Weg suchend überliess ich die Bestimmung über meine Person
und Habe gänzlich meiner Mannschaft. Bald nach Mittag glaubte ich,
an einzelnen grossen Felsblöcken am Ufer zu erkennen, dass wir die
eigentlichen Fälle überwunden hatten. Obgleich ich bereits zwei Mal den
Kapuas hinaufgefahren war, konnte ich doch in dem schnellfliessenden,
unruhigen Strom nicht das stille Wasser, das sich von hier bis zur
Mündung des Bungan hinziehen musste, nicht erkennen.
Die Felsblöcke am Ufer, die das Flussbett verengten und mich stets
wieder das Boot zu verlassen zwangen, verschwanden jetzt, aber die
Schwierigkeiten verminderten sich darum nicht. Die heftige Strömung
konnte nur mit der grössten Kraftanspannung und dadurch, dass man an
der Innenseite der Buchten entlang fuhr, überwunden werden. Zu diesem
Zweck mussten wir immer wieder die hoch brausende Mitte des Flusses
durchqueren, ein Wagstück, das nur wenige Dajak zu unternehmen sich
getrauten. Ihrem Beispiel folgend stellten die übrigen ihr Boot in
einem bestimmten Winkel gegen die Stromrichtung, ruderten aus aller
Macht und kamen so hinter einer beschirmenden Landzunge zum Vorschein,
um im nächsten Augenblick von der rasenden Strömung der Flussmitte
gepackt und mit schaudererregender Schnelligkeit gegen das andere
Ufer geschleudert zu werden. In solch einem Augenblick spannte die
Bemannung zuerst alle Kräfte an, um den ersten Anprall der Bootspitze
gegen das Ufer zu verhindern; war dies geglückt, so sprangen alle im
Fahrzeug in die Höhe, ergriffen die Stangen und suchten nun auch den
Anstoss der Bootsränder zu brechen.
Die Bewegungen, die die langen, schmalen Fahrzeuge ausführten, waren
äusserst unangenehm und sicher ist, dass ich dem Himmel dankte,
als uns nachmittags gegen 4 Uhr die braunen Wellen des Kapuas nicht
mehr an das andere Ufer, sondern in das stille, dunkle Wasser seines
Nebenflusses, des Bungan, warfen, der sich wie ein See unter dem
Gewölbe der überhängenden Uferbäume hinzog.
In der folgenden Nacht legten sich die Kajan, erschöpft von allen
Anstrengungen, ohne andere Bedeckung als ihre Matten, auf der ersten
besten Geröllbank zur Ruhe nieder. Wir Europäer verbrachten die Nacht
in einer schlecht gebauten Hütte mit der beruhigenden Überzeugung,
dass uns ein Regenfall im Bungangebiet nur einen und nicht mehrere
Tage Aufenthalt verursachen würde, wie in dem so viel grösseren
Gebiete des Hauptflusses.
Nachts bereits begann der Bungan zu steigen und beim Erwachen mussten
die Kajan vor seinem verräterisch braunen Wasser von der Bank an
das höhere Ufer flüchten; der stille See von gestern stürzte jetzt
schäumend an uns vorüber. An eine Forsetzung der Reise war nicht zu
denken und so genossen meine Kajan einen wohlverdienten Ruhetag.
Ebenso schnell wie das Wasser gestiegen war, fiel es auch wieder und
wohlbehalten und erfrischt konnten wir am anderen Morgen den Bungan
aufwärts ziehen. Das Wasser hatte gerade die richtige Höhe. Ist es
niedriger, wie es auf meiner früheren Reise der Fall war, so muss die
Bemannung nebenherlaufend das Boot über die Steine des Flussbettes
ziehen, eine viel ermüdendere Arbeit als das Vorwärtsstossen mit
Stangen (_gala_). Trotzdem all unser Gepäck beim Überschreiten der
zwei folgenden Wasserfälle, des Gurung Bakang, wo _Georg Müller_
1825 ermordet wurde, und des Gurung Langau über Land getragen werden
musste, legten wir an diesem Tage doch über die Hälfte des Weges bis
zur Mündung des Bulit zurück.
Durch einen kleinen Unfall lernte _Bier_ an diesem Tage das Fahren
in Dajakböten. Er glaubte nämlich anfangs, ebensogut hoch oben auf
ein paar Kisten als am Boden des Bootes, wie alle übrigen, sitzen zu
können. In einer Stromschnelle verlor aber der Führer seines Bootes,
_Obet Lata_, das Gleichgewicht, suchte unwillkürlich an ihm einen
Halt und riss ihn mit sich in den Fluss. Zum Glück kehrten beide
wohlbehalten in ihr Boot zurück.
Der gleich günstig gebliebene Wasserstand veranlasste uns auch am
folgenden Morgen, früh aufzubrechen. Vor der Mündung des Bulit hatten
wir keine Wasserfälle mehr zu passieren und so erreichten wir bereits
gegen Mittag die Verbreiterung, in der Pulu (= Insel) Daru liegt. Ein
fröhlicher Sonnenschein, der uns aber in der Tiefe der Kluft, unter
dem überhängenden Grün des Gebirgswaldes, nicht erreichen konnte,
belebte das Bild. Als sich hie und da Fische zeigten, konnten einige
Kajan dieser Versuchung nicht widerstehen, holten ihre Wurfnetze
hervor und begannen ihr Glück zu versuchen. Da vernahmen wir zu
unserer aller Freude unter der dunkelgrünen Halle, die sich über uns
ausspannte, das Plätschern von Rudern und bemerkten auch bald die auf
dem Rückwege begriffenen Böte von _Seniang_ und _Akam Lasa_. Diese
hatten bei dem trockenen Wetter eine sehr günstige Reise gehabt, alle
Vorräte unversehrt zum Bulit gebracht und dort auch die drei Männer,
die unser Gepäck bewachten, angetroffen; diese befanden sich sehr wohl,
sehnten sich aber in ihrer Einsamkeit sehr nach unserer Ankunft.
_Akam Lasa_ und _Seniang_ bekamen noch, als vorläufig letzten Gruss an
die gebildete Welt, einen Pack Briefe mit nach Putus Sibau und setzten
dann ihre Heimreise fort; auch wir verliessen den freundlichen Ort,
um noch Long Bulit zu erreichen.
Im Laufe des Nachmittags wurde uns die Fahrt auf dem stillen Wasser
unter hohen Uferbäumen und Girlanden herabhängender Lianen durch
einen Regen verdorben. Da der Regen immer stärker wurde und alle,
die keinen Mantel besassen, bis auf die Haut durchnässte, begrüssten
wir mit Freuden die Reihe Felsblöcke, welche die Mündung des Bulit
beinahe abschliesst.
Hier hatten die drei Wächter bereits eine Leiter zur Ersteigung des
hohen Uferwalls und Gerüste für unsere Hütten hergestellt, so dass
nur noch das Segeltuch aus den Böten geholt zu werden brauchte, um
uns ein schützendes Obdach vor dem Sturzregen zu verschaffen; bei
hungrigen und ermüdeten Menschen ruft der Regen auch in den Tropen
eine sehr unangenehme Stimmung hervor. Für uns Europäer gab es aber
so viel Interessantes zu hören, dass nach dem Wechsel der nassen
Kleider die letzten Unannehmlichkeiten bald vergessen waren.
Mehr als drei Wochen hatten die Wächter allein, mitten in diesem nur
von den nomadisierenden Stämmen der Bukat und Bungan Dajak durchzogenen
Urwäldern, zugebracht; sie hatten sich aber nie geängstigt. Bereits
wenige Tage nach ihrer Ankunft hatte sich das Gerücht von ihrer
Anwesenheit mit so vielen guten Esswaren auch in diesen weiten Wäldern
verbreitet. Erst waren ein paar Bunganmänner auf Kundschaft gekommen
und, nachdem man sie freundlich empfangen hatte, folgten bald auch
Frauen und Kinder, die alle ein Geschenk an Reis und Tabak erhielten,
das für sie einen ganz besonderen Glücksfall bedeutete. So gestaltete
sich den drei Männern die Einsamkeit noch erträglich und die Ungeduld
wurde ihnen nicht zu quälend.
Da in den letzten Jahren alles niedrigere Gehölz der nächsten Umgebung
von vorüberreisenden Gesellschaften zum Bau von Lagern gefällt worden
war und unser zahlreiches Geleite es zu mühsam fand, Holz von weiter
her zu beschaffen, übernachteten sie in sehr primitiven Hütten auf
den Geröllbänken unten im Fluss. Auf einen trockenen Abend folgte
aber eine nasse Nacht. Wir schliefen noch nicht lange, als wir von
einer allgemeinen Unruhe am Flussufer geweckt wurden. Der Regen vom
Nachmittag musste auch in einem Teil des Stromgebietes des oberen
Bulit gefallen sein; denn das Flüsschen stieg innerhalb einer halben
Stunde um zwei Meter und seine Wassermassen überfielen plötzlich die
Schläfer auf der Bank.
Die Gesellschaft musste so schnell nach oben flüchten, dass einige
ihr Hab und Gut nicht mehr in Sicherheit bringen konnten und zusehen
mussten, wie ihre Tragkörbe mit dem so kostbaren Inhalt von dem
Strome fortgerissen wurden. Während des folgenden Tages stieg und
fiel das Wasser abwechselnd. An eine Fahrt auf dem Bulit war nicht
zu denken, daher widmeten wir uns ganz dem Ordnen des Gepäckes, das
uns, seines Umfanges wegen, trotz der ansehnlichen Trägerzahl für den
Landtransport viel Schwierigkeiten verhiess. Daher kam _Akam Igau_
mit dem Vorschlag, nicht wie auf der letzten Reise südlich vom Berge
Lekudjang zum Penaneh zu ziehen, sondern durch das Tal des oberen
Bungan und seines Nebenflusses, des Betjai, nördlich vom Lekudjang,
den Howong, einen Nebenfluss des Mahakam, zu erreichen. Der Weg über
den Penaneh führte nämlich über die zahlreichen Bergrücken, welche die
südlichen Quellflüsse des Bungan trennen, ausserdem waren die Pnihing,
die früher am oberen Penaneh wohnten und uns auf der Reise 1896 die
erste Hilfe im Mahakamgebiet geleistet hatten, inzwischen an einen
weiter unter am Fluss gelegenen Ort gezogen, so dass wir diesmal einen
viel weiteren Weg selbständig zurückzulegen gehabt hätten als damals.
Um an den Howong zu gelangen, konnten wir erst dem Bungan und dann dem
Betjai bis zur Wasserscheide folgen, hatten diese dann auf bequemem
Pfade zu überschreiten und zum Howong hinunterzusteigen. Dort wohnte
seit langer Zeit ein Pnihingstamm, der uns beim Transport helfen und
nötigenfalls auch mit Reis versehen konnte.
In Anbetracht dass auch _Georg Müller_ im Jahre 1825 diesem Weg,
allerdings in umgekehrter Richtung, gefolgt war und dass er überdies
für mich neu war, ging ich gern auf _Akam Igaus_ Vorschlag ein, und
wir beschlossen, nur bis zum _pangkalan_ (Halteplatz beim Beginn
des Weges zum ...) Howong den Bulit aufwärts zu fahren und nicht,
wie in den Jahren 1894-1896, erst vom_ pangkalan_ Mahakam aus den
Landzug zu beginnen.
Gegen Abend fiel das Wasser ständig und wir hofften, unsere Fahrt
am anderen Morgen auf dem nur 15 m breiten Flüsschen bei einer für
unsere Böte genügenden Tiefe des Wassers fortzusetzen.
Alles auf einmal zu transportieren war jedoch unmöglich, daher sollten
der Sergeant _Duni_ und ein Schutzsoldat _Bajan_ mit einigen kranken
und auf der Reise verwundeten Kajan beim Reis zurückbleiben und später
vom _pangkalan_ Howong aus abgeholt werden.
Am ersten Tage begegneten wir Bungan Dajak, die auf der Reise
nach Putus Sibau begriffen waren. Sie zeigten sich anfangs scheu,
obgleich ich bereits auf der früheren Reise mit ihnen verkehrt
hatte. Augenscheinlich fürchteten sie unseren Zorn, weil sie den
Malaien _Adam_ ermordet hatten. Ich wusste aber, dass dieser _Adam_,
ein aus Serawak entflohener Bandit, diese schwachen Stämme entsetzlich
betrogen hatte, dass er sich sogar als Repräsentant der Regierung
aufgespielt und sich als solcher vieler vom Mahakam stammender Güter
bemächtigt hatte; ausserdem hatte er im Jahre 1896 alles getan, damit
unsere Expedition von den Mahakamstämmen schlecht empfangen würde. Ich
beruhigte die Leute über die Folgen ihrer Tat und beschloss, um Zeit
für die Erneuerung unserer Bekanntschaft zu gewinnen, erst kochen
und das Nachtlager aufschlagen zu lassen. Nachdem sich die Bungan
beruhigt hatten, erzählten sie mir, dass _Adam_ sehr schlecht gegen sie
gewesen sei. Als sie einst gemeinsam von Putus Sibau, wohin sie sich
begeben hatten, um Handel zu treiben und den Kontrolleur zu sprechen,
zurückkehrten, liess _Adam_ nicht zu, dass sie die mitgebrachten Waren
in ihre Hütten brachten, sondern zwang sie, einen Teil ins Wasser
zu werfen. Einen kleinen Knaben, der noch etwas von den Schätzen
retten wollte, verwundete er mit dem Schwerte, worauf dessen älterer
Bruder einen vergifteten Pfeil auf ihn abschoss. Nun fassten auch die
anderen Mut und beschossen ihn mit Pfeilen; sie wagten aber nicht,
sich ihm zu nähern, und so hatte er noch Zeit gehabt, sich bis zu
einer Felsenhöhle fortzuschleppen, wo er sein Leben endete.
Die Bungan besassen keine guten Böte und baten mich daher um eines der
unseren, von denen wir ohnehin einige zurücklassen mussten; denn meine
Kajan hatten für ihre Rückkehr nicht so viele nötig. Ich sagte ihnen
ein Boot zu unter der Bedingung, dass sie beim Transport unserer Güter
längs des Bulit bis zum Bungan behilflich sein sollten, worauf sie
hauptsächlich wegen der zu erwartenden guten Reismahlzeiten eingingen.
Wir befanden uns hier inmitten einer interessanten
Bergformation. Bereits an der Mündung des Bulit bemerkte ich einen
weissen Kalkstein, weiter aufwärts wurden die Kalksteine immer
zahlreicher, bis wir, nach einer Fahrt von einigen Stunden, zu beiden
Seiten des Bulittales steile, 150-250 m hohe Kalkberge auftauchen
sahen. Beim ersten Blick erinnerten ihre überhängenden Wände im unteren
Teil an die Tufflager im Mandaigebiet, aber die unregelmässigen Höhlen
und tiefen Klüfte hoch oben benahmen mir bald den Irrtum. Über eine
Geröllbank klimmend, auf der einige Felsstücke anderer Formation
mit ausgesprochener Schichtung hervorragten, gelangten wir bald an
den Fuss eines der Berge. An der Seite, wo wir standen, hing eine
60 m hohe Felswand über uns, die an den Stellen, wo nicht Moose
und Algen eine rote, braune oder graue Farbe hervorgerufen hatten,
bräunlich weiss war. Zahlreiche, bis ein Meter lange Bienennester,
deren Bewohner auf diese Entfernung kaum sichtbar waren, hingen von
den Wänden wie von Gewölben herab.
Der untere Teil der überhängenden Wand war, infolge der Erosion des
durch die poröse Kalkmasse dringenden Wassers, in tiefe, breite Gruben
und Spalten zerklüftet, die ganz unten zu Höhlen anwuchsen, an deren
Eingang wir prachtvolle Stalaktiten bewunderten. Aussen waren diese
bewachsen und dunkel gefärbt, an der inneren Seite waren sie aber
schön weiss geblieben.
Ausser zahlreichen Schmetterlingen und Bienen, die das an vielen
Stellen durchsickernde Wasser aufsaugen, beobachteten wir als
Hauptbewohner dieser Höhlen nur Fledermäuse und Schwalben, von
denen letztere essbare Nester bauen, die am Mahakam einen wichtigen
Ausfuhrartikel bilden. Auf dem Boden hatte sich im Laufe der Zeit eine
dicke Guanolage gebildet, deren durchdringender Geruch sich weit in
der Umgegend verbreitete.
Die Höhlen dienen den nomadisierenden Familien der Punan und der
ihnen ähnlichen Bungan Dajak als Schatz- und Totenkammern.
Unser Geleite zeigte für die Kalkbildungen viel weniger Interesse
als wir und nur einzelne wagten es, sich den Höhlen, welche ihre
Phantasie mit einem Heer von Geistern bevölkert, zu nähern. Keiner
war auch dazu zu bewegen, irgend etwas in der Umgebung anzurühren,
und so begannen wir denn selbst mit einem Hammer einen Teil eines
Stalaktiten abzuschlagen, um seine Bestandteile später untersuchen zu
können. Er erwies sich als sehr porös; trotzdem kostete es viel Mühe,
ein Stück abzutrennen. Der lange Stab tönte dabei wie eine Glocke, wir
hörten aber aus Furcht, das ganze Stück auf unsere Köpfe zu bekommen,
bald mit diesem gefährlichen Glockenspiel auf.
Um eine gute photographische Aufnahme machen zu können, musste ein
Baum gefällt werden. Während wir mit dem Aufsuchen eines geeigneten
Standplatzes beschäftigt waren, verschwand, aus abergläubischer Furcht,
einer der Kajan nach dem anderen, und von den drei übriggebliebenen
wagte keiner, den Baum zu fällen. Ich ergriff daher ein Dajakbeil
und machte mich selbst an die Arbeit. Einem danebenstehenden Pnihing
wurde die Situation allmählich doch peinlich und, nachdem er sich
überzeugt hatte, dass ich immer noch lebend auf meinen Beinen stand,
überwand er seine Angst und nahm mir die Arbeit ab, die er sicher in
einem Zehntel der Zeit vollführte.
KAPITEL XI.
Ankunft am _pangkalan_ Howong--Unterhaltung im Lager--_Akam Igau_
zieht zum Mahakam voraus--Aufbruch eines Teils der Kuli zur
Wasserscheide--Erscheinen von Bungan Dajak Besuch im Lagerplatz
der Bungan--Rückkehr der Träger--verschwinden des leises--Landzug
in Eilmärschen--Passieren des Bungan--Nahrungsnot--Lager unterhalb
der Wasserscheide.
Bereits früh am folgenden Tage erreichten wir den _pangkalan_
Howong. Ida wir hier voraussichtlich einige Tage warten mussten,
bis all unser Gepäck beisammen war, wurde ein festeres Lager als
gewöhnlich aufgeschlagen. In kurzer Zeit wurden für uns und die
verschiedenen Gruppen unserer Ruderer gute Hütten und für unsere
Vorräte ein paar feste Schutzdächer aufgestellt.
Es zeigte sich, dass wir alles ohne Unglücksfälle und wenig
beschädigt, in kürzerer Zeit als die vorigen Male, zu Wasser befördert
hatten. Leider liessen die ungeschickten Punan noch im letzten
Augenblick ein Boot, als es zwischen zwei Felsblöcken eingeklemmt
sass, voll Wasser laufen. Die mit Harz verklebten eisernen Kisten
trieben anfangs auf dem Wasser und konnten aufgefischt werden; sie
mussten aber, da trotzdem Wasser eingedrungen war, doch ausgepackt
werden. Unglücklicher Weise regnete es den ganzen Tag, so dass in
der ohnehin feuchten Umgebung ein Trocknen kaum möglich war.
Unsere ganze Gesellschaft genoss übrigens die erzwungene Ruhe in
dem angenehmen Gefühl, dass ein wichtiger und gefährlicher Teil der
Reise bereits zurückgelegt war. Wie gewöhnlich verstanden die Kajan,
die freie Zeit am besten zu benützen; sie hatten in ihren Tragkörben
allerhand Arbeit mitgenommen, mit der sie sich während der langen
Abende angenehm beschäftigten. Beim Schein einer kleinen Blechlampe
schnitzte der eine ein neues Ruder, der andere einen Teller, ein
dritter, Liebhaber feiner Arbeit, stellte einen Mandau-Schwertgriff
her. Viele lagen auch neben einander und plauderten über die
Tagesereignisse; trotz aller Anstrengungen der verflossenen Tage
schien keiner ruhebedürftig zu sein. Wurde die Stimmung besonders
heiter, so begann einer der älteren Männer, Couplets, welche die
Stammesgeschichte behandelten, vorzutragen; in den Kehrreim stimmte
die ganze Gesellschaft mit ein. Der Gesang wirkte auf die Dauer etwas
eintönig, klang in dieser Umgebung aber doch anziehend und legte
ein gutes Zeugnis für die Stimmung meiner Kuli ab; daher horchte ich
mit Vergnügen, wenn mir nicht vor Müdigkeit die Augen zufielen. Wir
Europäer hatten nämlich trotz unserer guten Lampen keine Lust gehabt,
irgend etwas vorzunehmen und hatten uns früh schlafen gelegt.
Am anderen Morgen sandte ich einen Teil unserer Leute an die Mündung
des Bulit zurück, um die dort mit dem Reisvorrat Zurückgebliebenen
abzuholen. Abends langten alle und alles wohlbehalten bei uns an.
Hatten an dem einen Abend die Männer aus Tandjong Karang etwas
vorgetragen, so begannen am folgenden die Leute aus Pagong sich hören
zu lassen und zwar wieder auf ganz verschiedene Weise.
Da wir nun einmal unsere Reise so weit gefördert hatten, durfte ich
mit Ruhetagen auch nicht mehr allzusehr geizen und liess daher meine
Kajan nach ihrer Art geniessen.
Der Wald, in dem wir uns eben befanden, war von der Regierung, aus
Furcht vor Zusammenstössen mit den Köpfe jagenden und Buschprodukte
raubenden Stämmen aus Serawak, den Dajak noch nicht zur Ausbeutung
frei gegeben worden und daher in seiner Unberührtheit besonders
reizvoll. Die Gipfel der Bäume erhielten durch die wehenden,
meterlangen Blätter der Rotangpalmen einen eigenen Schmuck; auch
zeigten die Baumfarne hier zum ersten Mal ihr helles, spitzenartiges
Laubwerk. Ein überall vorkommender Baum, dessen weisse Blüten die
Geröllbänke bedeckten und das ganze Flusstal mit ihrem herrlichen Duft
erfüllten, schien auch auf eine grosse Menge Insekten sehr anziehend
zu wirken: Zahllose Arten Fliegen, Bienen und Wespen umschwärmten
die Blüten und da, wo die Sonnenstrahlen einen Durchgang fanden,
schwebten Gruppen eigenartig schöner Schmetterlinge. Es fiel uns
aber auf, dass sich unter diesen im Ganzen wenig neue Arten befanden,
während die Nachtschmetterlinge und die übrige Insektenwelt uns abends
durch ihren Reichtum in Erstaunen versetzte. Der Schein unserer Lampen
lockte aus der dunklen Umgebung zahllose kleine Nachtfalter herbei,
die sich an der hellen Innenseite unserer Dachbedeckung niederliessen
und uns durch ihre unbeschreibliche Mannigfaltigkeit in Formen und
Farben erfreuten. Fingen wir die sitzenden Tierchen mit dem weiten
Hals einer Flasche mit Cyankalium auf, so fielen sie von selbst hinein
und wir konnten sie nach Belieben bewundern. Matte und metallglänzende
Farben auf dem verschiedensten Grunde und in den schönsten Zeichnungen
erfreuten das Auge; unser Entzücken erregte aber ein sehr grosser
Falter mit weissen Atlasflügeln, deren Ränder mit den zierlichsten
Arabesken aus Gold geschmückt waren. Leider liess sich gerade dieser
Falter nicht fangen, er war, wie auch die anderen grossen Arten,
sehr scheu und zeigte sich nur auf Augenblicke. Auch das Aufstellen
von Lampen im Walde führte zu keinem befriedigenden Ergebnis.
Die Kajan hatten für dergleichen weder Auge noch Zeit und zogen
beinahe alle in den Wald hinein. Die Punan gingen mit ihren Hunden
auf die Jagd; einige Kajan suchten _aka klea_, eine Liane, um mit
ihren Fasern unsere Fischnetze auszubessern, die beim Auswerfen auf
dem mit totem Holz und Steinen bedeckten Grunde des Flusses stark
gelitten hatten; wieder andere begaben sich auf den Fischfang.
Dank dem Fischreichtum dieser Flüsse stand unserem Geleite stets
reichlich Fischfleisch als Zukost bei seinen Reismahlzeiten zur
Verfügung. Das brachte mich auf den Gedanken, von allen Arten kleine
Exemplare zu konservieren; eine derartige Sammlung, verglichen mit
einer zweiten aus dem Mahakamgebiet jenseits der Wasserscheide,
musste von Interesse sein. Ich suchte daher, wenn die Fischer abends
ins Lager zurückkehrten, kleine, unverletzte Fische aus und legte sie
in die hiefür mitgenommenen Flaschen in 20 % ige Formalinlösung. Auch
sorgte ich dafür, dass meine Sammlung durch die besonderen, kleinen
Arten der Fische der kleinen auf 500-600 m Höhe gelegenen Bergbächen
bereichert wurde. Ich hatte bereits auf meiner vorigen Reise eine
grosse Anzahl Fischarten sammeln lassen, aber aus Mangel an gut
schliessenden Flaschen verdarb ein grosser Teil auf der weiteren Reise.
Unser schön tätowierter Beketan, namens _Ganilang_, benützte die Musse,
um sich an Stelle seines baumwollenen Lendentuches, das durch das
ständige Nasswerden in Wasserfällen und Strudeln stark gelitten hatte,
eines aus Baumbast herzustellen. Er suchte zu diesem Zwecke einen
ihm bekannten Baum aus, entkleidete ihn auf 4 m Länge seiner Rinde
und begann mit seinem Mandau-Messer, die Rinden- und Bastteile von
einander zu trennen. Den ungefähr 4 m langen, 3 dm breiten und 1 bis
1 1/2 cm dicken, weissen Baststreifen, den er erhielt, rollte er von
beiden Enden aus so fest als möglich zusammen und klopfte ihn darauf
mittelst eines mit Einkerbungen versehenen Holzstückes mürbe. Indem
er das Bündel immer steifer aufrollte, gelang es ihm, die Fasern aus
einander zu pressen und den Streifen dadurch zu verbreitern. Nach
mehrstündiger Arbeit erhielt er einen 4 m langen und 8 dm breiten,
dünnen, biegsamen Lappen, aus dem durch Klopfen beinahe alle weicheren
Teile entfernt worden waren. Zur Nacht band ihn _Ganilang_ an einen
Baumstamm in stark strömendem Wasser, wodurch vollends der Rest
der weichen Teile ausgespült wurde; nach dem Trocknen bildete der
Bastlappen ein hellbraunes, praktisches Lendentuch. Kleidungsstücke
aus guten Bastarten können monatelang getragen werden.
Die jüngsten unserer Männer verfolgten inzwischen ganz andere
Interessen. Im Gegensatz zu meiner vorigen Reise, wo _Akam Igau_
dafür gesorgt hatte, dass sich hauptsächlich kräftige, kriegstüchtige
Männer an unserer Expedition beteiligten, befanden sich diesmal viel
jüngere Personen, welche das achtzehnte Jahr kaum erreicht hatten,
unter unserem Geleite. Ich betrachtete ihre Gegenwart als ein Zeichen
von Vertrauen, das man dem Wohlgelingen unserer Unternehmung entgegen
brachte, und, da sie sich unterwegs in den Böten gut gehalten
hatten, sah ich die fröhlichen, geschmeidigen jungen Männer gern
um mich. Für viele bildete dieser Zug, gleichwie für _Adjang_ und
_Djawè_, das erste grössere Unternehmen, das sie mitmachten, daher
sollten sie bei ihrer Rückkehr unter die erwachsenen Männer des Stammes
aufgenommen werden. Vorher mussten sie sich aber, der Sitte gemäss, den
_utang_, das Stäbchen, anlegen lassen, welches als Zeichen erreichter
Männlichkeit durch die glans penis getrieben und während des ganzen
Lebens nicht abgelegt wird. Zu Hause schämen sich die jungen Leute zu
sehr vor den Frauen, um dergleichen Manipulationen mit sich vornehmen
zu lassen, daher benützen sie lieber eine Reisegelegenheit dazu. In
der Besorgnis, dass uns am Ende ein Aufenthalt verursacht werden
könnte, war ich über die Nachricht, dass einige bereits den Ruhetag
an der Mündung des Bulit und andere den Abend zuvor zur Ausführung
der Operation benützt hatten, nichts weniger als erfreut. Obgleich
die Operation sehr wenig aseptisch vorgenommen wurde, zeigte sich
doch nur in einem Fall eine unangenehme Entzündung; heftige Blutung
kam überhaupt nicht vor, auch wurden die jungen Leute dadurch nicht
an der Arbeit gehindert; nur ab und zu sah ich einen von ihnen mit
schmerzhaft verzogenem Gesicht in einer kühlen Bergquelle sitzen,
was ihm augenscheinlich Linderung verschaffte.
Wohl aus Rücksicht auf diese Verhältnisse zeigten _Akam Igau_ und
_Tigang_ am folgenden Morgen wenig Lust, den Landzug zu beginnen:
da ich aber nicht wusste, wie lange wir noch von unserem Reisvorrat
zu leben hatten, hielt ich Eile für geraten und begann, als die
Kajan zögerten, mit den Malaien den Reis- und Salzproviant, der
vorausgetragen werden sollte, unter die verschiedenen Häuptlinge,
je nach der Anzahl ihrer Leute, zu verteilen. Als uns darauf einige
der Bungan Dajak, die wir, wie früher mitgeteilt, als Träger und
Wegweiser zum Bungan in Dienst genommen hatten, zu Hilfe kamen,
rafften sich schliesslich auch die Kajan auf. Zwar blieben hie und
da einige in den Hütten zurück und andere begannen mit dem Transport
ihrer eigenen Sachen, aber die meisten machten sich doch auf den Weg.
Tags zuvor hatte ich einige Bungan Dajak als Kundschafter und Träger
an den Bungan vorausgeschickt; sie kamen jetzt mit der Meldung zurück,
der Wasserstand im Bungan sei so hoch, dass man diesen nur mittelst
über den Fluss gespannter Rotangseile habe passieren können, auch habe
man das Gepäck noch vor der Mündung des Betjai unterbringen müssen;
erst am folgenden Tage sollten sie bis an den Betjai geschafft werden.
Der Bericht klang zwar nicht ermutigend, ich hatte aber ohnehin
eingesehen, dass wir nicht sogleich weiter konnten, weil sich bei
_Demmeni_, der seit dem ersten Tage unserer Ankunft an Malaria litt,
noch immer keine Besserung zeigte; gegen Abend kehrte das Fieber
stets zurück und liess sich auch nicht durch 2 g murias chinini, die
er 8 Stunden vor dem Anfall, innerhalb einer halben Stunde, einnahm,
niederschlagen. Da man den Patienten unmöglich über Land transportieren
konnte und auch eine Rückreise für ihn nichts Gutes versprach, in
Anbetracht, dass es mindestens acht Tage dauern musste, bevor er in
Sintang ärztliche Hilfe finden konnte, musste ich versuchen, ihn an
Ort und Stelle zu kurieren. Ich brachte daher den Patienten zu Bett
und erhöhte die Chinindosis von 2 auf 3 Gramm mit dem Erfolge, dass
sich der Kranke zwar schwindelig fühlte, die Temperatur aber nicht
mehr stieg. Als am folgenden Tage 2 g Chinin wiederum kein genügendes
Resultat ergaben, beschloss ich, noch einige Tage mit strenger Bettruhe
und 3 g Chinin fortzufahren. Obgleich diese Behandlung _Demmeni_
durchaus nicht angenehm war, überstand er sie doch mutig, überzeugt,
dass er nur auf diese Weise wieder marschfähig werden konnte.
Wir benützten die Wartezeit, um unser Hab und Gut, das während der
Reise doch mehr oder weniger feucht geworden war, auf hoch gelegenen
Geröllbänken zu trocknen. Einige Packen Seidenstoffe waren durch die
Feuchtigkeit gänzlich entfärbt worden, obgleich sie sich in eisernen,
mit Harz verklebten Kisten befunden hatten; derartige kostbare Artikel
hätten in besonderen, verlöteten Blechkisten aufbewahrt werden müssen.
Den im Lager zurückgebliebenen Malaien hatte ich aufgetragen, auf
verschiedene Weise Fische zu fangen; der Erfolg war aber, da die
Träger das feinmaschige Wurfnetz mitgenommen hatten, gering.
Mittags kehrte die Trägergesellschaft zurück und bestätigte die Meldung
der Bungan Dajak, dass der Weg längs dem Bungan sehr beschwerlich
sei. Ferner hatten sie die in diesem Gebiete liegenden Niederlassungen
einiger Bungan Dajak erreicht. Deren Häuptling _Lakau_ war mir von der
vorigen Reise her bekannt und trug die unmittelbare Schuld an dem Tode
des Malaien _Adam_. Diese Bungan hatten meinen Kajan beim fragen nicht
helfen wollen, trotzdem sie ihre Reisfelder bereits besät hatten. Ihre
Weigerung erklärte sich aus der bei ihnen herrschenden Hungersnot,
die sie dazu trieb, ihre Reisfelder zu verlassen und irgendwo am Bulit
Waldfrüchte zu sammeln; sie zogen daher mit Frauen und Kindern aus,
ihre Felder der Sorge der Natur überlassend.
Nachdem ich mit einigen in diesen Gegenden gut bekannten Punan,
_Djeléwan_ und _Udjan_, darüber beraten hatte, ob wir diesen wenig
verlockenden Landweg überhaupt einschlagen sollten, wurde beschlossen,
ihm dennoch zu folgen. Davon, dass wir Europäer aufbrechen konnten,
bevor _Demmeni_ wieder zu gehen im stande war, konnte aber nicht
die Rede sein; denn in dieser Umgebung mussten wir so lange als
möglich beieinander zu bleiben trachten. Ich war daher gezwungen,
den Gütertransport gänzlich den Trägern zu überlassen, was ich aus
verschiedenen Gründen nur sehr ungern tat. Auch mussten wir überlegen,
auf welche Weise wir die Häuptlinge am oberen Mahakam, deren Hilfe
wir nötig hatten, am besten von unserer Ankunft benachrichtigen
sollten. Da _Akam Igau_ sich bereits auf meiner Reise im Jahr 1896
trotz schwieriger Umstände seines Auftrages trefflich entledigt und
uns bei seinen Verwandten eine gute Aufnahme erwirkt hatte, schien er
mir auch jetzt wieder die gegebene Persönlichkeit dafür zu sein. Meine
Wahl bereitete jedoch _Tigang Aging_, der sich selbst für am besten
geeignet hielt, Haupt einer so wichtigen Gesandtschaft zu sein, viel
Verdruss; auch erschien ihm der Transport des Gepäcks und die Aufsicht
über seine eigenen Stammesgenossen viel weniger angenehm. Ausser _Akam
Igau_ beauftragte ich noch vier andere ältere Männer aus verschiedenen
Häusern am Mendalam, an den oberen Mahakam vorauszuziehen und _Kwing
Irang_, dem mächtigsten Häuptling der dort lebenden Bahaustämme, zu
melden, dass unsere Expedition im Anzuge sei und wir ihn um seinen
Beistand ersuchten.
_Tigang Aging_ behielt ich, damit er unterwegs keine Händel mit _Akam
Igau_ anfing, bei mir zurück, auch sollte er mir bei den Bungan Dajak
als Dolmetscher dienen.
Am nächsten Morgen wurden wiederum hauptsächlich Reis und Blechkisten
mit Salz unter die Träger verteilt, die in der Voraussicht, längere
Zeit allein reisen zu können, sehr vergnügt waren. Es schien mir am
besten, dass sie ohne Aufenthalt bis an den oberen Betjai zogen. Sie
befanden sich dort auf einem Bergrücken nur einige Hundert Meter
unterhalb der Wasserscheide zwischen den Quellen des Betjai und Howong,
also an der Scheide des Kapuas- und Mahakamgebietes. Bis zu diesem
Punkte sollte _Akam Igau_ die Träger beaufsichtigen und Sorge tragen,
dass alles Gepäck dort gut aufbewahrt wurde; dann sollte er mit seinen
Begleitern allein weiter zum Mahakam hinunterziehen. Der Korporal
_Suka_ und zwei andere Malaien, die unser Hab und Gut bereits am Bulit
so gut bewacht hatten, sollten auch jetzt bei den Sachen zurückbleiben
und dafür sorgen, dass alle Träger so schnell als möglich zu uns ins
Lager zurückkehrten, um uns abzuholen.
Nachdem die ganze Gesellschaft fortgezogen war, blieben wir Europäer
mit einigen hier gänzlich unbekannten Javanern, zwei Kapuas Malaien
und drei Kajan, von denen zwei krank waren, einsam am Bulit zurück.
Wir konnten uns, da nur ein einziger, von den vielen Trägern
ausgetretener und durch den Regen aufgeweichter Pfad in den Wald führte
und es überdies viel regnete, nur auf dem kleinen Platz, den ich vor
unserem Lager hatte abholzen lassen, einige Bewegung verschaffen.
Um meine Leute die einsame Umgebung, die durch den ständigen Regen
noch trostloser wurde, in der Arbeit vergessen zu lassen, liess ich
sie Reusen für den Fischfang herstellen; der Bulit führte aber gerade
jetzt nicht so viel Wasser, als für das Fischen mit Reusen erforderlich
war, und so erhielt ich nur wenige neue Fischarten.
Zum Glück war _Demmeni_ nach dreitägiger sehr strenger Behandlung
fieberfrei geworden, und wir konnten ihn, um einen grösseren Ausflug
auszuführen, für längere Zeit allein lassen.
Es war nämlich Zeit, dass wir Vorbereitungen für eine topographische
Aufnahme des Mahakamgebietes trafen. Diese Aufnahme sollte sich an
diejenige anschliessen, welche das topographische Institut in Batavia
im Auftrage der Regierung in den Jahren 1885-1896 von dem Flussgebiet
des Kapuas hatte ausführen lassen.
Der Topograph _Werbata_ hatte damals den Weg über die Wasserscheide
bis Penanéh aufgenommen, hatte aber seine Absicht, von hier aus den
Mahakam zu erreichen, aufgeben müssen.
Da wir nun nicht, wie es anfänglich unser Plan gewesen, den Weg über
Penanéh einschlugen, sondern längs des nur oberflächlich aus der
Ferne von ihm aufgenommenen Betjai zogen, mussten wir versuchen,
auf der Wasserscheide einen Punkt zu fixieren, indem wir von dort
aus mit dem Theodoliten die Azimute einiger hoher, bekannter Berge
bestimmten. War der Fixpunkt gefunden, so konnte von ihm aus, mit Hilfe
von Theodolit und Massstab, das ganze Mahakamgebiet aufgenommen werden.
Unser Topograph _Bier_ hatte aber bis jetzt nur in Sumatra gearbeitet
und auch meine Reisegenossen hatten bis jetzt nichts von dem Lande
gesehen, weil wir von Nanga Era an in der Tiefe eines schmalen,
von den bis 600 m hohen, steilen Abhängen des Kapuas-Kettengebirges
begrenzten Tales gefahren waren.
Um uns von dem, was die Wasserscheide am Howong nördlich des Berges
Lekudjang an Aussicht liefern konnte, eine Vorstellung zu machen,
mussten wir eine Bergspitze besteigen und den Wald dort niederschlagen.
Etwas weiter oberhalb unseres Lagerplatzes am Bulit, bei dem
_pangkalan_ Mahakam, führte auf den Gipfel des Liang Tibab ein Pfad,
den der Topograph _Werbata_ hatte durchhauen lassen, um von diesem
Berge aus seine Beobachtungen anzustellen; er hatte daher auch auf dem
Gipfel den Wald fällen lassen. Ich hatte den Liang Tibab bereits im
Jahre 1894 mit Professor _Molengraaff_ bestiegen, um von hier aus einen
Überblick über das durchreiste Gebiet und das Kapuas-Kettengebirge
nördlich des Bungan zu erhalten. Zwei Jahre später hatte ich mit
_Demmeni_ dort einige photographische Aufnahmen gemacht.
Auch der Kontrolleur _Barth_ wollte das interessante Panorama des
Liang Tibab sehen, und so machte er sich denn am 14. September bei
herrlichem Wetter mit uns auf den Weg. Ein Bungan Dajak führte uns
durch den Wald bis an den Fuss des Berges, von wo aus wir nach einer
kleinen Kletterei bald auf den bekannten Pfad gelangten. Dieser war
inzwischen so stark mit jungen Bäumen und Sträuchen bewachsen, dass
man ihn kaum wieder erkennen konnte. Der Pfad war übrigens leicht zu
verfolgen, denn er führte bereits auf 100 m Höhe über einen längs
dem Bulit verlaufenden Kamm. Ein Verirren war nicht möglich, da
der Bergrücken nur wenige Meter breit war; eher riskierte man einen
Absturz von seinen sehr steilen Wänden. Glücklicher Weise verhinderte
die dichte Vegetation ein Schwindeligwerden und ermöglichte zugleich
auch den Gebrauch der Hände beim Klettern. Der ganze Weg bestand aus
Lehmboden und war durch die vielen Regengüsse sehr schlüpfrig geworden.
Ich habe mich immer wieder darüber gewundert, dass so scharfe, steil
abfallende Rücken, die ganz aus Lehm und sehr verwittertem Gestein
bestehen, den vielen Sturzregen im Gebirgsland von Borneo Widerstand
zu leisten vermögen. Eine der Hauptursachen hierfür ist zweifellos
in der dichten Waldbedeckung zu suchen, da die tief eindringenden
Wurzeln die kleinen Erdteilchen vor Wegspülung und Absturz beschützen
und das dicke Blätterdach die Kraft der niederfallenden Regen bricht.
Trotzdem die Bäume und Sträucher uns den Marsch erleichterten, dauerte
es doch beinahe zwei Stunden, bis ich mit _Bier_ den Punkt erreichte,
von dem aus der Topograph _Werbata_ seine Beobachtungen angestellt
hatte. Der Rücken war hier nur 1 m breit, bestand aus ganz losem, nur
durch Wurzeln zusammengehaltenem Gestein und gestattete längs seiner
im Winkel von fast 60° ansteigenden Seitenwände hinunterzuschauen. Um
Aussicht zu gewinnen, mussten wir erst die seit dem letzten Besuch
auf dem Gipfel aufgeschossenen Sträucher forträumen lassen und
begannen unterdessen unsere verschiedenen Höhenbarometer nach dieser
bekannten Höhe zu regulieren. Von den beiden Aneroïden schien der
eine auf der Reise gelitten zu haben, wenigstens wich er stark von
dein Hypsometer ab, mit dem er, wie auch der andere, noch in Putus
Sibau gut übereingestimmt hatte. Die beiden anderen Barometer gaben,
mit Berücksichtigung der Temperatur, die Höhe von 740 m richtig an.
Kaum hatten wir unsere Arbeit beendet, als auch der Kontrolleur mit
seinen Begleitern eintraf. Der steile und mühevolle Pfad hatte ihn
bis zum Erbrechen angestrengt, aber doch hatte er seinen Zug nicht
aufgeben wollen. Das prachtvolle Panorama des Kapuasgebirges, das
sich weithin ausdehnte, entschädigte ihn übrigens reichlich für die
ausgestandenen Strapazen.
Nach Norden traf der Blick das Ober-Kapuas-Kettengebirge, das, von
dichten, ernsten Wäldern gänzlich überdeckt, mit seinen in Wolken
gehüllten Gipfeln einen beklemmenden, schwermütigen Eindruck auf den
Beschauer machte. Zu Füssen des Gebirges strömte mit allen seinen
Nebenflüssen der Bungan, auf dem wir uns so lange mühsam fortbewegt
hatten. Aus diesem Tal erhoben sich wie Kulissen die Ketten hinter
einander und stiegen erst schnell, dann immer allmählicher nach Norden
hin auf, bis ihre höchsten Spitzen, der Kaju Tutung und Kerihum, in
den Wolken verschwanden. Das eintönige dunkelgrüne Gewand, welches
das ganze Kettengebirge bis auf seine höchsten Erhebungen hinauf
umhüllte, machte in seiner stolzen Einfachheit, die weder durch
Abwechslung der Farbentöne noch durch eigenartige Felsformationen
belebt wurde, einen imposanten Eindruck. Tief unter uns schlängelten
sich die Täler des Bulit und Bungan als schmale Streifen nach Westen;
zwar waren auch sie mit dunklem Grün überdeckt, aber die steilen Wände
der sie einschliessenden Kalkberge hoben sich leuchtend weiss von der
Umgebung ab. Als einziges Zeichen menschlichen Lebens sahen wir ganz
in der Tiefe zwischen zwei Querkämmen eines hohen Bergrückens eine
feine Rauchwolke zwischen den Bäumen aufsteigen. Die Flüsse selbst
blieben unserem Auge gänzlich verborgen.
Südlich des Bungan Tales erhoben sich nur zwei höhere Bergrücken,
der Tanah Kuban, dicht bei den "Gurung Delapan", und der Rücken,
von dem der Liang Tibab einen der höheren Gipfel bildet; dieser
stieg weiter nach Süden bis zu einer Höhe von 1100 m an. Zwischen
diesen beiden Bergrücken zog sich in leichten Windungen, nach Süden
immer breiter werdend, das Flusstal des Langau hin. Obgleich Punan
und Buschproduktensucher in diesem Gebiete umherstreiften, liess die
ununterbrochene Waldbedeckung deren Anwesenheit doch nicht ahnen. Im
Süden und Westen begrenzten zwei spitze Berge, der Sara und der
Hariwun, das Langau Gebiet, während im Hintergrunde zwischen diesen
beiden der Menakut aus dem Stromgebiet des Kréhau zum Vorschein kam. Am
südlichen Ufer des Kréhau, fern am Horizont, wurde das eigenartige
Müllergebirge mit seinen langgestreckten Tuff-Hochflächen sichtbar.
Nach Süden hin benahm uns der ansteigende Rücken des Liang Tibab
die Aussicht; dagegen bot uns der freie Osten einen interessanten
Anblick. In der Mitte zahlreicher, waldbedeckter Kämme von viel
geringerer Höhe erhob sich im Süd-Osten der obeliskenförmige Pemeluan
bis zu 1300 m Höhe, während etwas östlicher der riesige Terata die
Landschaft beherrschte. Die Wände beider Berge waren viel zu steil,
um von der Vegetation bedeckt sein zu können, und bildeten daher mit
ihren weissen, grauen und braunen Farben einen schönen Gegensatz zu
dem schlichten Grün um ihren Fuss und Gipfel. Im Nord-Osten lag der
Lekudjang, längs welchem wir zum Mahakam ziehen mussten. Von unserem
Standpunkt aus hob sich der westliche, abgestürzte Teil der Kraterwand
dieses alten Vulkans von dem übrigen waldbedeckten Teil schön ab. Wegen
der vorgelagerten Gebirgskämme und des schmalen Raumes zwischen ihr
und dem nördlich gelegenen Kettengebirge, kam die Wasserscheide mit
dem Howong nicht klar zum Vorschein, aber doch schien es möglich, auf
ihr einen passenden Punkt zu finden, von dem aus man auf den Sara,
den Hariwung und irgend welche anderen Gipfel visieren und dadurch
Fixpunkte für unsere topographische Aufnahme des oberen Mahakamgebietes
gewinnen konnte. Der nördliche Abhang des Lekudjang war allerdings
steil, aber wir beschlossen doch, zu versuchen, den Berg von dieser
Seite aus zu besteigen, weil wir hierdurch eine Aussicht auf das
Gebiet des Howong und Mahakam gewinnen konnten.
Der Wind wehte heftig auf unserem hohen Punkt und wir konnten uns auf
dem schmalen Platze nicht bewegen; ein längerer Aufenthalt auf der
Höhe erschien uns somit nicht verlockend und wir beeilten uns, trotz
der genussreichen Aussicht, wieder in die Tiefe zu gelangen. An den
steilen Abhängen des Kammes ging der Abstieg schnell von statten und im
Lager angekommen suchten wir, müde aber befriedigt, unsere Klambu auf.
In den letzten Tagen hatten wir in unserer Nähe öfters Hunde bellen
gehört; augenscheinlich zogen ihre Eigentümer, die Bungan Dajak,
unter _Lakau_ um unser Lager herum und wagten nicht, sich bei uns
zu zeigen. Als sie sich endlich davon überzeugt hatten, dass wir
nicht kamen, um den an dem Malaien _Adam_ verübten Mord zu rächen,
wagten sich erst einige Männer heran und, als diesen nichts geschah,
auch mein Bekannter _Lakau_ mit seinen Töchtern, an die ich auf den
früheren Reisen bereits Arzneien verabreicht hatte. Die armen Leute
litten sehr an Nahrungsmangel, ich konnte ihnen aber keinen Reis,
nur Salz mitgeben. Nachdem sie ihren Hunger bei uns gestillt hatten,
baten sie um Arzneien. Die Häuptlingstöchter hatten wiederum dringend
Jodkali nötig; der Vorrat, den ich ihnen 1896 gegeben, hatte sie völlig
hergestellt, seit einigen Monaten waren die alten Leiden aber wiederum
zum Vorschein gekommen. Ich versprach einen neuen Vorrat Jodkali,
falls sie mir Flaschen bringen würden. Das versprachen sie für den
folgenden Tag, wo der ganze Stamm an uns vorüber ziehen sollte, um im
Gebiete des unteren Bulit nach Waldfrüchten zu suchen. Ein Malaie,
der mit den Bungan Dajak zusammenwohnte, schien den Reis minder gut
entbehren zu können, wenigstens brachte er ein uns sehr willkommenes
Huhn, um es gegen Reis auszutauschen.
In der Tat zogen am anderen Morgen Männer, Frauen und Kinder, alle
beladen, am jenseitigen Ufer vorüber und warfen auf uns und unsere
Umgebung neugierige, scheue Blicke. Nur einige Männer wateten zu
uns herüber und erzählten, dass sie sich fürs erste in unserer Nähe
niederlassen wollten, um in der Umgegend Früchte zu suchen. Unsere
Malaien hatten bereits einige Male herrliche Früchte gefunden,
die Bungan kannten aber die Fruchtbäume dieser Wildnis, wie wir die
unserer Gärten kennen. Aus dem Bericht der Bungan ersahen wir, dass
man unsere Gegenwart nicht allzusehr fürchtete, und beschlossen daher,
unseren augenblicklichen Nachbarn einen Besuch abzustatten. Um ihnen
eine Freude zu machen, nahmen wir Glasperlen und Angelhaken als kleine
Geschenke mit. Unter _Tigang_s Führung gelangten wir nach einer halben
Stunde auf einem für uns Europäer nicht erkennbaren Pfade zu einer mit
wenig Gestrüpp bedeckten Lichtung im Walde. Einige sehr primitive nach
Art der Punan und Bukat gebaute Hütten standen hier neben einander.
Eine schräge Wand, die aus ineinander geflochtenen Zweigen bestand
und mit Blättern gedeckt war, ruhte mit einem Ende unter einem
Winkel von 60° auf dem Erdboden, während das andere von Pfählen
gestützt wurde. Aus den gleichen, grossen, runden Baumblättern, mit
denen dieses Dach gedeckt war, bestanden auch die Seitenwände, welche
gegen Regen und allzu heftigen Wind Schutz bieten sollten. Die grösste
Hütte in der Mitte wurde von der Häuptlingsfamilie bewohnt. Sowohl in
dieser Hütte als auch in den übrigen hatte man den Boden mit dünnen,
neben einander ruhenden Baumstämmen belegt. Der Herd befand sich dem
Eingang gegenüber unter der schrägen Wand; er bestand nur aus einigen
Steinen, auf denen eiserne Kochtöpfe standen. Unter dem Herde hatte
man etwas Erde auf den Boden gestreut und über demselben ein Gestell
für Brennholz angebracht.
Nach den Britschen zu urteilen, die je zu zweien an den Seitenwänden
standen, schliefen der Häuptling und seine Frau auf der einen und
ihre beiden Töchter auf der anderen Seite. Wo der Erdboden etwas
abschüssig war, ruhten die vorderen Enden der Balken des Fussbodens
auf einem starken Querbalken, so dass der Fussboden ein Stück weit
vor dem Dache hervorragte und eine kleine Plattform bildete, von der
aus ein frisch gefällter Baumstamm als Pfad zum Boden führte. Alle
Hütten waren nach dem gleichen Plan gebaut.
Wir fanden nur wenige Bewohner im Lager; die meisten suchten in
der Umgegend nach Waldfrüchten; nur Kranke und sehr kleine Kinder
hatte man in den Hütten zurückgelassen. Die anwesenden Frauen litten
entweder an Malaria oder an luëtischen Ulcerationen und bereiteten
uns aus Scheu einen sehr kühlen Empfang, der auch, als wir unsere
kleinen Geschenke austeilten, nicht wärmer wurde. Während wir einige
Zeit zwischen den Hütten umhergingen, in der Hoffnung, dass man sich
an unsere Anwesenheit gewöhnen würde, traten einige ältere Frauen
und Kinder am jenseitigen Ufer aus dem Walde hervor; kaum merkten
sie aber, dass Besuch im Lager war, als sie schleunigst die hohe
Ufermauer wieder hinauf flüchteten.
Da es durchaus nicht in unserer Absicht lag, diesen scheuen
Waldmenschen Schreck einzuflössen und ihnen unangenehm zu sein,
machten wir uns sogleich auf den Heimweg. Abends suchte ich den
ungünstigen Eindruck unseres Besuches zu verwischen, indem ich dem
Häuptling _Lakau_ ein Boot schenkte, das er sich für eine Fahrt nach
Putus Sibau sehnlichst gewünscht hatte.
Die Bungan Dajak nehmen unter der Bevölkerung von Mittel-Borneo
eine eigenartige Stellung ein; sie bilden im Bungan Gebiete einen
Übergang von den echten Nomadenstämmen, wie den Punan und Bukat, zu den
sesshaften, Ackerbau treibenden Stämmen. Sie bauen hauptsächlich Reis
und süsse Erdäpfel, aber da der Ernteertrag infolge ihrer primitiven
Bearbeitung der Felder gering ist, sind sie gezwungen, diese nach der
Saat sich selbst zu überlassen, wodurch ein grosser Teil der Ernte den
Vögeln, Hirschen, Affen und Wildschweinen zum Opfer fällt. Sie selbst
müssen für ihren Unterhalt den Wald durchstreifen, nach Früchten,
wildem Sago und Wild suchend. Bei ihren Feldern bauen sich die Bungan
Häuser nach Art der ackerbauenden Stämme, nur weniger dauerhaft,
während ihres Nomadenlebens begnügen sie sich aber mit den primitiven
Hütten der im gleichen Gebiet lebenden Bukat. In ihrer Kleidung,
Tätowierung und Bewaffnung ähneln sie sowohl den Bahau als den Punan.
Es fiel mir auf, dass ihre Männer besonders kräftig gebaut und gross
von Wuchs waren, einige erreichten eine Höhe von 1.75 bis 1.80 m;
die Frauen dagegen waren eher klein von Gestalt. Auch in Hautfarbe,
Haaren u.s.w. zeigen sie Verwandtschaft mit den Bahau und Punan.
Am Abend des 15. September kehrten von unseren Trägern zuerst die
Ma-Suling mit dem Bericht zurück, man habe das Gepäck bis an den
Fuss des Bergrückens, der auf die Wasserscheide führte, gebracht und
dort die drei Malaien und zwei Bukat als Bewachung zurückgelassen;
ferner, _Akam Igau_ und die Seinen seien weiter an den Mahakam
gezogen. Da _Demmeni_ nun auch so weit war, dass er, mit einigen
Vorsichtsmassregeln gegen neue Strapazen, weiter ziehen konnte, legten
wir uns in der angenehmen Voraussicht, dass die langen, eintönigen
Tage nun ein Ende erreicht hatten, schlafen. Zwar regnete es viel
und der Bungan musste schwer zu passieren sein, aber dass dies doch
möglich war, bewies die Ankunft der übrigen Träger am folgenden Morgen.
Unsere freudige Stimmung wurde leider bald gründlich gedämpft. Auf
meine Frage, wie viel Reis man bis an den oberen Betjai gebracht hatte,
erfuhr ich zu meinem grossen Schrecken, dass von dem ganzen grossen
Vorrat, den sie mitgenommen hatten, nur sechs Säcke übrig geblieben
waren und dass wir uns somit gänzlich auf den kleinen Rest, den wir bei
uns zurückbehalten hatten, angewiesen sahen. Eine Stunde lang kämpfte
ich mit mir selbst, um meine Entrüstung nicht zum Ausbruch kommen
zu lassen, denn in dieser kritischen Lage bedeutete eine schlechte
Stimmung der Kajan ein Missglücken des Zuges zum Mahakam. Trotz
all meiner ernsten Fürsorge vom Beginne an hatte ich nun doch nicht
genügend Proviant für mein Personal.
Wie solche Mengen Reis hatten verschwinden können, darüber konnte oder
wagte man mir keinen Aufschluss zu geben. Die älteren Männer schoben
die Schuld auf die vielen _deha njam_ (= jungen Leute), welche, der
langen Reisen und der Sorge für die Zukunft nicht gewöhnt, unterwegs so
viel Reis verzehrt hätten; die anderen wiederum behaupteten, sie hätten
viel nass gewordenen Reis wegwerfen müssen. Trotz dieser Erklärungen
blieb mir die Sache rätselhaft, da ich nicht voraussetzen wollte,
dass sie den Reis für ihre Rückreise im Walde verborgen hatten. Eine
Erklärung der Tatsache konnte den Reis übrigens auch nicht wieder
herbeischaffen, und so rief ich denn die Häuptlinge zusammen, um mit
ihnen zu überlegen, was weiter zu tun sei. Durch die Sorglosigkeit
ihrer Untergebenen hatten wir nun nicht einmal für die Reise bis zum
Howong genügenden Proviant, trotzdem erhob keiner seine Stimme gegen
eine Fortsetzung des Zuges. Das war schon viel, denn die Häuptlinge
wussten sehr wohl, dass wir nun in Eilmärschen den Landweg zurücklegen
mussten, dass von Ruhetagen keine Rede sein konnte und vom Gepäck
auch nichts zurückbleiben durfte. Die Vertrautheit der Häuptlinge
mit der Umgegend eröffnete eine Aussicht, aus der schwierigen Lage
herauszukommen. Sie schlugen mir zuerst vor, den Bungan Dajak ein
Batatenfeld, das doch von Wildschweinen abgeerntet wurde, abzukaufen;
auch sollte ich ihnen an der Wasserscheide einen Tag frei geben,
da sie in der Umgegend einige Stellen kannten, an denen man wilden
Sago sammeln konnte; ausserdem wusste ich, dass meine Leute für den
äussersten Notfall alle _kertap_, den fein gestossenen Klebreis,
in ihren Tragkörben mitgenommen hatten.
Eine andere Schwierigkeit bestand darin, dass wir uns auf der
Wasserscheide längere Zeit aufhalten mussten, um den zurückgelegten
Weg am Mahakam messen zu können. Das war unbedingt nötig, da sonst
die ganze topographische Aufnahme des Mahakamgebietes in Verbindung
mit derjenigen des Kapuasgebietes überhaupt nicht stattfinden konnte.
Um so schnell als möglich von den Pnihing am Howong Hilfe zu erlangen,
erschien es mir am geratenster, das Prinzip des Zusammenbleibens der
Europäer und der meisten Malaien zunächst aufzugeben. Nach allgemeiner
Beratung wurde daher beschlossen, am folgenden Morgen gemeinschaftlich
aufzubrechen und an diesem Tage noch beisammen zu bleiben, um zu
sehen, ob alles gut ging, und vor allem, ob _Demmeni_ folgen konnte;
war dies der Fall, so sollte ich mit _Bier_ und einigen tüchtigen
Männern in Eilmärschen vorausziehen, während der Kontrolleur _Barth_
mit _Demmeni_ dafür sorgen sollte, dass der Nachschub alles Gepäck
bis zur Wasserscheide brachte. Hierdurch hoffte ich zu erreichen,
dass, bis alle an die Wasserscheide gelangten, sowohl der Lekudjan
erstiegen als mit der Messung des Weges begonnen worden war.
Trotz ihres guten Willens zur Weiterreise nahmen die Träger am anderen
Morgen nur zögernd unser Gepäck auf den Rücken; kindischer Weise
sahen sie sich um, ob die Leute des einen Dorfes nicht am Ende etwas
weniger zu tragen bekamen, als die eines anderen, auch kamen sie mit
den eigenen Dorfgenossen aneinander. Da unsere Malaien wenig Einfluss
auf die Kajan hatten, mussten der Kontrolleur und ich schliesslich
selbst alle Kisten, Reispacken, unsere Matratzen und Zeltdecken unter
sie verteilen und am Ende noch hier einen Kochtopf und dort eine
Lampe in den verschiedenen Tragkörben unterbringen lassen. Nachdem
alle gegessen hatten, begannen sie doch eifrigst ihre Tragkörbe in
Ordnung zu bringen.
Alle Stämme im Innern von Borneo gebrauchen beim Tragen von Lasten
auf ungebahnten Wegen den _takin_, einen aus starkem, gespaltenem
Rotang geflochtenen und daher biegsamen Tragsack von viereckiger
Form. Die hintere Wand des Sackes besteht aus zwei Teilen und ist mit
Rotangschnüren versehen, so dass auch umfangreiche Gegenstände in den
Korb aufgenommen werden können, indem man die Klappen öffnet und die
Fracht an beiden Seitenwänden mittelst der Schnüre festbindet. Auf
diese Weise wurden auch die eisernen Köfferchen, in welchen ich die
meisten Tauschartikel und meine Kleider bewahrte, transportiert. Ein
grosser Vorteil bestand darin, dass die Koffer nicht wegen zu grosser
Länge oder Breite aus dem Korbe hervorragten, daher wurde ein Klettern
zwischen und unter Felsen und umgefallenen Baumstämmen nicht allzu
beschwerlich. Viel Mühe und Überredungskunst war stets erforderlich,
um lange, wenn auch leichte Gegenstände, wie Stative und Massstäbe
den Trägern aufzubürden. Um g Uhr war das Gepäck verteilt. Die
Kajan packten alles so praktisch als möglich zusammen und banden
schliesslich noch ihre eigenen Sachen an den Korb. Die _takin_
werden mittelst zweier Rotangseile über der Schulter auf dem Rücken
getragen. Ist die Haut nicht ganz gesund, so leiden die Schultern bei
längeren Märschen stark und die Tragseile werden daher oft mit Zeug
umwunden. Diejenigen, die ihre dicken Kriegsjacken mitgenommen hatten,
zogen sie öfters an und setzten dann auch ihre schweren Kriegsmützen
aus Rotang auf. Das Schwert hängen alle an die Seite, und in den
freien Händen halten einige ihre Schilde, alle aber ihre Speere,
die ihnen auf beschwerlichen Pfaden einen ausgezeichneten Halt bieten.
Das Abbrechen des Lagers bestand nur darin, dass die Kajan ihre
Schlafmatten zusammenfalteten und vorsichtig aufrollten, die Hütten
selbst blieben unversehrt zurück und werden wohl noch ein Jahr lang
Zeugnis von unserem Aufenthalt am Ufer des Bulit abgelegt haben.
Ein Träger nach dem anderen verschwand auf dem ausgetretenen Pfade
im Walde, und nun wurde es auch für uns Zeit, an den Aufbruch zu
denken. _Demmeni_ war mit _Bier_ bereits vorausgegangen, um den
Weg langsam zurücklegen zu können; wir hatten bis zuletzt gewartet,
um uns davon zu überzeugen, dass nichts im Lager zurückgelassen wurde.
Der Weg bis zum Bungan war nur 5 km lang und nicht steil und wurde
daher ohne Schwierigkeiten zurückgelegt. Von Bergen und Gestein sahen
wir, bis wir an das Ufer des Bungan gelangten, nichts. Hier fand ich
alle vereinigt. Der 60 m breite Fluss war seit dem vorigen Tage stark
angewachsen und man fürchtete, dass das Rotangkabel, das früher beim
Durchqueren des Flusses als Stütze gedient hatte, die schwer beladenen
Träger jetzt nicht würde halten können. Daher waren bereits einige
Männer in den Wald gegangen, um neuen Rotang zur Verstärkung zu suchen;
gleichzeitig befestigte man das eine Ende des Kabels doppelt stark
an den kräftigen Wurzeln der Uferbäume und sandte einen unbeladenen
jungen Mann an die andere Uferseite, um dort das Gleiche vorzunehmen.
Einer nach dem anderen stieg darauf vorsichtig längs der
steinigen Uferwand zum Flussbett hinab, das gänzlich aus glatten,
rundgeschliffenen Felsblöcken von 1/4 bis zu 1 m Durchmesser bestand.
Bereits bei stillstehendem Wasser musste das Gehen auf ihnen
beschwerlich sein. Jetzt wateten die Träger bis zur Brust in dem
brausenden Strom, erreichten aber doch, mit der einen Hand auf
den Speer gestützt, mit der anderen das Rotangseil festhaltend,
wohlbehalten das andere Ufer. Da nie mehr als zwei bis drei Träger
gleichzeitig sich am Seil festhalten durften, dauerte der Übergang
sehr lange, hatte aber den Vorteil, dass keiner der Männer fiel und
unser Gepäck auch nicht nass wurde. _Demmeni_, für den ein kaltes
Bad durchaus nicht wünschenswert war, nahm der kräftige _Jung_
sogleich bereitwilligst auf den Rücken und brachte ihn glücklich,
nur mit nassen Füssen, an das andere Ufer. Jetzt kam die Reihe an uns
andere Europäer. Ich übergab meinen Revolver und mein Gewehr einem
Kajan und begann dann mutig den Kampf mit dem Wasser. Kaum war ich
20 m vom Ufer entfernt, als ich mich mit Erstaunen fragte, wie die
Kajan in diesem Chaos runder Blöcke unter Wasser einen Stützpunkt für
ihre Füsse hatten finden können. Augenscheinlich boten meine Kleider
der heftigen Strömung besonders viele Angriffspunkte, denn ich musste
mich mit beiden Händen am Rotang festklammern, um Stand zu halten. Sehr
bedächtig suchte ich für jeden Fuss einen Stützpunkt und war bisweilen
froh, wenn sich der Fuss zwischen zwei Steinen festklemmte, obwohl
ich ihn beim nächsten Schritt oft nur mit Mühe wieder befreien
konnte. Vorsichtshalber gingen ein Kajan vor und einer hinter mir,
ich kam aber doch noch ohne ihre Hilfe hinüber. Drüben tröstete ich
mich an dem Anblick, den _Barth_ und _Bier_ bei ihrem Durchzug boten.
Nachdem alles heil herübergebracht worden, konnten wir endlich
weiter ziehen, waren aber doch froh, als wir nach einer Stunde eine
Gruppe Hütten erreichten, in welchen unsere Leute früher übernachtet
hatten. Ich beschloss, es für den ersten Tag genug sein zu lassen
und sah mit Vergnügen, dass _Demmeni_ sich gut gehalten und auch kein
Fieber bekommen hatte.
Am folgenden Morgen wollte ich mit _Bier_ und den notwendigsten
Trägern vorausgehen, um noch den Lagerplatz mit unserem Gepäck an
der Wasserscheide zu erreichen; die Kajan meinten jedoch, dies sei
unmöglich. Erst regnete es und, als es etwas trockener wurde, schienen
nur wenige Lust zu einem Eilmarsch zu verspüren. Ich hatte aber _Jung_
als Oberhaupt der Träger und als Führer gewählt und mit seiner Hilfe
brachte ich die Leute in Bewegung. So machte ich mich denn mit _Bier_,
4 Malaien, unter denen auch mein Diener _Midan_ war, und 6 Kajan auf
den Weg.
Auf einem abscheulichen Pfade begegneten wir einigen unserer Träger,
die sich auf eigene Hand aufgemacht hatten. Sie gaben uns eine
Vorstellung davon, auf welche Weise schwer beladene Eingeborene
Wegstellen überwinden, die dem Europäer, auch unbelastet, der
Schwierigkeiten genug bieten. Vor unserer letzten Lagerstätte hatte
der Weg über einen Bergrücken geführt und war nicht besonders mühsam
gewesen, jetzt aber lief er einen steilen Abhang aufwärts, mit dem sich
ein Bergrücken, den wir seiner Höhe wegen nicht überschreiten konnten,
zum Bungantal hin abdachte. Wäre der Abhang nicht bewachsen gewesen,
wodurch der Ausblick auf den brausenden Strom in der Tiefe verdeckt
wurde und man unwillkürlich ein Gefühl der Sicherheit erhielt, so
hätten wir dem Pfade nicht folgen können. Man musste ständig auf und
nieder klettern, unter überhängenden Felsen hindurch, um abgestürzte
Baumstämme herum kriechen und hatte über dem gähnenden Abgrund nie
mehr als ein paar Fuss Raum zur Verfügung. Auf derartigen Pfaden
kommen den Eingeborenen ihre beweglichen, kräftigen Zehen, mit denen
sie sich in dem weichen Boden festklammern, und ihr geschmeidiger
Körper zu Gute. Sie legten auch nur bei solchen Spalten ihre
Last ab, die entschieden zu schmal waren, um mitsamt der Packung
hindurchzuschlüpfen. Nach kurzer Zeit sahen wir sämmtliche Träger
hinter uns und hatten jetzt nur selbst darauf bedacht zu sein, uns
durchzuschlagen. Den ganzen Morgen über behielt der Weg den gleichen
Charakter und erst an der Mündung des Léja veränderte sich das Bild.
Hier lagen die verlassenen Hütten der Bungan Dajak unterhalb eines
prachtvollen Wasserfalles, über den sie als Brücke einen Baumriesen
hatten fallen lassen. Die zwei Felsen, die den Fall senkrecht zu beiden
Seiten einschlossen, waren 25 m von einander entfernt und obwohl der
hellgraue, glatte Stamm gewiss 40 in über dem brausenden Wasser lag,
hatte man es für überflüssig gehalten, den Stamm mit einem Geländer
zu versehen.
Die verlassenen Hütten machten die Wildheit und Einsamkeit der Umgebung
doppelt fühlbar, und so eilten wir nach kurzer Rast von hier fort,
den neuen Reisfeldern der Bungan zu, die nach _Jung_ nicht mehr weit
entfernt waren und uns eine freie Fläche bieten sollten.
Die Steilheit der Bergwand nahm allmählich ab und der Pfad längs
dem Fluss wurde gangbarer. Wir passierten noch einen der mächtigen
Wasserfälle, von denen wir bereits fünf an diesem Morgen begegnet
waren, und dann lag plötzlich an der Mündung des Léja eine fast ebene
Fläche vor uns, auf welcher die Bungan den Wald gefällt und Reisfelder
angelegt hatten.
Die freie Fläche und der warme, heitere Sonnenschein machten nach den
vielen Tagen, die wir in den feuchtkalten Wäldern in der Tiefe der
Talgründe zugebracht hatten, einen wahrhaft erquickenden Eindruck. Wie
verlockend war es, sich am Waldesrande niederzulegen und sich in den
Anblick des lieblichen Bildes zu versenken. Wir hatten aber einen noch
zu weiten Weg zurückzulegen, um uns diesen Genuss gönnen zu können,
und so wartete ich denn mit _Jung_, der allein meinem schnellen Schritt
zu folgen im stande gewesen war, die Ankunft von _Bier_ und den Trägern
ab, um uns nach dem besten Pfad über diese Felder zu erkundigen.
Nach einigem Zögern behauptete einer der Kajan, dass wir längs
des Flussufers am bequemsten weiter kommen würden, und sogleich
machte ich mich auf den Weg. Der Mann hatte sicher nicht gewusst,
was er sagen sollte; denn gerade dieser Teil der Felder war kaum zu
überschreiten. Wie die Bahaustämme im allgemeinen, hatten auch die
Bungan nur einen kleinen Teil des gefällten Holzes verbrennen können,
aber, entweder aus Nachlässigkeit oder wegen zu grosser Feuchtigkeit,
war auch viel kleines Holz, Zweige und niedere Sträucher, unverbrannt
geblieben. Viele der gefallenen Baumriesen versperrten mit einem
Wald halb verkohlter Äste den Weg, was bei anderen Stämmen nie
vorkommt. Alle Bäume waren längs des Abhanges mit ihren Kronen zum
Ufer hin gefallen, so dass wir über jene hinweg oder unter ihnen
hindurch klettern mussten; die verkohlte Baumrinde erleichterte uns
einigermassen die Arbeit. Lagen zu viel Bäume über einander oder
waren die Stämme zu dick, so mussten wir uns durch ihr dichtes
Gezweige hindurcharbeiten und noch dazu auf freiem Felde in der
heissen Mittagssonne, nachdem wir wochen lang im kühlen Walde gelebt
hatten. Der etwas vollblütige _Bier_ kam daher ziemlich erschöpft
auf der anderen Seite der Felder an und sehnte sich nach Ruhe und
Erfrischung in einer Kajanhütte.
Leider fanden wir hier nichts anderes als Wasser und einen Baumstamm,
um darauf zu sitzen, bis unsere Träger ankamen und einen verborgenen
Vorrat Bataten hervorholten. Sogleich machten sie sich daran, die
Bataten in einem Topf gar zu kochen, aber vor Hunger ass jeder von uns
eine Knolle roh auf. Die Träger waren nicht minder ermüdet als wir,
sie waren aber von den Hütten der Bungan an über dem Bergrücken hoch
über der Ladang einem viel besseren Wege gefolgt.
Obgleich es erst Mittag war, behaupteten die Leute doch, an dem Tage
nicht mehr weiter zu können; augenscheinlich hatten sie überlegt, dass
die folgenden von ihnen gebauten Hütten sehr hoch am Betjai lagen und
dass sie diese doch nicht mehr erreichen konnten. Auch die malaiischen
Schutzsoldaten und mein Junge _Midan_, die alle an ihrem Gepäck zu
tragen hatten, erklärten, vor Ermüdung nicht weiter gehen zu können.
Bei dem herrschenden Nahrungsmangel bedeutete aber ein Aufenthalt
ein Aufgeben der ganzen topographischen Aufnahme und so musste ich
denn trotz allem versuchen, mit _Bier_ weiter zu kommen. Dieser war
zwar sehr ermüdet, wollte aber, als erprobter Topograph und weil
es sich um sein Amt handelte, doch nicht zurückbleiben. _Jung_ war,
wie immer, zu allem bereit und nahm die topographischen Instrumente,
den Theodolit und die kleinen Massstäbe auf seine Rechnung; sein
Bruder belud sich mit meinem Bettzeug und einem Dreifuss, und zwei
andere kräftige junge Leute trugen das Bettzeug von _Bier_ und die
notwendigsten Nahrungsmittel, und so machten wir sechs uns auf den Weg.
Als man uns im letzten Augenblick noch einige heisse Bataten zu
verspeisen gab, wurden in der Ferne die ersten schwer beladenen Träger
sichtbar. Ich fürchtete jedoch, sie könnten meine Getreuen wankend
machen, brach daher eiligst auf und begann mit steifen Beinen weiter
zu marschieren. Zum Glück wanderten wir jetzt längs des Léja durch
ein Längstal, das zwar nicht so wild romantisch war wie das Quertal
des Bungan, dafür aber viel breiter und ebener; auch folgten wir
einem für diese Gegenden guten Pfade.
Das Strauchwerk benahm uns nicht gänzlich das Sonnenlicht, daher
konnten wir uns in unseren nassen Kleidern, in denen es uns während der
Rast gefröstelt hatte, etwas erwärmen. Nach 3/4 Stunden verliess der
Pfad den Léja und führte uns dessen Nebenfluss, den Betjai, aufwärts,
der uns in östlicher Richtung direkt zur Wasserscheide bringen
sollte. Der Pfad lief hier wieder durch den Wald, verursachte uns aber
keine Schwierigkeiten, nur mussten wir öfters die Uferseiten wechseln
und daher den nur 20 m breiten, wenig tiefen Fluss durchqueren;
bisweilen wateten wir auch 100 m weit im Flussbette selbst. Das Wasser
reichte zwar nur bis an die Kniee, war aber sehr kalt, so dass wir
wiederum fröstelten; zudem war der Grund auch hier ganz mit glattem,
rundem Geröll bedeckt und nötigte bei der heftigen Strömung auch
den mit einem Stocke versehenen zu vorsichtigem Gehen. Treu blieben
unsere Wachthunde uns zur Seite; war das Wasser tief, so schwammen
sie, war die Strömung zu heftig, so liefen sie am Ufer entlang. Auf
solchen Expeditionen waren sie stets viel zu müde, um mit einander
zu kämpfen, was sie sonst mit Vorliebe taten, auch wagten sie es,
aus Furcht vor der neuen Umgebung, nicht, sich von uns zu entfernen.
Eine Stunde nach der anderen verging, während welcher wir im Wasser
gegen Strömung und Geröll und auf dem Lande gegen Baumwurzeln und
Felsblöcke ankämpften. Jeder Schritt verlangte so viel Aufmerksamkeit,
dass wir für unsere Umgebung kein Auge hatten. Begreiflicher
Weise wurde auch kein Wort unnütz gesprochen. Da wir über den noch
zurückzulegenden Weg unsicher waren, begann unsere Lage gegen drei
Uhr, unserer grossen Ermüdung wegen, kritisch zu werden. Indem ich
mit _Jung_ stets voran marschierte, schleppte ich die anderen mit;
um 1/2 4 Uhr musste ich jedoch Halt machen, da _Bier_ vor Erschöpfung
am Flussufer niedergefallen war. Er erklärte zwar, dass etwas Ruhe und
Nahrung ihn bald wieder herstellen würden; aber es war mir doch eine
grosse Beruhigung, als der hinterste Träger erklärte, die gesuchten
Hütten seien ganz in der Nähe. _Jungs_ Bruder brachte aus seinem
Tragkorbe _kertap_ zum Vorschein und reichte ihn mit Wasser dem
Erschöpften als Magenstärkung. Nun merkten _Jung_ und ich, dass auch
wir eine Erfrischung sehr nötig hatten, setzten uns daher auf eine
Sandbank im Flusse und teilten brüderlich den übrigen _kertap_. Die
Rast gab auch mir den letzten Stoss; nur mit Mühe schleppte ich mich
die 300 m bis zu den Hütten weiter und legte mich dort auf einer zum
Lagerplatz für die Nacht bestimmten Bank nieder.
Auch jetzt wieder kam uns unsere Gewohnheit, zwischen unserer
Matratze stets einen Reserveanzug einzupacken, sehr zu statten. Als
wir unsere durch und durch nassen und von der Kletterei über
halb verkohlte Baumstämme geschwärzten Kleider gegen trockene
vertauschten, durchzog uns das erste Gefühl von Wohlbehagen. Die
Kajan zündeten schnell ein Feuer an und kochten Wasser, das uns,
mit etwas kondensierter Milch vermischt, einen herrlichen, heissen
Trank lieferte. Bei unserer Übermüdung waren wir aber nicht im stande,
von dem primitiv zubereiteten Reis etwas zu geniessen. So war es uns
eine angenehme Überraschung, als einer der Kajan mit einer unserer
Konservenkisten ankam, die er ganz in der Nähe im Walde gefunden
hatte. Einer der Träger musste die Kiste dort niedergelegt haben,
statt sie, wie es seine Pflicht war, bis zu dem Proviantlager weiter
oben zu bringen. Durch seine Nachlässigkeit waren wir nun in den Besitz
verschiedener Konservenbüchsen gelangt, deren Inhalt auch bald unseren
Appetit wieder belebte. Unsere Hunde waren jedoch so müde, dass sie die
Reste, für sie aussergewöhnliche Leckerbissen, nicht einmal anrührten;
sie waren nicht dazu zu bewegen, ihren Platz hinter unseren Klambu
zu verlassen und schliefen jetzt friedlich neben einander, während
sie sich für gewöhnlich immer den besten Platz streitig machten. Wir
Europäer waren übrigens auch zu nichts mehr aufgelegt, gingen bei
Sonnenuntergang schlafen und erwachten erst als es heller Tag war.
Nach der Aussage unserer Kajan war es bis zum Stapelplatz unseres
Gepäckes nicht mehr weit, daher eilten wir auch nicht mit dem Aufbruch.
Gleich nachdem wir gespeist hatten, erschienen zu unserer grossen
Verwunderung mein Diener _Midan_ und einige Malaien. Sie hatten
es nämlich doch nicht über sich gebracht, uns gänzlich im Stich zu
lassen und waren uns, nachdem sie sich etwas erholt hatten, doch noch
am vorigen Tage ohne die Kajan gefolgt. Bevor sie uns aber einholen
konnten, war die Dunkelheit eingebrochen und sie hatten unter höchst
mangelhafter Bedeckung die Nacht im Walde zubringen müssen. Sie hatten
aber trotz ihrer Ermüdung aus Verdruss darüber, dass sie uns nun doch
allein gelassen hatten, und aus Angst vor Kopfjägern nicht schlafen
können, waren bei Morgendämmerung bereits aufgebrochen und daher so
früh bei uns eingetroffen. Nun fingen wir gemeinsam die Wanderung
durch den Fluss an und bereits nach zwei Stunden begegneten wir erst
einem Hund, dann einem kleinen Knaben und schliesslich unserem Korporal
_Suka_ selbst, der sich eben auf den Fischfang begab. Der kleine Knabe
war ein Bukat, dessen Familie mit uns zum Howong ziehen wollte. Der
pater familias war mit _Akam Igau_ bereits vorausgegangen, um ihm als
Führer zu dienen und ihn bei den Pnihing von _Amun Lirung_ einzuführen.
Es stellte sich heraus, dass aller Proviant, mit Ausnahme des
Reises, gut angekommen war. Von den mehr als 50 Packen Reis, die ich
vorausgesandt hatte, waren zum Glück 11 statt nur 6, wie man mir
früher berichtet hatte, angekommen. Wir beschlossen nun, hier auf
die Ankunft unserer Träger zu warten und uns für diesen Tag Ruhe zu
gönnen. Da unser Lagerplatz auf einer Höhe von 500 m lag und stark
beschattet war, kam uns die Temperatur sehr niedrig vor; eine wollene
Decke in unseren Klambu war daher sehr angenehm. Immerhin zeigte das
Flusswasser noch eine Temperatur von + 20° C.
KAPITEL XII.
Auf der Wasserscheide zwischen Kapuri und Mahakam--Opfer
der Kajan--Längs des Howong zu den Pnihing--_Amun
Lirung_--Nahrungsmangel und Schwierigkeiten mit dem Transport
des Gepäckes--_Kwing Irang_--Löhnung der Träger--Besuch bei den
Bukat--Reise zu _Belarè_--Einkauf von Böten am Tjehan--Fahrt zu
_Kwing Irang_ am Blu-u.
Im Laufe des Tages kamen genügend viele Träger an, um unser
notwendigstes Gepäck über die Wasserscheide zu befördern. Sie brachten
auch gute Nachrichten von _Barth_ und _Demmeni_, die uns langsam
folgten. Ich merkte bald, dass die Träger diesmal selbst Eile hatten
mit dem Transport- die Bataten der Bungan und der eigene _kertap_
ernährten sie nur kümmerlich, auch fürchteten sie das Schlimmste für
die nächsten Tage.
Der zur Wasserscheide führende Bergrücken lief steil aufwärts,
aber der Pfad schien viel benützt zu sein, denn er war nicht mit
Rotang und Gestrüpp verwachsen. Auf halber Höhe hörten wir rechts
von uns den Ruf eines _hisit_, was meinem Geleite und daher auch
mir eine grosse Beruhigung gewährte, da wir nun das Mahakamgebiet
unter günstigen Vorzeichen betraten. Etwas weiter aufwärts bemerkten
wir Opferpfähle, die _Akam Igau_ und seine Begleiter hier mit der
Spitze zum Kapuasgebiet aufgerichtet hatten, um die bösen Geister
zu verhindern, sie weiter an den Mahakam zu begleiten. Obwohl die
Vegetation zu beiden Seiten des Bergrückens sehr üppig war, kamen
doch ab und zu zwischen dem dichten Grün die benachbarten Berge zum
Vorschein; rechts von uns tauchte der gesuchte Lekudjang auf. Zuletzt
führte der Pfad wieder durch undurchdringlichen Wald, und bei der
starken Steigung hatten wir auch nicht viel Lust, uns weiter Umzusehen.
Nach zwei Stunden veränderte sich das Bild gänzlich; wir zogen
mitten über einen Morast, der nach Aussage der Träger auf der Höhe
der Wasserscheide selbst lag. Da unser Geleite hier ein Opfer zu
bringen verpflichtet war, mussten wir Halt machen und unser Lager
aufschlagen. Der Wind wehte aber auf dieser Passhöhe so heftig, dass
ich es für geratener hielt, die Zelte ungefähr 50 m weiter unten,
jenseits der Höhe, aufrichten zu lassen. Sehr einladend sah es auch
dort nicht aus: in der engen Schlucht des Howong stiegen zu beiden
Seiten dicht bewachsene, steile Wände auf und ein eisiger Wind blies
durch die schmale Spalte. Infolge der vielen Regenfälle triefte die
ganze Umgebung vor Nässe; um 6 Uhr morgens zeigte das Thermometer nur +
18.5° C und um 12 Uhr mittags + 21° C; einen schlechteren Lagerplatz
hatten wir seit Jahren nicht gehabt.
Unsere Träger schlugen in aller Hast die Zelte auf und eilten dann
wieder zum alten Lagerplatz zurück, um so schnell als möglich alles
Gepäck auf die Mahakamseite zu schaffen. Nur einige Kajan blieben unter
_Obet Lata_ bei uns zurück, um uns bei der Besteigung des Lekudjang
zu helfen, die wir sogleich vornehmen wollten. Wir hofften von diesem
Berg aus einen Überblick über das Gebiet des Howong und Mahakam zu
erhalten und auf der Wasserscheide einen geeigneten Punkt zu finden,
von dem aus _Bier_ seine Messungen beginnen konnte.
Einem schmalen Kamm auf der linken Seite des Morasts folgend gelangten
wir zu einem Punkt, von dem aus einige spitze Gipfel im Kapuasgebiet
sichtbar waren. Plötzlich war uns aber der Pfad durch eine steile
Wand des Lekudjang abgeschlossen und wir mussten uns nach einer Stelle
umsehen, von der aus der Aufstieg möglich war. Obgleich die Steigung
durchschnittlich 40° betrug und wir uns auf einer Schutthalde befanden,
boten uns doch die wilden Sagopalmen, die hier wuchsen, genügende
Stützpunkte, so dass wir uns leidlich fortbewegen konnten. Erschwert
wurde die Kletterei durch den Rotang, der uns mit seinen Dornen und
Widerhaken auf alle erdenkliche Weise festhielt; auch wurde uns an
dieser offenen, der Sonne ausgesetzten Bergwand die Hitze lästig. Nach
zwei Stunden war an ein Weiterkommen nicht mehr zu denken; denn wir
befanden uns vor einer senkrechten Wand, deren Höhe wir wegen der
überhängenden grünen Massen nicht schätzen konnten. Umgehen konnten
wir die Wand nicht, weil der Bergrücken, auf dem wir uns befanden,
an beiden Seiten steil abfiel. Um nach Norden und Osten Aussicht zu
gewinnen, liessen wir einige Bäumchen umhacken, deren Stämme zugleich
als Stützen für den Theodolit dienten, mit dem _Bier_ einige Peilungen
im Mahakamgebiet vornehmen wollte. Wir befanden uns auf 950 m Höhe,
direkt gegenüber dem Ober-Kapuas-Kettengebirge, dessen zwei Erhebungen,
Tipung und Dadjang, dicht vor uns lagen. Die Bergkette setzte sich,
soweit wir sie nach Osten verfolgen konnten, im Gebiete des oberen
Mahakam weiter fort und schien an Höhe immer mehr zuzunehmen. Der
Mahakam hat sich in nord-östlicher Richtung in diese Kette sein
Bett gegraben. Die zu beiden Seiten des Mahakamtales hinter einander
aufsteigenden Bergrücken boten einen prachtvollen Anblick. Der Abstand
war aber zu gross und die Luft zu undurchsichtig, um in dem Panorama
irgend welche Einzelheiten wahrnehmen zu können. Der Howong schlängelte
sich durch ein Hügelland, das in dem alles bedeckenden dunklen Grün hie
und da hellere Töne zeigte, die von älteren und jüngeren Reisfeldern
der Pnihing, welche hier seit langen Jahren wohnten, herrührten. Nach
Westen und Süden benahm uns der Lekudjang jede Aussicht.
Auf dem Rückwege sahen wir uns nach einem Punkt um, von dem aus _Bier_
auch einige Bergspitzen im Westen anvisieren konnte.
In unserem Lager angekommen fanden wir bereits einen grossen Teil
unseres Gepäckes vor, aber _Barth_ und _Demmeni_ hielten sich immer
noch im Lager am Betjai auf, das sie nicht verlassen wollten, bevor
alles Gepäck abgeholt worden war.
_Tigang Aging_, der sich in _Akam Igaus_ Abwesenheit als Herr und
Meister aufspielte, wollte bereits am anderen Tage den Geistern auf
der Wasserscheide opfern (_napo_) lassen, aber bevor alle und alles
im Lager beisammen waren, konnte davon keine Rede sein. So machten
sich anderen Tages alle Träger und Malaien mit _Tigang_ wieder auf
den Weg zum alten Lager. Beinahe alle Männer brachten mit grosser
Kraftanspannung an diesem Tage zwei Mal eine Fracht nach oben; trotzdem
blieb aber immer noch ein Rest im Lager am Betjai zurück. Da _Demmeni_
sich von der Reise etwas ermüdet, im übrigen aber wohl fühlte, blieb
er noch unten, während der Kontrolleur bei uns im Lager eintraf.
Trotz der grössten Sparsamkeit begann der Reismangel so fühlbar zu
werden, dass wir abends berieten, was weiter zu tun sei. Dass _Bier_
mit seiner Aufnahme begann, war dringend notwendig, daher wurden ihm
drei Malaien und drei Kajan mit einer genügenden Menge Reis zugeteilt,
um am folgenden Morgen die Messungen anfangen und den Weg selbständig
bis an den Mahakam fortsetzen zu können. _Barth_ sollte mit _Demmeni_
wiederum für den Gütertransport sorgen und ich mit den notwendigsten
Trägern vorausgehen und bei _Amun Lirung_, dem Pnihinghäuptling weiter
unten am Howong, Proviant und Hilfe für unsere Leute suchen.
Um den Rest unseres Gepäckes abholen und dann opfern zu können,
hauptsächlich aber, um im Walde nach Nahrungsmitteln suchen zu lassen,
musste ich noch einen Tag in unserem nasskalten Lager verbringen. Alle
Männer, die nicht beim Tragen halfen, schickte ich in den Wald,
um _owur nanga_ (Palmkohl = junge Sprosse von Eugeisonia tristis)
und wenn möglich auch Sago aus dem Stamm der Palme zu sammeln. Leider
fanden die Leute zwar viel _owur_ aber nur sehr wenig Sago, so dass
der erste Hunger zwar gestillt wurde, eine kräftigere Nahrung aber
immer noch fehlte.
Abends fand das Opferfest statt; alle kleideten sich etwas sorgfältiger
als gewöhnlich an, legten sich ihr Schwert um und begaben sich mit
einigen Eiern, die stets auf grösseren Expeditionen zu diesem Zwecke
mitgenommen werden, auf die Wasserscheide; dort pflanzten sie Stöcke
in den Boden, spalteten deren Spitzen in 4 Teile und klemmten die
Eier als Opfergabe für die Geister der Wasserscheide hinein.
Da _Tigang_ viel redete, aber mit seinen Leuten weniger gut als _Jung_,
der selbst mitarbeitete, umzugehen verstand, teilte ich ihm mit,
dass ich seine Hilfe bei _Amun Lirung_, dem Pnihinghäuptling, nötig
hätte. Obgleich ihm der grosse Marsch nicht verlockend erschien,
fühlte er sich in seiner Eitelkeit dadurch doch so geschmeichelt,
dass er _Jung_ gern sein Amt, die Überwachung des Gütertransportes,
überliess, und so machten wir uns bereits früh Morgens mit 8 Mann und
einem Bukat, _Udjan_, als Führer auf den Weg. Wie immer, ging ich,
um mein Geleite zur Eile anzuspornen, voraus, schlug aber einen
falschen Pfad ein, so dass die Träger bereits ein gutes Stück auf
dem richtigen Wege weitergegangen waren, bevor ich mit _Tigang_
mein Versehen bemerkte. Hoch über einem steilen Abhang holte ich
die Träger ein. Die Eingeborenen nannten den Platz "_labu aso_",
d.h. Platz, an dem die Hunde stürzen. Ein halb verfaulter Baumstumpf
wurde mir als Überrest eines Baumes gezeigt, auf den _Georg Müller_
1825 mit den Punan um die Wette geschossen hatte; seine Flinte hatte
über ihre Blasrohre den Sieg davon getragen.
Von dieser Stelle an fiel der Pfad so steil ab, dass man bis in das
Tal hinunter mehr gleiten als gehen musste. Im Tal lagen grosse
Mengen scharfkantigen Gesteins, das sich durch seine leuchtende
Weisse lebhaft von der dunkelgrünen Umgebung abhob; es waren die
Reste einer Goldmine, welche die Pnihing hier früher angelegt, jetzt
aber verlassen hatten. Der Howong hatte so viel von diesem Gestein
mitgeführt, dass es noch in einer Entfernung von vielen Kilometern im
Flussbette Bänke bildete. Für unsere beschuhten Füsse war das Gehen
auf den spitzen Steinen angenehmer als auf dem runden Geschiebe des
Betjai; unsere barfüssigen Träger dachten allerdings anders und waren
froh, als wir weiter unten im Flussbett wieder die gewöhnlichen,
runden Geröllsteine antrafen.
Bereits bei Beginn unserer Wanderung war unser Führer _Udjan_ sehr
schweigsam gewesen und hatte uns weder über den Weg noch über die
Möglichkeit, noch am gleichen Tage die Niederlassung der Pnihing zu
erreichen, viel mitgeteilt. Er hatte in den letzten Tagen an Fieber
gelitten; jetzt blieb er ständig zurück und klagte über unseren
schnellen Gang. Als er endlich merkte, dass Eile dringend notwendig
war, raffte er sich auf. Mittags erreichten wir das Nebenflüsschen,
das _Udjan_ uns als geeigneten Platz zum Übernachten angegeben
hatte; unter den gegenwärtigen Umständen konnte davon aber keine
Rede sein. Zwar wartete ich hier alle meine zurückgebliebenen Träger
ab, erklärte diesen aber sogleich, dass ich in der Hoffnung, das
Pnihinghaus zu erreichen, bis zum Einbruch der Nacht den Marsch
fortsetzen wolle; vom Lekudjang, aus gesehen, war mir nämlich der
Abstand nicht sehr gross vorgekommen. Meine Erklärung wurde von allen,
hauptsächlich von _Tigang_, mit verdrossener Miene aufgenommen Ich
machte jedoch _Tigang_ darauf aufmerksam, dass ihm jetzt, wo er
mich zum ersten Mal begleitete, sein Ehrgefühl gebieten müsse, nicht
zurückzubleiben. Das sah er auch ein und zeigte sich zum Weitergehen
bereit. Noch einige Stunden ging es im Bette des Howong abwärts,
dann trafen wir auf frühere Reisfelder, die wir, um grosse Windungen
des Flusses abzuschneiden, durchquerten.
Gegen 3 Uhr erreichten wir die neuen Reisfelder der Pnihing. Die freie
Aussicht, die wir hier wieder einmal genossen, und die Gewissheit,
in der Nähe menschlicher Wohnungen zu sein, die wir seit 40 Tagen
nicht gesehen hatten, belebten meine Kräfte. Um 4 Uhr befand ich mich
endlich mit _Udjan_ und einem Malaien vor dem eingekerbten Baumstamm,
der als Treppe zum hohen Pnihinghause hinaufführte; es kostete mich
aber einige Mühe, meine erschlafften Glieder noch diese letzten 4 Meter
hinaufzubefördern. Zwei Stunden darauf langten auch meine Träger an.
Das Haus erschien fast leer; auf der Galerie befanden sich nur
eine alte Frau und ein Kind, die mit Erstaunen den ersten Weissen
betrachteten, der sich bei ihnen zeigte. _Amun Lirung_ (= Vater von
_Lirung_) kam mir aber sogleich vor seiner Wohnung entgegen. Er schien
sich bereits über die Begrüssungsform der Weissen unterrichtet zu
haben, denn er reichte mir die Hand; auch erzählte er, dass beinahe
niemand im Hause anwesend war, da fast alle Familien augenblicklich
auf den Reisfeldern wohnten. Hierauf verschwand er eiligst in
seiner Wohnung, aus der er sehr bald mit einer Sklavin und einigen
Rotangmatten wieder zum Vorschein kam. Die Matten breitete er für
mich und mein Gepäck auf dem Boden der Galerie aus. Nachdem wir
uns niedergelassen hatten, begann die Unterhaltung. Mein Gastherr
zeigte sich als lebhafte, gesprächige Natur, machte mir aber im
übrigen einen so wenig vertrauenerweckenden Eindruck, dass ich mir die
Geringschätzung, mit der die weiter unten am Flusse wohnenden Pnihing-
und Kajanhäuptlinge mir auf meiner vorigen Reise von ihm gesprochen
hatten, sehr wohl erklären konnte. Seine Frau _Hinan Lirung_ ( = Mutter
von _Lirung_) blieb vorläufig noch verborgen, ich suchte sie aber,
auf Anraten _Tigang_s, später in ihrem Wohngemache auf. Sie empfand
über unsere Ankunft weder Angst noch Unwillen, sondern schien ganz
von den Vorbereitungen für unseren Empfang in Anspruch genommen zu
sein. Bei meinem Eintritt kniete sie gerade vor einem grossen Topf
mit Reis und Bataten. Sie hatte mit ihrer Fürsorge das Richtige
für unseren Empfang getroffen und besass, wie ich später bemerkte,
in der ganzen Häuptlingsfamilie am meisten Verstand, den sie auch in
wichtigen Angelegenheiten des Stammes gut zu gebrauchen wusste. Meinem
Diener übergab sie für mich eine Portion Reis und ein Ei und versprach
auch etwas Früchte.
Als ich draussen auf der Galerie an die Aussenwand gelehnt in dem
herrlichen Gefühl sass, wieder ein festes Dach über mir und einen
trockenen, ebenen Boden unter mir zu haben, bemerkte ich einige
Malaien, die von der Mahakamseite aus den Howong durchwateten und
bald darauf vor uns erschienen. Sie erzählten, dass _Kwing Irang_,
der Kajanhäuptling vom Blu-u, der mir bis an die Mündung des Howong
entgegen gereist war, sie auf Kundschaft zu _Amun Lirung_ gesandt habe,
um zu erfahren, ob wir bereits eingetroffen seien.
_Akam Igau_ hatte seine Sendung, wie es sich zeigte, gewissenhaft
erfüllt; er hatte sich zuerst zu dem wichtigsten Pnihinghäuptling,
_Belarè_, begeben, dann weiter flussabwärts _Kwing Irang_ am
Blu-u aufgesucht und war schliesslich noch weiter zu _Bo Léa_,
dem Häuptling der Long-Glat, gegangen; alle drei Niederlassungen
hatte er auf unsere Ankunft und unsere Absichten vorbereitet. Seine
Aufforderung, uns baldmöglichst Hilfe zu senden, hatte grossen
Eindruck gemacht, denn _Kwing Irang_ war sogleich mit vielen Böten
den Mahakam hinaufgefahren, unglücklicher Weise ohne vorher eine
für längere Zeit ausreichende Menge Reis zu beschaffen. Sie hatten
Tage lang mit Hochwasser kämpfen und jetzt sogar einen Tag warten
müssen und wären, wenn ich nicht gekommen wäre, aus Reismangel wieder
umgekehrt, was für unsere Expedition, bei der herrschenden Nahrungsnot,
sehr verhängnisvoll hätte sein können. Die Malaien berichteten, dass
nach _Kwing Irangs_ Beispiel auch _Belarè_ und andere Pnihing mir
entgegengefahren seien. Sehr beruhigend wirkte auf mich die Nachricht,
dass sich die Batang-Lupar Banden auf Befehl des Radja von Serawak aus
dem Gebiet des oberen Mahakam zurückgezogen hatten. Halb ausgeruht und
ermuntert durch die guten Nachrichten raffte ich mich nach Ankunft der
Träger auf, nahm ein erfrischendes Bad und wechselte meine Kleidung.
Obgleich diese Niederlassung der Pnihing nur 20 Familien umfasste, die
ihren Reisvorrat beinahe gänzlich verbraucht hatten, bewirtete _Hinan
Lirung_ meine Leute doch mit Reis und Bataten; ich selbst genoss zum
Reis noch das Ei und würzte es mit dem Salz, das ich mitgenommen hatte
und von dem ich meiner Wirtin sogleich als Gegengeschenk einen Teil
anbot. _Amun Lirung_ forderte mich auf, die Nacht sicherheitshalber
in seiner _amin_ zu verbringen und, sobald sich die Unruhe dort etwas
gelegt hatte, verschwand ich in meinem Klambu.
Am 25. September erwachte ich mit dem angenehmen Bewusstsein, keinen
Marsch mehr unternehmen zu müssen. Die Pnihing zogen dem Kontrolleur
zu Hilfe und kehrten abends jeder mit einer schweren Kiste beladen
zurück. An den folgenden Tagen konnte ich sie aber auch gegen gute
Belohnung nicht dazu bewegen, den Zug zu wiederholen. Um _Kwing Irang_
von unserem Tun und Lassen zu unterrichten, sandte ich ihm _Tigang_
entgegen, der sich gleichzeitig auch nach einer Gelegenheit, Reis für
uns zu beschaffen, umsehen sollte. _Tigang_ brach auch sogleich in
Gesellschaft der malaiischen Kundschafter auf. Er musste, um _Kwing
Irang_s Lagerplatz zu erreichen, zuerst das Flussbett des Howong ein
Stück weit durchwaten und dann über Land zum Mahakam ziehen. Der
Howong stürzt sich nämlich mit einer Reihe sehr steiler Fälle von
ungefähr 120 m Höhe in den Mahakam und ist daher auf dieser Strecke
nicht befahrbar. Da auch unser Gepäck auf jenem Wege zum Mahakam
getragen werden musste, liess ich _Kwing Irang_ bitten, mir seine
Kajan zu Hilfe zu schicken.
In Anbetracht, dass durch die Höhe der Wasserfälle an der Mündung
des Howong eine Verbindung mit dem Mahakam auch für Fische unmöglich
gemacht oder doch sehr erschwert wurde, hielt ich eine gesonderte
Sammlung der Fischarten von Haupt- und Nebenfluss zwecks späterer
Vergleichung für wertvoll. Ich setzte daher für jede neue Fischart,
die man mir brachte, eine Belohnung aus, wodurch unsere ichthyologische
Sammlung mit 15 neuen Arten aus dem Howong bereichert wurde.
Tags darauf sandte mir _Kwing Irang_ einige seiner Kajan, die mich
als alte Bekannte sehr freudig begrüssten; sie erzählten, dass sie
meiner Ankunft wegen ihr Saatfest aufgeschoben hatten und dass sie
wegen Reismangel baldmöglichst in ihre Niederlassung zurückkehren
mussten. Da auch _Tigang_ nur einen einzigen Packen Reis hatte
auftreiben können, schickte ich ihn am folgenden Tage mit einer
reichlichen Menge Tauschartikel wieder aus, um zu versuchen, in einer
Pnihingniederlassung am Penaneh wenigstens Bataten aufzukaufen.
Gegen Mittag des folgenden Tages traf _Kwing Irang_ in Gesellschaft
des Pnihinghäuptlings _Kaharon_ und einiger anderen mit 50 Trägern
bei uns ein.
Es sei mir gestattet, _Kwing Irang_, der grössten und eigenartigsten
Persönlichkeit, der ich im Innern Borneos begegnete, hier einige Worte
zu widmen. Ist er es doch gewesen, der mir als Berater und Freund
auf allen Reisen treu zur Seite stand und dessen Hilfe ich die guten
Erfolge meiner Unternehmungen zum grossen Teil verdanke. Ich glaube
den Leser am schnellsten mit diesem seltenen Manne bekannt machen
zu können, indem ich ihm unsere erste charakteristische Begegnung
schildere.
Als ich im Jahre 1896 zum ersten Mal die Mündung des Blu-u erreichte,
hatte _Kwing Irang_, der damals weiter oben am Fluss wohnte, ein
malaiisches Haus zu meinem Empfange in Stand setzen lassen. Ich
verbrachte die Nacht vor unserer Begegnung in unruhiger Erwartung,
wusste ich doch aus den Berichten der anderen Stämme, dass das
weitere Schicksal unserer Expedition von der Entscheidung des grossen
Häuptlings des Mahakamgebietes abhing. _Kwing Irang_, der abends zuvor,
nachdem wir uns bereits zur Ruhe begeben hatten, eingetroffen war,
schien ebenfalls auf unsere Begegnung gespannt zu sein; wenigstens
war ich noch nicht angekleidet, als er melden liess, dass er mich
begrüssen wolle. Sogleich wurden zwei Klappstühlchen einander
gegenübergestellt und bald darauf sah ich an dem nebenstehenden
Hause eine Reihe Männer hinab- und an unserer Baumtreppe wieder
hinaufsteigen. Der erste, dessen Haupt über dem Boden erschien, trug
eine schwarze Mütze mit breitem Goldrande, unter der ein ältliches,
mageres Gesicht mit eingefallenen Wangen, gerader Nase und kleinen
Augen mit ruhigem, festem Blick zum Vorschein kam. Dem goldenen
Abzeichen nach, das nur er trug, musste der Mann _Kwing Irang_ sein,
auch bestätigte mir die Sicherheit seines Auftretens im Gegensatz
zu der Steifheit seines Gefolges, dass der grosse Häuptling in der
Tat vor mir stand. Ich ging ihm einige Schritte entgegen, reichte
ihm die Hand und forderte ihn auf, sich mir gegenüber auf _Demmenis_
Stuhl zu setzen, was dein verschlossenen Eingeborenen einen Ausruf der
Verwunderung entlockte. Augenscheinlich war ihm so etwas bei seinen
Zusammenkünften mit dem Sultan von Kutei und dem Radja von Serawak
noch nicht vorgekommen, denn die Behandlung eines Stuhles war ihm so
neu, dass er im Augenblick, wo er sich setzen wollte, umgefallen wäre,
wenn ich ihn nicht rechtzeitig aufgefangen hätte. Der Unfall brachte
ihn aber durchaus nicht aus der Fassung. Einige Minuten lang sassen wir
einander schweigend gegenüber und lernten uns mit den Augen kennen. Was
mich betraf, so war ich mit dem empfangenen Eindruck zufrieden und,
wie er mir später gestand, ging es ihm ebenso.
_Kwing Irangs_ Körper zeigte noch deutlichere Spuren des Alters
als sein Gesicht; er schien ein Mann von 55 Jahren zu sein,
mit feinem Körperbau, kräftigen Muskeln und geringer Neigung zur
Wohlbeleibtheit. Seine Kleidung zeugte von Sorgfalt; ein Tuch aus
blauem Kattun bedeckte in zahlreichen Windungen die Lenden und ein
Schwert mit schönem Horngriff hing ihm an einem Rotanggürtel zur
Seite. An Schmucksachen trug er nur einige Halsketten und silberne
Ringe von cm Durchmesser, die an seinen weit ausgereckten Ohrläppchen
hingen und unter den offen herabfallenden Haaren hervorkamen. Von
einer Tätowierung bemerkte ich keine Spur.
Das freie Auftreten, die sichere Haltung und der gutmütige
Gesichtsausdruck _Kwing Irangs_ flössten mir sogleich Vertrauen und
die Hoffnung ein, dass wir einander verstehen würden. Die Vorteile,
mit den Niederländern auf gutem Fuss zu stehen, leuchteten dem
klugen Manne ein und so verständigten wir uns bald über meine
weiteren Pläne. Nachdem der sachliche Teil erledigt war, begannen
wir eine lebhafte Unterhaltung über allerhand Dinge. Ich zeigte
dem Häuptling Bilder und Gewehre, von denen ihn besonders letztere
interessierten. Über unserer ersten Begegnung schien ein besonderer
Glückstern zu walten. Während ich nämlich _Kwing Irang_ die Einrichtung
eines Winchester Repetiergewehres sehen liess, ging plötzlich
ein Schuss los, der keinen geringen Schrecken verursachte. Aber
glücklicher Weise schlug die Kugel nur ein Loch in das Dach und,
da keiner verletzt war, blieben alle auf ihren Plätzen. Ich hatte
wiederum Gelegenheit, die grosse Besonnenheit meines neuen Freundes
zu bewundern, der die beruhigenden Worte seines Geleites kaum nötig
hatte. Ein rechtes Gespräch wollte jedoch nicht mehr in Gang kommen
und so verabschiedeten sich unsere Besucher bald darauf.
_Kwing Irang_ ist vor zwei Jahren, bald nachdem ich Borneo verlassen
hatte, gestorben.
Der Tod dieses klugen, friedliebenden Mannes, der mit weitem Blick im
Interesse seiner Untertanen auch mit ihm fremden Völkern Beziehungen
anzuknüpfen sich nicht scheute, bedeutet für das Mahakamgebiet einen
grossen Verlust.
Die Mahakam Kajan waren zwar gern bereit, unser Gepäck bis zum Mahakam
zu tragen, sahen es aber als Aufgabe ihrer Mendalam Verwandten an,
alles Gut, das sich noch beim Kontrolleur befand, bis zu _Amun Lirung_
zu befördern. Die Mendalam Träger waren jedoch nach ihrer Ankunft im
Pnihinghause nicht mehr dazu zu bewegen, auch noch den Rest der Sachen
abzuholen, was ich ihnen in Anbetracht ihrer hungerigen Mägen nicht
verdenken konnte. Gegen hohen Preis gelang es mir, unseren Ma-Suling
Trägern noch etwas Reis zu verschaffen und den Kajan teilte ich
mit, dass sie unterwegs _Tigang_ mit einem Vorrat Bataten begegnen
würden. Diese Aussicht erschien so verlockend, dass sie fast alle
wieder auf die Beine brachte. Abends kehrten sie mit dem Kontrolleur
und _Demmeni_, die sich beide wohl befanden, zu uns zurück. _Demmeni_
Wurde als alter Bekannter von den Mahakam Kajan freudig begrüsst; dem
fremden Kontrolleur gegenüber trat aber die, ihnen eigene ängstliche
Zurückhaltung wieder zu Tage.
Gegen Abend kam _Kaharon_, um mit mir über die Lohnfrage zu beraten;
er forderte für den Transport des Gepäckes an den Mahakam nicht
weniger als 2.50 fl täglich für den Träger. Für alle Anstrengungen
und Entbehrungen, welche die Leute diesmal auszustehen hatten,
war der Preis nicht zu hoch, aber als Taggeld für später hätte die
Erteilung eines solchen Lohnes Schwierigkeiten verursacht, besonders
da den Pnihing Geld viel weniger bedeutete als Tauschartikel. Im Laufe
des Gespräches merkte ich, dass _Kaharon_ die Lohnfrage nur berührt
hatte, um zu erfahren, ob ich die geleistete Hilfe überhaupt bezahlen
wollte. Ich beeilte mich natürlich, ihm zu erklären, dass ich jeden,
der mir zu Hilfe gekommen war, belohnen wollte.
Anderen Tages kam _Tigang_ von seiner Forschungsreise nach
Nahrungsmitteln zurück; seine Bataten war er unterwegs leider
grösstenteils an seine hungerigen Dorfgenossen los geworden, er brachte
aber noch einen Packen Reis und eine gute Menge _bulung obe_ ( = Mehl
von Bataten) mit. Die Pnihing verstehen dieses Mehl ausgezeichnet zu
bereiten, indem sie die Bataten in feine Scheiben schneiden, sie in der
Sonne trocknen lassen und dann fein zerstampfen. Jedem Manne liess ich
von dem Batatenmehl eine Portion zuteilen, und da auch unsere Wirtin
noch von ihren bescheidenen Vorräten nach Kräften beisteuerte, genossen
unsere wackeren Träger nach langer Zeit die erste gute Mahlzeit.
Wir hatten alle Ursache, mit unserem Empfang im Mahakamgebiet zufrieden
zu sein; denn alle grossen Häuptlinge waren uns zu Hilfe geeilt,
auch waren wir hier am Howong mit aussergewöhnlicher Selbstlosigkeit
aufgenommen worden. In der ersten Zeit gab ich meinen Gastherren
nämlich nichts anderes als etwas Salz und einige Kleinigkeiten,
ausserdem erregte ich noch _Hinan Lirungs_ Neid, indem ich _Djulan_,
einem lieblichen Bukatmädchen, das mich unter dem Schutz von _Tetuhè_,
einem unserer Punan vom Mendalam, öfters besuchte, etwas Tabak,
hübsche Zeugstückchen und Ringe schenkte. Die Kleine hatte sich
anfangs nur schüchtern in der Ferne gezeigt, wurde nachher aber so
zutraulich, dass sie später sogar allein zu mir zu kommen wagte. In
Anbetracht der mit Furcht gemischten Missachtung, mit der die Bahau
die nomadisierenden Bukat sowie alle Jägerstämme ansehen, stellte ich
an _Hinan Lirung_s Nachsicht hohe Anforderungen; es lag mir aber daran,
mit diesen scheuen Waldmenschen auf gutem Fuss zu stehen. Ich nahm mir
jedoch vor, meine Gastwirtin beim Abschied für alle Güte und Toleranz
zu entschädigen. Als praktische Frau gab mir die Alte übrigens bald zu
verstehen, dass ihr ein Satz Armbänder aus Elfenbein, wie sie deren
mehrere bei mir bemerkt hatte, am willkommensten wäre. Ihre eigenen
Armbänder hatte sie nämlich, wie ich später hörte, dazu verwendet,
den Reis einzukaufen, mit dem sie uns bewirtete. Um den Wert des
Geschenkes zu erhöhen, zögerte ich anfangs mit der Erfüllung ihres
Wunsches, liess sie dann aber das Mass angeben und suchte ihr einen
besonders schönen Satz aus. Den vielen Besuchen nach zu urteilen,
die mir _Hinan Lirung_ im Laufe des Jahres am Blu-u machte, schien
ihr unsere Bekanntschaft gut gefallen zu haben.
In der Nähe unseres Hauses hatten sich die Bukat, nach Art der Pnihing,
drei kleine Häuser gebaut, die sie jetzt vorübergehend bewohnten. Ich
hatte diese scheuen Kinder der Wildnis bis jetzt nicht besucht, um
ihnen erst Zeit zu lassen, sich an unsere Gegenwart zu gewöhnen. Jetzt
glaubte ich aber, mit _Barth_ einen Besuch bei ihnen wagen zu dürfen.
Der Stamm der Bukat lebt in Gruppen von Familien für gewöhnlich in
den Urwäldern des Quellgebietes der Flüsse Kapuas und Mahakam und hält
sich, wie auch die anderen Nomadenstämme, bald in diesem bald in jenem
Flusstal auf, je nachdem die Anwesenheit von Wild, Baumfrüchten und
wildem Sago ein Verweilen wünschenswert erscheinen lassen. Selbst in
dieser Wildnis dürfen sich die Bukat nicht willkürlich irgend einer
Gegend bemächtigen, sondern ihre verschiedenen Familiengruppen sehen
bestimmte Flussgebiete als ihr Eigentum an und lassen die anderen
nur gegen eine Entschädigung dort jagen und Früchte sammeln. Die
Bukat verbringen den grössten Teil des Jahres im Walde und kommen
überhaupt nur ungern mit den sesshaften Stämmen am Kapuas und
Mahakam in Berührung. Zur Zeit der Reisernte jedoch lassen sie sich
vorübergehend bei dem einen oder anderen Stamme, wie z.B. jetzt am
Howong, nieder, um Reis, Zeug, Salz, Perlen und dergl. gegen ihre
Waldprodukte einzutauschen. Die Bukat empfingen uns ängstlich, aber
doch, nach Art der Bahau, freundlich, breiteten einige Rotangmatten für
uns aus und setzten uns einige Waldfrüchte vor. Zu meinem Erstaunen
entdeckte ich hier eine Frucht namens _kapulasan_, die in der Umgegend
von Buitenzorg auf Java viel gebaut wird, deren Heimat dort jedoch
nicht mehr bekannt ist. Aufmerksam geworden beobachtete ich später
längs des ganzen oberen Mahakam das Vorkommen des Baums, der diese
Frucht liefert. Zufälligerweise hatte unter den vielen herrlichen
Waldfrüchten, die man mir auf der vorigen Reise brachte, gerade
diese gefehlt. Zur grossen Genugtuung unserer Gastherren assen wir
die saftreichen Früchte geradezu mit Gier, worauf sie von allerhand
wichtigen Angelegenheiten, die ihnen auf dem Herzen lagen, zu reden
begannen. Es handelte sich, wie so häufig bei diesen Leuten, wieder um
Verletzung ihrer Ansprüche auf verschiedene Gebiete. So hatte man am
Kapuas bei der Verteilung des Zehnten aus dem Ertrage der Buschprodukte
ihre Häuptlinge übergangen, obwohl diese vor langen Jahren ebenfalls
das Kapuasgebiet durchstreift hatten. Ihre hierauf begründeten Rechte
hatten die Bukat jedoch am Kapuas nie geltend gemacht, so dass wir
ihnen rieten, sich an den Kontrolleur von Putus Sibau zu wenden, zu dem
sich in der gleichen Angelegenheit auch der ihnen verwandte Stamm der
Bukat aus dem Gebiete des Gung begeben hatte. Hiermit kamen wir auf
ein anderes Kapitel zu sprechen, auf Streitigkeiten zwischen diesen
Gung Bukat und einem vornehmen Bukathäuptling, der sich augenblicklich
bei den Pnihing am Serata aufhielt. Diesem sollte nämlich infolge
seiner Abstammung das Gebiet des Gung eigentlich gehören; in Putus
Sibau konnte man natürlich auch von diesen Verhältnissen keine Ahnung
haben. Der Punan _Tetuhè_, der uns begleitete, weil er selbst als
Nomade mit diesen Bukat in Verbindung stand, übernahm es, bei seiner
Rückkehr zum Kapuas alle diese Rechtsfragen zur Sprache zu bringen.
Während wir mitten in unserer Unterhaltung mit den Bukat begriffen
waren, traf wieder eine Schar Träger mit dem auf dem Wege noch
zurückgebliebenen Gepäck ein. Wir hatten des Morgens, in Anbetracht
der starken Ermüdung und schlechten Ernährung unserer Leute,
nicht durchzusetzen gewagt, dass sich alle energisch an der Arbeit
beteiligten; so hatte sich denn auch nur ein Teil der Träger auf den
Weg gemacht und die Malaien, die bei dem Rest des Gepäckes als Wache
zurückgeblieben waren, meldeten, dass sich immer noch 24 Blechkisten
mit Salz im Walde befanden. Wir verliessen daher eiligst unsere neuen
Bukatfreunde, um zu beraten, was weiter zu tun sei.
Um nur schnell fortzukommen, hatten viele Träger von _Kwing
Irang_ sich bereits von selbst mit unseren Kisten an den Mahakam
aufgemacht. _Kwing_ selbst jedoch wartete mit 20 jungen Kajan und
einigen Pnihing auf unsere Befehle. Mit _Amun Lirung_, oder besser
gesagt mit dessen Frau, kam ich überein, dass sie mir für 12 Packen
schwarzen Kattuns zu 12 m Länge die 24 Kisten mit Salz an den Blu-u
schaffen sollten. Zwar dauerte es einen ganzen Monat, bis sie mit
ihrer Fracht bei mir am Blu-u anlangten, aber die Reisnot entschuldigte
die Verspätung.
Aus Furcht vor einer Steigerung der Lasten und des Hungers hatten es
unsere Träger mit dem Aufbruch zum Mahakam sehr eilig. Da ich aber
nichts mehr von unserem Gepäck zurücklassen wollte, vereinbarte ich,
dass unsere ermüdeten Mendalam Kajan unter Aufsicht von _Barth_
und _Demmeni_ alles Gepäck dem Howong entlang bis an den Pfad,
der zum Mahakam führte, bringen sollten, während die frischeren und
kräftigerer Mahakam Kajan es von dort über die Hügelrücken bis an
den Anlegeplatz der Böte befördern sollten. Nicht minder froh als
seine Leute war _Kwing Irang_ über unsere Abreise; denn er hatte
im Pnihinghause keinen Platz gefunden und mit den Seinigen in und
unter einer Reisscheune übernachten müssen. Das Übernachten im Freien
ohne Dach über dem Haupte finden die Bahau aber sehr unangenehm und,
wenn es geregnet hätte, wären viele von ihnen krank geworden.
So verabschiedete ich mich denn von meinen Gastwirten und zog mit
_Kwing Irang_ an den Mahakam voraus. In unserem Eifer fortzukommen
übersahen wir jedoch das winzige Nebenflüsschen des Howong, längs
dessen wir zum Mahakam abbiegen mussten, und irrten einige Zeit umher,
bevor wir es wiederfanden. Ich hatte in der letzten Zeit so viel an
Märschen durch Wald und Flüsse genossen, dass ich unseren jetzigen
Zug, besonders da mir die Hügelrücken, die uns vom Mahakam trennten,
recht hoch vorkamen, sehr unangenehm empfand.
Auf einem dieser Hügel trafen wir _Bier_ mit seinem Geleite; er hatte
die ganze Zeit über mit gutem Resultat gearbeitet und es gelang ihm,
seine Messungen bis zum Mahakam noch am gleichen Tage zu beenden.
Die Pnihing hatten zwar den besten Anlegeplatz am Mahakam ausgesucht,
dennoch mussten wir von der Höhe des Bergrückens einen sehr steilen
Abhang hinunterklettern, um an das Flussbett zu gelangen. Hier fanden
wir die Mahakamer auf einem Platze gelagert, der nirgends eben genug
war, um ein Zelt aufschlagen zu können. Es mussten erst Terrassen
aus Holz, die teilweise über das Wasser hinausragten, gebaut werden,
um für unsere Zelte einen Untergrund zu beschaffen.
Inzwischen erneuerte ich die Bekanntschaft mit dem vornehmen
Pnihinghäuptling _Belarè_ und feierte Wiedersehen mit _Akam Igau_.
Nach seinem guten Äusseren zu urteilen, das von dem unserer erschöpften
und abgemagerten Kuli stark abstach, war es _Akam Igau_ inzwischen am
Mahakam gut ergangen, was er mir denn auch zugab. _Belarè_ erzählte,
dass er mich nicht bei _Amun Lirung_ begrüsst habe, weil er einen
kleinen Enkel mit auf die Reise genommen hatte.
Es dauerte bis zum Mittag des folgenden Tages, bis unsere ganze
Gesellschaft mit allem Hab und Gut am Ufer des Mahakam vereinigt war,
und es erwies sich bald als unmöglich, mit allen und allem gleichzeitig
den Mahakam hinabzufahren. Zwar hatten alle Niederlassungen der Kajan
und Pnihing am Mahakam ihre grössten Böte zur Verfügung gestellt,
aber wegen des hohen Wasserstandes durften sie nicht schwer beladen
werden. Auf einen günstigeren Wasserstand zu warten, war bei der
herrschenden Nahrungsnot unmöglich; und so musste ich mich dazu
entschliessen, einen Teil unserer Leute vorläufig zurückzulassen. Ich
teilte den Häuptlingen in einer Zusammenkunft meinen Plan mit, sie
selbst hatten nicht gewagt, mir diesen Vorschlag zu machen. Alle
zeigten sich einverstanden und versprachen, ihre Reisegenossen
in einigen Tagen abzuholen. Die Zurückbleibenden sollten sich bei
_Amun Lirung_, den Bukat oder im Walde die notwendige Nahrung zu
verschaffen suchen.
Am anderen Morgen zeigte es sich, dass das Fassen und Ausführen
von Beschlüssen für Bahauhäuptlinge sehr verschiedene Dinge sind;
denn keiner von ihnen war im stande, einen Teil seiner Untertanen zum
Zurückbleiben zu zwingen. Die Insubordination, die überall herrschte,
veranlasste seltsame und komische Szenen.
Zwar begann man damit, mein Gepäck regelrecht in den Böten
unterzubringen, kaum war dies aber geschehen, so ergriff jeder eiligst
seinen Tragkorb, lud ihn auf den Rücken und sprang, zur Abfahrt
bereit, in ein Boot. So kam es, dass die Böte der Kajan und Pnihing,
die vor unseren Hütten lagen, bevor wir sie noch betreten hatten,
teils von der eigenen Mannschaft teils von Eindringlingen überfüllt
waren. Ein Boot war sogar zum Sinken überladen, und doch wagte es
die eigene Bemannung nicht, die Zuströmenden abzuweisen. Unterdessen
standen die Häuptlinge rat- und machtlos am Ufer und in der Furcht,
zurückbleiben zu müssen, mischte sich sogar einer von ihnen, seine
Würde vergessend, unter die Schar der Bestürmer. Mit strenger Miene,
drohendem Stock und ernsten Ermahnungen suchte ich nun allein
die Ordnung aufrecht zu erhalten. Zuerst schickte ich die am Ufer
stehenden zurück und entlastete dann die Böte von denjenigen, die
zurückbleiben mussten. Aus jeder Mendalam Niederlassung nahm ich 8
Mann mit und dank dem sanften Charakter meiner Kajan gelang es mir,
nur mit Einbusse der Hälfte meiner Stimme abzufahren.
Unterhalb einer Landzunge des anderen Ufers hatte sich _Akam Igau_
mit seinen Leuten gelagert und bei unserer Ankunft bot sich dort ein
noch heiterer Anblick.
In dem sehr grossen, breiten Boote des Pnihinghäuptlings _Belarè_
standen die Kajan Mann an Mann neben den Pnihing, ohne für den
Häuptling selbst einen Platz frei zulassen. Dieser betrachtete mit
seinem Enkel an der Hand vom Ufer aus gelassen die Bestürmung seines
Fahrzeuges. Ich kam diesmal wirklich in Versuchung, von meinem Stocke
Gebrauch zu machen; aber da mir eine derartige Einführung bei den
Mahakamstämmen doch nicht geraten erschien, suchte ich schliesslich
auch hier auf Kosten meiner Kehle die weisen Beschlüsse der Häuptlinge
zur Ausführung zu bringen.
In Anbetracht des hohen Wasserstandes waren unsere Fahrzeuge auch
jetzt noch sehr schwer beladen, aber bei der Umsicht der Pnihing und
Mahakam Kajan und der Besorgnis ihrer Häuptlinge für unsere Sicherheit
hatten wir nichts zu fürchten und fuhren schnell flussabwärts an den
Mündungen des Kaso, Serata und Tjehan vorüber bis vor das Haus des
Häuptlings _Belarè_.
Der Pnihinghäuptling wies uns Europäern und den Malaien als Wohnung
ein alleinstehendes Haus an, das so hoch und auf so dünnen Pfählen
gebaut war, dass mir angst und bange wurde beim Gedanken, dass 20
Menschen und alles Gepäck da hinauf geschafft werden sollten. Der
Boden des Hauses befand sich 6 m über der Erde und die Pfähle waren
nur 2 × 1.5 dm dick. Da meine Malaien aber nichts gegen den Einzug
in diesen Vogelbauer einzuwenden hatten, liess ich alles Gepäck nach
oben bringen und erklomm zuletzt selbst die steile Leiter. Die Höhe
unserer Behausung schützte uns wenigstens vor dem oft lästigen Besuch
von kleinen Kindern und Hunden.
Jetzt, wo ich zum ersten Mal seit langer Zeit all unser Hab und Gut
beisammen in einem geschlossenen Raum aufgestapelt sah, wurde es mir
bewusst, wieviel Sorgen und Mühen diese hundert Packen und Kisten
meinen Trägern auf den schwierigen Pfaden durch Wälder und Flüsse
verursacht hatten, und die abgearbeiteten Gestalten meiner braunen
Reisegenossen wurden mir dadurch um so lieber. Ich beeilte mich denn
auch, meinen Mendalam Kajan so schnell als möglich Reis und Böte
zu verschaffen, damit sie ihre zurückgebliebenen Stammesgenossen
abholen konnten. Mit Geschenken und guten Worten gelang es mir bei
den Pnihing, die Hälfte meiner Leute auszurüsten und sie am folgenden
Tage flussaufwärts zu schicken. Die andere Hälfte begab sich mit _Kwing
Irang_ an den Blu-u, um sich dort verproviantieren zu lassen, und zwei
Tage darauf fuhren auch sie an uns vorüber den Mahakam aufwärts. Die
Häuptlinge hatten ihnen natürlich nicht ihre besten Böte zur Verfügung
gestellt, aber es kamen doch alle unsere Kuli wohlbehalten bei uns
an, so dass ich froh sein konnte, so viel Gepäck ohne Verlust oder
Schaden an Menschenleben bis an den Mahakam gebracht zu haben.
Meine erste Aufgabe bei _Belarè_ bestand in der Löhnung aller,
die mir geholfen hatten. _Kwing Irang_ und seine Kajan wollten
warten, bis ich zu ihnen zog, und begaben sich daher gleich weiter
auf die Heimreise. In der Lohnfrage kamen zuerst die Pnihing aus den
Niederlassungen am Tjehan und Long Kub in Betracht. Mein reicher Vorrat
an Tauschartikeln erlaubte mir, ihre Dienste mit _batik_-Stoffen,
weissem, rotem, und schwarzem Kattun und rotem Flanell reichlich zu
bezahlen. Ihre Häuptlinge erhielten je eine hübsche Jacke oder ein
seidenes Umschlagetuch. Meine Dankbarkeit für unsere wohlbehaltene
Ankunft verleitete mich, den Leuten zu viel zu geben, mit Rücksicht
auf künftige Lohnansprüche musste ich mich daher bereits am anderen
Tage den Pnihing von _Belarè_ gegenüber mässigen. Diese erhielten
nun zwar weniger, eine Handvoll Salz als Zugabe stellte aber jeden
zufrieden, ausserdem hatten wir, da wir noch einige Tage bei ihnen
bleiben sollten, Gelegenheit, ihren Frauen und Kindern mit allerhand
beliebtem Tand wie: Fingerringen, bunter Wolle, Nadeln und Perlen eine
Freude zu bereiten. Ich hatte mich nämlich, hauptsächlich auf Anraten
von _Kwing Irang_, dazu entschlossen, noch einige Tage _Belarès_ Gast
zu bleiben, ein Beschluss, der nach den überstandenen Anstrengungen
bei allen Beifall fand.
Einen weiteren Grund für diese Verlängerung unseres Besuches bei
den Pnihing bildete für mich der Wunsch, mit diesem einflussreichen
Häuptling und den Seinen gut zu stehen; denn nur so konnte ich
den Hauptzweck meines Aufenthaltes am Mahakam, die Bevölkerung vom
politischen Standpunkt aus zu studieren, erfüllen. Ich hatte mir
nun zwar, wie auch bei meiner früheren Reise, vorgenommen, meinen
festen Wohnplatz bei dem mächtigsten Mahakamhäuptling _Kwing Irang_
aufzuschlagen; _Belarè_ war aber von alters her sehr neidisch
auf dessen Stellung, und so riet mir jener selbst an, auch seinen
Nebenbuhler mit einem längeren Besuch zu beehren. Inzwischen hatte
_Kwing_ auch Zeit, ein Haus für mich in Stand zu setzen und für meine
Leute ein Unterkommen zu beschaffen.
Unser Besuch befriedigte nicht nur die Eitelkeit der Pnihing, sondern
kam ihnen auch in praktischer Hinsicht sehr zu statten; denn meine
ärztliche Hilfe war auch hier wieder sehr nötig. Gleich am ersten
Tage wurde ich zu zahlreichen Malaria- und Lueskranken gerufen. Indem
der Kontrolleur mich auf meinen Krankenbesuchen begleitete, hatte er
Gelegenheit, sich in vielen Wohnungen vorzustellen, die er sonst,
ohne indiskret zu sein, nicht hätte betreten dürfen. Meine Praxis
gewann mir bald das früher bereits erworbene Vertrauen der Leute
wieder zurück, so dass bald dieser, bald jener sich wieder in meine
Hütte wagte, um gegen Reis oder Früchte etwas von meinen Artikeln zu
erhandeln. Die einen lockten die anderen heran und bald kletterten
die Besucher ununterbrochen auf der hohen Treppe in unsere mit Gepäck
und Menschen ohnehin schon überfüllte Hütte hinauf.
Auch aus der Ferne brachte man mir Kranke. In einer weiter unten
am Fluss gelegenen Niederlassung, Long Kub, hatte man _Kwing Irang_
auf seiner Durchreise gebeten, dort zu übernachten, um den Häuptling
_Erang Parèn_, der wie seine Schwester, _Belarès_ Frau, an periodischen
Ausbrüchen von Wahnsinn litt, am folgenden Tage zu mir zu geleiten. So
kamen die Häuptlinge denn auch mit grossem Gefolge bei mir an--leider
ohne ein Resultat zu erzielen; denn es schien mir geratener, lieber
sogleich meine Ohnmacht einzugestehen, als die Leute mit Scheinmitteln
hinzuhalten oder ihnen Beruhigungs mittel zu geben, die in den Händen
dieser Menschen gefährlich hätten werden können.
Da _Belarè_ so viel daran gelegen war, als einer der vornehmsten
Häuptlinge angesehen zu werden, war es mir sehr angenehm, dass
ich sowohl ihm als _Kwing Irang_ als Anerkennung für die Hilfe,
die sie mir auf der vorigen Reise geleistet hatten, seitens der
Regierung ein Geschenk anbieten konnte. _Belarè_ fand nun zwar den
vergoldeten Silberbecher, den ich ihm überreichte, als Schaustück
sehr schön, aber viel zu prunkend, um ihn täglich zu gebrauchen,
und erbat sich daher von mir persönlich zum Alltagsgebrauch noch
einen Satz Elfenbeinarmbänder, wie ich ihn _Hinan Lirung_ geschenkt
hatte. Überzeugt, dass mein wegen seiner Wildheit berüchtigter Freund
nicht daran gewöhnt war, einen einmal geäusserten Wunsch fahren zu
lassen, gab ich ihm nach, nahm mir aber vor, in Zukunft so sparsam
als möglich mit meinen Tauschartikeln umzugehen.
Die Pnihing verlangten wohl unter dem Eindruck meiner grossen Vorräte
für Böte, die ich jetzt anschaffen musste, so hohe Preise, dass _Akam
Igau_ mir riet, mich lieber an ihre Verwandten am Tjehan zu wenden,
die an neuen Böten eine grosse Auswahl besassen. Meinem Gastherrn
gefiel dieser Plan jedoch durchaus nicht, und ich hatte alle Mühe,
ein kleines Boot mit 4 Ruderern zu erlangen, das mich mit _Akam Igau_
und meinem Diener _Midan_ an den weiter oben in den Mahakam mündenden
Tjehan bringen sollte. Nach sechsstündiger Fahrt erreichten wir um
4 Uhr nachmittags das Haus der Pnihing, das am rechten Tjehanufer
erbaut war; bei meinem ersten Besuch vor zwei Jahren war es noch
nicht vollendet gewesen.
Trotzdem die Häuptlinge nicht zu Hause waren, begannen wir doch
sogleich die vielen halb und ganz fertigen Böte zu besichtigen, und
mit _Akam Igaus_ Hilfe erwarb ich für schwarzen Kattun und Perlen
sogleich zwei derselben. Zwei andere Böte, die ich gern erstanden
hätte, gehörten dem Häuptling _Parèn_, der abends zurückkehren sollte;
daher machte ich es mir inzwischen auf der grossen Galerie vor seiner
Wohnung bequem. Reis einzukaufen, glückte mir nicht, da die Pnihing
den Seputan am Kaso bereits viel verkauft hatten; einen besseren
Erfolg hatte ich mit Batatenmehl.
Nach _Parèns_ Ankunft wurde ich mit ihm wegen der Böte bald
handelseinig; da er so viel von meinen schönen Tauschartikeln gehört
hatte, sprach er den Wunsch aus, dass seine Frau _Adjei_ und sein
kleiner Neffe _Kwing_ mich zu _Belarè_ begleiten sollten, um sich als
Lohn für die Böte unter allen Herrlichkeiten selbst etwas auswählen
zu dürfen. Obwohl ich diesem Dorfe nur einen kurzen Besuch machte
und seine Männer für ihre Dienstleistungen von meiner mildtätigen
Stimmung bei der Ausbezahlung des Lohnes am meisten Vorteil gehabt
hatten, wollte ich doch auch bei den übrigen Bewohnern eine gute
Erinnerung hinterlassen und forderte daher Frauen und Kinder auf, mich
am folgenden Morgen vor meiner Abreise zu besuchen, um sich kleine
Geschenke abzuholen. Trotz unserer früheren Bekanntschaft wagten sich
anfangs doch nur wenige in meine Nähe, kaum hatten diese aber jeder
einen Ring mit bunten Glassteinen erhaltet), als die Besucher in
hellen Haufen aus allen Türen zum Vorschein kamen. Die Frauen waren
auf diese wertlosen Ringe ganz versessen. Als ich auf meiner vorigen
Reise in der Zeit der Reisnot nirgends mehr Reis auftreiben konnte,
verkauften mir diese Frauen ihren letzten Vorrat für diese Fingerringe.
Gegen 10 Uhr morgens fuhren wir mit vier neuen Böten und einem fünften
mit _Adjei_ und _Kwing_ ab. Bei _Belarè_ angekommen fiel es meinen
Gästen, _Adjei_ und _Kwing_, sehr schwer, unter allen Tauschartikeln
eine Wahl zu treffen. Endlich gaben sie sich mit einer hübschen Jacke,
einem Sarong aus _batik_ und einigen Perlen zufrieden.
_Demmeni_ hatte seine Zeit inzwischen auf andere Weise gut
verwendet; durch allerhand Gaukelspiel, durch Explodierenlassen von
Magnesiumpulver und Verbrennen von Magnesiumband hatte er die Pnihing
in so gute Stimmung versetzt, dass der Kontrolleur es für wünschenswert
hielt, mit ihm noch einige Zeit zu bleiben. Da auch _Belarè_ diese
Gäste gern behalten wollte, beschloss ich, allein zu _Kwing Irang_
an den Blu-u zu ziehen, um dort alles für einen längeren Aufenthalt
vorzubereiten.
Als _Belarè_ abends mit einigen der vornehmsten Familienväter zu einem
Plauderstündchen zu mir kam, brachte ich das Gespräch auf einen Zug
zur Mahakamquelle. Ich hatte nämlich bereits 1896 _Belarè_, der auf
seinen Jagden und zahlreichen Expeditionen nach Serawak diesen Teil
des Mahakamgebietes gut kennen gelernt hatte, zu diesem Unternehmen zu
bereden versucht. Die grosse Reisnot verhinderte uns aber damals an der
Ausführung des Planes. _Belarè_ zeigte sich auch jetzt wiederum bereit,
mich zu begleiten, verlangte aber für jeden seiner Leute einen und
für sich selbst zwei Reichstaler (2 1/2 fl.) als Tageslohn. Da ich
noch lange auf tagweise bezahlte Dienste der Bahau angewiesen war,
konnte ich auf eine derartige Bedingung natürlich nicht eingehen und
begann ihn, wie ich es früher mit _Kaharon_ getan, auf das Unsinnige
seiner Forderung aufmerksam zu machen. Auch die Pnihing zeigten sich
logischen Beweisgründen zugänglich; denn als ich ihnen den hohen Wert
eines Reichstalers begreiflich zu machen suchte und ihnen sagte,
dass der Tageslohn in Serawak und Kutei so viel niedriger sei, und
dass auch meine Mahakam Kajan so viel weniger erhielten, musste auch
_Belarè_, allerdings ungern, zugeben, dass 1 fl. für den Tag bei
eigener Beköstigung genügend sei.
Den Lohn für die Begleitung an den Blu-u setzte ich mit _Belarè_
gleichfalls im voraus fest; die Pnihing forderten ein Kopftuch und
einige Glasperlen für den Mann. Auch versprach ich _Belarè_, am
folgenden Morgen vor unserer Abreise nach seiner Frau zu sehen, die
bereits bei meinem ersten Besuch an Anfällen von Verfolgungswahnsinn
litt und die ich schon damals für unheilbar erklärt hatte. Während
meiner Abwesenheit hatten sich die Anfälle noch einige Mal wiederholt;
die grosse, schlanke Frau erschien jetzt magerer und bleicher als
je. Vor dem Eintritt eines Anfalls empfand sie Schwindel und einen
sonderbaren Geruch in der Nase, dann stellten sich Kopfschmerzen,
Blutandrang zum Kopf, glühende Wangen und rot unterlaufene Augen
ein. Bald darauf glaubte sie sich von bösen Menschen und Geistern
verfolgt, griff nach Schwertern und Speeren zur Verteidigung und wurde
dadurch für ihre Umgebung gefährlich. Da man ausserdem noch fürchtete,
dass sie sich in ihrer Angst ertränken könnte, mussten einige Männer
bei ihr Wache halten. Die zarte Frau entwickelte während der Anfälle
so viel Kraft, dass mehrere starke Männer sie nur mit Mühe bewältigen
konnten. Nach derartigen Anfällen, die bis zu 8 Tagen dauerten, kam
sie wieder zur Besinnung und nach einigen Tagen gedrückter Stimmung
wurde sie ganz normal. Die Anfälle waren zum ersten Mal aufgetreten,
nachdem die Batang-Lupar aus Serawak im Jahre 1885 _Belarès_
Niederlassung verbrannt und viele Menschen getötet oder als Sklaven
fortgeführt hatten. Dass dieser Umstand die Krankheit nicht verursacht,
sondern eine erbliche Anlage nur zum Ausbruch hatte kommen lassen,
ging daraus hervor, dass ihr Bruder, der Häuptling von Long Kub,
ohne diesen Anlass an der gleichen Krankheit litt. Auch jetzt konnte
ich leider nichts anderes tun, als die Leute trösten.
Unterdessen hatten meine Begleiter gegessen, ihre grossen Böte unter
dem Hause hervorgeholt, ins Wasser gelassen und ihr eigenes Gepäck in
den Böten untergebracht. Ich machte von den starken Armen und frischen
Kräften der Pnihing Gebrauch, um die meisten und schwersten Kisten
sogleich von ihnen an den Blu-u mitnehmen zu lassen, der Rest sollte
mit den übrigen Europäern nachkommen. Die meisten Malaien und Javaner
zogen sogleich mit mir, um sich nach einer passenden Wohngelegenheit
für sich umzusehen. Dass _Belarè_ und die Vornehmsten seines Stammes
mir bis zum Blu-u das Geleite gaben, war ein Beweis dafür, wie sehr
sie meinen Besuch und den verlängerten Aufenthalt des Kontrolleurs
in ihrer Mitte zu schätzen wussten.
Die Fahrt ging bei dem hohen Wasserstande sehr schnell von statten,
bereits nach zwei Stunden befanden wir uns an der Mündung des
Blu-u. Die Ufer boten jetzt einen ganz anderen Anblick, als bei meiner
Abreise im Frühling des vergangenen Jahres. Man hatte damals längs
des rechten, 30 m hohen Ufers bereits zum dritten Mal alles Gestrüpp
und Gras ausgerodet, um dort für den ganzen Stamm ein neues Haus zu
bauen. Seitdem die Batang-Lupar ihre Niederlassung verbrannt hatten,
lebten die Kajan nämlich zerstreut im ganzen Gebiet des Blu-u auf
ihren Reisfeldern, auch hatte jede Familie im Laufe der Zeit bereits
Pfähle und Planken zum Bau ihrer eigenen _amin_ hergestellt und sie
im Walde oder im Blu-u unter Wasser aufbewahrt. Schlechte Ernten,
ungünstige Vorzeichen und die Angst vor den immer noch im Quellgebiet
des Mahakam nach Guttapercha suchenden Batang-Lupar hatten den Hausbau
ständig verzögert.
Während meines achtmonatlichen Aufenthaltes in ihrer Mitte
(1896-97) hatten sich die Kajan, im Gefühl der Sicherheit wegen
meiner Anwesenheit, mit neuem Mut an den Bau des Hauses gemacht und
waren auch während meiner Abwesenheit in der Arbeit fortgefahren;
denn jetzt standen eine lange Reihe _amin_ auf dem hohen Ufer. Nur
eine einzige Familie, zu der besonders viele arbeitsfähigen Männer
gehörten, hatte ihre Wohnung völlig beendet, die übrigen wohnten
noch in kleinen, aus alten Brettern gebauten Hütten rings umher und
sollten erst später die letzte Hand an ihre _amin_ legen. _Kwing Irang_
hatte mit dem Bau seiner Wohnung überhaupt noch nicht anfangen können
und wohnte augenblicklich mit seiner Familie und einigen Sklaven in
einem sehr kleinen Hause, das wie die übrigen 3 In über dem Erdboden
lag. Die meisten seiner Sklaven lebten mit ihren Familien auf den
Reisfeldern des Häuptlings, die sie zu bebauen hatten und um welche
herum sie ihre eigenen kleinen Felder angelegt hatten.
Da _Kwing Irangs_ provisorische Wohnung nur eine sehr kleine Galerie
besass, hatte man zur Aufnahme von Gästen und zur Abhaltung von
Versammlungen seinem Hause gegenüber an der anderen Seite eines freien
Platzes ein längliches Gebäude aufgeführt. Diesen Versammlungssaal
hatte man zur vorläufigen Unterkunft meines Personals und Gepäckes
bestimmt, während man für uns Europäer an dieses Gebäude angelehnt
a m über dem Boden ein festes Haus von 48 quad. m Grundfläche
errichtet hatte. Man hatte sich, gleich nachdem _Akam Igau_ meine
Ankunft gemeldet hatte, ans Werk gemacht und mir ein so gutes,
starkes Haus gebaut, wie ich es bis dahin auf meinen Reisen noch
nicht besessen hatte. Uns Europäern stand nun ein ausgezeichneter
Wohnraum zur Verfügung, der nur als Zeichenatelier für _Bier_,
als photographisches Atelier für _Demmeni_ und als Arbeits- und
Handelslokal für _Barth_ und mich zu eng war. Doch konnte allen diesen
Anforderungen später entsprochen werden; vorläufig musste ich für meine
Malaien eine Unterkunft zu beschaffen suchen. _Kwing Irang_ meinte,
dass hierfür ein leer stehendes, am Fusse des Uferwalles gelegenes,
malaiisches Haus am geeignetsten sein würde. Es hatte hier lange Zeit
ein malaiischer Anführer einer Gesellschaft Buschproduktensucher,
ein gewisser _Hadji Umar_, gewohnt, der sich augenblicklich unterhalb
der Wasserfälle aufhielt. Das etwas baufällige Haus konnte schnell
wieder hergestellt werden, indem der Wald Pfähle, der Häuptling
Planken und meine Malaien die Arbeit lieferten. Die Lage des Hauses,
weit ab von der eigentlichen Niederlassung der Kajan, war insofern
günstig, als die Malaien, die für die Dajak nie Sympathie empfanden,
hier ungestört wohnen konnten. Zwar war unser Geleite während der
Nacht hier weit von uns entfernt, aber einige Männer konnten als
Wache stets oben im Versammlungssaal schlafen.
Nachdem ich _Belarè_ und die Seinen belohnt und verabschiedet hatte,
wandte ich mich an meine alten Kajan Bekanntschaften, die sich
während der Anwesenheit der Pnihing in einiger Entfernung gehalten
hatten. Ihrer Sitte gemäss, äusserte keiner der Kajan, bevor ich
das Wort an ihn gerichtet hatte, seine Freude über meine Ankunft,
dann aber war die Zunge plötzlich gelöst und ich wurde mit Fragen,
wo ich die Zeit über gewesen sei, ob ich mich nicht verheiratet hätte
u.s.w. über schüttet; leider begannen sie auch sogleich wieder um
allerhand Dinge zu betteln. Das Willkommgeschenk, das die meisten
erwarteten, schob ich noch einen Tag hinaus.
An den beiden folgenden Tagen trafen in gesonderten Gruppen die
Mendalam Träger bei uns ein: zuerst die Ma-Suling mit denen aus
Pagong. Diese wollten sich den Mahakam abwärts zu ihren Verwandten
am Merasè begeben, sich 10 Tage bei ihnen ausruhen und dann wieder
an den Kapuas zurückkehren. Obgleich sie bereits in Putus Sibau
einen Vorschuss von ihrem Lohn erhalten hatten und es abgemacht war,
dass sie den Rest bei ihrer Heimkehr dort vom Kontrolleur in Empfang
nehmen sollten, baten sie mich doch wieder um Geld. Mit Rücksicht
auf meinen beschränkten Geldvorrat und darauf, dass alle anderen
wahrscheinlich mit den gleichen Forderungen herantreten würden,
musste ich ihre Bitte abschlagen und gab jedem nur eine kleine
Summe als Vorschuss; für den Rest gab ich ihnen einen Brief an den
Kontrolleur von Putus Sibau mit. Der gleiche Auftritt spielte sich
mit den Kajan aus Tandjong Karang und Tandjong Kuda ab, die sich,
um Blutsverwandte zu besuchen und Handel zu treiben, nach anderen,
weiter unten am Mahakam gelegenen Niederlassungen begaben. Nur den
armen Punan, die wenig oder gar keine Tauschartikel besassen, händigte
ich einen grösseren Betrag aus, damit sie unter _Tetuhès_ Anführung
bei ihren Verwandten am Serata, wo sich bei den Pnihing eine grosse
Bukat Niederlassung befand, keine allzu klägliche Rolle spielten.
Ferner besprach ich mit _Kwing Irang_, was ich seinen Untergebenen,
die mir entgegengereist waren, geben sollte. Zu meiner angenehmen
Überraschung schlug er mir vor, jeden auf die gleiche Weise mit einem
Stück schwarzen und roten Kattuns zu belohnen; so hatte ich denn
nicht mit dem persönlichen Geschmack der einzelnen zu streiten. Ein
chinesischer Bankerottierer, _Mi-Au-Tong_, der aus Pontianak dein
Kapuas entlang an den Mahakam geflüchtet war und jetzt bei den Kajan
durch Handel mit Buschprodukten und Arzneien sein Leben fristete,
half mir beim Messen des Zeuges. Die Abmachung mit dem Häuptling
wurde von seinen Untergebenen natürlich wieder nicht für gut befunden;
jeder verlangte noch eine Portion Salz dazu, die ich ihm gern gab.
Dem Häuptling selbst übergab ich im Namen der Regierung eine silberne
Beteldose mit Zubehör, die ihn sehr zu beglücken schien. Seinen
beiden Frauen hatte ich schöne seidene Tücher mitgebracht, ausserdem
liess ich sie von meinen geblümten Seidenstoffen selbst noch etwas
auswählen. _Kwing Irangs_ Pflegetochter _Kehad_ erfreute ich mit einem
Ohrschmuck, bestehend aus 20 Silberringen von 4 cm Durchmesser. Ich
hatte in Batavia 1500 dieser Ringe anfertigen lassen; sie bildeten
einen kostbaren und wenig umfangreichen Tauschartikel.
Der Satz Armbänder aus Elfenbein, den ich _Hinan Lirung_ und _Belarè_
gegeben hatte, spukte auch _Kwing Irang_ im Kopfe herum, und er ruhte
nicht eher, bis ich auch den Arm seines 10 jährigen Söhnchens _Hang_
mit Elfenbeinringen geschmückt hatte. Alle Bahau besitzen die Eigenart,
dass sie ihre Wünsche starrsinnig auf einen bestimmten Gegenstand
richten und dass man sie dann mit Geschenken von viel grösserem Werte
nicht entsprechend erfreuen kann. Es ist daher am einfachsten, sie
ihre Wünsche stets vorher äussern zu lassen.
Zu meiner grossen Beruhigung war es diesmal mit dem Reisvorrat der
Kajan viel besser bestellt, als auf meiner vorigen Reise. Bereits
in den ersten Tagen kamen Scharen von Mädchen und Knaben, um gegen
kleine Mengen Reis Nadeln, Perlen u.a. einzutauschen, so dass ich einen
ganzen Vorrat beisammen hatte, bevor _Barth, Demmeni_ und _Bier_ am
11. Oktober bei uns eintrafen. _Kaharon_ begleitete die Gesellschaft,
um mit mir noch einmal über die Expedition zum Quellgebiet des Mahakam
zu reden, die nach Ablauf der mit der Reissaat verbundenen Verbotszeit,
die jetzt bei den verschiedenen Stämmen eintrat, stattfinden sollte.
KAPITEL XIII.
Der Mahakam in seinem Ober- Mittel- und Unterlauf--Bewohner
des Mahakamgebietes--Vorgeschichte der Stämme--Stellung
und Einfluss der Fremden--Ursprüngliche Bewohner am oberen
Mahakam--Vorherrschaft der Long-Glat--Kwing Irang und dessen
Stellung unter den übrigen Häuptlingen--Verkehr und Handel
unter den Stämmen--Selbständigkeit der Stämme--Verteilung der
Ländergebiete--Bestimmungen in bezug auf Feld- und Waldfrüchte,
Buschprodukte, Jagd und Fischfang--Industrie--Verkehr mit den
Nachbarländern--Handel und Handelswege.
Der Mahakam (im Malaiischen; Mekám im Busang) ist von den Strömen
Borneos, die sich an der Ostküste ins Meer ergiessen, der grösste. Er
entspringt unter dem Namen Selirong an der südwestlichen Seite des
Batu Tibang, eines wahrscheinlich vulkanischen Berges, der sich in der
Fortsetzung des Ober-Kapuas-Kettengebirges, das aus alten Schiefern
besteht, erhebt. Der Mahakam folgt anfangs einem Längstal dieses
Gebirges, aber bald nachdem sich der Selirong mit dem Seliku, einem
zweiten Quellflüsschen, das auf dem Lasan Tujan entspringt, auf 550
m Höhe vereinigt hat, bricht der Fluss in südwestlicher Richtung der
Reihe nach durch alle Ketten des Gebirges hindurch. Bis zur Mündung
des Howong, auf etwa 300 m Höhe, behält der Mahakam diese Richtung
bei, wendet sich hier, in gleicher Entfernung von dem Batu Lesong,
ungefähr gerade nach Osten und biegt dort, wo dieses Sandsteingebirge
sich unter dem Namen Batu Ajo nach Süden fortsetzt, ebenfalls nach
Süden. An der Biegung bei Long Tepai hat sich der Fluss durch die
weissen Hornsteinschichten, auf denen das Sandsteingebirge liegt,
nur ein schmales 15-40 m breites Bett erodieren können, während das
Flussbett oberhalb Long Tepai an einigen Stellen eine Breite von 200
m erreicht.
An der Verengung bildet der Mahakam eine lange Reihe von Wasserfällen,
die von oben nach unten folgende Namen tragen: Kiham (Wasserfall im
Busang) Ulu, Kiham Hida, Kiham Nub, Kiham Lobang Kubang, Kiham Binju,
Kiham Kenhè. Unterhalb dieser verengten Stelle verbreitert sich das
Flussbett über eine ausgedehnte Strecke, bis beim Kiham Udang der
Fluss wiederum nur 30 m breit wird, während noch weiter unten, beim
Kiham Halo auf 100 m Höhe, die Wassermassen sich über eine Entfernung
von über 2000 m durch eine Verengung, die zwischen 20-50 m breit und
zwischen Sandsteinbergen gelegen ist, hindurchzwängen. Obwohl noch eine
Strecke weit von Hügeln beengt, erreicht der Fluss doch bald wieder die
normale Breite und wird von Long Bagung an auch nicht mehr stark durch
Berge verengt. Während daher der oberhalb Long Bagung gelegene Teil
des Mahakam nur unter günstigen Verhältnissen für die eigenartigen
Böte der Eingeborenen schiffbar ist, können bis zu dieser Stelle,
ausser bei sehr niedrigem Wasserstande, kleine Dampfböte den Fluss
hinauffahren. Bereits bei der Mündung des Merah beträgt die Breite des
Flusses 300 m und nimmt nach unten hin immer mehr zu. Nur bei Uma Mehak
Teba, wo der Strom sich um eine Hügelreihe windet, wird er noch einmal
100 m breit, später jedoch nicht wieder. Erst dort, wo die südöstliche
Richtung in eine östliche übergeht, jenseits des Gunung Sindáwar,
wird das Land zu beiden Flussseiten zu einer alluvialen Tiefebene,
auch erhebt es sich nicht hoch über dem Meeresspiegel. Das Land
behält aber nicht den gleichen Charakter bis zur Mündung bei, denn
die ganze Ostküste von Borneo wird nach Süden, bis zum Pasirfluss,
durch eine Gebirgskette begrenzt. Durch diese Gebirgskette muss der
Fluss sich hindurcharbeiten, bevor er sich in zahlreichen Mündungen
ins Meer ergiessen kann.
Betrachten wir uns den Oberlauf des Mahakam näher, so zeigt es sich,
dass er so lange die südwestliche Richtung beibehält, als er sich in
der Fortsetzung des Ober-Kapuas-Kettengebirges befindet, beim Howong
jedoch wird er gezwungen, sich nach Osten zu wenden, da er dort
auf das vulkanische Gebiet stösst, dessen wichtigste Erhebungen der
Lekudjan, Penaneh und Menetokai sind, und auf die Sandsteinformation,
in welcher nach Osten hin der Batu Lesong die Hauptkette bildet.
Von der Vereinigung des Selirong und Seliku an bis zur Mündung des
Howong fällt der Fluss in seinem sehr geraden Lauf von 550 auf 300 m
über dem Meeresspiegel. Da das Quertal überall eng ist, behält der
Mahakam in diesem Gebiet ganz den Charakter eines Bergstromes, der
nur bei niedrigem Wasserstande befahrbar ist und in welchem grosse
Wasserfälle, wie der Kiham Matandow (Sonnenfall), die Reise sehr
gefahrvoll machen.
Die Ufer bestehen, ausser auf kurzen, ebeneren Strecken, aus steilen
Schieferwänden; im Flussbett selbst kommen nicht wie weiter unterhalb
grosse Geschiebeablagerungen vor, die an den Ufern oder in der Mitte
Geröllbänke bilden.
Da, wo der Fluss in der Richtung des Sandsteingebirges Batu Lesong
im Süden und des Batu Apap Kaju Hun und Ong Dia im Norden nach Osten
strömt, ändert sich sein Charakter. Bis Long Tepai kommen eigentliche
Wasserfälle nicht vor, obgleich der Höhenunterschied zwischen Long
Howong und Long Blu-u noch 100 m beträgt. Die grössten Hindernisse für
eine Bootfahrt bilden auf dieser Strecke die Stromschnellen und die
unterhalb der konvexen Uferseite gelegenen Geröllbänke. Der gewundene
Lauf des Flusses zwischen Long Blu-u und Pahngè lässt bereits andere
Verhältnisse vermuten. Von dem Gipfel des Batu Mili aus sieht man
denn auch, dass sich das Flusstal nach Osten verbreitert; nur einige
Hügel nähern sich den Ufern und am Horizont erscheinen die Berge
Batu Niaan, Batu Boh und Batu Ajo. Auch eine Fahrt auf dem Flusse
zeigt ein verändertes Bild; der Fluss hat hier sein Bett in seine
alten Ablagerungen, viele Meter dicke Geröll- und Sandschichten,
gegraben und zahlreiche kleine, bewachsene Geröllinseln erschweren
die Fahrt auf dem Flusse.
Diese Flussablagerungen enthalten zahlreiche Schichten mit
Pflanzenresten und haben ihr Entstehen dem Umstande zu danken,
dass der Fall zwischen Blu-u und Tepai nur 20 m beträgt, während die
grosse Enge des Bettes unterhalb Tepai durch Stauung bei Hochwasser
auf die Stosskraft des Flusses sicher einen schwächenden Einfluss
übt. Bei Lulu Njiwung ist die Anzahl kleiner Geröllinseln besonders
gross. Unterhalb Long Tepai stösst der Mahakam auf das Bergmassiv,
das nach Westen in den Pajang ausläuft; er windet sich hier durch
zwei enge Täler nach Süden und bildet dabei zwei Reihen grosser
Wasserfälle. Auf dieser Strecke ist der Fall des Flusses ein sehr
bedeutender, er beträgt zwischen Long Tepai und Kiham Halo 80 m.
Nach der ersten, westlichen Reihe Wasserfälle folgt ein breiterer
Teil des Flusses, an dem er den Bo aufnimmt, der, aus einem grossen
Stromgebiet kommend, dem Mahakam 1/3 seiner Wassermenge zuführt.
Den verhältnismässig ruhigen Charakter dieser Strecke behält der Fluss
bis Long Deho, wo bei Kiham Udang wiederum sehr enge Stellen folgen,
da der Fluss die mächtigen Konglomeratblöcke, die in seinem Bette
liegen, nicht hat entfernen können. Der Kiham Udang wird gänzlich
aus diesen Blöcken gebildet, welche von den Konglomeratschichten
aus rundem Griess abgebröckelt sind, die zu beiden Uferseiten
mit Sandsteinschichten abwechselnd eine Mächtigkeit von 10-30 m
erreichen. Der weiche Sandstein wurde vom Flusse weggeführt, während
die Konglomeratmassen liegen blieben. Dass derartige Verengungen auf
den Strom einen grossen Einfluss ausüben können, ersieht man daraus,
dass der Fluss bei Long Deho im Jahre 1897 in zwei Tagen 15 in stieg,
in 3 Tagen aber wieder seinen normalen Stand erreichte.
Unterhalb Long Bagun hat der Fluss für seinen gewundenen Lauf eine
breitere Ebene, die er sich selbst aus seinen Ablagerungen von Griess
und Sand geschaffen hat, zu seiner Verfügung. Zwischen der Mündung
des Mera und Ma Mehak Teba liegen besonders viele Inseln, die alle
durch abgesetztes Geschiebe entstanden sind. Da Ana nur noch 50 m
über dem Meeresspiegel liegt, ist der Fall des Flusses weiter unten
nicht mehr bedeutend.
Griessbänke kommen noch bis Ana vor, aber der Mahakam betritt erst
bei Gunung Sindáwar die ausgedehnte Tiefebene von Kutei und erhält
erst von hier an den Charakter eines Unterlaufs.
Das weite, gänzlich flache Gebiet nördlich und südlich vom Mahakam,
das den grössten Teil des Binnenlandes von Kutei ausmacht, scheint in
früherer Zeit ein grosses Wasserbecken gewesen zu sein, das durch den
Mahakam und seine Nebenflüsse allmählich angefüllt und dann durch die
Vegetation überwuchert worden ist. Als Überbleibsel dieses Beckens sind
zu beiden Seiten des Flusses eigenartige Seeen zurückgeblieben. Diese
tragen mit ihrer runden Form und grossen Oberfläche einen ganz anderen
Charakter als die länglichen, gewundenen, kleinen Seeen, die in der
"Wester-Afdeeling" zu beiden Seiten des Kapuas vorkommen und einen
Teil des früheren Flussbettes darstellen. Obwohl ein Teil des Mahakam,
vom Blu-u bis Long Pahngè, nach Auffassung von Professor _Molengraaff_,
der Art seiner Geschiebeablagerung wegen nicht als Oberlauf betrachtet
werden sollte, muss es doch aus praktischen Gründen zweckmässig genannt
werden, den Teil des Mahakam oberhalb Long Bagun als Oberlauf zu
bezeichnen. Die ausgedehnten Geröll- und Griessablagerungen unterhalb
dieses Ortes stempeln den folgenden Teil zum Mittellauf; während der
Lauf des Flusses durch die Alluvialebene unterhalb Gunung Sindawar
alle Eigentümlichkeiten eines Unterlaufs aufweist. Nur wird der Fluss
an der Küste durch eine Hügelkette gezwungen, erst durch sie hindurch
zu brechen, bevor er sein Delta bildet.
Dass die Bevölkerung am oberen Mahakam aus Bahaustämmen besteht,
die alle in den letzten zwei Jahrhunderten aus dem hoch gelegenen
Gebirgsland Apu Kajan ausgewandert sind, ist bereits an anderer Stelle
berichtet worden.
In dem Quellgebiet des Mahakam trifft man bis zum Kiham Matandow
nur unberührten Urwald, in dem einige kleine Gruppen von Bukat
umherschweifen. Sie gehören dem Bukatstamme an, der in den Gebieten
des oberen Kapuas, oberen Mahakam und Njangejan zu Hause ist. Da sie
in jedem Jahr und zu jeder Jahreszeit ihren Aufenthaltsort wechseln,
wissen selbst die ansässigen Bahau oft nicht genau, wo sie sich gerade
befinden. Sie stehen mit den übrigen Nomadenstämmen, die sich unter
dem gleichen Namen von Bukat oder Punan am Serata, Boh und am Kapuas
im Flussgebiet des Gung, Kréhau und Mendalam aufhalten, in Verbindung.
Vor dem Kriegszug der Dajak aus Serawak im Jahre 1885 wurde das
Flussgebiet des Mahakam, vom Kiham Matandow bis zum Sumwé, von
verschiedenen Niederlassungen des Pnihingstammes bewohnt. Diese
Niederlassungen wurden damals jedoch alle verwüstet mit dem Resultat,
dass sämmtliche Bewohner den Hauptstrom abwärts zogen und sich in den
ersten Jahren am Danum Parei östlich vom Kajangebiete niederliessen
und später, ungefähr 1893 und 1894, zwei Wohnplätze im Gebiete der
Kajan selbst gründeten, den einen an der Mündung des Sumwé unter
dem Häuptling _Belarè_, den anderen dicht daneben zu Long 'Kub,
unter den Häuptlingen _Erang Paren_ und _Tingang Kohi_. Nach dem Tode
des ersteren liess sich letzterer im Jahre 1901 wieder oberhalb der
Mündung des Kaso nieder.
Die Dörfer an den Nebenflüssen wurden von den Serawakischen Dajak
verschont, so z.B. dasjenige am Howong unter _Amun Lirung_ und das
am Penaneh unter Kaja, dem Bruder _Amun Lirungs_.
Die Bewohner des Hauses an der Mündung des Tjehan konnten noch, bevor
ihr Haus verbrannt wurde, flussaufwärts flüchten und setzten sich
weiter oben an der Mündung des Paketè fest, wo sie noch 1898 unter
dem Häuptling _Paren_ lebten. Seit der Zeit wohnen sie aber näher an
der Mündung des Tjehan, um Vorbereitungen für den Bau eines Hauses an
der Mündung selbst zu treffen. Am Serata, oberhalb der Wasserfälle,
die hinter dessen Mündung liegen, war die Pnihingniederlassung unter
_Njangun Diu_, in der auch viele Punan wohnten, von den Batang-Lupar
verschont geblieben.
Der Stamm der Seputan, der nicht zu den Pnihing zu gehören scheint,
sondern in seiner Lebensweise mehr Übereinstimmung mit den Bungan
Dajak zeigt, lebt im Gebiet des Kaso, teils hoch oben an diesem Flusse,
teils am Penaneh.
Fährt man den Mahakam weiter abwärts, so gelangt man in das Gebiet
der Kajan, die nach dem im Jahre 1901 erfolgten Tode ihres Häuptlings
_Kwing Irang_ unter dessen Neffen _Bang Lawing_ stehen.
Der Stamm der Kajan beherrscht den zwischen dem Sumwé und dem Dini
gelegenen Teil des Mahakamgebietes. Auch sein Haus, das sich früher
unterhalb des Blu-u befand, wurde durch die Serawakischen Dajak
niedergebrannt, worauf sich die Bewohner zerstreut auf ihren Feldern im
Gebiet des Blu-u niederliessen. Bei meiner Ankunft im Jahre 1898 bauten
sie sich bereits eine neue Niederlassung auf dem hohen Mahakamufer an
der Mündung des Blu-u. Im Lande der Kajan halten sich keine Punan auf.
Östlich vom Dini beginnt das Gebiet der Long-Glat, eines Stammes,
der sich gegenwärtig am Mahakam selbst festgesetzt hat und zwar in
Lulu Njiwung unter _Ding Ngow_, in Batu Sala unter _Paren Dalong_
und in Long Tepai unter _Bo Lea_, dessen Besitz an der Grenze des
Njian endet. Mit Ausnahme des Merasè, an dem die Ma-Suling leben,
gehört das ganze Flussgebiet den Long-Glat. Auch hier kommen keine
Punan oder Bukat vor.
Die Niederlassungen der Long-Glat unterscheiden sich insofern von denen
der Pnihing, Kajan und Ma-Suling, dass in jeder derselben mehrere
Stämme beieinander wohnen, die alle eigene Häuptlinge besitzen,
welche dem Long-Glat-Häuptling gehorchen müssen. Diese Verhältnisse
bestehen seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts, wo die Long-Glat am
oberen Mahakam eine grosse Macht entwickelten und unter den zwei
Häuptlingsbrüdern _Bo Ibau_ und _Bo Ledju Aja_ alle dort ansässigen
Stämme unterwarfen. Die kleineren Stämme, wie die Ma-Tuwan, Ma-Tepai,
Ma-Manok-Kwe und Batu-Pala wurden von ihnen gezwungen, mit ihnen
zusammen zu wohnen, um ihre Anzahl zu vergrössern. Seit der Zeit
teilten sich diese Stämme, sobald sich die Long-Glat teilten. Obwohl
sie viel von den Long-Glat übernommen und sich auch durch Heirat mit
diesen vermischt haben, hat sich doch noch vieles aus der Zeit ihrer
Selbständigkeit bei ihnen erhalten. Sie haben sich ihre Sprache,
ihren Häuserbau und ihren Gottesdienst ein Jahrhundert lang bewahrt,
auch besitzen einige Stämme eine eigene Art der Tätowierung. Jeder
dieser Stämme wohnt in seinem eigenen, langen Hause neben dem der
Long-Glat, so dass man in einem Dorfe, das vielleicht 1-2 Hektare
umfasst, 3-4 bisweilen sehr verschiedene Sprachen reden hört, beim
Ackerbau sehr verschiedene Zeremonien, Verbotszeiten und Vorzeichen
beobachten sieht und, besonders bei den Frauen, verschiedene Arten
der Tätowierung feststellen kann.
Allen Sprachen, die in einer Niederlassung gesprochen werden, die
allgemeine Umgangssprache, das Busang, mit einbegriffen, liegt der
gleiche Stamm zu Grunde. Dem Laute nach weichen diese Sprachen aber
sehr von einander ab; das Long-Glat z.B. ist den anderen Stämmen so
fremd, dass die Bahau etwas Unverständliches als "_dahaun_ Long-Glat" =
"Sprache der Long-Glat" bezeichnen. Im gegenseitigen Verkehr benützt
man das Busang.
In Lulu Njiwung wohnen die Long-Glat jetzt mit den Ma-Tuwan und drei
anderen, kleineren Stämmen zusammen; in Batu Sala leben die Long-Glat
mit den Ma-Tuwan und Uma-Tepai; in Long Tepai leben ausser den 3
letzten auch noch Manok-Kwe und Batu-Pala.
Die Ma-Suling und die Ma-Pagong haben sich im Merasègebiet in zwei
Dörfern gemeinsam niedergelassen, bei Napo Liu (oberhalb der Insel)
dicht bei der Flussmündung, und weiter oben in Lulu Sirang. Diese
beiden Dörfer waren früher Jahrzehnte lang vereinigt gewesen,
aber im Jahre 1896 trennten sie sich derart, dass jetzt in beiden
sowohl ein Haus der Ma-Suling als eines der Uma-Pagong steht. Die
Niederlassung von Napo Litt regiert der Häuptling _Ledju Li_ und die
von Lulu Sirang der Häuptling _Bo Ngow_. Am Mendalam und in den beiden
Niederlassungen am Merasè wohnen die Uma-Pagong mit den Ma-Suling
zwar gemeinschaftlich, aber, so viel mir bekannt, in gegenseitiger
Unabhängigkeit.
Nach ungefährer Schätzung beträgt die Seelenzahl bei den Seputan 500,
den Pnihing 1500, den Kajan 800, den Ma-Suling mit den Uma-Pagong 1300,
den Long-Glat 1600 und den Nomadenstämmen 400, so dass die Bevölkerung
am oberen Mahakam oberhalb der Wasserfälle ungefähr 6000 Seelen stark
sein muss.
Neben dieser eigentlichen Bevölkerung halten sich im Gebiet des
oberen Mahakam bei allen Stämmen, die ihnen Zuflucht gewähren,
d.h. bei allen ausser den Pnihing, zahlreiche Fremde auf.
Diese sind hauptsächlich Malaien oder, besser gesagt, Mohammedaner
verschiedener Blutmischung und Dajak aus anderen Gegenden, die sich
hier vor allem mit dem Sammeln von Buschprodukten befassen. Unter
den Malaien befinden sich viele, die ihr eigenes Land in der Nähe der
Küste Verbrechen oder Schulden wegen verlassen und bei den Bahau Schutz
gesucht haben. Die zahlreichen Arten Guttapercha und Rotang, die am
oberen Mahakam zu finden sind, lockten mit der Zeit immer mehr Fremde
heran. Besonders unter dein gutmütigen, rechtschaffenen Häuptling
_Kwing Irang_ erschienen viele malaiische Buschproduktensammler,
die aus dem Gebiet des oberen Murung gebürtig waren; ihr Häuptling
_Temenggung Itjot_, ein Nachkomme des von dem Krieg mit Bandjarmasin
her bekannten _Antassari_, erhielt jedoch von den Kajan kein
Niederlassungsrecht und durfte daher auch nicht mit einer Tochter aus
der Häuptlingsfamilie in die Ehe treten. _Itjot_, der sich mit den
Seinen verfeindet hatte, zog zu den Ma-Suling an den Merasè, heiratete
dort die Tochter eines vornehmen Häuptlings und lebte seit 1893 in der
neuen Heimat. Es sammelten sich um ihn die Buschproduktensucher, von
denen sich viele gleichfalls eine Frau unter den Ma-Suling wählten,
und beuteten die Wälder am Merasè aus, die sehr gross und reich
an Buschprodukten waren. Nachdem sie die Wälder erschöpft hatten,
zogen die meisten nach anderen Gegenden. Unter anderem suchten sie
bei den Long-Glat in Long Tepai, Batu Sala und Lulu Njiwung Einfluss
zu gewinnen, um sich in ihren Gebieten der Buschprodukte bemächtigen
zu können; sie konnten aber, hauptsächlich beim Häuptling _Bo Lea_,
ihre Raubpolitik nur mit grosser Vorsicht betreiben. Die meisten
durften nicht einmal in einem Dorfe längere Zeit wohnen bleiben. Der
energische Pnihinghäuptling _Belarè_ verstand diese für die Stämme
gefährlichen Gäste sogar fast gänzlich fernzuhalten.
Der Wunsch der Häuptlinge, den Stamm nach. Möglichkeit zu vergrössern
und das Ansehen, das sich die Fremden durch wirkliche oder vorgegebene
Talente als Medizinmänner und Handwerker zu geben wissen, erleichtern
den Fremden im allgemeinen die Aufnahme unter den Bahau.
Das Verhältnis zwischen Malaien und Dajak ist darin eigentümlich,
dass einige Häuptlinge die Malaien gänzlich abzuwehren trachten,
in dessen sie bei anderen zu hohem Ansehen gelangen. Von Einfluss
ist hierbei die grosse Bewunderung, die sie bei den jungen Mädchen
erregen. Viele Malaien sind daher auch mit den vornehmsten oder
schönsten Mädchen der Stämme, in denen sie sich gerade aufhalten,
verheiratet. In der Regel lassen diese Männer ihre Frauen, sobald
ihre Existenz mühsamer wird, einfach im Stich und ziehen zu anderen
Stämmen oder in andere Gebiete. Das geschah u.a. bei den Ma-Suling,
als der Guttapercha am Merasè sein Ende erreichte.
Zu den Bahau, die aus dem Apu Kajan gebürtig sind, gehören zweifellos
die Kajan, Ma-Suling und Long-Glat. Die Pnihing schreiben sich zwar
gern den gleichen Ursprung zu, wahrscheinlich aber mit Unrecht. Erstens
ist es gewiss, dass sie aus dem Gebiet des oberen Kapuas, wo noch
ein kleiner Teil Pnihing wohnt, in das Tal des Mahakam gezogen sind
und dass sie seit dieser Zeit ständig in dessen Quellgebiet gelebt
haben. Zweitens haben die Pnihing einen viel kräftigeren Körperbau
und andere Sitten als die übrigen Stämme am Mahakam. Sie können nicht,
wie die Bahau, Schwerter schmieden und in Holz und Knochen schnitzen;
ihre Männer und Frauen tätowieren sich nur wenig, unsystematisch,
augenscheinlich als Nachahmung anderer Stämme; Kriegstänze, die unter
den Bahau allgemein üblich sind, kennen sie nicht. Der Umstand, dass
sie das Fleisch der Horntiere essen, was andere Stämme nicht tun, macht
es mir besonders wahrscheinlich, dass sie eher zu den Kapuasstämmen als
zu den Bahau gerechnet werden müssen. Ihre Sprache ist mir unbekannt.
Die Pnihing gehören vielleicht zu der Bevölkerung, die im Gebiet des
Mahakam wohnte, bevor die Bahau hier eindrangen. Diese berichten,
dass sie das Land von Stämmen eroberten, die Pin-Metjai, Nè-Kiham,
Pin-Buwat, Pin-Kunjong, Ten-Nean, Pera-Téran, Nè-Berang und Pin-Bawan
hiessen.
Alle diese Stämme flohen durch das Kasotal, teils nach dem Kapuas,
teils nach dem Barito. Die Ot-Danum am Miri, einem Nebenfluss
des Kahajan, werden noch mit Sicherheit als Nachkommen dieser
Stämme bezeichnet. Zu ihnen begeben sich die Mahakambewohner auch
vorzugsweise, um Köpfe zu jagen. Man schreibt diesen Urbewohnern
alle Überreste aus früheren Zeiten zu, hauptsächlich die Steine mit
Figurenzeichnungen am oberen Mahakam. Den einen, im Tjehan, suchten
wir auf; ein zweiter liegt auf dem Abhang am Auer Kebalan unterhalb
Long 'Kup und ein dritter im Fluss vor der Mündung des Danum Parei;
letzterer kommt nur bei niedrigem Wasserstande zum Vorschein.
Auch die steinernen Gerätschaften und Tempajan, die beim Fällen der
mächtigen Wälder am Blu-u gefunden wurden, sind wahrscheinlich diesen
Stämmen zuzuschreiben. Als lebende Beweise ihres Bestehens können die
zahlreichen Sklaven der Mahakamstämme gelten, welche alle in den damals
geführten Kriegen erbeutet wurden. Die Überlieferung ihrer Herkunft ist
den Sklaven noch wohl bekannt und sie bleibt ihnen unter den Kajan auch
bewusst, da diese ihre Sklaven in grösserer Abgeschiedenheit halten
als die anderen Stämme. Sie fühlen sich grösstenteils noch fremd unter
den Kajan, obwohl sie, mit Ausnahme einiger später geraubter Sklaven,
alle im Stamme geboren sind, und folgen ihren eigenen Sitten, indem
sie z.B. noch Hirsche und wilde Rinder essen.
Unter den Long-Glat sind die meisten Sklaven durch Heirat in den Stamm
aufgenommen worden. Eine von dort gebürtige intelligente Sklavin,
Uniang Pon, die viel gereist war, erzählte mir, dass man die Sklaven,
ihrer grossen Anzahl wegen, unter die Stämme unterhalb der Wasserfälle
verteilt hatte, da sie sonst den Bahau hätten gefährlich werden können.
Wie gross der Einfluss der Sklaven bisweilen gewesen ist, erkennt
man daraus, dass die Kajan, die früher, nach eigener Angabe, Busang
sprachen, sich jetzt des _kehob_ Pin (Sprache der Pin) bedienen,
eines Dialektes des Busang, der durch die Sklaven verändert worden ist.
Die Bahau zogen auf verschiedenen Wegen und zu verschiedenen Zeiten
zum Mahakam, der sie, der Überlieferung nach, durch seinen grossen
Fischreichtum angelockt haben soll.
Die Ma-Suling und Ma-Pagong zogen mit denjenigen, die jetzt am
Mendalam wohnen, aus dem Apu Kajan zuerst zum Njangejan und teilten
sich erst dort. Sie zogen teils zum Mendalam, teils zum Mahakam,
wo ihnen das grosse Kalkgebirge, in dem sich der Batu Matjan, Batu
Ulu und Batu Brok erheben, lange Zeit zum Wohnplatz diente. Auch die
anderen Bahaustämme, die jetzt bei den Long-Glat leben, hielten sich
ursprünglich dort auf. Die Batu-Pala haben ihren Namen noch vom Batu
Pala, dem kleinen Kalkplateau am Merasè in der Nähe des Batu Situn,
von wo die Long-Glat sie zwangen, zum Mahakam herunterzuziehen.
Die Kajan dagegen kamen vom Apu Kajan längs dem Boh herab, unter
Anführung des Häuptlings _Kwing Irang_, der nach seinem Tode den
Beinamen _Singa Melön_ erhielt. Sie fuhren den Mahakam hinauf, bis
zu dem Lande, in dem sie jetzt noch wohnen. Seit der Zeit wurden sie
von sechs Häuptlingen regiert, also dauert ihr dortiger Aufenthalt
noch nicht länger als 150 Jahre. Gleichzeitig mit ihnen zogen noch
viele andere des gleichen Stammes aus dem Apu Kajan fort. Nach ihrer
Überlieferung hatten sie sich, um über einen Fluss zu gelangen, eine
Brücke gebaut. Als die Vordersten das andere Ufer erreicht hatten,
bemerkten sie einen Hirsch (_pajo_) und begannen: "_pajo, pajo_"
zurufen. Die Hinteren verstanden jedoch: "_ajo_ (Kopfjagd), _ajo_"
und erschraken darüber so sehr, dass sie die Rotangtaue, an denen
die Brücke befestigt war, durchschnitten, worauf diese in den Fluss
fiel. Darauf kehrten sie für immer nach dem Apu Kajan zurück und
liessen die anderen allein zum Mahakam ziehen.
Die Long-Glat wanderten aus dem Apu Kajan am Ende des 18. Jahrhunderts
unter dem Häuptling _Ding_ aus. Streitigkeiten mit anderen Stämmen
zwangen sie zum Auszug; wahrscheinlich liegen allen anderen
Auswanderungen die gleichen Ursachen zu Grunde.
Auch die Long-Glat folgten dem Boh, aber sie lebten längere Zeit
an der Mündung (_long_) des Glat, nach dem sie auch ihren Namen
tragen. Von hier aus zogen sie zum Mahakam hinunter und liessen sich
an der Mündung des Njian nieder, von wo sie durch eine Kriegsbande
unter dem Häuptling _Ding_ aus Long Howong, am mittleren Mahakam,
vertrieben wurden. Eine Frau hatte hierzu die Veranlassung gegeben.
Darauf zogen die Long-Glat, unter Anführung der beiden Brüder
_Ibau_ und _Ledju_ über die westlichen Wasserfälle bis dicht an
die Mündung des Merasè. Diese beiden Brüder waren als Söhne des
früheren Häuptlings _Ding_ noch im Apu Kajan geboren und spielten am
oberen Mahakam viele Jahre hindurch eine grosse Rolle. Noch einmal
mussten sie, wahrscheinlich infolge ihrer eigenen Übeltaten, bis zur
Mündung des Serata flüchten, wenigstens unternahm _Ledju_ vom Serata
aus den grossen Kriegszug gegen die Turi (Taman), die am oberen
Kapuas wohnten. Sämtliche Stämme mussten sich ihm ergeben. Er fuhr
selbst den Kapuas bis Semitau abwärts und verbrannte unterwegs alle
Niederlassungen. Auch unternahm er grosse Züge nach dem Barito und
oberen Kahájan, dem mittleren Mahakam und sogar nach dem Apu Kajan,
wo er jedoch in der Nähe der grossen Wasserfälle des Batu Plakau
geschlagen wurde. Für alle dies: Kriegszüge beanspruchte er die Hilfe
aller Stämme am oberen Mahakam, die ihm tributpflichtig waren oder die
er gezwungen hatte, aus ihren Bergfestungen am oberen Serata und oberen
Merasè hinunterzuziehen. Die Ma-Suling liessen sich damals am unteren
Merasè nieder, die Ma-Tuwan mussten mit den Long-Glat zusammenziehen,
ebenso die Batu-Pala, die ein Jahr lang belagert werden mussten, bevor
man ihr Haus verbrennen konnte. Dies war überhaupt die gebräuchliche
Weise, um die Bewohner zum Auszug zu zwingen; bisweilen trug man
ihnen vorher noch ihr Hab und Gut aus dem Hause.
So zwang z.B. _Ledju_ seinen Bruder _Ibau_, der sich mit einem Teil
des Stammes von ihm geschieden hatte und auf einem Kalkplateau bei
der Mündung des Sumwé lebte, sich wieder mit ihm zu vereinigen. Die
Kalkberge tragen noch jetzt den Namen Liang Totong (_totong_ =
brennen). _Ledju_ trieb die Untertanen seines Bruders mit ihrer Habe
aus dem Hause und verbrannte dieses. Seither wohnten sie gemeinsam
in Lirung Ban, einer Ebene am Mahakam, in der Nähe der Merasèmündung.
In damaliger Zeit waren auch die Kajan und Pnihing von den
Long-Glat unterworfen und ihnen tributpflichtig gemacht worden. Die
Tributpflichtigkeit muss darin bestanden haben, dass die Long-Glat
das Recht hatten, sich an Böten und Vieh einige beliebige Stücke
mitzunehmen. Wahrscheinlich stand aber dieses Recht nur den
Häuptlingen zu. Noch gegenwärtig herrscht die Sitte, dass ein junger
Pnihinghäuptling, sobald er zum ersten Mal eine Niederlassung der
Long-Glat betritt, dem betreffenden Häuptling ein Geschenk, ein Boot,
ein Fischnetz oder einen Gong mitbringt. Übrigens sind die Stämme,
die nicht mit den Long-Glat zusammenwohnen, unabhängig. Die Kajan
erkennen die Oberherrschaft der Long-Glat nicht mehr öffentlich
an, da ihr vor kurzem verstorbener Häuptling _Kwing Irang_ aus der
Häuptlingsfamilie der Long-Glat stammte.
Die Macht der Long-Glat hat sich einerseits vermindert, weil ihr
Charakter weniger kriegerisch geworden ist, anderseits, weil der
Stamm nicht mehr beieinander blieb. Bereits _Ledju_ zog, nachdem
der ganze Mahakam oberhalb der Wasserfälle unterworfen war, mit
der Hälfte des Stammes nach dem mittleren Mahakam, unterhalb der
Wasserfälle. Er führte einen Teil der Ma-Tuwan, Uma-Wak, Batu-Pala
und anderer Stämme mit sich und überliess _Ibau_ die Herrschaft über
den oberen Mahakam. Der Auszug war durch die Heirat veranlasst worden,
welche zwischen _Ledju_ und der Tochter eines dort lebenden vornehmen
Häuptlings, namens _Owat_, stattfand, und vielleicht auch durch Mangel
an gutem Ackerboden für die zahlreichen Bahau und durch die Nähe der
Küste, die ihnen Salz, Tabak und Leinwaren lieferte. Seine Nachkommen
herrschten über alle Bahaustämme am mittleren Mahakam.
Im Jahre 1825 traf _Georg Müller_ mit _Ledju_ zusammen und wurde
von ihm über die Wasserfälle geleitet und der Sorge seines Bruders
_Ibau_ anvertraut. In gleicher Weise verfuhr man später mit mir,
bei meinem Zuge in der umgekehrten Richtung. Da in damaliger Zeit
sowohl die Kajan als die Pnihing, die _Müllers_ Geleite bildeten und
ihn beim Gurung Bakang ermordeten, unter _Ibaus_ Herrschaft standen,
ist anzunehmen, dass der Mord auf dessen Befehl stattfand. Dass der
Sultan von Kutei an dem Mord die Schuld trägt, ist unwahrscheinlich,
weil die Bahau damals von Kutei gänzlich unabhängig waren.
Bemerkenswert ist, dass nur _Müller_ ermordet wurde. Zwei seiner
Soldaten erreichten den Kapuas, die übrigen wurden als Sklaven zum
Mahakam zurückgeführt; keiner von diesen sah Java wieder. Ich erfuhr
dies sowohl durch einen Augenzeugen, _Adjang_, den jüngsten Sohn von
_Ledju_, als auch noch durch andere. _Adjang_, mit dem ich in Long
Deho viel verkehrte, starb dort im Jahre 1900, im Alter von 90 Jahren.
_Ibau_ war eine friedsame Natur und hatte einen Ruf als
Schnitzkünstler. Er und sein Sohn _Bo Kulè_ verstanden, die Long-Glat
beisammen zu halten, aber nach des letzteren Tode war ein Teil des
Stammes mit seinem Nachfolger _Ngow Kulè_ unzufrieden und zog mit
_Bo Lea_, einem Häuptling von niederer Geburt aber hohem Ansehen,
weiter abwärts. Von den Manok-Kwe kamen sämtliche mit, weil _Bo Lea_
mit der Tochter ihres Häuptlings verheiratet war. Gegenwärtig leben
sie alle in Long Tepai. Auch _Ngow Kulè_ blieb nicht an dem alten Ort
Lirung Ban, wo der Stamm sich nach vielen Jahren wiederum ein Haus
gebaut hatte, sondern liess sich in Lulu Njiwung nieder. Sein Sohn
_Ding Ngow_, der sein Nachfolger geworden ist, lebt jetzt noch dort.
Trotzdem die Ma-Suling und Kajan jetzt von den Long-Glat unabhängig
sind, besteht doch noch zwischen ihnen ein Band, nämlich die
Häuptlinge, die alle entweder von der Häuptlingsfamilie der Long-Glat
abstammen oder mit Gliedern von ihr verheiratet sind. So heiratete
_Bo Edo_, die Schwester von _Bo Kulè_, einen Kajanhäuptling _Owat_,
dessen Söhne der Reihe nach über die Kajan regierten; der letzte war
_Kwing Irang_.
_Bo Edo_ hatte aus zweiter Ehe mit einem _panjin_ einen Sohn _Li_,
der mit der vornehmsten Ma-Suling Frau verheiratet war. Sein Sohn
_Ledju Li_ war in Napo Liu, einer der Niederlassungen der Ma-Suling
am Merasè, Häuptling. In Lulu Sirang wiederum ist ein anderer
Häuptling mit einer Schwester von _Bo Lea_ verheiratet. Auch unter
den Häuptlingen der Pnihing vom Tjehan, dem Serata und von Long
'Kup giebt es verschiedene, die aus dem Geschlechte von _Bo Kulè_
abstammen, so dass sich weitaus die meisten Häuptlinge am Mahakam
oberhalb Tepu von derselben Familie herleiten.
Diese Familienbeziehungen haben zur Folge, dass bei einigen grossen
Arbeiten, wie beim Bau von Häusern durch die Häuptlinge, alle Stämme
am oberen Mahakam Hilfe leisten, indem sie einen schweren Pfahl aus
Eisenholz liefern.
Dies geschah auch beim Bau des mächtigen Hauses von _Kwing
Irang_. Jede Niederlassung lieh ihre Hilfe, ausser Lulu Njiwung,
dessen junger Häuptling, _Ding Ngow_, sich zu hoch achtete, um
seine Hilfe anzubieten, weil er in direkter, männlicher Linie von
_Ibau_ abstammte. Wegen der Eigenart der Bahau, das Ansehen eines
Stammes auch von den persönlichen Eigenschaften und vom Alter seines
Häuptlings abhängen zu lassen, stand _Kwing Irang_, als Häuptling der
Kajan, höher als sein junger Neffe in Lulu Njiwung und alle übrigen
Häuptlinge. Vor diesen hatte er ausserdem voraus, dass sowohl sein
Vater als seine Mutter aus Häuptlingsfamilien abstammten, ferner
war er der älteste seines Geschlechtes und ein Mann nach dem Sinn
der Bahau. Im Vergleich mit seiner Umgebung zeichnete er sich durch
Friedensliebe aus, so dass unter seiner Regierung bei den Kajan nur
noch selten Kopfjägerei geübt wurde; jedem gegenüber war er gerecht
und selbstlos, nur war er ein Feind von energischen Massregeln. Obwohl
einige andere, wie _Belarè_ bei den Pnihing und _Bo Lea_ bei den
Long-Glat, viel mehr Energie zeigten, erkannten sie doch mit den
anderen Häuptlingen _Kwing Irang_ als den Höchststehenden oberhalb
der Wasserfälle an. Diese Oberherrschaft bezog sich tatsächlich aber
nur auf allgemeine Interessen, wie Unterhandlungen mit Serawak und
den benachbarten Ländern, auch genoss er das Vorrecht,für die hohen
Bussen aufkommen zu müssen, die von diesen Ländern aus wegen erbeuteter
Köpfe auferlegt wurden.
Stammbaum der hipui bei den Mahakam Kajan.
Bo Kwing Irang (Singa Melön)--Bo Uniang (Gattin von Lalau Anjè)
Bo Kwing (Mann)
Bo Tukau (Frau)
Ding Tukau
Bang Lawing (Nachfolger von Kwing Irang und Gatte von zwei
panjin der Kajan)
ein Sohn
Lirung (Gattin des Malaien Utas)
Bang
Uniang (Gattin von Tekwan, hipui der Ma-Suling)
Lasa
Dja-Ang
Owat (Gatte von Bo Edo)
Uniang (Gattin von Bo Ibau in Long Tepai)
Adjang Ibau
zwei Töchter
Kwing Irang
Bang Awan (Sohn einer panjin der Kajan)
Hang (Sohn von Uniang Anja, einer hipui der Long-Glat)
Perèn (Sohn einer hipui der Pnihing)
Li (Sohn eines panjin der Long-Glat, Gatte von Ero,
_hipui_ der Ma-Suling)
Ledju (Häuptling der Ma-Suling in Napo Liu)
Ibau
Bulan (Gattin des Ledju Adjang)
Lalau (Gatte einer hipui in Long Medang)
Tuka (gestorben in Tengaron)
Ding (zu den Kajan geflohen)
Edo (Gattin eines Malaien in Uma Mehak)
Auf die inneren Angelegenheiten eines Mahakamstammes hat niemand anders
als die Glieder des Stammes selbst Einfluss. In dieser Beziehung
wird die Autonomie des Stammes streng gewahrt. Einem Europäer,
der an andere Verhältnisse gewöhnt ist, erscheint es auffallend,
dass so kleine Stämme so gänzlich unabhängig voneinander und mit so
wenig Verbindung untereinander am gleichen Flusse leben können.
Der gegenseitige Verkehr findet in der Tat nur durch einzelne Männer,
die an Handelsreisen gewöhnt sind, statt. Nach der allgemeinen Sitte
kehren diese Händler in den meisten Niederlassungen, an denen sie
vorüberfahren, ein, um Neues zu hören oder mitzuteilen.
Frauen begeben sich zu fremden Stämmen nur, um Familienangehörige
zu besuchen, und auch dies geschieht selten. So besuchen sich die
Frauen der verschiedenen Niederlassungen der Long-Glat. Gleichwie
viele 20 jährige Frauen der Mendalam Kajan noch nie in dem nur 3
Stunden entfernten Putus Sibau gewesen waren, kannten die meisten
Frauen der Mahakam Kajan nur ihre eigene Niederlassung.
Während meines Aufenthaltes im Jahre 1899 ging _Hiang_, die
angesehenste von _Kwing Irangs_ Frauen, mit ihrer Pflegetochter
_Kehad_ zum ersten Mal in ihrem Leben zum Stamm der Ma-Suling mit;
dabei war sie bereits 50 Jahre alt. Da beide nur Kajan zu sprechen
wagten, konnten sie sich nur mit Mühe mit den Frauen der Ma-Suling
verständigen, die ein einigermassen verändertes Busang sprachen. Es
dauerte zwei Tage, bis _Kehad_ mit ihrer Nichte _Bulan_ in ihrem
mangelhaften Busang zu sprechen wagte. Um noch weiter, zu den Long-Glat
nach Long Tepai, mitzufahren, fehlte ihnen der Mut. Ebenso verhielt
es sich mit den anderen Frauen.
Derartige Verhältnisse führen die Stämme in hohem Masse zum
Konservatismus und erwecken in ihnen die Neigung, sich in der
ihnen eigenen Richtung weiter zu entwickeln, mit dem Resultat,
dass unter allen diesen kleinen Menschengruppen, die aus derselben
Umgebung abstammen, eine besondere Sprache und viele besondere Sitten
hervorgegangen sind. Misstrauen, Eifersucht und Zwistigkeiten aller
Art halten diese Stämme gleich stark von einander entfernt als dies
anderswo bei Leuten geschieht, deren Verkehr durch Berge, Wasserfälle
oder Wüsteneien verhindert wird.
Eine Verbrüderung der Stämme wird dadurch erschwert, dass die Bahau
praktisch endogam sind, obgleich in der Theorie weder ihre _adat_
noch ihre Religion ihnen verbietet, in einen anderen Stamm zu
heiraten. Die Endogamie erklärt sich daraus, dass die Häuptlinge
ihren ganzen Einfluss aufbieten, um eine Verminderung ihres Stammes
durch den Wegzug seiner Glieder zu verhindern; denn im Hinblick auf
eine eventuelle Verteidigung ist es wünschenswert, dass die Zahl der
Stammesglieder möglichst gross ist.
Ich hatte diese Erscheinung schon bei den zwei Teilen des Kajanstammes
zu Tandjong Kuda und Tandjong Karang am Mendalam bemerkt und fand sie
in ganz derselben Weise am oberen Mahakam wieder. Hat sich ein Mann
in einem anderen Dorfe niedergelassen, so werden noch nach Jahren
Versuche gemacht, ihn zur Rückkehr zu bewegen.
Trotzdem ist seit Jahrzehnten von wirklicher Feindschaft und Kampf
unter diesen Stämmen keine Rede mehr gewesen. Begreiflicher Weise
ist aber auch ein gemeinsames Vorgehen unter ihnen nicht üblich
und, wenn, wie es im Jahr 1885 geschah, die Batang-Lupar am Oberlauf
grosse Verwüstungen anrichten, fühlen sich die Ma-Suling und Long-Glat
durchaus nicht verpflichtet, den anderen Stämmen ernsthaft beizustehen,
solange sie selbst nicht bedroht sind.
Der Boden, den ein Stamm der Bahau eingenommen hat, ist Eigentum des
Stammes und Glieder anderer Stämme dürfen innerhalb dieser Grenzen
kein Land besitzen oder Fische fangen. Alle innerhalb dieses Gebietes
gelegenen Landstücke, die noch nicht bebaut gewesen sind, stehen jedem
Stammesglied, die Sklaven mit einbegriffen, frei zur Verfügung; nach
Beratung mit dem Häuptling wählt jeder den Boden, den er nötig zu haben
glaubt. In Zeiten von Reismangel sind die Berge, in denen wilder Sago
(_nanga_ = Eugeisonia tristis) wächst, von grosser Bedeutung. Jeder
darf dann nach Bedürfnis dort Nahrungsmittel sammeln. Das Gleiche
gilt für den Rotang und andere Artikel, welche der Wald liefert;
die freien Stammesglieder dürfen sie sogar zum Verkauf sammeln, ohne
ihrem Häuptling einen Teil des Ertrages zu geben. Lässt der Häuptling
die Buschprodukte durch seine Sklaven suchen, so erhält er den Zehnten
des Ertrags; den gleichen Tribut erhält er auch von den Fremden.
Auch Jagd und Fischfang dürfen die Stammesglieder frei betreiben,
nur steht dem Häuptling das Recht zu, sobald der Fischstand oder der
Stand der Buschprodukte es erforderlich machen, einen bestimmten
Fluss oder ein Waldgebiet für verboten zu erklären und demjenigen
eine Busse aufzuerlegen, der dieses Verbot übertritt.
Die Waldfrüchte sind ebenfalls allgemeines Eigentum, ein Umstand
der in günstigen Fruchtjahren von grosser Wichtigkeit ist, da in den
Wäldern Borneos viele essbare Früchte vorkommen. Anders verhält es
sich mit den Fruchtbäumen, die irgendwann von Familien des Stammes
gezogen wurden. Doch werden die Früchte an entlegenen Orten vielfach
gestohlen, was um so begreiflicher ist, als der Stamm bald hier bald
da innerhalb seines Gebietes ein Haus baut und in der Nähe wieder
neue Reisfelder anlegt. Die Fruchtbäume werden in der Regel dicht
beim Hause gepflanzt und beginnen oft erst dann zu tragen, wenn das
Haus wieder verlassen wird.
Der Grund zum Umzug eines Stammes liegt nur selten im Mangel an in der
Nähe liegendem Ackerboden. Wenn der Feind durch Brandschatzung keine
Veranlassung hierzu giebt, ist es meist der Aberglaube, der eine Rolle
spielt. Kommen nämlich viele Todesfälle in einem Hause vor, so wird die
Umgebung, in der es steht, für von bösen Geistern bewohnt angesehen,
und der Stamm zieht an einen anderen Ort. Ferner hat auch Zwietracht im
Stamme zur Folge, dass er sich teilt und die Parteien weit von einander
wohnen gehen, wie es z.B. die Long-Glat von Lirung Ban taten, die sich
in Lulu Njiwung und Long Tepai niederliessen. Die Ma-Suling mussten ihr
Haus am Merasè verlassen, weil es alt und baufällig geworden war. Dies
geschieht jedoch nur selten; denn erstens besteht das Baumaterial,
hauptsächlich am oberen Mahakam, aus sehr dauerhaftem Holz, zweitens
finden sich schon viel früher Gründe, welche die Bewohner zum Auszug
zwingen, vor allem Krankheit und Tod des Häuptlings. Im allgemeinen
wohnen die Stämme selten länger als 8 bis 10 Jahre am gleichen Ort.
Nicht nur die Fruchtbäume, sondern auch der Boden bleibt Eigentum
derjenigen Familie, die ihn zuerst bebaute; sie darf ihn nicht
verkaufen, wohl aber umtauschen oder an andere Stammesglieder
verpachten. Der Häuptling kann, wenn er viele Sklaven besitzt, viele
Äcker bebauen lassen, er ist hierzu auch wegen der grossen Mengen
Reis, die er zum Empfang von Gästen und für den Unterhalt seiner
Sklaven nötig hat, gezwungen. Die Sklaven haben keinen Grundbesitz,
aber sie erhalten vom Häuptling ein Stück Land zum Bebauen.
Auf je einen Arbeitstag für sie selbst kommen bei den Sklaven zwei
für den Häuptling.
Zusammenhangslos wie die Stämme am oberen Mahakam sind, haben sie in
früherer Zeit doch ein oekonomisches Ganzes gebildet, weil es nicht nur
ihrer Neigung entsprach, alles für den Lebensunterhalt Erforderliche
selbst herzustellen, sondern auch weil der Zugang zu ihrem Lande
und das oft feindliche Verhältnis mit den umliegenden Ländern
einen regelmässigen Verkehr zwecks Austausch von Handelsprodukten
ausschloss. In den letzten 10 Jahren haben sich die Zustände zwar
sehr verändert, doch kann man noch jetzt verfolgen, wie sich das
Zusammenleben damals gestaltete. Feldfrüchte bauten alle für sich
selbst und zwar in einem solchen Überfluss, dass noch etwas an die
verwandten Stämme unterhalb der Wasserfälle, die damals noch keine
Reiszufuhr von der Küste erhielten, verkauft werden konnte. Die
Kleidung stellten sich die verschiedenen Stämme ebenfalls selbst her:
während aber die Pnihing, Kajan und Ma-Suling sich lange Zeit ausser
in Baumbast auch in selbst gewebte Stoffe kleideten und dies zum Teil
auch jetzt noch tun, benützen die Long-Glat, wahrscheinlich ihres
grösseren Wohlstands und der Nähe der Küste wegen, bereits seit langem
eingeführten Kattun zur Kleidung, den sie nur mit eigenen Stickereien
verzieren. Ein weiterer Grund für das Verschwinden der Webekunst,
die von den Long-Glat ursprünglich gewiss ebenfalls betrieben
wurde, ist, dass sie durch Herstellung von Schwertern und eisernen
Ackergerätschaften einen bei den anderen Stämmen sehr gesuchten
Tauschartikel besitzen, mit dem sie sich alles, was sie zum Leben
brauchen, anschaffen können. Noch heutigen Tages ist die Schmiedekunst
bei den Long-Glat viel höher entwickelt als bei den Kajan, Ma-Suling
und Pnihing. Diese dagegen zeichnen sich im Bau von Böten aus, die aus
einem Stück gearbeitet werden und eine Länge von 23 m und eine Breite
von 2 m erreichen können. In ihren weiten, unberührten Wäldern finden
sie die hierfür erforderlichen, sehr grossen Baumstämme, zugleich sind
sie selbst aber auch die besten Bootbauer. Auch ihrer vortrefflichen
Netze wegen sind sie bekannt. Dies sind hauptsächlich runde Wurfnetze,
welche aus den gedrehten Fasern einer Liane, _tengang_ genannt, gewebt
werden. Die übrigen Stämme verfertigen die gleichen Schnüre und Netze,
aber die Pnihing verstehen diese Kunst am besten. Die Kajan stellen
ebenfalls gute Böte her, auch können sie schmieden und Netze weben,
aber ihre Leistungen stehen nicht besonders hoch.
Auch die Töpferei wurde vor nicht sehr langer Zeit noch am Mahakam
betrieben. Man verfertigte Töpfe zum Reiskochen. Es gelang mir, noch
einige dieser Exemplare aufzutreiben und zu erwerben. Die Ma-Suling und
Ma-Tepai haben sich mit der Töpferei am längsten befasst, vielleicht
weil sie den hierfür geeigneten Lehmlagern an der Mündung des Merasè
am nächsten wohnten.
Beim Beginn der Reisernte formen auch gegenwärtig noch alle Stämme
grosse, viereckige, flache Töpfe von 2 1/2 × 3 1/2 dm Oberfläche,
um den noch nicht völlig reifen Reis, der schwer zu entspelzen ist,
darin zu trocknen. Diese Töpfe werden aber nur in der Sonne getrocknet
und vertragen kein Wasser.
Das Schnitzen von Schwertgriffen aus Holz oder Hirschhorn bildet
gegenwärtig eine blühende Industrie, die ebenfalls besonders von
der. Long-Glat betrieben wird, jedoch sah ich auch bei den Kajan
einige schöne Stücke, die aus jüngster Zeit stammten. Die Pnihing
üben diese Kunst gar nicht und die Ma-Suling sehr wenig aus.
Auch der Reisbau regt zum Handelsverkehr an, indem er bei den
verschiedenen Stämmen einen verschiedenen durchschnittlichen Ertrag
liefert. Die Pnihing sind auch jetzt noch die schlechtesten Ackerbauer,
während die Ma-Suling sich sowohl früher als gegenwärtig der besten
Ernten erfreuen und nie Reismangel leiden; den überschüssigen Reis
tauschen sie gegen die Erzeugnisse der anderen Stämme aus.
In früherer Zeit gewann man das Salz aus den Salzquellen, die sich
im Gebiet der Kajan, Ma-Suling und Long-Glat befinden.
Auch im Flechten von Rotangmatten sind die Long-Glat den anderen
Stämmen überlegen. Es lässt sich ganz allgemein behaupten, dass
der Stamm der Long-Glat sich vor allen anderen im Herstellen
gut gearbeiteter und schön verzierter Gegenstände auszeichnet,
dass Kunstfertigkeit und Geschmack bei ihm am höchsten stehen. Sein
politisches Übergewicht und die damit verbundene grössere Wohlhabenheit
scheint hierin von bedeutendem Einfluss gewesen zu sein.
Die Long-Glat nehmen auch augenblicklich noch in bezug auf Schönheit
der Kleidung die erste Stelle am Mahakam ein. Sie pflegen sich auch
Alltags sorgfältig und hübsch zu kleiden. Ihre Art und Weise der
Tätowierung ist ganz oder teilweise von anderen Stämmen, die sich
früher wenig oder anders tätowierten, übernommen worden.
Erst in letzter Zeit hat sich bei den Long-Glat die Sitte eingebürgert,
am Ober- und Unterkiefer die vordersten sechs Zähne zur Hälfte
absägen zu lassen. Sowohl Männer als Frauen glauben sich hierdurch
zu verschönern. Unter den jungen Leuten der Kajan und Ma-Suling hat
diese Sitte, die vom Barito stammt, ebenfalls ihr Bürgerrecht erworben
und sie unterwerfen sich, der neuen Mode zu liebe, gern dieser Marter.
Die einflussreiche Stellung der Long-Glat beruht, ausser auf der
Überlieferung ihrer früheren Oberhoheit, auch darauf, dass Glieder
ihrer Häuptlingsfamilie in diejenigen der Pnihing, Kajan, Ma-Suling
und der abhängigen Stämme, mit denen sie zusammenwohnen, verheiratet
wurden. Diese Verhältnisse wurden noch dadurch begünstigt, dass die
Long-Glat-Häuptlinge, bald nachdem sie den Mahakam hinuntergezogen
waren, von den Malaien die Vielweiberei annahmen, eine Sitte, die weder
bei ihren Vorfahren herrschte noch bei irgend einem anderen Stamme
besteht, die ihnen aber eine zahlreichere Nachkommenschaft sichert. Als
Abkömmlinge der Long-Glat sind auch die letzten Kajanhäuptlinge dieser
Sitte gefolgt.
Bildeten die Stämme am oberen Mahakam, wie wir gesehen haben, früher
unter der Long-Glat-Herrschaft eine politische und später eine mehr
oekonomische Einheit, so blieben sie doch von einer Berührung mit
den Nachbarländern nicht gänzlich ausgeschlossen.
Weiter oben ist bereits erwähnt worden, dass im Beginn des
19. Jahrhunderts nach dem Kapuas, Barito und mittleren Mahakam
Kriegszüge unternommen wurden, während sich später, bereits vor 1825,
ein Teil der Long-Glat unterhalb der Wasserfälle niederliess. Hierdurch
wurden freundschaftliche Beziehungen mit den südlicheren Gebieten
angeknüpft. Mit den Bewohnern am Barito, Kapuas und Batang-Rèdjang
blieb das Verhältnis lange feindlich, so dass dorthin, wenigstens von
den Kajan, Ma-Suling und Long-Glat, nur selten Handelszüge unternommen
wurden. Unter den Kajan war der Häuptling _Kwing-Irang_ der erste,
der sie vor ungefähr 30 Jahren nach dem Batang-Rèdjang geleitete,
wo der Radja von Serawak geordnetere Zustände geschaffen hatte. In
jener Zeit wurden aber die Beziehungen, die man mit dem Apu Kajan noch
stets unterhalten hatte, abgebrochen, weil die Kriege unter den Kenja
selbst einen Zug in ihr Gebiet zu gefährlich machten. Bemerkenswert
ist, dass, obwohl die Bahau nach dem Barito und Kapuas oft Kopfjagden
unternahmen, von dort aus, so viel ich weiss, doch niemals am oberen
Mahakam Köpfe gejagt wurden.
Durch den vorteilhaften Markt in Serawak am Batang-Rèdjang angelockt,
unternahmen hauptsächlich die Pnihing, Kajan und Ma-Suling, in
geringerem Masse auch die Long-Glat, geregelt dorthin Handelszüge. Da
sie dort aber ständig mit feindlich gesinnten Batang-Luparstämmen in
Berührung kamen, bot sich beiden Parteien fortwährend ein Anlass, um
Köpfe zu jagen, was die Regierung von Serawak nicht verhindern konnte.
Wiederholte Unterredungen mit _Kwing Irang_ und dem damals noch
mächtigen Pnihinghäuptling _Belarè_ blieben so gut wie resultatlos,
da diese kaum im stande waren, dergleichen Heldentaten bei den eigenen
Stämmen zu unterdrücken und auf die anderen überhaupt keinen Einfluss
hatten. Hierdurch ereignete sich folgendes:
Als _Belarè_ einst nach einer ernsthaften Beratung mit dem
Radja von Serawak von Fort Kapit, an der Mündung des Njangejan,
diesen Fluss aufwärts fuhr, um nach dem Mahakam zurückzukehren,
kam ihm ein anderer Pnihinghäuptling, _Owat_, mit einer Gesellschaft
Dorfgenossen entgegen. _Belarè_, der sie auf einer Kopfjagd vermutete,
suchte die Leute zur Rückkehr zu bewegen, aber _Owat_, als geborener
Ma-Suling, der bei den Pnihing nur verheiratet war, weigerte sich zu
gehorchen. Als ihm bald darauf in einem Boot sieben Batang-Lupar
begegneten, die Buschprodukte suchen gingen, ermordete er sie
alle. Serawak verlangte der Übereinkunft gemäss von den Mahakam
Häuptlingen die Auslieferung der Mörder, aber diese, besonders die
Ma-Suling, verweigerten die Auslieferung und die übrigen wagten nichts
durchzusetzen. Als Folge hiervon beschloss der Radja von Serawak,
das schuldige Pnihinghaus, das sich unter dem Häuptling _Paren_ am
weitesten oben am Mahakam stand, zu züchtigen. Berücksichtigt man,
dass zum Zusammenbringen und Ausrüsten einiger Tausend Dajak viel Zeit
erforderlich ist und so etwas auch nicht im Geheimen geschehen kann, so
erscheint es einem Europäer unbegreiflich, dass man am Mahakam nichts
davon merkte. Auch die Fahrt den Njangejan aufwärts und der Zug über
die Wasserscheide zum Seliku blieben unbemerkt, und die grosse Bande
konnte sich dort, um Böte zu bauen, lange Zeit aufhalten, ohne dass
man weiter unten etwas davon ahnte. Daher konnten die Pnihing völlig
unvorbereitet überfallen werden. Das schuldige Haus wurde erobert,
geplündert und verbrannt und die Bewohner grossenteils ermordet oder
zu Sklaven gemacht. Die Banden kannten keine Disziplin und setzten
ihren Plünderzug flussabwärts fort. Sie hielten sich am Hauptfluss,
wo _Belarè_ ihnen in seinem Hause an der Kasomündung mit seinen
wenigen Leuten einen heldenhaften Widerstand bot. Durch die Übermacht
der Leute, die zudem von dem Radja mit Gewehren versorgt waren,
wurde _Belarè_ schliesslich überwunden und musste flüchten. Sein
Haus wurde ebenfalls geplündert und verbrannt. Nach seiner Angabe
verlor er an Toten und Sklaven 234 Personen, vielleicht die Hälfte
der ganzen Anzahl.
Wegen dieses Aufenthaltes hatten die Bewohner an der Mündung des
Tjehan Zeit, diesen Fluss aufwärts zu flüchten; sie verloren daher
nur ihr Haus, das verbrannt wurde. Die Plünderer fuhren noch weiter
zum Kajanstamm, der völlig unschuldig war und so wenig an einen
Überfall dachte, dass er sogar eine Gesellschaft Batang-Lupar in
seinem Hause beherbergte. Das Haus wurde belagert und einen ganzen
Tag lang mit Gewehren beschossen, ohne dass jemand verletzt wurde. Nur
ein Malaie wurde bei ihnen dadurch getötet, dass sein Gewehr ihm beim
Schiessen sprang. Gegen Mittag waren die Batang-Lupar bis unter das
Haus gekommen, sie wagten sich aber nicht auf die Galerie hinauf. Da
warf sich der geflohene Pnihinghäuptling _Paren_, der sein Haus und
einen grossen Teil seines Stammes verloren hatte und sich daher bei
den Kajan aufhielt, aus Verzweiflung mitten unter die Angreifer. Da
die Kajan ihm nicht beizustehen wagten, machten ihn die Feinde nieder.
Der Tod dieses Häuptlings machte auf die Kajan und auch auf eine
Schar Long-Glat, die nach oben gezogen war, um Nachrichten zu holen
und Hilfe zu leisten, einen gewaltigen Eindruck. Die Batang-Lupar
hatten jedoch viele der Ihrigen verloren und zogen sich daher abends
auf eine weiter oben gelegene Geröllbank zurück, um später wieder
flussaufwärts zu ziehen.
Des Abends spät jedoch zogen die Long-Glat aus dem Kajanhause fort,
ein Umstand, der neben dem Tode _Parens_ die Bewohner so erschreckte,
dass sie nachts alle mit dem Notwendigsten versehen das Haus verliessen
und auf den Batu Kasian flüchteten, der nur von einer Seite, von der
Mündung des Blu-u aus, zu besteigen war. Die zurückgelassenen Hunde
heulten aber in dem verlassenen Kajanhause die ganze Nacht über,
wodurch die Batang-Lupar aufmerksam wurden. Als es Tag wurde, kamen
sie noch einmal, um nachzusehen, was geschehen war. Sie plünderten
und verbrannten das ganze Haus und zogen dann beutebeladen den Mahakam
hinauf, zurück nach Serawak.
Seit der Zeit werden höchstens Züge, um kriegsgefangene Blutsverwandte
und Stammesgenossen zurückzufordern, und nur noch selten Handelsreisen
nach Serawak unternommen; und die Bewohner am oberen Mahakam müssen
sich wegen Salz und javanischen Tabak, an die sie sich durch den
Kontakt mit der Küste gewöhnt haben, nach dem mittleren Mahakam oder
dem oberen Barito wenden, wo man diese Artikel noch bei meiner Ankunft
im Jahre 1896 am besten erlangen konnte.
Die Beziehungen mit der Aussenwelt, die hauptsächlich den Verkauf der
eigenen und den Kauf fremder Produkte zum Zwecke haben, werden meist
von den Bahau selbst unterhalten, die, wenn ihre Arbeiten es zulassen,
besonders in Zeiten niedrigen Wasserstandes, in einem oder mehreren
Böten Handelszüge unternehmen. Für derartige Reisen vereinigen sich
stets Leute desselben Stammes.
In der Regel bildete Udju Tepu, der Stapelplatz der Buschprodukte
und Endpunkt der Dampferverbindung auf dem unteren Mahakam, das Ziel
der Reise. Früher suchten die Stämme aus den oberen Gebieten ihre
Webereien, Reis, Eisenwaren und Böte bereits unterwegs zu verkaufen;
jetzt sind Webereien, Reis und Eisenwaren wegen der Zufuhr von unten
nicht mehr viel wert; neben Geld bilden in Udju Tepu augenblicklich
Böte, Guttapercha, Rotang, Bezoarsteine und Rhinozeroshörner
brauchbare Tauschartikel. Ihrer Bedeutung nach geordnet bedürfen
die Bahau folgender Artikel: Salz, Kattun, Tabak, Perlen, Eisenwaren
und Tempajan.
In früherer Zeit bestand für alle diese Artikel durchaus kein fester
Preis. Dieser wurde auch hier durch Nachfrage und Angebot und in noch
höherem Masse durch die Persönlichkeit des Käufers und Verkäufers
bestimmt. Buginese und Bahau standen einander gegenüber. Da jener im
Handel kein Gewissen kennt und dieser, besonders auf fremdem Boden und
in fremder, gefürchteter Umgebung, sehr leicht eingeschüchtert wird,
wurde er stets auf die gröbste Weise betrogen.
Um von dem, was die Bahau für ihren wichtigsten Lebensartikel bezahlen
müssen, eine Vorstellung zu geben, möge hier ein Fall unter vielen
angeführt werden, den ich selbst erlebte und zwar mit der Autorität
eines Europäers gegenüber diesen eingeborenen Kaufleuten. Der Sultan
von Kutei in Samarinda verkauft das monopolisierte Salz an der Mündung
für fl. 9 den Pikol (61,75 kg), in Tepu bezahlt man hierfür, je nach
Umständen, in Geld fl. 12.50 und mehr, bei den Wasserfällen betrug der
Preis im Jahre 1897 in Geld fl. 25 bis 30, während ich am Blu-u bei
den Malaien das Salz nur für fl. 1.50 bis 2.50 pro Kilo kaufen konnte.
Javanischer Tabak, der in Samarinda mit fl. 13 bezahlt wird, kostet
bei den Wasserfällen fl. 35 bis 40; weiter oben verlangen die Malaien
sogar 60 fl. und mehr.
Die Dauer der Handelsreisen ist eine sehr verschiedene, weil sie auf
der Strecke zwischen Long Tepai und Long Bagun durch den Wasserstand
bestimmt wird. Werden die Böte hier nicht aufgehalten und sind sie
nicht zu schwer beladen, so kann man in 5 Tagen von Long Blu-u nach
Udju Tepu reisen und in 10 Tagen von hier wieder zurück sein. So
günstige Umstände findet man aber nur sehr selten. Meist dauert ein
solcher Zug über einen Monat. Die Verbindung mit dem Murung ist noch
viel ungünstiger. Wenn möglich sucht man die nötigen Gegenstände in
Muara Laung am Murung einzukaufen, wohin man sich vom oberen Mahakam
aus auf verschiedenen Wegen begeben kann. Erstens vom Kaso aus,
der für die kleinen, bis zu i o m langen Böte der Bahau längs der
Niederlassungen der Seputan gut befahrbar ist. Nachdem man 3 Tage
lang den Fluss hinaufgefahren ist, kann man das Boot in einem halben
Tag über die Wasserscheide ziehen bis zu einem Nebenflüsschen des
Busang, eines Nebenflusses des Djoloi, welch letzterer wiederum in den
Murung mündet. Wegen der zahlreichen grossen Wasserfälle folgt man
diesem Wege mir selten, um Muara Laung zu erreichen, sondern meist
um in den höher gelegenen Gebieten den Buschproduktensuchern Reis
zu verkaufen, für den sie einen sehr hohen Preis an Guttapercha und
Geld bezahlen. Zweitens kann man den Murung vom Tjehan aus erreichen,
der viel schiffbarer als der Kaso ist. Der Landweg dauert hier aber
für einen nicht zu schwer beladenen Bahau 3 bis 4 Tage und führt über
den Batu Lesong zum Busang, der wegen zahlloser Wasserfälle ein sehr
schlechtes Fahrwasser bietet. Auch vom Blu-u aus folgt man bisweilen
diesem Wege und zwar, indem man ein linkes Nebenflüsschen, den Ikang,
an dem früher eine kleine Kajanniederlassung lag, hinauffährt. Weiter
folgt man aber dem gleichen Pass des Batu Lesong, der dort ungefähr
1800 m hoch ist. Die Passhöhe beträgt über 1000 m. Der gebräuchlichste
Weg nach Muara Laung ist jedoch der, östlich vom Batu Lesong längs
des Pahngè und Belatung, eines Nebenflusses des Murung. Dieser Weg
führt zwischen dem Batu Lesong und Batu Ajo hindurch, die hier durch
einen sehr niedrigen Pass geschieden sind. Der Belatung ist zwar gut
schiffbar, weil er keine hohen Wasserfälle besitzt, aber der Fall ist
so bedeutend, dass man, um Gepäck und Menschen abwärts zu bringen,
Flösse baut, auf denen alles festgebunden wird. Mit langen Rudern
sucht man dann die Mitte des Stromes zu halten, gelingt dies nicht,
so zerschmettern die Flösse und alles ist verloren.
Die Fahrt den Belatung aufwärts ist nur bei sehr niedrigem Wasserstande
möglich. Dieser Weg wurde bereits in früheren Zeiten viel benützt,
um vom Mahakam aus nach dem Murung und weiter Köpfe jagen zu gehen;
daher trägt das Gebirge den Namen Batu Ajo (_ajo_ = Kopfjagd). In
späteren Jahren sind diese Wege meistens von Buschproduktensuchern aus
den Gebieten des Murung, Belatung und Busang begangen worden, die sich
zum Mahakam begaben, um dort Reis und andere Lebensmittel einzukaufen.
Die Reisen nach den malaiischen Niederlassungen am Murung dauern
in der Regel viele Monate, und die Beschaffung von Salz, Tabak und
Leinwaren ist des Transportes wegen sehr schwierig.
Die Bahau vom oberen Mahakam unterhielten längs des Penaneh und
Howong auch mit dem Kapuasgebiet Handelsbeziehungen, aber wegen der
grossen Entfernung und der früheren ungünstigen Handelsverhältnisse
kamen sie nur selten hin. Dagegen kamen die Mendalambewohner und die
Taman öfters nach dem oberen Mahakam, um Schwerter, Schwertgriffe,
Matten und alte Perlen einzukaufen.
Die günstigen Handelsverhältnisse, welche der Radja von Serawak am
Batang-Rèdjang geschaffen hat, brachten besonders die Pnihing und
Kajan dazu, den Beschwerden der Reise Trotz zu bieten. Um ihr Ziel
zu erreichen, müssen sie den Mahakam hinauffahren, was 9 bis 60
Tage dauert, ferner längs des Seliku auf einer Höhe von 1100 m. die
Wasserscheide überschreiten, um nach zweitägiger Fahrt den Njangejan
abwärts nach Fort Kapit zu gelangen.
KAPITEL XIV.
Verkehr mit den Eingeborenen--Einkauf von Ethnographica--Sammeln
und Konservieren von Tieren und Pflanzen--Sammlungen und
Untersuchungen auf geologischem Gebiet--Topographische
Aufnahmen--Photographie.
Obgleich die Verhältnisse, unter denen die Eingeborenen von
Mittel-Borneo leben, derart sind, dass diese selbst den Schutz eines
höher stehenden Volkes herbeiwünschen, machen sich ihre ängstlichen
Gemüter doch allerhand entsetzliche Vorstellungen von dem, was
geschehen könnte, wenn die ihnen so fremden Weissen, die so mächtig
sind, dass sie in Krankheitsfällen und auf gefährlichen Bergspitzen
den bösen Geistern zu widerstehen vermögen, in ihr Land einziehen. Um
daher einen politischen Einfluss auf die Stämme zu gewinnen, mussten
wir nicht nur alles vermeiden, was bei ihnen Unwillen oder Schreck
erregen konnte, sondern auch alles daransetzen, um ein vertrauliches
Verhältnis mit ihnen anzubahnen.
Nach meiner ärztlichen Praxis waren es die Samenlungen auf den
verschiedenen Gebieten der Wissenschaften, die uns mit der Bevölkerung
in intimen Verkehr brachten. Sie boten ausserdem einen zweiten grossen
Vorteil, indem sie den Teilnehmern der Expedition, sowohl den weissen
als den farbigen, ständig Beschäftigung verschafften. Für einander
fremde, auf niedriger Entwicklungsstufe stehende Menschen ist es
ungemein schwierig, unbeschäftigt lange Zeit friedlich miteinander
zu verkehren.
Da. ich nun hauptsächlich Malaien bei mir hatte, die als Mohammedaner
ohnehin auf die heidnischen Bahau herabsehen und von alters her
daran gewöhnt sind, auf deren Auffassung von Eigentum, Anstand
u.s.w. nicht zu achten, trachtete ich von Anfang an danach, meine
Leute durch Ableitung in Banden zu halten. Eine grosse Versuchung
bildete für meine stattlichen Reisegenossen auch der Umgang mit den
Frauen, von denen sich besonders die Mädchen für sie interessierten
und die, bei der grossen Freiheit, die sie in dieser Beziehung in
ihrer Gesellschaft geniessen, aus ihren Gefühlen keinen Hehl machten.
Nachdem ich die Leute anfangs selbst auf die grosse Gefahr eines
Verkehrs mit Frauen hingewiesen hatte, waren sie später verständig
genug, zu Eifersucht und eventuellen Racheakten keinen Anlass zu geben.
Unsere Sammlungen brachten der Bevölkerung einen bedeutenden
materiellen Vorteil, denn für die dafür erforderlichen Exkursionen
hatten wir Führer und häufig auch Träger nötig, so dass viele Männer
monatelang bei uns einen Verdienst fanden; inzwischen fingen die
Frauen und Kinder während der Feldarbeit allerlei Tiere, die sie
uns für Nadeln, Perlen und andere kleine Dinge verkauften. Jeder,
der sich photographieren liess, bekam eine Belohnung, und selbst,
wenn der eine oder andere etwas Interessantes erzählt hatte, verlangte
er nachher eine Kleinigkeit.
Sobald die jungen Leute begriffen hatten, dass wir junge, seltene
Pflanzen, die auf eine bestimmte Weise aus dem Boden genommen waren,
gern kauften, benützten sie ihre freie Zeit, um für uns sammeln zu
gehen, und ihnen verdanken wir auch manchen seltenen Fund.
Ferner lieferte der Verkauf von Ethnographica vielen ein Mittel,
um sich aus unseren Vorräten einen gewünschten Gegenstand zu erwerben.
Gleichwie die Stämme am Mendalam, waren auch die am Mahakam anfangs
durchaus nicht geneigt gewesen, mir irgend etwas von ihrem Besitz zu
verkaufen. Unter einander sind sie nämlich kaum daran gewöhnt, mit
etwas anderem als mit Reis und anderen Nahrungsmitteln Tauschhandel zu
treiben; denn jede Familie verfertigt ihre Kleider und Gerätschaften
selbst und ist mit ihrer Arbeit zufrieden. Nur in besonderen Fällen,
wenn es sich um ein Kunstwerk handelt, wendet man sich an einen
Fachmann, wie einen Schmied oder Schnitzer. Daher konnten sie sich
anfangs nicht entschliessen, mir ein Messer, einen Korb oder eine
Matte abzutreten; hierzu trat auch noch Misstrauen, da die Leute nicht
begriffen, zu welchem Zwecke ich alle diese Gegenstände kaufen wollte.
Nun befand ich mich jedoch zum zweiten Mal in ihrer Mitte. Zweifellos
hatten es nach meiner vorigen Abreise viele Leute bereut, die gute
Gelegenheit, für sie wertlose Gegenstände zu hohem Betrag zu verkaufen,
nicht benützt zu haben; denn jetzt kamen sie während unseres ganzen
Aufenthaltes, von Kindern, die noch kaum laufen konnten, an bis zu
weisshaarigen Alten, mit allerhand Dingen, von denen sie glaubten,
dass sie uns interessieren könnten. Öffnete ich einen Packen Perlen von
einer neuen Art oder ein besonders schönes Stück geblümten Kattuns, so
entschloss sich so mancher, uns einen geliebten Gegenstand abzutreten,
falls wir Reis, Eier oder Früchte als Kaufpreis nicht genügend fanden.
Beim Einkauf der Ethnographica ging ich, soweit Umstände und Mittel
es erlaubten, darauf aus, nicht nur alles, für das tägliche Leben
den Eingeborenen Notwendige, sondern auch alles, was ihnen zur
Verschönerung ihres Daseins dient, zu erwerben. Schon früher war es
mir aufgefallen, dass die Bahau in der Herstellung von Gegenständen,
die sich durch Form und Farbe auszeichnen, eine hohe künstlerische
Entwicklung erlangt haben. Dies ist besonders bei den Gegenständen der
Fall, für die sie bei den Malaien einen Absatz und daher auch einen
Ansporn zu weiterer Vervollkommnung finden, wie z.B. im Schnitzen
von Schwertgriffen und im Schmieden von Schwertern. Diese schönen
Industrieprodukte der Bahau geben uns daher eine Vorstellung von dem,
was sie leisten könnten, wenn die Umstände ihnen die nötige Anregung
verschafften.
Indem ich sehr hohe Belohnungen für besonders schöne Gegenstände
aussetzte, suchte ich denn auch den Arbeitseifer der Künstler im
Stamme anzuspornen, und diesem Verfahren habe ich in der Tat einige
aussergewöhnlich schöne Stücke zu danken. Hierbei beschränkte ich
mich natürlich darauf, den gewünschten Gegenstand anzugeben; die Art
der Verzierung und Ausführung überliess ich ihnen vollständig.
Leider stiess ich gerade bei der Erwerbung der interessantesten
Kunstprodukte auf besondere Schwierigkeiten, die auch durch hohe
Preise nicht zu überwinden waren. Die oft wundervoll geschnitzten
Kindertragbretter (_hawat_) werden z.B. nicht verkauft, weil die Seele
des Kindes lange Zeit in ihnen haust; das gleiche gilt für andere
dem Kinde gehörige Gegenstände. Daher musste ich, hauptsächlich bei
den Kajan am Mendalam, derartige Dinge neu herstellen lassen. Bei den
Kajan am Mahakam wagt man es nicht, die Kleider unerwachsener Kinder zu
verkaufen; mit den Tragbrettern ist man hier dagegen weniger ängstlich.
Glücklicher Weise waren die Schwertgriffe aus Hirschhorn käuflich,
allerdings nur zu hohen Preisen, da die Malaien, die, sobald sie
Geld besitzen, sehr freigebig sind, für diese Kunstgegenstände stets
viel übrig haben. Am Mendalam kosteten schön gearbeitete Griffe bis
zu 10 Dollar das Stück; am oberen Mahakam musste ich für ein altes,
schönes Exemplar 25 fl. bezahlen.
Am Mahakam erregten hauptsächlich die Frauenarbeiten meine
Aufmerksamkeit, die geschmackvollen Perlenverzierungen für
Kindertragbretter, Mützen und Hüte und die Stickereien auf Röcken und
Lendentüchern. Als die Bevölkerung sich bei meinem zweiten Besuch
an den Handel mit mir gewöhnt und den eigenen Vorteil eingesehen
hatte, suchte sie für schöne Dinge einen möglichst hohen Preis
herauszuschlagen. Dass man oft viel Zeit nötig hat, um eines bestimmten
Gegenstandes habhaft zu werden, möge man daraus ersehen, dass ich wegen
einer hübschen Perlenmütze zwei Jahre lang unterhandelte, wegen einer
anderen zehn Monate; eine dritte konnte ich überhaupt nicht erlangen.
Wie eingangs bereits erwähnt worden ist, mussten wir uns bei der
Ausrüstung auf das Notwendigste beschränken, da, besonders beim
Landtransport, jedes Gepäckstück in Betracht kam. Am meisten wurde
hierdurch die zoologische Sammlung getroffen, für die man sowohl
Konservierungsmittel als Flaschen und Büchsen mitführen musste. Ich
nahm mir daher vor, an Säugetieren, die ohnehin schon bekannt waren,
nur sehr wenige und dann mir sehr kleine mitzunehmen; für meine
Jäger sollte das Sammeln von Vögeln, deren Bälge wenig wogen, leicht
zu verpacken waren und als Konservierungsmittel nur Arsenikseife
erforderten, die Hauptaufgabe bilden. Sobald wir denn auch an einem
Orte länger verweilten, begab sich _Doris_ mit einigen bewaffneten
Schutzsoldaten und einem Führer auf die Vogeljagd. Um die Anzahl
der Bälge zu beschränken und die Munition zu sparen, durften von
den gewöhnlichen Vogelarten nur je 6 oder 8 Exemplare gesammelt
werden; trotzdem wuchs unsere Sammlung doch noch auf 1400 bis 1500
Exemplare an.
Mühsam war die Konservierung von Insekten, die trocken aufbewahrt
werden mussten, da die Leute sie uns, besonders anfangs, bei der
Rückkehr von der Feldarbeit in grosser Anzahl brachten und die
Witterung nicht immer ein Trocknen in der Sonne zuliess. Dazu kam
noch, dass wir uns auf dem ersten Teil unserer Reise ohne Naphtalin
behelfen mussten, weil man den Vorrat aus Versehen nach Samarinda
geschickt hatte.
An flüssigen Konservierungsmitteln hatte ich hauptsächlich Formol
und nur sehr wenig Spiritus mitgenommen, weil Formol mit Wasser
verdünnt seinen Zweck meist gut erfüllt, wenn man nur dafür sorgt,
dass es in hermetisch schliessenden Flaschen mitgenommen wird und
dass die Flaschen mit den Präparaten sogleich völlig gefüllt werden,
so dass nicht durch Sauerstoff eine Umsetzung in Ameisensäure bewirkt
werden kann. Für die Aufbewahrung von Reptilien, Amphibien und
hauptsächlich von Fischen erwies sich eine Lösung von 1 Teil Formol
auf 5 Teile Wasser als am geeignetsten. Bringt man die Tiere lebend
oder unmittelbar nach dem Tode in das Konservierungsmittel und trifft
man die erwähnten Vorsichtsmassregeln, so erhalten sich die Farben
mindestens zwei Jahre lang; nur die ausgesprochenen Metallfarben
verschwinden auch in Formol. Auch die Farben gereinigter und
abgeschnittener Schnäbel und Füsse zerschossener und daher wertloser
Vögel, die beim Trocknen meist schwarz werden, erhalten sich gut
in Formol.
Während sehr kleine Tiere unverletzt bewahrt werden können, muss
man an Fischen, Reptilien und Amphibien einen mindestens 2 cm langen
Bauchschnitt ausführen und ein Schliessen der Öffnung mittelst eines
Querhölzchens verhindern.
So weit möglich liess ich unsere Konservenbüchsen und -Flaschen
gebrauchen; für grössere Tiere liess ich aus Blech Behälter herstellen.
Zum Schliessen der Flaschen benützten wir stets Harz, das zerstossen
und mit Petroleum angefeuchtet eine teigige Masse liefert, mit der
Glas- und Metallgefässe luftdicht verschlossen werden können. Da
Harz stets zu finden und Petroleum meist auch vorhanden ist, kann
dieses Verschlussmittel sehr empfohlen werden; wir benützten es auch,
mit Kapok oder Werg gemischt, um unsere Stahlkoffer wasserdicht
zu schliessen.
Für Fische und kleine Tiere hatte ich 3 Kisten mit cylinderförmigen
Gläsern von 200-500 ccm Inhalt mitgenommen; schraubbare Metalldeckel
verschlossen mittelst eines von innen angebrachten Kautschukstreifens
die Gläser luftdicht; sicherheitshalber wurden sie aber auch noch mit
einem Harzring umgeben. In diesen Gläsern haben sich besonders Fische,
Reptilien und Amphibien jahrelang gut gehalten, auch, als ich später
nicht mehr im stande war, das Formol zu erneuern.
Während meines ersten Aufenthaltes am oberen Mahakam wurde ich beim
Sammeln ständig von der Bevölkerung unterstützt, nur sah sie es nicht
gern, dass wir ihre wahrsagenden Tiere töteten. So bedauerten es die
Kajan lebhaft, dass _Doris_ zwei _hisit_ (Anthreptes malaccensis)
und zwei _telandjang_ (Platylophus coronatus) geschossen hatte. Als
später bei den Kenja das gleiche geschah, wurde der _telandjang_,
während er zum Trocknen hing, gestohlen, was sonst nie vorkam. Ich
hielt es für geratener, kein Wort darüber zu verlieren und das Töten
dieser Tiere zu verbieten. Obgleich auch die Rehe zu den wichtigen
wahrsagenden Tieren gehören, schienen die Bahau doch nichts dagegen
zu haben, dass ich sie schoss. Ihre _djelewan_, die Schlange mit
dem roten Kopf, Bauch und Schwanz, wagten sie weder lebend noch
tot anzurühren. Zum Entsetzen der Bahau töteten wir auf dem Wege
von Kapuas zum Mahakam eine _djelewan_ in unserer Hütte und legten
sie in eine Flasche mit Formol. Da keiner die Flasche tragen wollte,
versteckte ich sie in einer der Kisten, ohne dass sie es sahen. Später
schrieb die Bevölkerung den Erfolg meiner Expedition zum grossen Teil
dem Besitz dieser Schlange zu und ich musste sie so häufig vorzeigen,
dass ich mich zuletzt weigerte.
Eine besondere Furcht flösst den Bahau ein Halbaffe (Tarsius spectrum)
ein, der tagsüber bewegungslos auf einem Baumstamm sitzend den
Vorübergehenden mit seinen grossen Nachtaugen anstarrt und den
Kopf weit nach rückwärts zu drehen vermag; keiner wagte es, dieses
ungefährliche Tierchen zu töten. Zu den Tieren, welche der Aberglaube
schützt, gehört auch der grosse Erdwurm, der im stande ist, Töne
auszustossen; er soll die Fruchtbarkeit der Felder befördern, wir
konnten daher kein Exemplar erhalten.
Bis zum Jahre 1899 verursachte uns das Sammeln wenig Mühe; während
unseres Zuges an die Ostküste jedoch wurden die Kajan von verschiedenen
Unglücksfällen betroffen, und ein Priester der Pnihing, der den Ruf
genoss, durch Träume prophezeien zu können, erklärte die Unglücksfälle
für eine Strafe der Geister, weil die Kajan für uns so viele Insekten
getötet hatten. Im Grunde war der Priester nur neidisch auf den
Verdienst der Kajan, den diese sich durch das Sammeln von Tieren
verschafften. Nach unserer Rückkehr zu den Mahakam Kajan wagten sie
uns kein einziges Insekt mehr zu bringen, obgleich ich eine Verstimmung
hierüber nicht bemerkte.
Einfacher gestaltete sich das Sammeln auf botanischem Gebiet. Die
Anlage eines Herbariums und einer Sammlung lebender Pflanzen
betrachtete ich als die Hauptsache und nahm daher aus dem botanischen
Garten von Buitenzorg zwei Malaien, einen Mantri, _Sekarang_,
und einen Pflanzensucher, _Amja_, mit, die beide im stande waren,
selbständig ihre Arbeit auszuführen. Meine Aufgabe bestand daher nur
darin, ihnen für ihre botanischen Exkursionen Führer und Träger zu
verschaffen und etwas Aufsicht zu üben.
Belehrt durch unsere Erfahrungen von der Reise 1896-97 gelang es uns
diesmal am oberen Mahakam, eine Sammlung der verschiedensten Pflanzen,
und zwar 500 Exemplare, lebend aus dem Innern Borneos nach Buitenzorg
zu transportieren. Dabei hatten die am Anfang unseres Zuges am Blu-u
gesammelten Pflanzen sechs Monate lang dort gepflegt werden müssen.
Beim Aufbewahren lebender Pflanzen verfuhren wir folgendermassen: wenn
möglich, wurden junge Exemplare aus dem Boden genommen und zwar so,
dass, um die feinen Wurzelenden nicht zu verletzen, gleichzeitig auch
eine grössere Menge Erde herausgehoben wurde. Zu Hause angekommen
setzten wir die Pflanzen sogleich in Bambuskörbe in eine Erde,
die aus Humus, Flusssand und etwas feiner Holzkohle bestand. Die
gleiche Erde wird in Buitenzorg in den Treibhäusern benützt. Unter
dem dichten Laubwerk der Fruchtbäume bei der Wohnung der Malaien
wurde ein Grundstück vor Besuchen von Kindern, Hunden, Schweinen und
Hühnern durch Bambuslatten geschützt und die Pflanzen unverdeckt auf
Holzgestellen niedergesetzt und täglich versorgt. Auf diese Weise
kamen während unseres Aufenthaltes am Mahakam nur wenige Pflanzen
um. Bei unserer Abreise zur Küste wurden die Körbe mit den Pflanzen
in Holzkisten von ungefähr 4 × 6 dm Bodenfläche und 5 dm Höhe dicht
neben einander gesetzt. Die Kisten hatte ich grösstenteils an Ort
und Stelle anfertigen lassen.
Die ganze Sammlung umfasste 37 derartiger Kisten; sie wurde in ein
grosses Boot gesetzt und mittelst eines Palmblattdaches vor Sonne und
Regen geschützt. An jedem Ort, wo wir länger als eine Nacht blieben,
wurden alle Kisten aus dem Boot genommen und ans Ufer getragen,
wo man die Pflanzen im Schatten der frischen Luft aussetzte. Für
die Seereise wurden die Kisten mit Rotangschirmen, über die weisser
Kattun gespannt worden war, überdeckt. Durch ständiges Benetzen
des Kattuns blieb die Atmosphäre unter diesem Dach auch während der
Hitze auf der Seereise und später während der Eisenbahnfahrt stets
genügend kühl. Obwohl zwischen der Abreise vom Blu-u und der Ankunft
in Buitenzorg zwei Monate lagen, hatten sämmtliche Pflanzen in dieser
Zeit doch nur wenig gelitten.
Die Ausrüstung für das Herbarium bestand hauptsächlich in grobem
chinesischem Packpapier, das sich zum Pflanzentrocknen sehr gut eignet.
Während eines Aufenthaltes auf einem freien Platz, wie eine
Bahauniederlassung ihn bietet, konnte man die Pflanzen der Sonne
aussetzen; in der feuchten Waldatmosphäre jedoch mussten sie zwischen
vielen Bogen Papier vorsichtig über dem Feuer getrocknet werden.
Grosse fleischige Früchte, die sich zum Trocknen nicht eigneten, und
Blüten, die eine besondere Aufbewahrung verlangten, wurden ebenfalls
in eine Formollösung gelegt. Die Farben der Orchideenblüten erhielten
sich auffallend gut in einer Formollösung im Verhältniss von 1 : 5.
Unerwartete Schwierigkeiten bot das trockene Aufbewahren von
Früchten und Samen zwecks späteren Aussäens. Trotz der sorgfältigen
Behandlung, die sie seitens der hierin erfahrenen Javaner erfuhren,
hatten bei Ankunft in Buitenzorg doch beinahe alle die Keimkraft
verloren. Der Grund hierfür lag nicht in der Behandlung, sondern
in der Eigentümlichkeit der Samen vieler tropischer Pflanzen, in
beträchtlich kurzer Zeit die Keimfähigkeit einzubüssen; wir hätten
daher die Samen sogleich aussäen und später die jungen Pflänzchen
transportieren sollen.
Die vielen kleineren Ausflüge, die wir während unseres Aufenthalts am
Blu-u zu benachbarten Stämmen unternahmen, kamen mehr den botanischen
als den zoologischen Sammlungen zu gute. Wir beobachteten immer
wieder, dass eine bestimmte Gegend zahlreiche ihr eigene Pflanzenarten
besass, denen wir an einem anderen Orte nie wieder begegneten. In
dem so gleichförmig aussehenden Urwald trafen wir hauptsächlich
auf bestimmten Bergen eine eigene Vegetation, die auf gleichartigen
benachbarten Bergen nicht mehr zu finden war.
Da wir mit Rücksicht auf die Reise nach der Küste und der in diesen
tiefgelegenen Gebieten und auf Java herrschenden Wärme die lebenden
Pflanzen in unserem Kulturgarten in keinen zu tiefen Schatten
setzen durften, zeigten viele Arten die eigentümliche Erscheinung,
dass bereits bei ihren ersten neugebildeten Blättern die prachtvolle
metallblaue Färbung zu schwinden begann. Diese Färbung, die vielen
Arten von Farren, Aroïdeen, Dracaeen, Begonien u.a. eigen, ist somit
von der im Urwald herrschenden Feuchtigkeit und Dunkelheit abhängig
und verschwindet unter veränderten Umständen sehr bald, um einem
reinen Grün Platz zu machen.
Während ich mich in bezug auf Zoologie und Botanik darauf beschränkte,
die Anlage und Pflege der Sammlungen und die Aufzeichnungen zu
beaufsichtigen und Notizen und Etiquetten oft selbst zu schreiben,
ging ich, um eine Vorstellung von der geologischen Formation des
oberen Mahakamgebietes zu erhalten, selbst darauf aus, Gesteine zu
sammeln und ihre Fundorte zu untersuchen.
Diese wie auch die anderen Sammlungen wurden so angelegt, dass sie
später von Fachleuten bearbeitet werden konnten.
Die geologischen Untersuchungen nahm ich während der Exkursionen
vor, die wegen der topographischen Aufnahme des Mahakamgebietes
stattfanden. Während _Bier_ die eigentliche Aufnahme ausführte,
beschäftigte ich mich mit eigenen Beobachtungen.
Als Ausrüstung hatte ich folgende Gegenstände mitgenommen: zwei Sätze
geologischer Hämmer, einen Schmiedehammer, einen geologischen Kompass
und Höhenbarometer und für die Verpackung der Handstücke sehr starke
Leinwand und Metallnummern. Die Erfahrung hatte mich auf den beiden
früheren Expeditionen gelehrt, dass das zum Aufbewahren von Gesteinen
so häufig gebrauchte Packpapier für die Tropen ungeeignet ist, weil es
bei einer Bewegung der aufeinander liegenden Stücke leicht durchreibt,
besonders wenn es feucht wird, was auf langdauernden Reisen, wie den
unsrigen, kaum zu vermeiden war; ausserdem wird Papier leicht von
Ameisen, Termiten und anderen Tieren aufgefressen. Aus den gleichen
Gründen fand ich es unpraktisch, Etiquetten aus Papier zu gebrauchen,
die überdies nur an sehr trockenen Steinen haften bleiben und schnell
unleserlich werden. Ich verpackte die Stücke daher in starke Leinwand,
band sie mit einer Schnur fest und versah sie mit einer Metallnummer,
die mit derjenigen meiner Aufzeichnungen übereinstimmte.
Den geologischen Beobachtungen kam es sehr zu statten, dass wir, wenn
irgend möglich, grosse und kleine Flüsse als Reisewege zu benützen
suchten. Hierdurch befanden wir uns stets an den einzigen Stellen, die
uns über die geologische Formation des Gebietes, das wir durchreisten,
Aufschluss geben konnten. Da mit Ausnahme der beinahe senkrechten,
das Tal begrenzenden Felswände das ganze Gebiet des oberen Mahakam mit
Urwald bedeckt ist, wird das unterliegende Gestein nahezu gänzlich
vor Erosion geschützt. Nur die feinsten Teilchen werden von dem
ablaufenden Regenwasser mitgeführt, alle grösseren Stücke bleiben
liegen. Daher stösst man im Walde zuerst auf eine Humusschicht von
wechselnder Dicke, die der Tiefe zu immer mehr mit verwitterten Teilen
des unterliegenden Gesteins vermischt ist. In unverwittertem Zustand
trifft man das Gestein erst in einer Tiefe von vielen Metern an, daher
ist es, um eine Übersicht über die geologische Beschaffenheit eines
grösseren Gebietes zu erlangen, praktisch nicht erreichbar. Selbst
an den steilen, aber bewachsenen Bergabhängen und oben auf den
oft nur 1/2-2 m breiten Bergrücken findet man kein unverwittertes
Gestein; man trifft es hier als eine Anhäufung loser, verwitterter
Stückchen in einem Sack von Pflanzenwurzeln. Das ursprüngliche
Gestein tritt hauptsächlich in den Flussbetten zu Tage. Hier ist das
Wasser ständig damit beschäftigt, das unterliegende, feste Gestein
von den stark verwitterten Lagen zu befreien; alles kleinere vom
Ufer abgebröckelte oder von Bergstürzen herrührende Gestein wird
abwärts geführt. Dies geschieht hauptsächlich, wenn die grossen
Wassermassen eines tropischen Regens in den Gebirgsbächen unter
heftigem Gefälle abwärts stürzen; derartiges Gestein wird dann mit
Macht übereinandergeworfen und fortgeführt, wodurch es gleichzeitig von
allen lockeren, verwitterten Teilen entblösst und glatt geschliffen
wird. Vom Ursprung der Quellflüsse an bis zur letzten Geröllbank an
der Flussmündung bedeckt dieses Geschiebe, stets kleiner und kleiner
werdend, das ganze Flussbett.
Man findet daher in den Flussbetten sowohl festes Gestein, das in
grösserer oder kleinerer Ausdehnung an den Ufern blossgelegt wird,
als auch in den Geröllbänken eine Übersicht über das im Flussgebiet
aufwärts anstehende Gestein. Beginnt man somit in den verschiedenen
Nebenflüssen ein Stück weit oberhalb ihrer Mündungen die verschiedenen
Gesteinsproben zu sammeln und ausserdem das blossliegende, feste
Gestein bis zur Quelle hinauf zu untersuchen, so kann man zu einer
für die Tropen möglichst exakten Vorstellung der geologischen
Beschaffenheit eines Gebietes gelangen. Dieses Verfahren ist von
besonderem Wert, wenn man es, wie es am oberen Mahakam der Fall ist,
mit einem grösstenteils nicht vulkanischen Gebirge von einfachem
Bau zu tun hat. Denn die zahlreichen Bergbesteigungen, die ich der
topographischen Aufnahme wegen ausführen musste, boten mir nur sehr
selten einen neuen Einblick in die geologische Formation des Gebirges;
das Gestein, das wegen der alles überdeckenden Buschvegetation nur
hier und da frei zum Vorschein kam, lieferte mir nur eine willkommene
Bestätigung meiner im Flussbett gemachten Beobachtungen. Wichtiger war
es, von den Berggipfeln, auf denen man die Bäume gefällt hatte, eine
Übersicht über das ganze Gebiet zu erlangen. Von hier aus liessen sich
die Wirkungen der Erosion verfolgen, auch zogen eigenartig gebildete
Berge oder Bergketten die Aufmerksamkeit auf sich und veranlassten
besondere Untersuchungen. Diese waren hauptsächlich bei Formationen
aus weichem Kalkstein wichtig, da letzterer bereits in geringem
Abstand von seinem Standort durch die Gebirgsströme vernichtet wird.
Die Erklärungen, die sich die Eingeborenen über unser Sammeln von
Gesteinen bildeten, waren sehr mannigfaltig. Dass es uns um Goldsuchen
zu tun war, hielten sie für das Wahrscheinlichste; sie suchten
zwar selbst am oberen Mahakam kein Gold, hatten aber von den Malaien
gehört, dass wir darauf ausgingen. Als es sich herausstellte, dass ich
Gestein der verschiedensten Art mitnahm, glaubte die Bevölkerung in
mir einen Alchimisten zu sehen, der bei der Heimkehr alles Gestein
zusammenschmelzen und daraus Gold herstellen würde. Auch diese
Auslegung kam mir malaiischen Ursprungs vor. Von dieser Anschauung
beherrscht gingen die Bahau auf unseren Exkursionen daher häufig
darauf aus, Gestein zu suchen, das Pyrit oder Glimmer enthielt,
weil sie diese für Gold ansahen. Obwohl sie selbst Flusssteinen von
besonderer Form, mit einem Loch in der Mitte oder mit eigenartiger
Krümmung, eine beschirmende Kraft zuschreiben und sie als Sitz eines
bestimmten Geistes ansehen und obwohl sie auch hübsches Gestein,
wie den _batu boh_ aus dem Boh, als Schnallen für Schwertgürtel und
als Perlen schleifen, konnten die Bahau doch mein Interesse für das
Gestein an sich nicht begreifen. Nur selten widersetzten sich die
Leute dem Sammeln der Gesteine,' trotzdem sie oft unter der Last,
die sie zu tragen bekamen, stöhnte.
An einigen Stellen des Flussufers, wo Geister hausen sollten, bat man
mich allerdings, mit meinem Schmiedehammer keine Stücke abschlagen
zu lassen, was ich denn auch nicht tat. An einigen anderen: Orten,
wie in dem Flüsschen Tasan beim Berge Situn, wo die Ufer aus dunklen,
senkrechten Felswänden bestehen, ergriffen alle Bahau die Flucht,
als ich die Malaien einige Kalkstücke abschlagen liess.
Die topographische Aufnahme des oberen Mahakamgebietes stiess, der
eigenartigen Umstände wegen, unter denen sie vorgenommen werden musste,
auch auf besondere Schwierigkeiten. Bevor wir unser eigentliches
Arbeitsfeld erreichten, hatten wir Bootfahrten auf kleinen, wilden
Gebirgsbächen und Landzüge durch den Urwald im Quellgebiete des Kapuas
auszuführen, daher war es unmöglich gewesen, für die Bestimmung des
Meridians eines Ortes Chronometer mitzunehmen, weil diese durch die
Erschütterungen, denen sie während der Reise ausgesetzt gewesen wären,
ihre Zuverlässigkeit eingebüsst hätten.
Die Möglichkeit, mittelst astronomischer Beobachtungen die Lage
eines Ortes zu bestimmen, war somit ausgeschlossen und wir waren
darauf angewiesen, an die topographische Aufnahme des Kapuasgebietes,
welche nach neunjähriger Arbeit (1886-1895) von dem topographischen
Institut der indischen Armee in Batavia ausgeführt worden war,
anzuknüpfen. Während dieser Aufnahme waren bis zur Mündung des
Kréhau Punkte astronomisch bestimmt und von diesen aus mittelst
Triangulation die wichtigsten Bergspitzen fixiert worden, um als
Anhaltspunkte für Detailaufnahmen zu dienen. Um diese vorzunehmen,
hielten sich die Topographen monatelang in den unbewohnten Gebieten
des oberen Kapuas auf.
Wie bereits im Kapitel XI berichtet worden ist, hatte der Topograph
_Werbata_ 1893 den Weg zum Penaneh genau gemessen; da dieser Weg
aber für unsere Verhältnisse zu beschwerlich war, hatten wir den
nördlicheren zum Howong einschlagen müssen. Hätten wir mehr Zeit
gehabt, so wäre es möglich gewesen, den zurückgelegten Weg direkt zu
messen; da dies nicht der Fall war, mussten wir selbst einen Punkt
suchen, den wir durch Anpeilen bereits bestimmter Berge im Kapuasgebiet
zum Fixpunkt machen konnten. Daher scheuten wir keine Mühe, um auf
der Wasserscheide nach einem derartigen Punkt zu suchen, den wir in
der Tat auch fanden. Somit eröffnete sich uns die Aussicht, von hier
aus durch direkte Messung des zurückgelegten Weges eine Grundlage
für die weitere Aufnahme des ganzen Mahakamgebietes zu erhalten.
Ich hatte bereits auf meiner vorigen Reise feststellen können, dass
das ganze Flussgebiet des oberen Mahakam, in gleicher Weise wie der
übrige Teil Mittel-Borneos, aus einem Berg- und Hügelland ohne Ebenen
besteht, das von zahlreichen Flüssen durchschnitten wird und ausser an
den Stellen, wo die Bahau ihn zur Anlage von Reisfeldern gefällt haben,
mit dichtem Walde vollständig überdeckt ist. Auch hatte ich mich bald
davon überzeugt, dass wir von Landwegen nur sehr geringen Gebrauch
würden machen können und dass wir den Mahakam und seine Nebenflüsse als
wichtigste Reisewege würden benützen müssen. Da sich nur an den Ufern
des Hauptstromes und einiger Nebenflüsse Niederlassungen befinden,
mussten, um weiter abgelegene Beobachtungspunkte zu erreichen,
besondere Expeditionen ausgeführt werden.
Mit Rücksicht auf die noch unbekannten Verhältnisse, denen wir auf der
Reise begegnen würden, und auf den Zweck unserer Reise, war es nicht
möglich, von vorn herein einen festen Plan für die topographische
Aufnahme auszuarbeiten. Die Umstände sollten bestimmen, wie lange wir
am oberen Mahakam bleiben konnten und welche Züge wir in dieser Zeit
zwecks der topographischen Aufnahme oder aus politischem Interesse
würden unternehmen können. In jedem Falle musste auf eine feste
Grundlage gebaut werden und, da das Messen des Weges sehr wohl möglich
erschien, wurde beschlossen, von dem Fixpunkt auf der Wasserscheide
aus den Landweg längs des Howong bis an den Mahakam und dann diesen
Fluss selbst direkt zu messen. Im übrigen sollte die Zukunft lehren,
in wie weit es möglich sein würde, durch Messen von Seitenwegen zu
Wasser und zu Lande, durch Anpeilungen von Fixpunkten aus und durch
Bergbesteigungen die Aufnahme dieses ausgedehnten Gebietes auszuführen.
Der Topograph _Bier_ hatte sich für die Aufnahme mit einem Theodolit
Tranche-Montagne, mit dem Azimuth und Höhe bestimmt werden konnten,
und mit 3 m langen Massstäben, auf welchen eine Skala in Centimetern
angegeben war, ausgerüstet. Im Fernrohr des Tranche-Montagne waren
Kreuzfäden und Horizontalfäden gespannt, in solch einem Abstand,
dass dieser mit der Anzahl Centimeter auf der Skala des Masstabes,
welche man zwischen ihnen auf 100 m Distanz ablas, in einfachem
Verhältnis stand. 100 Meter Abstand entsprachen 100 Centimetern auf
der Skala. Eine Messkette hatten wir nicht mitgenommen, da unser Weg
grossenteils zu Wasser zurückgelegt wurde und von einer regelrechten
Triangulation des Gebirgslandes keine Rede sein konnte.
Zur Kontrolle für die Höhenbestimmung durch direkte Messung mittelst
des Theodolits war ich mit zwei guten Aneroidbarometern und einem
Hypsometer ausgerüstet, an denen an allen wichtigen Punkten Ablesungen
gemacht wurden.
Einer der Aneroidbarometer von der Firma _Kipp en Zonen_ in Delft
stimmte mit dem Hypsometer auf jeder Höhe überein; er hatte bereits
die Reise 1896-1897 mitgemacht und war damals in der Sternwarte zu
Leiden verifiziert worden.
Während der Reise wurde eine Abweichung des Kompasses des Theodolits
nur ein einziges Mal am Blu-u festgestellt, was teilweise auch dem
Umstand zugeschrieben werden muss, dass der Himmel selten unbewölkt
genug war, um während eines grossen Teils des Tages den Stand der
Sonne mit genügender Schärfe mittelst des Fernrohres bestimmen zu
können. Diesem Umstand muss vielleicht zugeschrieben werden; dass
bei der Zeichnung der Karte im Massstab von 1 : 20000 die Länge des
Mahakam bis zum astronomisch bestimmten Punkte Ana sich als richtig
erwies, die Richtung jedoch um einen Grad nach Süden abwich.
Die Aufnahme des Landweges bereitete unserem Topographen, der jahrelang
in dem waldbedeckten Gebirge Mittel-Sumatras gearbeitet hatte, keine
Schwierigkeiten. Einer der ursprünglich 3 m langen Massstäbe wurde auf
die Hälfte verkürzt, um auf den Waldpfaden seiner Länge wegen nicht
hinderlich zu sein, ferner wurde etwas mehr Zeit darauf gewendet, um
die gewundenen, steigenden und fallenden Pfade in kleinen Abständen
messen zu können. Anders verhielt es sich mit dem Messen des Mahakam
selbst, da die langen, schmalen Böte der Bahau zum Aufstellen des
Theodolits nicht stabil genug sind. Auch das Aneinanderbinden mehrerer
Böte war wegen der zahlreichen Verengungen und Stromschnellen im
Fahrwasser sehr beschwerlich. Daher musste der Topograph auch bei
der Flussmessung zum Aufstellen seines Instrumentes das feste Ufer
wählen. Die Gehilfen, die in gesonderten Böten die Massstäbe hielten,
lernten es bald, sich entweder mit ihren Böten zwischen Felsblöcken
und Geröllbänken festzusetzen oder am Lande eine passende Stelle
zu finden. In der Regel waren drei Böte erforderlich: eines für den
Topographen und zwei für die Gehilfen. Indem _Bier_ einen Massstab
oberhalb und einen unterhalb seines eigenen Standplatzes aufstellen
liess, konnte er von einem Punkte aus zwei Abstände im Flusse
messen. Der stromaufwärts befindliche Gehilfe suchte sich, während
der Topograph den stromabwärts befindlichen Massstab visierte, mit
seinem Bote einen passenden Punkt weiter unten im Fluss aus, worauf
der Topograph wiederum zwischen beiden Stand fasste und erst den jetzt
flussaufwärts befindlichen Massstab visierte dann den flussabwärts
befindlichen u.s.f.
Dadurch, dass _Bier_ seine Messungen stets von dem am weitesten
flussaufwärts gelegenen Punkt aus begann, lief er am wenigsten Gefahr,
durch plötzliches Hochwasser aufgehalten zu werden, auch konnten sich
die Böte mit dem Strome schnell abwärts bewegen.
Dank der langen Zeit von beinahe zwei Jahren, die wir am oberen Mahakam
zu verbringen gezwungen waren, und der Sicherheit, mit der wir uns
bewegen konnten, gelang es dem Topographen, den Mahakam stückweise, von
seinem Ursprung an der Grenze von Serawak an bis zu dem astronomisch
bestimmten Punkt Ana am mittleren Mahakam, zu messen. Indem er den Kaso
bis zum Penaneh, dem Endpunkt der Messung des Topographen _Werbata_,
hinauffuhr, konnte er später seine Messung des Mahakamgebietes nochmals
mit derjenigen des Kapuas in Verbindung bringen.
In Anbetracht, dass der Kapuas, von Pontianak aus, seiner ganzen
Länge nach bereits gemessen war, wurde mit einer Messung des Mahakam
diejenige Borneos von West nach Ost vollendet.
Im Zusammenhang mit dieser Aufnahme wurde die Wasserscheide zwischen
Mahakam und Barito vier Mal erstiegen: im Januar 1899 längs des Blu-u
der Batu Lesong; im Juni 1899, bei der Messung des Bunut, der Batu
Ajo; im Juli 1899 von Long Deho aus das gleiche Gebirge, nördlicher;
und im April 1900, dem Mobong entlang, wiederum der Batu-Ajo, an
einer dazwischen liegenden Stelle.
Auch bei der Messung des Pahngè, eines der gebräuchlichsten
Verbindungswege mit dem Baritogebiet, gelangte der Topograph bis dicht
an die Wasserscheide. Ausser den genannten Nebenflüssen wurden auch
noch der Tjehan, Merasè und der Tepai so weit als möglich gemessen. An
Bergen wurden der Aufnahme wegen bestiegen: der Liang Tibab am oberen
Kapuas; der Lasan Tojang im Quellgebiet des Mahakam; der Batu Balo
Baun am oberen Mahakam; der Lekudjan auf der Kapuas-Wasserscheide;
der Liang Karing am Tjehan; zwei Berge am Kaso; der Batu Lesong auf
der Barito-Wasserscheide; der Batu Karang und Batu Situn am Merasè,
der Batu Mili am Blu-u und der Batu Ajo an drei verschiedenen Stellen.
Zwar suchten wir, um eine möglichst vollständige Übersicht über die
Umgebung zu erlangen, zur Besteigung freiliegende Berge zu wählen,
doch mussten wir oft auf besondere Umstände Rücksicht nehmen.
Da viele dieser Berge von den Kajan noch nie erstiegen waren, mussten
wir, von anderen Erhebungen aus, häufig selbst eine Seite aussuchen,
von der aus man den Gipfel wahrscheinlich erreichen konnte. Auf
dem Gipfel angekommen befanden wir uns in einem dichten Walde, so
dass zur Erlangung einer Aussicht erst Durchhaue ausgeführt werden
mussten. War der Gipfel sehr klein oder nur mit Gestrüpp bewachsen,
wie wir es jedoch nur einmal trafen, so wurden auf das Fällen der
Bäume einige Tage verwandt. Für gewöhnlich war dieses Verfahren aber
wegen der grossen Oberfläche des Gipfels und wegen der grossen Härte
der Gebirgsbäume nicht möglich. Wir wählten dann den höchsten Baum
aus, liessen die meisten Äste entfernen und auf den übriggebliebenen
eine feste Plattform bauen, auf der man mit Sicherheit visieren
konnte. Der Auf- und Abstieg auf der primitiven Leiter war aber
sowohl für _Bier_ als für mich ein Wagstück. In unmittelbarer Nähe
unseres Beobachtungspostens musste ausserdem stets eine grössere
Anzahl Bäume gefällt werden, weil deren Kronen die Aussicht zu sehr
beeinträchtigten.
Wegen der Abreise des Topographen _Bier_ vor dem Beginn unserer
Expedition ins Quellgebiet des Kajan konnte von einer sorgfältigen
Aufnahme dieser Gegend keine Rede sein. Dafür übernahm es der
Photograph _Demmeni_, den Weg mittelst Handbussole und Schätzung
des Abstandes zu messen, wie er es bereits während der ersten Reise
1896-1897 am Mahakam mit gutem Erfolg getan hatte.
Auch für unsere topographischen Arbeiten hatten die Eingeborenen
bald eine Erklärung gefunden oder von den Malaien übernommen, sie
glaubten nämlich, dass es uns darum zu tun sei, ihre Schlupfwinkel zu
Kriegszwecken kennen zu lernen. Wir konnten sie von ihrer Überzeugung
nicht abbringen, trotzdem wir darauf hinwiesen, dass wir uns doch
nur an die Häuptflüsse und wichtigsten Berge hielten und dass
_Bier_ seine Karte ausarbeitete, ohne ihre nächste Umgebung viel zu
beachten. Trotzdem sind wir am oberen und mittleren Mahakam nie auf
Widerstand seitens der Bahau gestossen; diese unternahmen unserer
Arbeit wegen häufig weite Reisen in ihnen selbst unbekannte Gegenden.
Anfangs hatte es allerdings den Anschein, als arbeite man uns entgegen;
denn nur selten erhielten wir über die Namen kleinerer Flüsse oder
etwas abgelegenerer Berge richtige Auskunft. Entweder behauptete
man, nichts zu wissen, oder man gab falsche Namen an. Zu unserem
Erstaunen stellte es sich aber später heraus, dass mit geringen
Ausnahmen wirkliche Unwissenheit in bezug auf alles, was sich nicht
in unmittelbarer Nähe des Stammesgebietes befand, vorlag. Selbst
hohe, die ganze Landschaft beherrschende Berge trugen nur bei den
in nächster Nähe wohnenden Stämmen einen Namen. Nur diejenigen,
die zu wiederholten Malen längs des gleichen Flusses gereist waren,
konnten mit einiger Sicherheit dessen Namen angeben.
Die meisten kamen übrigens ihr Leben lang nicht aus ihrer Umgebung
heraus und hatten für alles, was im Gebiet des benachbarten Stammes
lag, kein Interesse. Da wir uns mit Hilfe eines Bahau von einer
Bergspitze aus absolut nicht orientieren konnten, lernten wir bald,
unsere eigenen Erfahrungen und Beobachtungen zu Rate zu ziehen,
sowohl wenn es galt, die Identität eines Berges festzustellen,
als auch wenn ein Plan zur Erreichung eines bestimmten Punktes als
Beobachtungspunkt gefasst werden musste.
Sollten unbekannte oder gefürchtete Gegenden besucht werden, so bildete
für die Bahau nicht nur Unwissenheit, sondern auch Angst um ihre eigene
und unsere Sicherheit einen Hinderungsgrund. Unserer topographischen
Arbeit wegen mussten wir immer wieder Bergspitzen zu erklimmen suchen
und gerade vor diesen fürchten sich die Eingeborenen so sehr, weil die
Berghöhlen von bösen Geistern, hauptsächlich von den Donnergeistern,
bewohnt werden. Um die gefürchteten Unternehmungen zu verhindern,
nahmen die Bahau häufig zu falscher oder entsetzlich übertriebener
Auskunft ihre Zuflucht; den Kern von Wahrheit mussten wir selbst
herauszufinden suchen. Sobald ich aber den Zug mit einigen ihrer Männer
wirklich antrat, taten sie alles, um ihm einen guten Erfolg zu sichern.
Wenige Hilfsmittel für Untersuchungen aller Art gewähren einem
auf der Reise so viel Befriedigung als die Photographie; sie
erfordert jedoch, je nach dem Ziel, das man verfolgt, und dem Land,
das man bereisen will, eine besondere und sorgfältig gewählte
Ausrüstung. Für ein sehr feuchtes Tropenklima, wie dasjenige
von Borneo, sind Apparate von besonderer Widerstandsfähigkeit
erforderlich. Obgleich wir bei der Zusammenstellung der Ausrüstung
die verschiedensten Punkte eingehend berücksichtigten, wäre es
uns ohne die besondere Geschicklichkeit _Demmenis_ als Mechaniker,
der im stande war, bald dieses, bald jenes an der Kamera und vor
allem an den Wechselkassetten zu reparieren, nicht geglückt, länger
als einige Monate zu photographieren. Hauptsächlich erforderten die
neu aus Europa empfangenen Gegenstände, obgleich sie aus sehr gutem
Material verfertigt waren, eine ständige Ausbesserung; bald krümmten
sie sich vor Feuchtigkeit und Hitze, bald löste sich der Leim und
musste durch Schrauben ersetzt werden.
Auch in bezug auf die photographische Ausrüstung galt unser Grundsatz:
so vollständig und so leicht transportierbar als möglich. Hierbei
kamen hauptsächlich die Platten in Betracht. Als besonders geeignet
erwiesen sich die Extra-Rapid-Films 13 × 18 der Firma _Perutz_ in
München; sie hatten den grossen Vorzug, leicht und unzerbrechlich zu
sein und ein kleines Volumen einzunehmen. Der Apparat selbst bestand
aus einer für die Tropen gearbeiteten Reisekamera aus Mahagoniholz,
Format 13 × 18, auf sehr festem Stativ, versehen mit einem Anastigmat
von _Zeiss_ mit einem Momentverschluss von _Linhof_.
Die Kamera hatte mir bereits auf den beiden vorigen Reisen gedient
und war somit klimabeständig. Der lederne Balg war gegen Insekten
und Schimmel mit einer starken Lösung von arsenigsaurem Natron
eingerieben und verursachte uns während der ganzen Reise keine
Schwierigkeiten. In Verband mit der Benützung von Films gebrauchte
ich auf der Reise 1896-97 eine Wechselkassette, welche in der Tat
grosse Dienste geleistet hat, aber, wie erwähnt, nicht ohne ständige
Ausbesserung seitens des Photographen. Nachdem wir sie mit einem neuen
Sack ausgerüstet hatten, wurde sie gelegentlich auch auf der letzten
Reise gebraucht, hauptsächlich wurde aber mit einer Wechselkassette
von _Grundmann Zaspel_ gearbeitet, sie erwies sich aber, bevor
wichtige hölzerne Teile durch metallene ersetzt worden waren, als
vollständig ungeeignet für die Tropen. Für diese Wechselkassetten
mussten Filmsträger aus Aluminium gebraucht werden, in welche die
Films seitlich eingeschoben wurden. Häufig standen die Films verbogen
darin, so dass die Bilder in der Mitte oder an den Seiten weniger
scharf wurden als an anderen Stellen; hiervon abgesehen, erfüllten
sie ihren Zweck sehr gut.
Eine metallene Kamera mitzunehmen, ist sehr ratsam; jedenfalls aber
sollte man sich mit metallenen Chassis versehen; ihrer sechs werden
sich stets als genügend erweisen.
Die Extra-Rapid-Films von _Perutz_ haben mir auch, was Haltbarkeit der
Films und Deutlichkeit der Bilder betrifft, stets gut gefallen. Sobald
man nicht in der Lage ist, einen neuen Vorrat Films anzugreifen,
lernt man deren grosse Haltbarkeit schätzen; sie hatten auch nach
zwei Jahren nichts an Empfindlichkeit eingebüsst und lieferten ebenso
deutliche Bilder als zuvor. Vorsichtshalber hatte ich bereits in
der Fabrik jedes Dutzend gesondert in Zinkkästchen verlöten lassen,
so dass wenigstens der Einfluss der Feuchtigkeit ausgeschlossen war;
vor zu grosser Erhitzung suchten wir sie ebenfalls so viel als möglich
zu schützen.
Chemikalien und Gerätschaften, um die belichteten Films schon
auf der Reise entwickeln zu können, wurden in genügender Menge
mitgenommen. Das Entwickeln wurde denn auch stets, sobald Aussicht
vorhanden war, das Negativ vollständig abarbeiten zu können,
baldmöglichst vorgenommen. Als Entwickler diente fast ausschliesslich
Hydrochinon; für Momentaufnahmen diente zuletzt auch Methol.
Da ohne Dunkelkammer gearbeitet werden musste, wurde immer abends
entwickelt und es zeigte sich, dass bei einer Entwicklung im Walde
auch eventueller Mondschein den Prozess wenig benachteiligte.
Positive wurden während der Reise nicht verfertigt. Auf allen
Reisen hatten wir ausser dieser Ausrüstung noch Detektivkameras
für Momentaufnahmen von kleinerem Format mitgenommen. Obgleich wir
kostbare Apparate angeschafft hatten, waren sie für die Tropen doch
ungeeignet und lieferten selten gute Resultate. Teilweise trugen
hieran die eigenartigen Umstände, unter denen wir photographieren
mussten, und die Gegenstände, welche wir photographieren wollten,
die Schuld. Bei unserem Reiseleben musste eine Aufnahme oft in
einem bestimmten Augenblick, bei schlechter Beleuchtung, bei Regen
u.s.f. gemacht werden. Handelte es sich um Personen, so waren fast
stets nur Momentaufnahmen möglich, da die Bahau vom Stillestehen keine
Ahnung haben; erst viel später konnten wir bei einigen von ihnen eine
Zeitaufnahme ausführen.
Innerhalb der Häuser konnte nur bei sehr langer Exposition
photographiert werden, weil die Beleuchtung in den Wohnungen eine
sehr schlechte ist und die Wände noch dazu so dunkel sind, dass auch
Momentaufnahmen bei Magnesiumlicht wegen der starken Absorption des
Lichtes durch die Wände missglückten. Nur da, wo wir Zeitaufnahmen bei
Magnesiumlicht machen konnten, hatten wir guten Erfolg. Festlichkeiten,
Versammlungen und allerhand Szenen, bei denen viele Menschen anwesend
waren, konnten wir innerhalb des Hauses daher nicht photographieren.
Ausser durch ihre Unfähigkeit stillzusitzen bereitete die
Bahaubevölkerung den photographischen Aufnahmen auch sonst noch so
grosse Schwierigkeiten, dass wir häufig von einer Aufnahme ganz absehen
oder sie auf Monate, auf eine günstigere Gelegenheit, verschieben
mussten. Die Abneigung der Eingeborenen gegen die Photographie hatte
ihre eigenen Gründe. Der unbekannte Zweck und das Geheimnisvolle
der einen, augenartigen Linse erschreckte die Leute. Man hätte eine
derartige Angst durch angemessene Belohnung überwinden können, wenn
die Bahau nicht überzeugt gewesen wären, dass ihre Seele (_bruwa_)
vor Schreck den Körper verlassen könnte, was Krankheit und Tod zur
Folge gehabt hätte.
Noch eine andere Eigenschaft der Bahauseele schreckte die Leute von der
Photographie ab: die Seele konnte nämlich Bild und Original verwechseln
und ersterem, somit auch uns, folgen, was natürlich grenzenloses Elend
veranlasst hätte; denn nicht nur, dass der Körper dadurch erkrankt
wäre, sondern ich hätte dadurch auch auf weite Entfernung auf die
abgebildete Person Einfluss ausüben können.
Einige Male hörte ich auch einige alte Männer erklären, dass sie
sich nicht photographieren lassen wollten, weil ihre Bilder später
in ein Buch aufgenommen und von jedem besehen werden würden. Von
der Aufnahme in ein Buch hatten sie natürlich durch unsere Malaien
gehört, die sich übrigens auch selbst nur zögernd und ängstlich zu
einer Aufnahme hergaben.
Anfangs gaben sich die Menschen von dem allem nicht Rechenschaft. Als
wir daher zum ersten Mal im Jahre 1896 am Mahakam zur Zeit des
Saatfestes eintrafen, waren uns die Kajan bei der Aufnahme der
interessanten Maskentänze, die zum Glück im Freien stattfanden, noch
selbst behilflich. Nachdem alle Zweifel einmal entstanden waren,
dauerte es aber vier Monate, bevor wir jemand dazu bringen konnten,
sich vor unsere Kamera zu stellen. Zuerst überwanden einige junge
Männer ihre Skrupel, dann zeigte sich auch ein leichtsinniges,
fröhliches junges Mädchen, _Anja Song_, zur Aufnahme bereit. Das
Mädchen verkehrte so häufig in unserer Hütte, dass sie einerseits die
Angst vor allem Ungewöhnlichen verlor, anderseits der Verlockung, mit
Perlen und hübschem Zeug belohnt zu werden, nicht länger widerstehen
konnte. _Anja Songs_ Heldenhaftigkeit hatte übrigens auch noch einen
tieferen Grund; das Mädchen, eine halbe Sklavin, liebte _Sawang Jok_,
einen der vornehmsten jungen Leute des Stammes, und, da dieser sich
hatte photographieren lassen, wollte ihm _Anja Song_ an Mut nicht
nachstehen. Als sie von den Eltern ihres leichtsinnigen Benehmens wegen
streng bestraft wurde, überredete sie zur eigenen Entschuldigung einige
Freundinnen, sich ebenfalls zur Photographie herzugeben. Nachdem die
Bresche einmal geschlagen war, erhielten unsere Aufnahmen einen grossen
Zulauf, besonders war dies bei unserem zweiten Besuch bei den Kajan am
Blu-u der Fall, aber erst nachdem wir wiederum einige Monate bei ihnen
gelebt hatten. Diesem Zulauf haben die Bilder, welche die verschiedenen
Industrieen der Bahau darstellen, ihr Dasein zu verdanken.
Bei den Mendalam Kajan war das Vorurteil vor der Photographie viel
schwerer zu überwinden als bei denen am Mahakam; das Gleiche galt auch
in bezug auf die anthropometrischen Messungen. Da mir bei meinem ersten
Aufenthalt unter ihnen, im Jahre 1894, hauptsächlich an letzteren
gelegen war, liess ich die Photographie ruhen. Im Jahre 1896, als
ich meine Expedition zum Mahakam bei ihnen vorbereitete, vermied ich
alles, was irgendwie ungünstig auf den Verlauf unserer Unterhandlungen
hätte einwirken können; als man sich daher zur Aufnahme nicht willig
zeigte, suchte ich nichts durchzusetzen. Nur meine alte Freundin _Usun_
überwand sich selbst, um mir eine Freude zu machen, und kam nach meiner
Abreise von Tandjong Karang nach Putus Sibau, um sich photographieren
zu lassen. Bei ihrem hohen Alter spielte wohl auch die Überlegung, dass
der Photograph ihrer Ehrbarkeit Abbruch tun könnte, wenn er an ihrem
umgekehrten Bilde auf der Mattscheibe unerlaubte Dinge sehen würde,
keine grosse Rolle. Die vielen Malaien, die am Mendalam verkehrten,
hatten nämlich erzählt, dass beim Photographieren sowohl die Personen
als deren Kleider sich umkehrten. Auf _Usun_ Photographie ist daher
zu sehen, dass sie über die gewöhnliche _ta-a_ noch ein besonderes
Tuch geschlungen hat und dass sie beide Arme krampfhaft an ihre Beine
presst, um den Röck festzuhalten. Obgleich wir den Kajan häufig das
Bild auf dem Mattglas zeigten, konnten wir ihnen doch die von den
Malaien übernommene Überzeugung nicht nehmen.
KAPITEL XV.
Verhältnisse bei den Mahakam Kajan.--Zeitrechnung--Beschäftigungen
während der Verbotszeit--Besteigung des Batu
Mili--Saatfest--Maskenspiel--Kreiselspiel--Abschied von _Adam Igau_
und _Jung_--Fahrt zum Merasè--Tod des Häuptlings _Bo Li_--Begegnung
mit malaiischen Rebellen--Beginn mit der Mahakamaufnahme--Zweite
Besteigung des Batu Mili--Sage vom Batu Mili--Hahnenkämpfe.
Der Stamm der Kajan befand sich bei unserer Ankunft in einer
Übergangsperiode. Nach der letzten günstigen Ernte im Frühling waren
zwar die meisten Familien, die seit dem Niederbrennen ihres langen
Hauses, 13 Jahre lang, zerstreut auf ihren Reisfeldern gewohnt
hatten, an die Mündung des Blu-u gezogen, aber der Hausbau schritt
doch nur sehr langsam vorwärts; auch waren viele Familien durch
die jahrelange Trennung einander völlig entfremdet und so scheu
geworden, dass sie es nicht wagten, mit den eigenen Stammesgenossen
am Blu-u zusammenzuziehen. Aus Besorgnis, dass diese Entfremdung den
Stammverband und somit die innere Macht des Stammes lockern könnte,
wünschte _Kwing Irang_, dass sich alle Familien baldmöglichst in der
neuen Niederlassung vereinigten.
Die Familien der Sklaven zur Rückkehr zu bewegen, war für den Häuptling
eine besonders schwierige Aufgabe; denn diese hatten in oft weit
entlegenen Flusstälern jahrelang die grösste Freiheit genossen und
fürchteten nun mit Recht, dass sie nach ihrer Rückkehr zum Stamme
gezwungen sein würden, mehr für den Häuptling zu arbeiten. Nur 10
Sklavenfamilien hatte _Kwing Irang_, dem wenigstens 150 _dipen_
gehörten, bei sich zurückbehalten und einige andere bebauten unter
Aufsicht einer ihm befreundeten, freien Kajanfamilie seine weiter
abgelegenen Felder.
Die gute Ernte, der sich die Kajan in diesem Jahre erfreuten, spürte
ich sogleich an der Schnelligkeit, mit der sich die vom Häuptling
geliehenen grossen Fässer aus Baumrinde mit gewöhnlichem Reis und
Klebreis füllten. Der reichen Ernte wegen hatte der Stamm auch noch
nicht mit Säen begonnen, obgleich es bereits Oktober war. Bei meiner
Ankunft 1896 hatte man bereits Anfang September gesät; damals war
aber eine Missernte vorangegangen, auch wurden diesmal viele durch
den Umzug an der Feldarbeit verhindert.
Die meisten Familien legten in diesem Jahre, des Überflusses an Reis
und des Häuserbaues wegen, nur kleine Reisfelder an.
Der offizielle Saattag fiel diesmal, wie auch sonst öfters, nicht
mit dem wirklichen Saattag zusammen. Den ersteren bestimmt der alte
Priester _Bo Jok_, nach dem Stand der Sonne, indem er neben dem
Hause zwei längliche Steine, einen grösseren und einen kleineren,
aufrichtet und dann den Zeitpunkt beobachtet, in dem die Sonne in der
Verlängerung der Verbindungslinie dieser beiden Steine hinter den
gegenüberliegenden Hügeln untergeht. Der Saattag ist der einzige,
den _Bo Jok_ auf astronomischem Wege bestimmt. Im übrigen ist die
Zeitrechnung bei den Kajan eine mehr oder weniger willkürliche und
vom Ackerbau abhängige (Siehe Kap. VIII).
Der Monat oder, wie sie sagen, der Mond (_bulan_) spielt bei den Kajan
eine grössere Rolle als das Jahr (_duman)_, von dem kaum jemand recht
weiss, aus wievielen Monden es besteht. Für gewöhnlich rechnen sie
ein bis zwei Monde auf die Saat, 5 Monde auf die Zeit, die der Reis
zum Reifen nötig hat, zwei bis drei Monde auf die Ernte und drei
Monde bis zur folgenden Saat.
Die verschiedenen Monde besitzen bei den Bahau keine besonderen Namen.
Bei den Mendalam Kajan besitzen die verschiedenen Tage in der Zeit
des sichtbaren Mondes folgende Namen in der Busang Sprache: _njina_
(sehen) _dang_ (genügend); _matan_ (Auge) _dang; lekurdang; butit_
(Bauch) _halab_ (Tetradon, ein Kofferfisch) _ok_ (klein); _butit
halab aja_ (gross); _keleong_ (Körper) _paja ok; keleong paja aja;
beliling_ (Rand) _dija_ und _kamat_ (voller Mond). Die folgenden Tage
tragen die gleichen Namen, aber in umgekehrter Reihenfolge und mit der
Hinzufügung von _uli_ = nach Hause gehen. Die Tage des unsichtbaren
Mondes werden nicht bezeichnet.
Die verschiedenen Tageszeiten heissen im Busang der Mendalam Kajan:
_dow_ (Tag) _bekang_ (offen, gespalten), um 6 Uhr morgens; _dow
njirang_ (scheinen) _mahing_ (kräftig), um 9 Uhr ungefähr; _dow
negrang_ (aufrecht) _marong_ (wirklich), um 12 Uhr; _dow njaja_
(gross), um 4 Uhr; _dow lebi_ (klein), um 6 Uhr abends.
Die Mahakam Kajan besitzen für die Tageszeiten andere Bezeichnungen:
_beluwa_ (halb) _dow_, um 12 Uhr mittags; _dow uli_ (von der Feldarbeit
heimkehren), ungefähr 4 Uhr; _tiling_ (ein Heimchen, das sich nur
bei Sonnenuntergang hören lässt) _duan_ (tönen), um 6 Uhr.
Während die übrigen Stämme mit den Saatfesten und Verbotszeiten
bereits begonnen hatten, trafen die Kajan erst ihre Vorbereitungen. Am
13. Oktober liess auch _Kwing Irang_ endlich für seinen Stamm die
Verbotszeit eintreten, die auch für uns eine Zeit grosser und sehr
erwünschter Ruhe wurde, denn weitaus die meisten arbeitsfähigen
Familienglieder zogen bereits morgens früh nach ihren Reisfeldern,
um dort die erforderlichen Zeremonien zu verrichten und mit dem Säen
zu beginnen. Da die Bahau bei dieser Gelegenheit intim mit ihren
Geistern verkehren und die Gegenwart der schreckenerregenden Fremden
hierbei von nachteiligem Einfluss ist, überwand ich, um mit allen
Leuten auf gutem Fuss zu stehen, meine Neugier und blieb mit den
Meinen ruhig zu Hause. Übrigens hatte ich ja auch schon am Mendalam
das Saatfest miterlebt. Die Verbotszeit erstreckte sich auch auf uns,
und so genossen wir, da ausser Kajan niemand zur Niederlassung Zutritt
hatte, auch von aussen her der Ruhe.
Als _Tigang_ mit den Seinen bereits am 16. Oktober bei uns eintraf,
durfte er unser Dorf nicht betreten. Er hatte den Merasè hinauffahren
wollen, um die Ma-Suling zu besuchen, hatte aber seinen Plan aufgeben
müssen, da bei diesen am Tage zuvor die Verbotszeit eingetreten war.
Die Ma-Suling vom Mendalam waren dort noch rechtzeitig, zwei Tage
zuvor, angekommen, durften nun aber vor Ablauf des _lali nugal_
nicht von dort weg. _Tigang_ hatte auch die Niederlassung Lulu Njiwung
wegen des _lali_ gesperrt gefunden und war dann flussabwärts bis nach
Long Tepai gefahren, wo er Reis für seine Rückreise hatte einkaufen
können. Er hatte die Absicht, bei _Belarè_ einen günstigen Wasserstand
abzuwarten und dann schnell nach dem Mendalam zurückzukehren; daher
beendeten wir eiligst unsere Briefe und Berichte für die Aussenwelt und
reichten sie ihm unter _Kwing Irangs_ Zustimmung in sein Boot. Reis,
Tabak und andere Dinge durften wir ihm jedoch nicht mitgeben.
Glücklicher Weise war es meinen Jägern und Pflanzensuchern, falls
sie nicht die Nacht fortblieben, gestattet, täglich in der Umgegend
umherzuschweifen. Abends waren wir wohl ein bis zwei Stunden damit
beschäftigt, den Kajan die vom Felde mitgebrachten Insekten und
anderen Tiere abzukaufen; _Demmeni_ und zwei der geschicktesten
Malaien, _Murchar_ und _Abdul_, übernahmen die Verpackung der
Tiere. Gleichzeitig suchte _Demmeni_ auch den Schaden, den die
photographischen Apparate während der Reise durch Feuchtigkeit erlitten
hatten, wieder gut zu machen, was ihm auch, dank der praktischen
Ausrüstung an Werkzeugen aller Art, die er mitgenommen hatte, glückte.
Der Kontrolleur, der bisher jeden Tag _Adjang, Akam Igaus_ Sohn,
unterrichtet und gleichzeitig auch von ihm gelernt hatte, gab sich
alle Mühe, diese Quelle des Busang noch nach Möglichkeit auszunützen;
denn so gern wir diesen allgemein beliebten Reisegesellen auch bei
uns behalten hätten, mussten wir ihn jetzt doch mit seinem Vater,
der sich zu den Kenja am Tawang begab, weiter ziehen lassen, da _Akam
Igau_ aus Furcht vor seiner Tochter _Tipong_ nicht wagte, _Adjang_
zurückzulassen, obgleich dieser selbst gern bei uns geblieben wäre.
Inzwischen überlegte ich mit _Bier_, was mit Rücksicht auf die
Überzeugungen unserer Gastherren im Augenblick für die Aufnahme des
Mahakamgebietes getan werden konnte. Ein systematisches Zuwerkegehen,
wie in einem Lande, in dem man sich jederzeit frei bewegen kann,
war hier unmöglich. Am wünschenswertesten wäre es gewesen, mit der
Messung des Mahakam vom Howong an zu beginnen, aber in dieser Zeit
des _lali nugal_ durften wir nicht von Hause fort, ich musste sogar
6 Tage warten, bevor ich _Bier_ von einem hoch gelegenen Reisfelde
aus eine Übersicht über die Umgegend geben durfte. Die Reisfelder
liegen hier nämlich nicht, wie in dem flachen Lande am Mendalam,
tief, sondern an den Abhängen oder auf den Gipfeln der Hügelreihen,
welche die Kajan zu diesem Zweck entwaldet haben. Da sich die Felder
oft bis 200 m oberhalb des Mahakam befinden, bieten sie prachtvolle
Aussichtspunkte auf die mit dichtem Walde bedeckte Umgebung.
Ein viel verlockenderer Aussichtspunkt lag jedoch gegenüber, am
anderen Ufer des Mahakam, nämlich ein ganz freistehender, oben
beinahe kahler, 800 m hoher Andesitkegel, der Batu Mili, der ein
prachtvolles Panorama des oberen Mahakamgebietes liefern und daher
auch für unseren weiteren Plan der Aufnahme von grösster Wichtigkeit
sein musste. Dieses ins Auge fallende Ungeheuer, das seinen 100 m
hohen zylinderförmigen Gipfel so unheilverkündend grau aus dem mit
dunkelgrünem Urwald bedeckten Kegel erhob, hatte natürlich auf die
Gemüter der Kajan tiefen Eindruck gemacht.
Über den Ursprung des Batu Mili und über seine Rolle als Wohnplatz
vieler Donnergeister bestehen zahlreiche Erzählungen und sowohl sein
Gipfel als auch die Wälder auf seinen Abhängen flössen Schrecken
ein; selbst die am anderen Ufer oberhalb am Fluss wohnenden Malaien
vermeiden den Berg. Nur in grosser Entfernung darf man Wald zur
Anlage von Reisfeldern fällen und dem in diesen unberührten Wäldern
zahlreichen Wild Fallen stellen.
Die Angst der Kajan vor dem Batu Mili erscheint um so unverständlicher,
als sie sehr wohl wissen, dass ein Mann einst einen Monat lang
unbeschadet auf seinem Gipfel zugebracht hat. Wie mir nämlich _Lirung,
Kwing Irang_s Nichte, erzählte, hatte in ihrer Jugend, vor zwanzig
Jahren, in dem damals weiter oben gelegenen Hause ihres Vaters ein
Mann gewohnt, für den das Leben nach dem Tode seiner Frau keinen Reiz
mehr hatte. Um mit der geliebten Gattin in _Apu Kesio_ bald wieder
vereinigt zu werden, beschloss der Mann, sich das Leben zu nehmen. Er
hielt es jedoch für des Gedächtnisses seiner Frau unwürdig, sich auf
die übliche Weise, durch Ertränken, Halsabschneiden oder Pfeilgiftessen
umzubringen, und bestieg daher den Batu Mili, in der Hoffnung, von
den auf dem Gipfel hausenden Geistern getötet zu werden. Länge hörte
man nichts von dem Manne, bis er eines Tages entsetzlich abgemagert,
sonst aber unversehrt, zurückkehrte--die Geister hatten ihn nicht
töten wollen. Er lebte noch mehrere Jahre im Stamme, heiratete aber
nicht wieder. Einige meiner Leute hatten ihn noch gekannt.
In der letzten Zeit, wo die Kajan in nächster Nähe ihres Dorfes
nach Grundstücken suchten, hatten sich einzelne doch viel näher an
den gefürchteten Berg herangewagt als früher. So hatte einer der
angesehensten Männer des Stammes, _Bo Kwai_, dessen Sohn _Maring_
uns bei unserem vorigen Besuch oft als Führer gedient hatte, sogar
auf dem westlichen Rücken des Batu Mili sein Reisfeld anzulegen
gewagt. Nach diesem hochgelegenen Punkte wollte ich _Bier_ zur
Orientierung führen, zugleich aber auch versuchen, längs dieses
Rückens, der, nach den Gipfeln der Bäume zu urteilen, am höchsten auf
die nach allen anderen Seiten senkrecht abfallende Spitze hinaufführte,
zu einem noch günstigeren Aussichtspunkte zu gelangen. _Kwing Irang_
schüttelte das Haupt und erklärte bestimmt, dass wenigstens der Gipfel
des Berges nicht zu besteigen sei. Keiner der Kajan wollte uns weiter
als bis zum Reisfeld des _Bo Kwai_ führen und auch dahin wollten
nur zwei mit; die anderen fürchteten, dass man sie am Ende doch noch
zwingen würde, in diese schreckenerregenden Wälder einzudringen. Meine
eigenen Leute waren, als Fremde in dieser Gegend, weniger bang vor
den Geistern des Batu Mili und drei der besten, der Korporal _Suka_,
der dajakisches Blut mit malaiischer Energie vereinigte, und zwei
Pinau Malaien erklärten sich zum Mitgehen bereit. Unter dem fremden
Gesindel, das sich am Mahakam auf hielt, befand sich auch der bereits
erwähnte Chinese _Mi-Au-Tong_, der wegen Schulden aus Pontianak erst
nach Sintang, dann an den oberen Kapuas und schliesslich an den oberen
Mahakam geflüchtet war; da der Mann die Umgegend kannte und auf einen
guten Taglohn erpicht war, nahm ich ihn mit.
Am Morgen des 22. Oktober machten wir uns auf den Weg. Über die
neu angelegten Reisfelder am Fusse des Berges gelangten wir an einen
bewaldeten Abhang, den wir hinaufstiegen, bis wir endlich nach einigen
Stunden auf 650 m Höhe vor einer senkrechten Felswand standen, die
ein Erklimmen des Gipfels unmöglich zu machen schien. Die Vegetation
kam uns aber auch diesmal zu Hilfe, denn die Malaien entdeckten bald
hinter ein paar Felsblöcken eine 2-3 m breite Felsspalte, an welcher
einige mächtige Lianen wie dicke Kabel herabhingen und eine vorzügliche
Gelegenheit zum Klettern boten. Meine barfüssigen Begleiter kletterten
denn auch sogleich an den Lianen hinauf und schwangen sich dann auf
eine durch Baumwurzeln zusammengehaltene Felsmasse an der rechten Seite
der Spalte. Von dort aus fanden sie augenscheinlich eine Möglichkeit
zum Weiterkommen; denn ihre Stimmen verklangen mehr und mehr. Da ich
mit meinen beschuhten Füssen das Kletterkunststück meiner Leute nicht
nachmachen konnte, rief ich sie mit meiner Pfeife zurück, um ein Mittel
zu ersinnen, das auch mich über die Felswand brächte. Dünne, gerade
Stämmchen und Rotang, um sie zu verbinden, waren in nächster Nähe im
Überfluss vorhanden; so war denn bald eine Art Leiter hergestellt,
auf der ich unter Zurücklassung meines Hundes und Stockes gut folgen
konnte. Der Hund erhob allerdings ein Jammergeheul, das erst endete,
als ich mich später wohlbehalten wieder bei ihm einfand.
Weiter oben ging es an einer Seitenwand des Rückens hinauf, wobei wir
die Hände mindestens ebensoviel als die Füsse gebrauchten. Zwischen
Gestrüpp hindurch führten mich meine Begleiter über moosbedeckte
Wurzeln den Abhang aufwärts, der ohne diese gänzlich unzugänglich
gewesen wäre. Vor und hinter mir achtete je ein Malaie darauf, dass
die Wurzeln, denen ich mein Gewicht anvertraute, auch stark genug
waren und dass ich meinen Fuss nicht auf Moos setzte, das von unten
nicht genügend gestützt war oder auf einem verfaulten Baumstamm lag. So
kamen wir langsam aber doch stetig vorwärts und, nachdem wir noch einen
Punkt passiert hatten, von dem aus ich auf Anraten des Chinesen nicht
nach rechts blicken durfte, wurde der Rücken weiter oben gangbarer,
da wir einem augenscheinlich durch Tiere unterhaltenen Pfade folgen
konnten. Wir mussten ihn zwar kriechend zurücklegen, standen aber
bald vor der nackten Felswand dicht unter dem Gipfel. Ein Spalt
in der Mauer und einige Unregelmässigkeiten im Gestein genügten,
um meine Leute bei 70° Steigung über die 20 m hohe Wand zu bringen,
und, da sie der Meinung waren, dass ich, einmal so weit gekommen,
nun auch die Spitze besteigen müsste, entledigte ich mich meines
Schuhwerks und langte mit einiger Hilfe ebenfalls oben an.
Nachdem wir die herrliche Aussicht über die weite Waldlandschaft
genossen hatten, beeilten wir uns, auf dem gleichen Wege wieder nach
Hause zu gelangen, und kamen in der Tat glücklich, wenn auch sehr
ermüdet, heim.
Das Erstaunen der Kajan über das unerwartete Gelingen unseres
Unternehmens war gross; sie hatten von unserer Anwesenheit auf dem
Gipfel aber nichts gemerkt und auch unsere Schüsse nicht gehört,
so dass ein an einen Stock gebundenes Stück weissen Kattuns, das wir
oben als Signal zurückgelassen hatten, unserer Erzählung als Beweis
dienen musste.
In Anbetracht, dass wir auf dem Gipfel für Beobachtungen keine
Zeit gehabt hatten und _Bier_ auch nicht dabei gewesen war, nahm
ich mir vor, bald wieder dorthin zurückzukehren. _Kwing Irang_,
von Natur unternehmend, aber durch seine Umgebung und seinen
Aberglauben eingeschüchtert, erklärte sich jetzt sogleich bereit,
mich zu begleiten. Darauf meldeten sich auch einige zwanzig junge
Kajan als Begleiter auf den bisher so gefürchteten Berg an; doch
musste die zweite Besteigung bis nach Ablauf der Verbotszeit und der
drückendsten Arbeit während der Saatzeit verschoben werden.
In allgemeinen gelten am Mahakam für die Verbotszeit die
gleichen religiösen Vorschriften wie am Mendalam, doch machen sich
Verschiedenheiten in der Auffassung der _adat_ geltend. Die Saatzeit
zerfällt in drei neuntägige Perioden, von denen jede, nach Rechnung
der Kajan, aus einem Opfertag und acht Nächten besteht.
Am ersten Tage der ersten Saatperiode begiebt sich der Häuptling mit
den Seinigen und vielen anderen Familien auf das Reisfeld, um den
Geistern zu opfern (_murang)_. Da die Geister am Geruch merken können,
wer sich am Opfer (_kurang_) beteiligt hat, werden auch die sehr
kleinen Kinder mitgenommen, damit auch diese das Opfer berühren. Bei
dieser Art des Opfers wird zweimal im Laufe des Vormittags eine
Mahlzeit gehalten. Darauf müssen die Kajan acht Tage _melo_.
Am ersten Tage der zweiten Periode findet das Maskenspiel statt.
Am zweiten Tage beginnt man das grosse Feld des Häuptlings zu besäen,
eine Arbeit, an der sich Vertreter sämtlicher Familien sowohl der
Freien als der Sklaven beteiligen. Am gleichen Tage opfern die Familien
der Freien auf ihren eigenen Feldern, worauf sie an den Tagen zu säen
beginnen, die sich für sie in dieser Periode als günstig erwiesen
haben. Gewisse Tage sind nämlich nur für gewisse Familien günstig;
der Häuptling darf nur am 1ten, 3ten und 7ten Tage säen, andere
Familien haben wieder andere Saattage. Die Tage, an denen nicht gesät
werden darf, leiten sich von Todes- oder grossen Unglücksfällen oder
besonderen Missernten her. Alle diese Bestimmungen gelten nicht nur
für diese zweite neuntägige Periode, sondern auch für die dritte,
ebenfalls neuntägige Saatperiode. Während der zweiten Periode darf aber
nur an sechs Tagen gesät werden, der achte und neunte sind Ruhetage.
Am folgenden Tag beginnt die dritte Periode mit Maskenspiel und
verläuft in gleicher Weise.
Haben am zweiten Tage der dritten Periode Freie und Sklaven wieder für
den Häuptling gesät, so dürfen letztere mit dem Besäen der eigenen
Felder beginnen; sie opfern jedoch nicht selbständig, sondern mit
dein Häuptling gemeinsam.
Das grosse Reisfeld des Häuptlings wird _luma ajo_ genannt.
Jede Kajanfamilie richtet am zweiten Tage der ersten Periode auf ihrem
Felde ein Opfergerüst (_pelale_) auf, mit dem die Säer während des
Säens in Verbindung bleiben müssen; daher ist es Fremden verboten,
zwischen diesen und dem _pelale_ hindurchzugehen; auch dürfen die
Kajan sich auf dem Felde nicht mit Fremden abgeben, vor allein nicht
mit ihnen sprechen. Ist dies zufällig doch geschehen, so hört man an
diesem Tage mit dem Säen auf.
Die erste neuntägige Periode bildet die eigentliche Verbotszeit,
während welcher kein Fremder die Niederlassung betreten und kein
Dorfbewohner die Nacht ausserhalb des Hauses verbringen darf. Ferner
dürfen die Kajan nicht jagen, Früchte pflücken und mit dem Wurfnetz
(_djala_) oder Schöpfnetz (_hiköp_) fischen gehen. Im Gegensatz zu der
_adat_ der Mendalam Kajan dürfen die Mahakam Kajan in dieser Zeit Blut
vergiessen, indem sie Schweine und Hühner schlachten, auch ist Angeln
(_niese_) erlaubt und menstruierenden Frauen gestattet, das Reisfeld
zu betreten. Dagegen dürfen die Frauen in dieser Periode einige Arten
Fische nicht essen. Auch ist es bei ihnen _lali_, nach Anfang der Saat
zeit die Felder durch Fällen von Wald noch zu vergrössern, und erst,
nachdem vier Tage der zweiten Periode verlaufen sind, darf das kleine,
übriggebliebene Holz auf dem Felde verbrannt werden.
In den letzten Tagen vor der Maskerade haben besonders die jungen Leute
vollauf mit den Vorbereitungen zu tun. Die ursprüngliche Bedeutung
dieses Maskenspiels lässt sich nur noch an dem Geistertanz, den die
jungen Männer aufführen, erkennen. Das Spiel wurde, wahrscheinlich weil
der Stamm nun zum ersten Mal wieder beisammen wohnte und als Ganzes
das Fest feierte, gerade jetzt vollständig aufgeführt, was bei meinem
vorigen Aufenthalt und auch im folgenden Jahr nicht mehr der Fall war.
Ihrer Überzeugung gemäss, dass die Geister mächtiger sind als die
Menschen, nehmen die Kajan an, dass, wenn sie die Gestalt der Geister
nachahmen und deren Rollen erfüllen, sie auch Übermenschliches zu
leisten vermögen. Gleichwie ihre Geister also die Seelen der Menschen
zurückzuholen im stande sind, glauben diese, auch die Seelen des
Reises zu sich heranlocken zu können. Zu diesem Zwecke handhabt die
Hauptperson beim Maskenspiel einen langen, hölzernen Haken (_krawit
bruwa_), dessen Schaft teilweise zu langen, feinen Spänen zerschnitten
und mit diesen verziert ist (Siehe Taf.: _hudo kajo_). Die Darsteller
treten in einem bestimmten Augenblick hinter einander in eine Reihe
und reichen einander hinter der Hauptperson, die voranschreitend den
langen Haken in die Höhe hebt, die Hand. Hierauf macht der Vordermann,
und mit diesem zugleich auch die ganze Reihe, eine Bewegung, als wolle
er mit dem langen Haken etwas zu sich heranholen, nämlich die Seelen
des Reises, die sich bisweilen zum Kapuas und Barito verirren.
Wie wichtig die Bahau es finden, dass sich die Reisseelen stets in
ihrer Nähe aufhalten, ersieht man daraus, dass _Belarè_ die Missernten
der letzten Jahre dem Umstande zuschrieb, dass beim Verbrennen seines
Hauses durch die Batang-Lupar auch die Reisseelen vertrieben worden
waren. Da Geister nach Auffassung der Kajan nicht sprechen können,
dürfen auch deren Darsteller kein Wort äussern, da sie sonst Gefahr
laufen, tot niederzufallen.
Entsprechend ihrer Vorstellung, dass die mächtigen Geister mit
allem, was ihnen selbst schreckenerregend vorkommt, ausgestattet
sind, verwandeln sich die jungen Männer in stark behaarte Wesen
mit grossen Augen, riesigen Hauern und grossen, mit den Eckzähnen
der Panther verzierten Ohren. Eine mit den schönen Schwanzfedern
des Rhinozerosvogels geschmückte Kriegsmütze und ein Schwert
vervollständigen das Kostüm.
Um die starke Behaarung nachzuahmen, werden grosse Bananenblätter
seitlich ausgefranst und mit dem Hauptnerv um den ganzen Körper
gewickelt, der auf diese Weise in eine unförmliche grüne Masse
verwandelt wird.
Mehr Mühe kostet die Herstellung der grossen Masken aus leichtem,
weissem Holz (_hudo kajo)_, die besonders bei den Kajan und Long-Glat
sehr kunstgemäss und sorgfältig geschnitzt werden. Gewöhnlich stellt
jeder junge Mann seine eigene Maske her, aber einige besonders
Geschickte legen bisweilen an die der anderen die letzte Hand
an. Obwohl die Linien und Flächen der Masken sehr grotesk sind,
werden sie doch stets deutlich und symmetrisch ausgeführt; auch
die später angebrachte Malerei zeugt von dem Farbensinn, der diesen
Stämmen eigen ist. Das Gesicht besteht aus einem einzigen Stück, nur
der Unterkiefer wird gesondert angebracht, um ihn während des Tanzes
klappernd bewegen zu können. Sowohl im Ober- als im Unterkiefer werden
die grossen Hauer mittelst hölzerner Stifte befestigt. Wenn möglich,
stellt man die Augen durch Deckel von Spiegeldosen, sonst aber durch
Deckel der runden, kupfernen Beteldosen dar.
Die grossen, oft schön geschnitzten Ohren bestehen aus Scheiben, in
denen oben künstliche Pantherzähne stecken, während unten, an langen
Bändern, welche die ausgereckten Ohrläppchen vorstellen, Ohrgehänge
hängen. Die Ohrverzierungen werden nach den veralteten Modellen, die
jetzt nur noch als Antiquitäten aufbewahrt werden, verfertigt. Als
Bart benützt man, wenn möglich, das aus Celebes eingeführte weisse
Ziegenhaar (_bok kading)_, das bei den Bahau als Verzierung für
Schwerter und Schwertscheiden sehr beliebt ist. Diejenigen, die
Ziegenhaar nicht erschwingen können, begnügen sich mit einem Bart aus
den weissen Fasern der Ananasblätter, aus denen auch Zeuge hergestellt
werden. An der Maske werden Nasenlöcher oder Öffnungen zwischen Nase
und Augen angebracht, die dem Darsteller das Hindurchsehen gestatten.
Werden bei besonderen Gelegenheiten, die Tänze von Priestern
aufgeführt, so benützen sie lange, weisse Späne von Fruchtbaumholz,
um die Haare darzustellen.
Die Verkleidung fand auf einer weiter oben im Mahakam gelegenen
Geröllbank statt, nachdem alle in Ruhe ihr Mahl beendet und die letzten
Vorbereitungen für die Maskerade getroffen hatten. In einigen langen
Böten, von kleinen Knaben gerudert, kamen die sehr wild aussehenden
Gestalten flussabwärts bis zur Landungsstelle gefahren, wo andere
Männer damit beschäftigt waren, nach dem Bad ihre schönsten und
längsten Lendentücher um die Hüften zu schlingen. Ebensowenig wie
die Bahau für sich selbst einen guten Bade- oder Anlegeplatz am Ufer
freihalten, indem sie etwa in den Fluss gestürzte Baumstämme aufräumen,
hatten sie jetzt für die Landung der Geister, die ihnen zu einer guten
Ernte verhelfen sollten, irgend welche Vorbereitungen getroffen. So
landete denn die phantastische Gesellschaft zwischen halb verfaulten
Baumstämmen und den Erdmassen, die bei dem niedrigen Wasserstand zum
Vorschein kamen.
Schweigend bestiegen die Geister das hohe Ufer und begaben sich
sogleich auf den freien Platz, der sich zwischen der provisorischen
Wohnung des Häuptlings und der unsrigen befand. Hier wurden sie von
einer zahlreichen Menge erwartet, die ihre schönsten, mit Stickereien
und Figuren verzierten Kleidungsstücke angelegt hatte. Viele Kinder
und junge Frauen prunkten auch noch mit schön gearbeiteten Mützen,
Armbändern und Halsketten. Ich hatte jetzt Gelegenheit, alles Schöne,
was der Stamm an Perlenarbeiten und Stickereien besass, kennen zu
lernen; für gewöhnlich werden diese Herrlichkeiten verborgen gehalten.
Um alles besser beobachten zu können, begab ich mich zu _Kwing Irang_,
den ich in seiner Reisscheune mitten unter allen Körben mit Kampfhähnen
hockend antraf. Von hier aus, nicht allzu hoch über dem Erdboden,
konnten wir den Tanz gut beobachten.
In einem bestimmten, auf dem Gong angegebenen Rhythmus, von dem, bei
Gefahr eines Unglückes für die Teilnehmer, nicht abgewichen werden
durfte, stellten sich die grünen Massen in brennender Mittagssonne
in einen Kreis und führten unter begleitenden Armbewegungen und
Schütteln und Drehen des Hauptes allerhand Schritte aus. Gegen 12 Uhr
kamen noch einige verkleidete junge Leute von dem Flüsschen Ikang,
um die Zahl der Geister zu verstärken, so dass ihrer dieses Jahr
23 waren. Nachdem sie eine gute halbe Stunde getanzt hatten, wobei
ihnen ihre kühle Bedeckung in der Hitze sicher gut zu statten kam,
stellten sich alle hinter einander, um die _bruwa parei_ (Seele des
Reises) aus fernen Gegenden zu sich zu holen.
Bald darauf begannen die _hudo kajo_ (Verkleidete mit Holzmasken)
doch zu ermüden und der Anführer begab sich mit seinem _krawit bruwa_
voran in den Versammlung
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